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Neuntes Kapitel

Es ist eine alte Weisheit, daß ein Unglück selten allein kommt. Die Fürstin mußte wieder zur Kur nach Eilsen. Also fuhren sie alle, einschließlich der Miß, hin. Franzi meldete dem Intendanten Ziegesar, daß er zu komponieren beabsichtige und von jetzt ab nur die Wagnerwerke und die zu seinen großen Plänen gehörenden Opern dirigieren wolle, die anderen kleineren Opernvorstellungen sollten andere leiten. Nachdem er sich auf diese Weise einen langen Urlaub verschafft hatte, gedachte er für lange Zeit in dem stillen und versteckten Eilsen zu bleiben. Er blieb auch da. Aber nicht in einer so idyllischen Ruhe, wie er es sich vorgestellt hatte. Zuerst erkrankte die kleine Prinzessin Maria wieder an Typhus. Carolyne pflegte das junge Mädchen selbst. Manchmal kam sie tagelang nicht aus den Kleidern und schlief auf einem Stuhl neben dem Krankenbett. Wochenlang dauerte es, ehe das junge Mädchen langsam wieder zu Kräften kam. Dann wurde Carolyne vom Fieber gepackt, und an dem Tage, wo ihre Tochter zum ersten Male aufstand, mußte sie sich ins Bett legen. Zu gleicher Zeit erhielt sie aus Rußland die Nachricht, daß ihre Mutter gestorben sei. Der Arzt stellte fest, daß Carolyne ebenfalls den Typhus hatte. Jetzt wachten das junge Mädchen und die englische Miß am Krankenbett. Die Krankheit währte neun Wochen lang, und als Carolyne endlich genas, wollte sie der Arzt unter keinen Umständen aus Eilsen fortlassen. Mutter und Tochter waren aber auch in einer so schlechten Verfassung, daß sie eine längere Erholung nötig hatten.

So verging der Winter und auch der Frühling. Franzi war andauernd zwischen Eilsen und Weimar unterwegs. Die Pflicht rief ihn nach Weimar, die Angst trieb ihn immer und immer wieder zurück nach Eilsen. Seinen Plan, die Oper des jungen Raff, den »König Alfred«, deren Aufführung er bei dem Intendanten durchgesetzt hatte, selbst zu dirigieren, konnte er nicht verwirklichen, weil man die Uraufführung wegen der Krankheit des Fräulein Agathe auf einen Tag festgesetzt hatte, an dem er wegen neuer schlechter Nachrichten nach Eilsen zurückkehren mußte. Die Oper dirigierte der junge Komponist selbst. Sogar Berlioz' »Harold« konnte er nur zwischen seinen Hin- und Herreisen vorbereiten. Zu einer Verschiebung dieser Aufführung konnte er sich aber auch nicht verstehen, weil er neben Wagner endlich auch Berlioz im Spielplan sehen wollte. Auch die Berlioz-Symphonie wurde aufgeführt. Zurückhaltende Höflichkeit empfing sie, offensichtlich fand sich kein Mensch unter den Zuhörern, der sie verstanden hätte. Franzi verlor aber deshalb die Lust nicht und beschloß sogar, nunmehr auch Berlioz' Oper »Benvenuto Cellini« in Weimar aufzuführen, die vor langen Jahren in Paris aufgeführt, abgelehnt und ausgepfiffen worden war.

Es wurde Sommer, als Franzi dachte, nunmehr endlich alle Tücken des Schicksals überwunden zu haben. Mutter Liszt kam wieder zu Besuch, erzählte viel von den Kindern und mußte eingestehen, daß sie bei Frau Patersi ganz vorzüglich aufgehoben seien. Blandine und Cosima wären nicht wiederzuerkennen, so fein und so artig benähmen sie sich und so gut lernten sie. Auch Daniel käme es zugute, daß er seine Freizeit regelmäßig mit den Schwestern verbrächte und dadurch gleichfalls der segensreichen Erziehung durch Frau Patersi teilhaftig würde. Die alte Frau hörte noch einen langen Vortrag ihrer zukünftigen Schwiegertochter über die Schwierigkeiten der Scheidung und der Vermögensprobleme an, dann fuhr sie wieder ab. Am anderen Tag kam ein Telegramm aus Erfurt, daß sie im Krankenhaus liege, sie habe sich unterwegs den Fuß gebrochen. Carolyne fuhr sofort nach Erfurt und blieb bei der alten Dame, bis sie transportfähig war. Dann brachte sie sie zurück nach Weimar, damit sie dort vollständig genese. Mutter Liszt wurde so ständiger Gast der Altenburg. Sie kauften ihr einen Rollstuhl, darin saß sie und las tagelang.

Trotz der häufigen Unterbrechungen und des Unglücks arbeitete Franzi fleißig. Er brachte die Mazeppa-Suite in ihrer neuen Form zum Abschluß, komponierte viele kleine Sachen und wandte sich unter dem gewaltigen Eindruck der aus Pest kommenden trostlosen Nachrichten wieder ungarischen Motiven zu. Er wollte all die Phantasten, die er auf den Bruchstücken ungarischer Volksweisen aufgebaut hatte, zu etwas Einheitlichem formen. Er faßte sie in planmäßiger Reihenfolge zusammen und nannte sie ungarische Rhapsodien. Zwei Notenhefte waren schon voll damit. In der Altenburg war die eigentümlich schwermütige, kummerbeladene und sogar noch in den ausgelassenen Csardastakten wehmütige ungarische Musik bald täglich zu hören. Die Weimarer, die die Jenaer Landstraße entlang gingen, blieben oft unter den Fenstern stehen, um dem sprühenden Gefälle der heraustönenden zauberhaften Stimmen zu lauschen.

Während er an den ungarischen Rhapsodien arbeitete, widerfuhr ihm die Freude, daß Hans von Bülow, dieser liebe und begabte junge Mann, ihm zuliebe nach Weimar übersiedelte. Hans war von der Weimarer Uraufführung des »Lohengrin« so begeistert, daß er seinen Eltern glatt den Gehorsam verweigerte. Sie wollten aus ihm unter allen Umständen entweder einen vornehmen Staatsbeamten oder einen Diplomaten machen. Insbesondere der Vater sehnte sich danach, daß der Junge, wenn er schon vermögenslos war, wenigstens durch seine gesellschaftliche Stellung den Namen seiner vornehmen Familie zu Ehren bringe. Der Vater Bülow hatte sich nach seiner Scheidung aus der gräflichen Linie seiner Familie eine Frau geholt und erst vor kurzem eine Komtesse Bülow geheiratet. Die Musik Wagners aber hatte Hans vollständig aus dem Gleichgewicht gebracht. Er fuhr zu Wagner nach Zürich, um Unterstützung und moralischen Halt gegen seine Eltern bei ihm zu finden. Wagner verschaffte ihm auch eine Stellung als Korrepetitor am Züricher Theater und bei der St. Gallener Gesellschaft. Vater und Mutter mußten also gezwungenermaßen auf die diplomatische Laufbahn ihres Sohnes verzichten. Hans widmete sich nunmehr vollständig der Musik. Das unkünstlerische Treiben der St. Gallener Gesellschaft hatte er bald satt und beschloß, ins Mekka der neuen Musik zum Propheten dieser Musik zu übersiedeln.

Franzi empfing ihn mit Liebe. Er fühlte sich zu diesem ernst veranlagten Jungen mit den tadellosen Manieren hingezogen, den er neben sich als zweitgrößte Klavierbegabung der Welt einschätzte. Hans wurde alsbald täglicher Gast in der Altenburg, freundete sich mit Mutter Liszt an und konnte auch binnen kurzem die Sympathie der sich nur sehr schwer anschließenden Carolyne gewinnen. Er galt fast als Sohn des Hauses, man verheimlichte auch vertrauliche Dinge vor ihm nicht. Sekretär war und blieb zwar Raff, die Geheimnisse des Hauses kannte aber Hans, als ob er ein Familienmitglied wäre.

Die Erwartungen des jungen Mannes erfüllten sich nicht. Er war mit der Hoffnung nach Weimar gekommen, hier auf Schritt und Tritt Wagner-Wunder im Theater zu erleben. Statt dessen fand er ein Theater vor, das, seit sich Franzi von der obersten Leitung zurückgezogen hatte, unter dem Niveau anderer, noch viel kleinerer Städte geblieben war. Die Leitung der Opern hatte Chelard, der sich erst jetzt, da er praktisch tätig sein mußte, als ganz unfähiger Mensch erwies. Das Orchester, dessen Leistungsfähigkeit sich während zweier Jahre außerordentlich gesteigert hatte, fiel in seiner Hand mit einem Male zu nichts zusammen. Das Weimarer Publikum, das inzwischen auch schon das Gute gekostet hatte, wandte sich jetzt von den flachen, schablonenhaften Aufführungen ab. Mancher Abend kam einem Skandal gleich. Dazu kam noch, daß der tüchtige and tapfere Intendant Ziegesar schwer krank wurde und eines Augenleidens wegen seinen Wirkungskreis einem Herrn vom Hofe, namens Beaulieu-Marconnay, übertragen hatte, der außer seinem laienhaften guten Willen nichts zu dieser Arbeit mitbrachte. Franzi sah niedergeschlagen zu, wie seine jahrelange Arbeit in wenigen Wochen zusammenbrach. Jetzt wäre er sogar bereit gewesen, unter Verzicht auf seine tondichterische Tätigkeit die Leitung des Theaters wieder in die Hand zu nehmen, aber dazu war es schon zu spät. Ohne Ziegesar hätte er sowieso nichts machen können. Ziegesar hatte auf Franzis Drängen die neue im Entstehen begriffene Siegfried-Oper Wagners vertraglich für Weimar gesichert, – das war alles, was er als Erbschaft hinterließ und was sein Nachfolger nicht verderben konnte. Das Theater aber verfiel rettungslos immer mehr und mehr. Was ihm noch mehr zu Herzen ging, war, daß auch der schöne Plan der Goethe-Olympiade zu Wasser wurde. Der Großherzog versprach immer wieder nur die Einberufung des Komitees. Er hatte aber zu große Angst vor den Geldausgaben, die zur Verwirklichung dieses Planes erforderlich gewesen wären. Die Einberufung der Ausschüsse ließ deshalb immer länger auf sich warten, und endlich wurden auch die Großherzogin und der Erbgroßherzog müde, den Herrscher auf Franzis Bitten hin immer wieder mit dieser Frage zu behelligen. Es war nun nicht mehr zu bezweifeln, daß aus dem großen Gedanken nichts werden würde. Nur einen einzigen Künstler nach Weimar zu bringen, war ihm gelungen: Joachim, den aus Ungarn stammenden Violinkünstler. Für Dingelstedt jedoch eine Stellung in der dramaturgischen Leitung des Theaters freizumachen, war ihm mißlungen.

Er faßte sich in Geduld und wartete zunächst. Ihm war es auch zuwider, die Großherzogin und den Erbgroßherzog tagtäglich zu bestürmen. Und die Rolle des schreienden Totenvogels hatte er auch gründlich satt. Mit seinem unstillbaren Gestaltungs- und Schaffensdrang warf er sich deshalb auf die Konzert-Musik. Weimar hatte keinen anständigen Konzertsaal, die Konzerte konnten nur im Theater abgehalten werden. Also vermochte er zunächst nichts anderes zusammenzubringen als Kammermusik, und zwar entweder in der Altenburg oder in der Wohnung verschiedener Weimarer Notabilitäten und ab und zu am Hofe. Joachim spielte wunderbar Geige, Coßmann war Meister auf dem Cello, Bülow spielte vollkommen Klavier. Er fand aber auch noch andere Musiker, die seinen Ansprüchen genügten, und so löste ein Hauskonzert das andere ab. Das Theater behielt er nur halb im Auge, stand im eifrigen Briefwechsel mit Wagner und Berlioz, um seine großen Pläne trotz allem aufrecht zu erhalten; schrieb Studien über Wagners Musik und verhalf Hans zu einer Orchesterouvertüre für die Julius-Caesar-Aufführung im Theater. Die Ouvertüre wurde aufgeführt, Franzi dirigierte selbst, und das Orchester erhielt mit einem Male wieder den Glanz echter Musik. Alle seine Hoffnungen brauchte er also doch nicht aufzugeben. Es schien ihm deshalb das vernünftigste, geduldig zu warten. Ziegesar würde vielleicht doch wieder gesund, und dann würde auch alles besser. Bis dahin hatte er wenigstens für seine tondichterische Arbeit Zeit und konnte seine Abende in der Gesellschaft seiner jungen Freunde statt im »Kunst-Institut«, wie er das Theater immer nannte, verbringen. Unter seinen Freunden tauchte jetzt auch ein junger Ungar namens Szerdahelyi auf, der zur Zeit, wie so viele andere junge Ungarn, vor dem Kerker oder vor dem österreichischen Militärdienst geflohen war. Er führte sich mit der Bitte bei Franzi ein, die Romane eines anderen ungarischen Flüchtlings, des Baron Josika, ins Französische zu übersetzen, da der Schriftsteller unter sehr schweren Verhältnissen in Brüssel lebe.

»Ich kann leider nicht ungarisch«, entgegnete Franzi, »aber ich werde bemüht sein, jemanden zu finden, der dem Baron behilflich sein könnte.«

Er trat auch in unmittelbare Verbindung mit Baron Josika, er schrieb an diesen und jenen nach Paris, konnte aber keinen Übersetzer finden. Szerdahelyi und noch einige Weimarer Schwärmer fanden sich zu einer ständigen Gesellschaft zusammen, musizierten, debattierten und besprachen die Angelegenheiten des Theaters. Und warteten alle zusammen auf die zwei großen Ereignisse: auf Wagners »Siegfried« und Berlioz' »Cellini«.

Die Taktik des Abwartens begann aber gefährlich zu werden. Während Wochen und Monate vergingen, wurde es Franzi immer deutlicher, daß bald niemand mehr vorhanden sein würde, dem er die von ihm geplanten Stücke vorführen könnte, wenn er nicht augenblicklich dazwischen träfe. Das Publikum hatte sich bereits vollkommen vom Theater abgewandt, und der neue Intendant, der sich nur um die Kassenberichte kümmerte, war unter den verzweifelten Anstrengungen schon dazu übergegangen, Artisten und Zauberer auftreten zu lassen, um nur einen halbwegs annehmbaren Kassenumsatz zu erzielen. Franzi wartete jedoch noch immer. Es war schon Herbst, und er plante die Aufführung der Berlioz-Oper für April. Seine ganze Hoffnung war, daß Ziegesar seinen Intendantenposten wieder einnähme.

So erreichte er seinen vierzigsten Geburtstag. Der Hof überhäufte ihn mit jeder nur erdenklichen Aufmerksamkeit. Das großherzogliche und das erbgroßherzogliche Paar schickten ihm gleich wertvolle Geschenke, sogar die Tochter des Großherzogs, die preußische Kronprinzessin in Berlin, hatte ihn nicht vergessen. Jedes Mitglied des Herrscherhauses empfing ihn einzeln in einer Audienz, sie drückten ihm die Hand und versicherten ihn ihres vollsten Vertrauens und aufrichtigsten Dankes.

»Womit könnte ich Ihnen denn eine besondere Freude bereiten?« erkundigte sich die Großherzogin, »denn das, womit ich lediglich meine Aufmerksamkeit zum Ausdruck bringen wollte, halte ich für zu wenig. Sie sollen sehen, wie groß mein Dank für das ist, was Sie bis jetzt für Weimar getan haben. Verlangen Sie aber auch etwas, was zu erfüllen in meiner Macht steht.«

Franzi verstand: die Fürsprache beim Zaren sollte er nicht verlangen, das wäre umsonst.

»Ich hätte etwas«, entgegnete er, »womit kaiserliche Hoheit mir eine große Freude bereiten könnten: schaffen Sie Ordnung im Theater. Das Theater ist das Instrument aller meiner großen Pläne. Auf einem falschen Instrument kann ich nicht spielen.«

»Schon wieder das Theater«, sagte die Großherzogin stirnrunzelnd, »wieviel Geld hat das schon gekostet und wieviel Scherereien haben wir damit. Also gut. Essen Sie morgen abend bei uns. Beim schwarzen Kaffee werden wir das Ganze gründlich besprechen.«

Die Großherzogin hörte sich den Vortrag Franzis aufmerksam an. Die Vorhaltungen ließ sie zwar gelten, ging aber sofort in die Höhe, als von Geld die Rede war. Aus der ganzen Besprechung wurde zum Schluß ein langer Streit: war das Theater ein geschäftliches Unternehmen oder eine Passion des Herrscherhauses? Endlich verabschiedete sich Franzi unter dem Versprechen der hohen Frau, daß sie alles überlegen und tun werde, was sie könne. Von einem Intendantenwechsel könne allerdings keine Rede sein, denn Baron Beaulieu sei ein wichtiger Mann am Hofe und habe zu diesem Auftrage, der ja sowieso nur vorübergehend sei, große Lust.

Es geschah nichts. Im Theater jagte eine schlechte Aufführung die andere. Orchester und Sänger waren derartig heruntergekommen, daß die Frage auftauchte, ob es denn überhaupt noch möglich wäre, in diesem Theater ein so schweres Stück mit so moderner Musik wie Berlioz' »Benvenuto« aufzuführen. Franzi suchte den Erbgroßherzog auf. Auch dieser nickte und pflichtete ihm in manchem bei. Er unternahm aber auch nichts. Franzi blieb also nichts anderes übrig, als der Großherzogin nach dreiwöchigem Warten die ganze Sache nochmals vorzutragen. Die Großherzogin erwiderte sehr gereizt: sie sähe ein, daß man irgendwas unternehmen müsse, das Theater würde tatsächlich skandalös geleitet, sie würde sich überlegen, wo sie helfen könne. Und es geschah abermals nichts. Der April, den Franzi für »Benvenuto« in Aussicht genommen hatte, rückte gefährlich näher und näher. Er setzte sich also hin und schrieb der Großherzogin ein Memorandum. In amtlichem Tone, steif, ganz von ihrem üblichen Unterhaltungston abweichend:

 

»Die Komplimente, die Eure Kaiserliche Hoheit mir nach der ›Lohengrin‹-Vorstellung zu machen geruhten, zwingen mich, um nicht mit den Dienern verwechselt zu werden, denen es genügt, ihren Gehalt einzustecken, und welche Wohltaten annehmen, ohne den Versuch zu machen, sie zu verdienen, ehrerbietigst einige Bemerkungen zur Kenntnis Eurer Kaiserlichen Hoheit zu bringen.«

 

Den vorgeschriebenen zeremoniellen Ton in seiner Korrespondenz mit dem Hofe einhaltend, brachte er in wohlgeformten Sätzen seine schwerwiegenden Einwände gegen die Amtsführung des Intendanten vor. Es sei selbstverständlich, daß das Theater neben seinen künstlerischen Aufgaben auch den geschäftlichen Erfolg im Auge behalten müsse. Mit einem schlechten Theater könne man jedoch keine guten Geschäfte machen, zu einem guten Theater sei hinwiederum Geld erforderlich, damit es Geld abwerfen solle:

 

»Um nun auf das zurückzukommen, was mir die Veranlassung gegeben hat, Eurer Kaiserlichen Hoheit diese Zeilen zu unterbreiten, so nehme ich mir die Freiheit, zu bemerken, daß die Aufführung wichtiger Werke auf der weimarischen Bühne weit davon entfernt ist, den Anforderungen zu entsprechen, die solche Werke stellen. Mehr als die Hälfte ist schon geschehen, aber mehr als ein Drittel bleibt noch zu tun, nicht nur für das Orchester, in dem mehr als ein Invalide und mehr als ein Kind die Zeit und Geduld des ganzen Personals in Anspruch nehmen und nur stören, sondern auch für den Chor und die Bühnenausstattung.

Um z. B. die ›Lohengrin‹-Aufführung annehmbar zu machen, hat gefehlt: ein Dutzend Chorsänger, Männer sowohl wie Frauen, ohne die die prächtigen Chöre dieses Werkes ihre Wirkung verfehlen, wie jedes Musikerohr leicht feststellen kann; – zahlreichere Statisten, um die Lächerlichkeit zu vermeiden, daß im zweiten Akt ein Marsch gespielt wird, ohne daß ein feierlicher Zug über die Bühne schreitet; – ein Ersatz für die vier Bäuerinnen, die ein unwürdiges Gefolge für die Majestät der Hauptperson bilden; – Dekorationen, die nicht mit der Zeit so zerlumpt geworden sind wie die des dritten Aktes, die offenbar noch aus den Tagen Hérolds und Boieldieus stammen; – Bühnentrachten, die nicht viel teurer zu sein brauchten, wenn sie auch aus anderen Stoffen gemacht wären, als man sie gewöhnlich auf den Sofas der Hotels garnis findet; – etwas weniger patriarchalische Möbel als der Sitz der Elsa im dritten Akt, der aus vier kahlen Brettern gemacht ist; ein Kahn und ein Schwan, die etwas mehr geeignet wären, sich den glänzenden Vorstellungen anzupassen, die die Musik in den Gemütern erweckt; – und endlich die notwendige Ergänzung des Orchesters, die ich im einzelnen Herrn Baron von Beaulieu angegeben habe. Eine ganze Reihe von Mitgliedern des Theaters ist vom Alter geschwächt, in den Dürftigkeiten des Provinzbetriebes versauert, ohne eine Ahnung davon, was anderwärts getan und geleistet wird, zufrieden, wenn sie ihres Abendbrotes sicher ist, während es an jungen Leuten fehlt, die einen Namen zu erobern haben, Vergleiche anstellen können und sich von jener Glut beseelt fühlen, ohne die es fast besser ist, überhaupt nichts anzufangen.«

 

Aus seiner Feder flossen die Beschwerden ungehemmt. Zum Schluß teilte er dann offen mit, daß er die Arbeit, die er auf sich genommen habe, nicht fortsetzen könne, wenn alles das nicht geändert würde.

Das Memorandum jagte der Großherzogin einen tiefen Schrecken ein. Sie rief sofort eine Beratung zusammen und bat den Erbgroßherzog, Franzi, den Intendanten und den Regisseur Genast zu sich. Sie stritten und verhandelten stundenlang. Franzi redete sich die Seele aus dem Leibe und kehrte, zu Tode erschöpft, in die Altenburg zurück.

»Nun, konnten Sie irgend etwas erreichen?« erkundigte sich die Fürstin.

»Ja, Versprechungen. Sowohl die Großherzogin als auch der Erbgroßherzog haben mich bis zum Himmel gelobt und alles mögliche versprochen. Ich bin überzeugt, daß sie es ehrlich gemeint haben. Aber ich bin ebenso überzeugt davon, daß wiederum nichts geschehen wird.«

»Und wenn wiederum nichts geschieht?«

»Dann mache ich nicht mehr mit, und wir gehen weg von hier.«

»Weg von hier? Wohin? Nach Amerika?«

»Nein, nicht nach Amerika. Aber irgendwohin in Europa, wo man mich mit meinen Wagner-Aufführungen aufnimmt. Diesen Kampf muß ich durchkämpfen!«


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