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Fünftes Kapitel

Aus Pest schrieb man ihm, daß sich nunmehr eine Gelegenheit biete, nach Ungarn zu übersiedeln und eine bedeutende Rolle im politischen Leben zu spielen. Dem weltberühmten Künstler stünde der Weg zu den höchsten Ämtern offen. Sonderbarerweise hatte Belloni, den Pest nichts anging, in Paris davon gehört. Er hatte nämlich mit Ungarn gesprochen, die sich in Paris aufhielten und die ganz entschieden wissen wollten, daß Franz Liszt nach Ungarn übersiedeln und dort politisch tätig sein wolle. Belloni fragte also in einem langen Brief an, was daran wahr sei. Darüber unterhielten sich die beiden Liebenden in der Einsamkeit des Grätzer Schlosses. Sie hielten einander bei der Hand und sahen sich ab und zu mit zärtlichen Blicken an, die vollständige Hingabe verrieten.

»Es fällt mir nicht im Traume ein, mich in die Politik einzumischen. Dieser Esel Belloni schreibt mir, daß er sich über diese Nachricht nicht wundere, da er die Ruhmsucht eines jeden großen Menschen für berechtigt halte. Ich war gezwungen, in einem achtseitigen Brief meinen Standpunkt klarzulegen, damit er über mich in Paris keine Dummheiten in Umlauf bringe, die meine Mutter beunruhigen könnten.«

»Was hast du ihm geschrieben?«

»Ich habe ihm entgegengehalten, daß es vielerlei Ruhmsucht gebe. Den Durchschnittsmenschen treibe die Ruhmsucht nach hohen Stellungen, Auszeichnungen und einer umfangreichen Biographie im Lexikon. Ich stünde jedoch über diesen Dingen, wie ein erwachsener Mensch über Kinderspielen steht. Den materiell denkenden Menschen treibe die Ruhmsucht nach handgreiflichen Erfolgen, Geld, Mitteln, das Leben genießen zu können. Dafür hätte ich, wie ihm ja bekannt sei, auch kein Verständnis. Für den aufrechten Menschen bedeute aber Ruhmsucht soviel, wie den Wunsch, seine Ideen zu formen und zu verwirklichen. Das könne man gewiß auch in der Politik, wenn man nämlich politische Ideen habe. Ich aber hätte nur künstlerische Ideen. Die Politik ginge mich nichts an. Ich müßte mich ja verachten, wenn ich nur aus Ruhmsucht eine solche Aufgabe übernähme. Carolyne, der liebe Gott hat meine Pflichten bestimmt, ich würde gegen ihn sündigen, wenn ich diese nicht erfüllte. Wissen Sie, was mir einfiel, als ich Belloni antwortete? Ein Ausspruch des Evangelisten Johannes. Meine Pflicht ist, diesen Ausspruch zu meinem Wahlspruch zu machen: ›Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns‹. Das Wort ist schon hier in meiner Seele und in meiner Begabung. Es muß aber Fleisch werden, Gestalt annehmen. Ich gehe also meiner Arbeit nach: ich musiziere …«

»Du bist eine reine und große Seele. Ich liebe dich. Was für eine Rolle hättest du aber in der Politik spielen können?«

»Ich weiß es nicht, vielleicht im Kultusministerium oder in der Diplomatie. Fürst Esterhazy ist ja Außenminister. Aber davon kann gar keine Rede sein. Vor allem schon deswegen nicht, weil ich mit der ungarischen Politik gar keine Fühlung habe. Dort kämpfen zwei große politische Gedanken miteinander: die feurige, vorwärtsstürmende Idee des Fortschritts und der Erneuerung, und auf der anderen Seite die vorsichtige und konservative Idee des gemächlichen Vorwärtskommens. Wenn ich jetzt zwanzig Jahre alt wäre, würde ich zweifellos zur revolutionären Richtung stehen. Ich bin aber nicht mehr zwanzig Jahre alt. Und wenn jemand Gelegenheit gehabt hat, die Masse kennen zu lernen, so bin ich es. Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang für die Masse gearbeitet. Ich bin da angelangt, daß ich mit den Römern sagen kann: › Odi profanum vulgus‹. In Ungarn hält jetzt Kossuth alles in seiner Hand, der ein ganz vorzüglicher Volksredner ist und seine Karte auf die Masse setzt. Sein Gegner, Graf Széchenyi, stützt sich dagegen auf die gemäßigten Köpfe. Wessen Weg der bessere ist, kann ich nicht entscheiden, denn so klug bin ich nicht, und die Verhältnisse in Ungarn sind mir unbekannt. Gefühlsmäßig stehe ich Kossuth ein wenig fremd gegenüber. Széchenyi dagegen kenne ich sehr gut, und den habe ich auch sehr gerne. Vielleicht würde ich auch von Kossuth ganz anders denken, wenn ich ihn kennte. Ich weiß nicht. Die Hauptsache ist, daß ich einen Beruf und meine Arbeit habe. In Weimar, mit Ihnen zusammen, Carolyne.«

»Liebst du mich?«

»Ich vergöttere Sie.«

»Sag' mal, bemerkst du denn gar nicht, daß ich dich immer mit ›Du‹ anrede und du zu mir dagegen ›Sie‹ sagst?«

»O ja, ich habe es schon bemerkt. Mir liegt das Duzen aber einfach nicht. Vielleicht werde ich mich langsam daran gewöhnen.«

Er sprach nicht ganz die Wahrheit, denn er wußte, daß er sich daran gewöhnen würde. Von dem »Du« sagen hielt ihn sein Stolz noch zurück. Dieser überempfindliche Stolz, der sich instinktiv dagegen wehrte, es so eilig zu haben, eine Fürstin zu duzen. Und in diesem Stolz war er heute noch befangen, als er mit seinem ganzen Herzen diese Frau in makellosem Glück liebte.

Sie verbrachten nur wenige Tage in Grätz, unbeschreiblich einsame, ruhige, schöne Tage der Liebe. Dann mußten sie an die Weiterreise denken, weil sie für Weimar einen bestimmten Ankunftstermin zu wahren hatten und sich unterwegs noch an verschiedenen Orten aufhalten wollten. Prinzessin Maria und Miß Anderson schlossen sich ihnen an. Zu viert fuhren sie zunächst nach Wien. Sie fanden die österreichische Hauptstadt in völligem Aufruhr. Auf den Straßen türmten sich Barrikaden, jeder Mann trug eine Waffe, eine weit über hunderttausend zählende revolutionäre Volksmenge war wie aus der Erde gestampft, das Herrscherhaus war nicht in Wien. Franzi und Carolyne gingen neugierig auf dem aufgerissenen Pflaster der Straßen spazieren. Franzi trug eine rot-weiß-grüne Kokarde im Knopfloch, was in Wien augenblicklich sehr viel bedeutete: die Wiener Revolution wartete nämlich sehnsüchtig auf den Ausbruch der ungarischen Revolution. Die Soldaten der Nationalgarde erkannten Franzi des öfteren und ließen ihn hochleben. Er schwenkte seinen Hut und schenkte ihnen Geld und Zigarren. Auch ein Ständchen wurde ihm gebracht, und er mußte auf dem Balkon des Hotels »London« eine Ansprache an das Volk halten. Die Fürstin Carolyne saß beglückt im Zimmer und war trotzdem unglücklich, weil sie sich noch nicht auf dem Balkon neben ihren berühmten Geliebten stellen durfte.

Von Wien aus fuhren sie nach Raiding. Die Fürstin wollte das Haus sehen, in dem ihr Geliebter geboren war, und in der kleinen Kirche beten, in der ihr Geliebter zum ersten Male gebetet hatte. Abermals ein großes Volksfest in Raiding, Franzi bewirtete alle und gab wiederum viel Geld für die Armen. Sie waren auch in Eisenstadt, um das Esterhazy-Schloß zu besichtigen, dann fuhren sie endlich nach Weimar.

An einem Junitage kamen sie dort an. Sie stiegen in zwei verschiedenen Hotels ab. Die Fürstin meldete sich sogleich bei Maria Pawlowna zur Audienz. Die Großherzogin empfing sie auch noch am gleichen Tage. Die Audienz währte anderthalb Stunden.

»Schnell, schnell«, drängte Franzi, als Carolyne endlich aus dem Schloß zurückkehrte, »erzählen Sie alles ganz ausführlich.«

Die Fürstin berichtete. Ihr war ein sehr verheißungsvoller Empfang zuteil geworden. Die Großherzogin hatte alles versprochen. Sie hatte sich nach den kleinsten Einzelheiten erkundigt und ihr den Rat gegeben, sich an den Zaren selbst zu wenden. Carolyne solle ihm einen aufrichtigen und ergebenen Brief schreiben und bestrebt sein, das Vertrauen des Zaren zu gewinnen, da nach ihren Informationen der Zar die Fürstin Carolyne als Polin für eine Feindin halte. Er erinnere sich auch nur ungern an Franzi. Er habe jenes Hof-Konzert noch nicht vergessen, bei dem ein Musiker es gewagt hatte, ihn durch die Blume zurechtzuweisen. Dazu komme noch, daß der jüngere Bruder des Fürsten Wittgenstein, der Carolyne von jeher haßte, jetzt ein sehr beliebter und einflußreicher Mann beim Zaren sei und zweifellos alles in Bewegung setzen werde, um der Familie Wittgenstein das große Vermögen der Iwanowskis, zumindest aber den noch nicht veräußerten Teil, zuzusprechen. Zu guter Letzt dürfe man auch nicht außer acht lassen, daß der Zar als wahrer Vater seiner russischen Untertanen ein überzeugter Sohn der griechisch-katholischen Kirche sei und sogar die Protestanten lieber habe als die Römisch-Katholischen. Mit einem Wort, es werde sehr schwer sein, für diese Sache das Wohlwollen des Zaren zu gewinnen, Maria Pawlowna wolle aber alles versuchen, um ihren Bruder günstig zu stimmen.

»Sie hat mich für morgen mit einigen Herrschaften vom Hofe zum Tee gebeten, um meine gesellschaftliche Stellung zu stärken. Sie war im allgemeinen sehr liebenswürdig zu mir. Von Ihnen sprach sie mit besonderer Zuneigung. Gibt es denn überhaupt einen Menschen auf der Welt, der Sie nicht vergöttert?«

»Aber selbstverständlich. Der Zar.«

»Warum sagen Sie das so schlechtgelaunt? Ich habe Ihnen doch gute Nachrichten gebracht.«

»Die vielen Schwierigkeiten, die Sie aufgezählt haben, stimmen mich sehr traurig. Wenn aber alle Stricke reißen, bleibt uns ja immer noch Amerika.«

Diese Möglichkeit hatten sie schon in den Grätzer Tagen ernstlich erwogen. Wenn Gesetz und Brauch ihre Vereinigung unmöglich machen sollten und sie ohne von der Gesellschaft ausgestoßen zu werden nicht beieinander bleiben könnten, wollten sie in der Neuen Welt ihr Glück versuchen. Musiker, die schon dort waren, waren meist mit sehr viel Geld zurückgekommen, und für ernste musikalische Arbeit bot sich dort ein großes unberührtes Gebiet. Noch in Wien hatte er bei einem Hamburger Reisebüro ein Konto eröffnet. Auf dieses Konto zahlte er den Preis für vier Überfahrtskarten ein. Wann sie also wollten, konnten sie diese vier Karten nach New York benutzen.

So weit waren sie aber vorerst noch nicht. Zunächst mußte man eine würdige Unterkunft für die Fürstin besorgen, und zwar gleich eine solche, wohin auch Franzi übersiedeln konnte, sobald die kirchliche Scheidung ausgesprochen war. Bis dahin sollte Carolyne ihre bisherige Wohnung behalten, wenn sie auch der Form halber vorübergehend nach Dresden, München oder sonstwohin reiste.

Die weltberühmte Wirkungsstätte von Goethe und Schiller war eine kleine Stadt, die Wohnungssuche dauerte nicht allzu lange. Irgend jemand empfahl ihnen die »Altenburg«, deren erste Etage gerade frei war. Sie besichtigen sie sofort, und die Fürstin mietete sie auch nach kurzem Verhandeln. Es war ein schönes zweistöckiges Haus jenseits der Ilm, wo die Landstraße nach Jena über einen hohen Hügel führt. Vom großherzoglichen Schloß brauchte man, sich rechts haltend, nur wenige Minuten zu gehen, die kleine Brücke zu überqueren und den Abhang hochzuklettern: dort stand das alte Gebäude hinter dichten Sträuchern. Aus den Fenstern des ersten Stockes konnte man den idyllischen Lauf der Ilm verfolgen und sah die klassische Stadt vor sich liegen. Noch am selben Tage begann die Fürstin mit dem Beschaffen der Einrichtung.

Einen langen Brief an den Zaren hatte sie abgeschickt, betreffs der Scheidung war also zunächst nichts weiter zu tun. Fleißige Tage folgten, die frohe Arbeit der Gründung eines eigenen Heimes. Franzi ließ freudigen Herzens seine vielen Einrichtungsgegenstände aus Paris kommen, die er aus Mangel eines ständigen Heimes bis jetzt dort hatte aufbewahren müssen. Die Wohnung wurde für ein Ehepaar mit Tochter und Erzieherin eingerichtet.

Aber auch Franzi stürzte sich in seine Arbeit. Das Theater hatte jetzt Ferien, die dazu benutzt wurden, den Zuschauerraum umzubauen. Die Änderung war notwendig geworden, weil die liberale Regierung angeordnet hatte, die getrennten Plätze für Adel und Bürgertum zu beseitigen. Von nun an konnte jeder Weimarer Bürger sich auf den Platz setzen, für den er eine Karte gelöst hatte. Während in anderen Ländern die Throne ins Wanken gerieten und das Blut floß, war dies die wichtigste Errungenschaft des Jahres 1848 im Großherzogtum Weimar. Die Weimarer waren aber damit restlos zufrieden und feierten ihren Großherzog mehr denn je. Das Theater war also jetzt stumm, aber man mußte sich für die neue Spielzeit vorbereiten. Und der Mann, auf den Franzi das größte Gewicht legte, meldete sich eben jetzt ganz von selbst mit folgendem Brief:

 

»Vortrefflichster Freund!

Sie sagten mir kürzlich, daß Sie für einige Zeit Ihr Piano zugeschlossen hätten: ich nehme nun an, daß Sie fürs Nächste Bankier geworden sind. Mir geht es schlecht, und wie ein Blitz kommt mir der Gedanke, daß Sie mir helfen könnten. Die Herausgabe meiner drei Opern ist von mir selbst unternommen worden: das Kapital dazu habe ich mir einzeln zusammengeborgt: jetzt ist mir alles gekündigt, ich kann keine Woche mehr bestehen, denn jeder Versuch, das mir eigentümliche Geschäft, selbst für die baren Ausgaben bloß, zu verkaufen, ist in der gegenwärtigen schwierigen Zeit ohne Erfolg geblieben. Aus mehreren hinzutretenden Motiven wird mir die Sache sehr gefährlich: und ich frage mich heimlich, was aus mir werden soll. Die Summe, um die es sich handelt, ist fünftausend Thaler: nach Abzug des bereits daraus Gewonnenen und mit Verzicht auf Honorar ist dies das in den Verlag meiner Opern verwendete Geld. Können Sie das Geld schaffen? Haben Sie es, oder hat es Jemand, der es Ihnen zu Liebe hergebe? Wäre es nicht sehr interessant, wenn Sie der Verlags-Eigentümer meiner Opern würden? Freund Meser würde das Geschäft auf Ihre Rechnung so redlich fortführen wie auf die meinige: Ein Advokat würde die Sache in Ordnung bringen. Und wissen Sie, was daraus erfolgen würde? Ich würde wieder ein Mensch werden, ein Mensch, dem die Existenz möglich geworden ist, – ein Künstler, der nie in seinem Leben wieder nach einem Groschen Geld fragen, und nur froh und freudig arbeiten würde. Lieber Liszt, mit diesem Gelde kaufen Sie mich von der Sklaverei los! Dünke ich als Leibeigener Ihnen so viel werth?

Sagen Sie das bald
Ihrem sehr ergebenen

Richard Wagner.

Dresden, 23. Juni 1848.«

 

Dieser Brief brachte Franzi in große Verlegenheit. Gerade jetzt hatte er kein Geld. Er hatte soeben die hohen Internatsgebühren für seine Kinder weggeschickt, die Gründung seines neuen Heimes verschlang sehr viel Geld, auch hatte er gerade in der letzten Zeit sehr viel an Bittsteller verborgt. Es war ihm also einfach unmöglich, einen so großen Betrag zu beschaffen. Andererseits wollte er diesem Manne unter allen Umständen behilflich sein. Er grübelte und grübelte, was da zu machen wäre, – inzwischen traf ein neuer Brief von Wagner ein, und dann erschien er sogar persönlich. Er kam nach Weimar, um sich von seinem Gönner in irgendeiner Art und Weise helfen zu lassen.

So saßen sie beisammen und berieten. Und kamen einfach nicht vorwärts, wenigstens nicht, soweit es sich um eine sofortige Hilfe handelte. Wagner klagte bitter:

»Ich weiß, daß mein ›Tannhäuser‹ ein Meisterwerk ist. Ich habe die Aufführung in Dresden mit Gewalt durchgesetzt, sie fiel durch. Ich brachte mit Gewalt eine Wiederholung zustande, auch sie fiel durch. Es gibt keinen Theaterdirektor, der dieses Stück auch nur mit einem Finger anrührt. Von Ihnen kann ich es am wenigsten verlangen, daß Sie es in Weimar aufführen. Ihre Arbeit beginnt ja erst jetzt. Ich weiß, daß Sie mich auch an dieser Arbeit teilnehmen lassen werden, aber erst später. Sie müssen ja zunächst selbst einmal hier Fuß fassen. Wenn ich wüßte, daß mein Werk hier bestimmt aufgeführt wird, dann könnte ich ja warten, denn dann würden meine Gläubiger sicherlich auch warten.«

»So? – Dann können Sie beruhigt wieder nach Hause fahren. Ich werde den ›Tannhäuser‹ hier aufführen.«

Wagners Augen leuchteten auf.

»Das wollen Sie wagen? Soviel Mut haben Sie?«

»Dazu braucht man keinen Mut, sondern Glauben. Und ich glaube an Sie. Reisen Sie ruhig nach Hause. Das heißt, nicht sofort, denn ich möchte Sie der Fürstin Sayn-Wittgenstein vorstellen, die ein hervorragender Sachverständiger ist, und der ich den ›Tannhäuser‹ schon vorgespielt habe.«

Er nahm ihn mit zur Fürstin. Carolyne empfing den Komponisten, der in den Plänen ihres Geliebten eine so hervorragende Rolle spielte, mit besonderer Liebenswürdigkeit. Sie bemühte sich, über allgemein künstlerische Fragen zu sprechen, Wagner aber lenkte das Gespräch immer wieder auf »Tannhäuser«. Vor einer Stunde noch konnte er nicht im entferntesten hoffen, daß sein Werk in Weimar aufgeführt würde, und jetzt stellte er bereits eine Frage nach der anderen. Ob alle Rollen gut zu besetzen wären? Ob Geld genug vorhanden sei, um die Venusgrotte reich und prächtig auszustatten? Ob man den Intendanten Ziegesar auch bestimmen könne, einen besonderen Vertrag abzuschließen? Denn wenn sein Werk nicht mit den besten Kräften in glänzender Ausstattung herauskäme und er daran nicht gut verdiene, lohne es nicht, die Sache zu erzwingen. Er fand in seiner Verzweiflung über seine schwierige Lage, über die Verkennung seiner Musik und seinen eigenen innerlichen Zwiespalt so überzeugende und ergreifende Worte, daß Franzi, nur um ihn zu trösten, ihm das Blaue vom Himmel herunter versprach. Als sich Wagner endlich dankbar verabschiedete, erkundigte sich die Fürstin:

»Sagen Sie mal, Franzi, meinen Sie nicht auch, daß Ihr Freund sehr gewandt ist?«

»Wieso?«

»Während Sie ihm förmlich das Leben retteten, holte er zwanzig schwerwiegende Versprechungen aus Ihnen heraus, ohne daß Sie das bemerkt hätten.«

»Selbstverständlich habe ich es bemerkt. Aber er hat doch recht. Das muß man so machen. Dieser Mensch achtet sein eigenes Werk und seine Begabung. Und das ist die einzig mögliche Einstellung zur Kunst. ›Tannhäuser‹ ist ein Meisterwerk. Weder er, noch ich, noch das Theater in Weimar ist wichtig, einzig und allein ›Tannhäuser‹ ist wichtig, der möglicherweise häßlich durchfallen kann. Darum darf ich mich aber nicht kümmern.«

Von da ab arbeitete er mit voller Kraft am »Tannhäuser«. Den Hof unterrichtete er über seine Absichten vorerst noch nicht, denn es war zu befürchten, daß die mannigfachen künstlerischen Berater des Großherzogs die ganze Sache vor der Zeit verderben könnten. Er verfaßte jedoch eine längere Abhandlung über dieses Stück in französischer Sprache. Mit seiner ganzen musikalischen Autorität setzte er sich in dieser alle Einzelheiten umfassenden Schrift für das Werk des unbekannten Mannes ein, er fügte Notenbeispiele bei und schickte das umfangreiche Schriftstück an das »Journal des Débats« in Paris.

Jetzt hatte er endlich auch Zeit zum Komponieren. Obwohl seine Wohnung im »Erbprinzen« ihm für seine Arbeit nicht allzu viel Bequemlichkeit bot – seine Bücher und Noten lagen durcheinander und übereinander – zum Teil auf Tischen und Stühlen und sogar auf dem Erdboden, – er hatte doch Zeit. Nach langen, langen Jahren hatte er zum ersten Male das Gefühl der Stetigkeit und mußte sich immer wieder wundern, wie lang so ein Tag werden kann, an dem man kein Konzert zu geben hat und nicht stundenlang zu üben braucht, und was man alles außer dem Schlafen in vierundzwanzig Stunden erledigen kann … Er nahm sich die »Berg-Symphonie« vor, die er schon seit geraumer Zeit beenden wollte, – seit immerhin fünfzehn Jahren. In großen Zügen hatte er sie allerdings schon in Woronice entworfen, jetzt brachte er sie aber völlig zum Abschluß. Er war zufrieden. Er wollte durch die Sprache der Musik die tiefe Tragik zum Ausdruck bringen, wie unbegreiflich die Natur und wie alt das Menschenleid ist, aus dem der Herr der Schöpfung, die menschliche Seele, der Harmonie der Natur entfremdet, jammernd unter dem Joch des Daseinskampfes aufschluchzt. Auf den Hintergrund der geheimnisvoll mit Sordino summenden Instrumente malte er durch eine duftige Stimmführung der Oboe das steghafte Lob über die Schönheit der Schöpfung, dann ließ er mit grausamer Schärfe die Holzinstrumente in den das Himmelreich und das Meer preisenden gewaltigen Psalm hineinfahren, um den Wehruf der Menschheit wiederzugeben. Er ging sogar noch einen Schritt weiter als Victor Hugo, der sein Gedicht in einem tragischen Fragezeichen ausklingen ließ, er fügte noch einen Ausgleich dazu: andante religioso. Er antwortete damit dem Skeptiker Victor Hugo und zugleich sich selbst.

Denn in dieser Zeit hatte er es sehr nötig, im Schoße des Glaubens oder bei einer Idee eine Zuflucht vor dem Schmerz zu finden, der aus seiner Seele brach. Aus Ungarn kamen schlechte Nachrichten. Die Kroaten hatten sich gegen die ungarische Krone erhoben, der kroatische Banus Jellacic hatte sich an ihre Spitze gestellt und einen regelrechten Krieg entfesselt. Die ungarische Regierung wandte sich umsonst schutzflehend an die ungarische Krone. Es wurde offensichtlich, daß die Dynastie ihre Kroaten selbst aufwiegelte gegen ihr eigenes, durch Kossuth unbequem gewordenes Land. Sehr viel Blut war schon geflossen, und Franzi las erschüttert die Zeitungsnachrichten. Nach diesen stieß Jellacic siegreich gegen Wien vor und würde bereits in Kürze das auf den Barrikaden revoltierende Wien für die Habsburger erobert haben. Dann würde sich die ganze Kraft Österreichs gegen Ungarn wenden.

»Wie klug waren Sie, Franzi«, seufzte die Fürstin erleichtert auf, »daß Sie sich nicht in die ungarische Politik eingemischt haben.«

Franzi nickte ernst.

»Ich war klug, ja, und jetzt bin ich außer mir. Széchenyi wird recht behalten. Der Allmächtige sei dem schönen und lieben Ungarn gnädig.«

Das war Mitte Oktober. Drei Tage darauf, am 19. Oktober, kam Franzi atemlos in die Altenburg gerannt. Er hielt der Fürstin eine Zeitung hin. Seine Hand zitterte, und die Fürstin schrie auf, als sie gelesen hatte. In der Zeitung stand, daß die Frankfurter Demonstranten den Fürsten Lichnowsky, den jungen Parlamentsabgeordneten, erkannt hatten, als er in der Gesellschaft seines Freundes, des Generals Auerswald, ausritt. Der Fürst gehörte auch zu denen, die in der Frankfurter Versammlung für den unpopulären Malmöer Waffenstillstand gestimmt hatten. Die aufrührerische Masse nahm drohende Haltung an, und er mußte flüchten. Er verbarg sich in einem Keller, man fand ihn jedoch, zerrte ihn hervor und trieb unter grausamsten Qualen das Leben aus seinem Körper.

Franzi trauerte dem schönen, lebenslustigen Fürsten tief nach. Seinen siebenunddreißigsten Geburtstag verbrachte er inmitten seiner Lieben in der Altenburg in düsterer Stimmung. Kaum hatte die Zeit seinen Schmerz über den grausamen Tod Lichnowskys etwas gelindert, da kam aus Wien die Nachricht, daß der Wiener Mob einen guten Bekannten, den Kriegsminister Graf Latour, angefallen und an einem Laternenpfahl aufgehängt hatte. Zu gleicher Zeit traf auch die Nachricht ein, daß die Demonstranten den Grafen Lamberg, den der junge Kaiser Franz Joseph in einer Sondermission nach Pest gesandt hatte, auf der Kettenbrücke angefallen und ermordet hatten. Damit war Ungarn endgültig der sicheren Rache des österreichischen Heeres ausgeliefert.

»Széchenyi hat recht gehabt, Carolyne. Ungarn ist erledigt und ausgerechnet auf der Kettenbrücke hat man diesen Menschen getötet, auf Széchenyis Kettenbrücke!«

Die Fürstin nahm Franzi in ihre Arme.

»Mein Liebling, wie werden Sie das ertragen? Ich kann Ihnen nachfühlen, was Sie empfinden.«

»Ich habe Chopin kennengelernt, als dessen Heimat verloren war. Chopin kam nach Paris, um zu arbeiten. Ich habe ja Weimar. Ich werde in Weimar arbeiten.«


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