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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Droben im Schloß ging der Kardinal, sein Brevier lesend, auf der Terrasse hin und her.

Beatrice saß, mit irgend einer Handarbeit beschäftigt, am Ende der Terrasse unter dem Schatten der weißen Markise.

Plötzlich blieb der Kardinal neben ihr stehen, indem er sein Buch zuklappte.

»Für das Haus Udeschini wird deine Verheiratung natürlich ein großer Verlust sein,« bemerkte er.

Höchst erstaunt blickte Beatrice zu ihm auf.

»Meine Verheiratung?« rief sie. »Nun, wenn dies nicht ein Blitz aus heiterem Himmel ist!«

Und sie lachte.

»Ja, deine Verheiratung,« wiederholte der Kardinal in überzeugtem Ton. »Du bist eine junge Frau – du bist achtundzwanzig Jahre alt. Du wirst wieder heiraten, und das ist auch ganz in der Ordnung. Du hast keinen Beruf zur Klosterfrau in dir, und deshalb mußt du heiraten. Aber, wie gesagt, für das Haus Udeschini wird es ein großer Verlust sein.«

»Es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe,« zitierte Beatrice lachend. »Ich denke nicht im entferntesten ans Heiraten. Ich werde niemals wieder heiraten.«

» Il ne faut jamais dire à la fontaine, je ne boirai pas de ton eau – man muß nichts verschwören –,« warnte Seine Eminenz mit lustig zwinkernden Augen. »Die Ehe ziemt sich für den Laien wie das Zölibat für den Kleriker. Du wirst dich wieder verheiraten. Es wäre selbstisch von uns, deiner Verheiratung entgegen zu sein. Du mußt heiraten, aber für die Familie ist es ein großer Verlust – für mich persönlich der größte. Du bist mir so teuer, als wärest du von meinem Fleisch und Blut, und ich vergesse immer wieder, daß du nur meine ›angeheiratete‹ Nichte bist.«

»Ich werde nie mehr heiraten. Aber mag auch geschehen, was will – nichts wird meine Gefühle für dich jemals ändern können, und ich hoffe, daß du weißt, wie lieb ich dich habe?« – Mit einem Blick inniger Liebe lächelte sie zu ihm auf. – »Du sagst, ich sei nur deine ›angeheiratete‹ Nichte? Aber du bist mir ja viel mehr als ein Onkel – du bist mir ein Vater gewesen, seit ich mein Kloster verlassen habe.«

» Carissima,« flüsterte der Kardinal. Dann fuhr er fort: »Aber es liegt mir ungemein am Herzen, daß du, wenn die Zeit gekommen ist, einen guten Mann heiratest, einen, der dich liebt, und den du wieder liebst, und, wenn möglich, einen, der dich mir nicht ganz entfremdet, sondern mich vielleicht auch ein bißchen lieb hat. Ich würde mit Sorgen in die Grube fahren, wenn du einen Mann bekämest, der deiner nicht würdig wäre.«

»Dieser Gefahr werde ich am besten dadurch Vorbeugen, daß ich gar keinen nehme,« sagte Beatrice lachend.

»Nein,« beharrte der Kardinal, »du wirst früher oder später heiraten, und du sollst wissen, daß ich dem nicht entgegen bin, vorausgesetzt, daß es ein guter Mann ist. Felipe wird es nicht gerne sehen. – Guido wird ein langes Gesicht ziehen, aber ich werde zu dir halten, wenn ich fühle, daß der Mann gut ist. Gute Männer sind selten, mein liebes Kind, und für den Augenblick wüßte ich unter unsrem ganzen römischen Adel keinen zu nennen, mit dem ich dich gerne verbunden sehen würde. Deshalb heirate keinen Römer. Besser wäre es wohl, du wähltest einen Landsmann von dir. Dadurch würde unser Verlust natürlich doppelt so groß, falls er dich aus Italien fortführte. Aber vergiß nicht, daß du stets auf mich als Bundesgenossen rechnen kannst, wenn der Mann wert ist, dich zu besitzen.«

Damit nahm er sein Brevier wieder vor und wanderte die Terrasse auf und ab.

Beatrice fand es schwierig, ihre Aufmerksamkeit auf ihre Handarbeit zu richten. Ab und zu machte sie einen Stich, aber bald lagen ihre Hände müßig im Schoß, und sie versank in tiefes Sinnen.

»Warum er dies alles wohl gesagt haben mag?« wunderte sie sich.

Nach einiger Zeit hatte der Kardinal seine Andacht beendet, steckte das Brevier in die Tasche und ließ sich bei Beatrice in einem Schaukelstuhl nieder.

»Was ist denn eigentlich mit dir, Beatrice?« fragte er, nachdem er sie eine Weile still betrachtet hatte.

Verdutzt blickte Beatrice auf.

»Was mit mir ist – ist denn etwas mit mir?«

»Ja, irgend etwas ist nicht in Ordnung. Du bist niedergeschlagen, nervös, bist nicht du selbst. Ich habe es schon seit einigen Tagen beobachtet. Bedrückt dich etwas?«

»Nichts in der Welt,« versicherte Beatrice mit anscheinender Aufrichtigkeit. »Ich habe nicht bemerkt, daß ich nervös oder niedergeschlagen wäre.«

»Der Oktober steht vor der Tür,« sagte der Kardinal, »und ich muß nächste Woche nach Rom zurück – es ist höchste Zeit. Aber ich würde schweren Herzens gehen, wenn ich wüßte, daß ich dich unglücklich zurücklasse.«

»Die Nachricht von deiner Abreise würde genügen, mich unglücklich zu machen,« sagte Beatrice lächelnd. »Aber, abgesehen davon, bin ich nicht unglücklicher, als nur natürlich ist. Schließlich ist es ja nichts so furchtbar Lustiges ums Leben, daß man immer singen und tanzen könnte. Aber ich bin über nichts Besondres unglücklich.«

»Hm,« machte der Kardinal. Nach einer Weile fragte er: »Du kommst doch im November nach Rom, nicht wahr?«

»Ja – gegen Ende November, denke ich.«

Der Kardinal erhob sich und begann wieder auf und ab zu gehen.

Kurze Zeit danach fuhr ein Wagen vor.

»Der Wagen ist da,« sagte die Eminenz. »Ich muß jetzt hinunterfahren und nach der armen alten Frau sehen. ... Weißt du,« fuhr er nach kurzem Zögern fort, »ich meine, es wäre gut, wenn du mitkämest.«

Ein Schatten huschte über Beatrices Augen.

»Wozu sollte das gut sein?« fragte sie.

»Es würde ihr ohne Zweifel Freude machen. Außerdem gehört sie zu deinen Dorfleuten. Ich meine, du solltest mitgehen. Du hast während ihrer ganzen Krankheit noch nicht einmal nach ihr gesehen.«

»O – gut,« sagte Beatrice.

Mit sichtlichem Widerstreben ging sie, sich fertig zu machen.

Als der Wagen Dorf und Brücke hinter sich gelassen hatte, und sie auf der geraden weißen Straße dahin rollten, die nach der Villa Floriano führte, bemerkte der Kardinal: »Wie lange doch Mr. Marchdale nicht in Ventirose gewesen ist.«

»O – wirklich?« erwiderte Beatrice gleichgültig.

»Ja, es ist länger als drei Wochen her – ich glaube, beinahe einen Monat,« sagte die Eminenz.

»O – oh?« machte Beatrice.

»Allerdings hat er durch die Krankheit seiner alten Dienerin alle Hände voll zu tun gehabt,« fuhr der Kardinal fort. »Es ist ganz rührend, wie aufopfernd er für sie gesorgt hat. Doch jetzt, wo es ihr besser geht, wird er wieder frei sein.«

»Wahrscheinlich,« stimmte Beatrice zu.

»Ich habe diesen jungen Mann sehr gerne,« begann der Kardinal wieder. »Er ist klug, hat ein feines Benehmen und viel Sinn und Verständnis für Humor. Ja, er ist witzig, wie man es selten bei Angelsachsen findet – er hat einen beinahe lateinischen Witz. Aber dein Interesse für ihn ist wohl erloschen? Vermutlich weil du an seiner Bekehrung verzweifelst?«

»Ich gebe zu, daß ich mich nicht besonders für ihn interessiere,« erwiderte Beatrice, »und auf seine Bekehrung hoffe ich vollends gar nicht mehr.«

Lächelnd blickte der Kardinal auf seinen Ring. Dann öffnete er seine Schnupftabaksdose und nahm eine Prise.

»Nun, wer kann das wissen?« bemerkte er dann. »Aber – da er jetzt wieder Herr seiner Zeit und so lange nicht im Schloß gewesen ist, meine ich, du könntest ihn wohl einmal zum Essen einladen.«

»Warum sollte ich?« fragte Beatrice. »Wenn er nicht nach Ventirose kommt, so wird er eben keine Lust dazu haben. Wenn er kommen will, bedarf er dazu keiner besonderen Einladung. Er weiß, daß es ihm freisteht, jederzeit vorzusprechen.«

»Aber es wäre höflich, es wäre freundnachbarlich, ihn zu einer Mahlzeit zu bitten,« beharrte der Kardinal.

»Und würde ihn in die Verlegenheit bringen, wider Willen annehmen zu müssen, oder abzulehnen und unliebenswürdig zu erscheinen,« wandte Beatricc ein. »Nein, es ist ja in die Augen springend, daß er kein Gefallen an Ventirose findet.«

» Bene,« sagte der Kardinal, »es sei, wie du willst.«

Als sie in der Villa Floriano ankamen, war Peter nicht zu Hause.

»Er ist heute für den ganzen Tag nach Spiaggia gegangen,« berichtete Emilia.

Beatrice sah, wie der Kardinal zu bemerken glaubte, enttäuscht und erleichtert zumal aus.

Marietta saß an einem geschützten Plätzchen im Garten in der Sonne. Während Beatrice mit ihr sprach, spazierte der Kardinal im Garten umher.

Nun wollte es der Zufall haben, daß auf Peters Gartentisch ein aufgeschlagenes Buch lag, das Gesicht nach unten gerichtet.

Der Kardinal bemerkte das Buch, hielt im Gehen inne und sah sich rings um, ob ihn auch niemand beobachte. Dann klopfte er auf den Deckel seiner Schnupftabaksdose, nahm sinnend eine kräftige Prise, und schließlich schob er mit der Miene eines Verbrechers, eilig und gewandt, seine Schnupftabaksdose unter das Buch, so daß sie von diesem ganz bedeckt war.

Auf der Heimfahrt griffen Seine Eminenz einmal in ihre Tasche und riefen dann plötzlich höchst erschrocken: »Ach du meine Güte! Jetzt habe ich meine Schnupftabaksdose schon wieder verloren!« Und dazu schüttelte er den Kopf, als füge er sich gottergeben in ein unabänderliches Verhängnis. »Daß ich sie aber auch immer verlieren muß!«

»Weißt du gewiß, daß du sie bei dir gehabt hast?« fragte Beatrice.

»O ja, wenn ich sie nicht bei mir gehabt hätte, würde ich sie schon weit früher vermißt haben. Wahrscheinlich ist sie mir in Mr. Marchdales Garten entfallen.«

»Nun, dann wird sie sicherlich gefunden werden,« tröstete Beatrice.

Peter hatte sich nach Spiaggia begeben, in der Hoffnung Mrs. O'Donavan Florence zu sehen, aber aus der Kurliste ersah er, daß sie schon seit vierzehn Tagen abgereist war.

Bei seiner Heimkehr wurde er von Marietta mit der Nachricht empfangen, daß Ihre Herrlichkeit die Duchessa di Santangiolo die Gnade gehabt hätten, sie zu besuchen.

»O – wirklich?« machte Peter leichthin, während sein Herz hämmerte.

» Ang,« bestätigte Marietta. »Sie ist mit Seiner Allerhöchsten Eminenz, dem Fürst-Kardinal Udeschini gekommen. Die Herrschaften fuhren in einem Wagen. Sie blieb eine halbe Stunde bei mir und war sehr huldvoll und gnädig.« »Freut mich zu hören!« sagte Peter.

»Sie war auch wunderschön angezogen,« versicherte Marietta.

»O, daran zweifle ich keinen Augenblick,« beteuerte er.

»Die Signorina Emilia ist dann mit ihnen fortgefahren,« fuhr Marietta fort.

»Wahrhaftig! Das ist ja ein ganzer Sack voll Neuigkeiten, den Ihr da vor mir ausschüttet, Marietta!« Mit diesem anerkennenden Ausruf beendigte er die Unterhaltung. Dann begab er sich zu seinem Lieblingsplatz am Wasser und nahm sein Buch auf.

»Wie, zum Henker, kommt denn diese Schnupftabaksdose hierher?« fragte er sich verwundert, als er die Dose entdeckte.

Es war allerdings ein sonderbarer Aufenthaltsort für sie. Natürlich kann ein Kardinal aus Versehen seine Schnupftabaksdose fallen lassen, aber selbst wenn sich das ganze heilige Kollegium damit beschäftigte, so vermöchte es doch nicht, eine Dose durch ein offen auf dem Gesicht liegendes Buch fallen zu lassen, ohne daß äußerlich irgend etwas sichtbar geworden wäre.

Also mußte sie von jemand hingelegt worden sein – das war logisch gedacht. Aber von wem?

Vom Kardinal selbst? Warum in aller Welt?

Von Emilia? Unsinn!

Marietta? Abgeschmackt!

Blieb nur noch sie – die Duchessa! Wäre es möglich? Sollte es vielleicht ein Wink, ein Zeichen sein, eine Aufforderung? O nein, nein, nein – zehnmal nein! Der Gedanke war toll, und wurde demgemäß verworfen.

»Einerlei,« sagte Peter, »es ist lange her, daß ich die Schwelle von Ventirose nicht mehr überschritten habe, und eine fadenscheinige Ausrede ist besser als gar keine. Jedenfalls wird der Kardinal sich freuen, seinen Tabak wieder zu kriegen.«

Die Plankenbrücke war an Ort und Stelle.


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