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Vierundzwanzigstes Kapitel

Und richtig begrüßte sie ihn mit einem kalten, verwunderten Blick.

Die emporgezogenen Brauen, der Mangel jedes freundlichen Lächelns ergänzte ihr kühles »Guten Tag«, dem sich vielleicht innerlich noch die Frage zugesellte: »Was will er denn schon wieder hier?«

Andre indessen, Mrs. O'Donavan Florence zum Beispiel, hätten in dem Blick vielleicht eher eine ängstliche Erwartung gefunden. Jedenfalls genügte aber für Peter dieser Blick, um seine leidenschaftliche Glut zu dämpfen; in seinem Innern schien etwas zu zerspringen, und weitere Merkzeichen brauchte er nicht, um zu begreifen, daß der Augenblick für eine Liebeserklärung schlecht gewählt wäre.

Und nun spielte sich zwischen den beiden eine geradezu kindische Szene ab, über die sie später wohl manchmal miteinander gelacht haben werden.

Er traf sie auf dem breiten Kiesweg vor der großen, in die Halle führenden Tür. Sie hatte den Hut auf und Handschuhe an, als ob sie eben im Begriff sei, auszugehen. Peter wollte es bedünken, als sei ihr Antlitz etwas bleicher und ihre Augen seien etwas dunkler als sonst. Mit dem kalten, verwunderten – oder wenn man will ängstlichen – Blick erschien sie keineswegs herzlich. Ihre Haltung, ihr Wesen war weit entfernt von ihrer sonstigen unbefangenen, halb humoristischen, halb herzlichen Art, sondern ganz das einer höherstehenden Person, die andre in die gebührenden Schranken zurückweisen will.

»Noch nie habe ich sie so gesehen,« dachte er, indem er ihr bleiches Gesicht mit den dunklen ernsten Augen betrachtete; »noch nie war sie aber auch so schön. Für mich bleibt kein Fünkchen Hoffnung mehr.«

»Wie geht es Ihnen?« fragte sie ohne die Spur eines Lächelns und wartete dann, als ob sie ihn auffordern wolle, ihr den Zweck seines Besuches zu erklären. Sie bot ihm nicht die Hand, aber dafür hätte sie als Entschuldigung geltend machen können, daß sie in der einen ihren Sonnenschirm, in der andern einen gestickten seidenen Beutel hielt.

Als der erste Schmerz der Enttäuschung sich etwas gelegt hatte, fing Peter an, sich zu ärgern. Schließlich – welches Recht hatte sie, ihn so zu behandeln? Als ob er ein zudringlicher Unbekannter wäre! Sie war es ihm schuldig, anzunehmen, daß er nicht ohne hinlänglichen Grund gekommen war.

Und nun, da Peter ärgerlich war, begann die kleine, kindische Szene. Seine Haltung wurde in gewisser Art genau so abweisend wie die ihre, als er erklärte: »Ich kam an Euer Durchlaucht Parktor vorüber und nahm mir die Freiheit, diesen Gegenstand, den ich am Straßenrand im Gras gefunden habe, seinem Eigentümer zurückzubringen.«

Damit überreichte er ihr des Kardinals Schnupftabaksdose, die sie trotz der anderweitigen Inanspruchnahme ihrer Hände entgegenzunehmen vermochte.

»Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, ich hätte das Ding beim Torwächter abgegeben,« dachte er mit innerlichem Zähneknirschen. »Ohne Zweifel hält sie es noch für eine Anmaßung meinerseits, daß ich es überhaupt gefunden habe!«

Und sein Ärger wuchs.

»Sehr freundlich von Ihnen,« sagte sie. »Mein Onkel konnte sich gar nicht erklären, wo er seine Dose verlegt hatte.«

»Ich freue mich, sie ihm wieder zustellen zu können.«

Dann zauderte er noch einen Augenblick. Als sie aber nichts sagte und nur die Dose betrachtete, als sei sie ihr etwas ganz Neues, nahm er den Hut ab, verbeugte sich und machte Anstalten, sich zu empfehlen.

»O, aber mein Onkel wird Ihnen persönlich danken wollen,« rief sie zusammenschreckend. »Wollen Sie nicht hereinkommen? Ich will nachsehen, ob er zu sprechen ist.«

Sie wandte sich der Tür zu und begann merklich aufzutauen.

Aber während sie auftaute, erstarrte Peter in seinem Zorn und wurde immer eisiger. »Ich will sehen, ob er zu sprechen ist.« Der Ausdruck war nicht ganz glücklich gewählt und beleidigte ihn, allein war die arme Frau am Ende aufgeregt und nervös –?

»Ich bitte, Seine Eminenz den Herrn Kardinal Udeschini unter keiner Bedingung zu stören,« entgegnete er hochmütig. »Die Sache ist nicht im mindesten von Belang.«

Und je steifer er wurde, desto nachgiebiger zeigte sie sich.

»Aber für ihn, für uns ist sie von Belang,« erwiderte sie mit leichtem Lächeln. »Wir haben die Dose überall gesucht, das Unterste zu oberst gekehrt und schon gefürchtet, sie sei für immer verloren. Sie muß ihm beim Spazierengehen aus der Tasche geglitten sein. Er wird Ihnen gewiß danken wollen.«

»Ich fühle mich mehr als genug bedankt!« sagte Peter. Ach, wie schade ist es, daß wir so oft nur grob erscheinen, wenn wir recht würdevoll aufzutreten glauben!

Und damit diesem lächerlichen Zusammentreffen sein Charakter unumstößlich gewahrt bleibe, nahm er noch einmal den Hut ab und ging.

»O, es ist auch so gut!« murmelte die Herzogin vor sich hin. Hätte er diese Worte noch gehört, so würde er wohl umgekehrt und es würde noch Gott weiß was geschehen sein, denn aus ihrer Stimme klang nicht nur Verdruß, sondern auch Bedauern. Eine volle Minute lang blieb sie stehen und blickte ihm nach mit ihren ungewöhnlich dunklen, ernsten Augen. Endlich wandte sie sich um und begab sich ins Haus.

»Hier ist deine Schnupftabaksdose,« sagte sie zu dem Kardinal.

Dieser legte sein Brevier aus der Hand, ergriff die Dose und lächelte sie freundlich an. Dann schüttelte er sie, klappte sie auf und nahm eine Prise.

»Wo hast du sie gefunden?« fragte er.

»Dieser Mr. Marchdale hat sie gefunden,« erwiderte sie; »draußen vor dem Parktor, auf der Landstraße. Wahrscheinlich hast du sie heute früh verloren, als du mit Emilia spazieren gingst.«

»Mr. Marchdale!« rief der Kardinal. »Welch ein sonderbares Zusammentreffen!«

»Ein Zusammentreffen –?« fragte Beatrice.

»Gewiß,« bestätigte er. »War es denn nicht Mr. Marchdale, dem ich sie in erster Linie zu verdanken hatte?«

»Oh –? Ihm? Ich glaubte bisher, das sei ich gewesen!«

»Jawohl – aber,« erinnerte sie der Kardinal, »als Belohnung dafür, daß ich mich mit dir zwecks seiner Bekehrung verschworen habe. Was macht übrigens seine Bekehrung für Fortschritte?«

Voll Interesse sah der Kardinal, der am offenen Fenster saß, zu ihr auf.

»Gar keine. Ich glaube, es ist keine Aussicht dafür vorhanden,« entgegnete Beatrice in einem Ton, der ihren Ärger deutlich verriet.

»Oh –?« machte der Kardinal.

»Nein,« erwiderte sie.

»Ich dachte, er habe Anlage gezeigt?« forschte der Kardinal weiter.

»Das war ein Irrtum. Er hat keine gezeigt. Er ist ein sehr langweiliger, alberner Mensch und gar nicht wert, daß man sich mit seiner Bekehrung befaßt,« erklärte sie kurz und bündig.

»Guter Gott!« sagte der Kardinal erstaunt.

Er nahm sein Brevier wieder auf, aber ab und zu unterbrach er seine Andacht und blickte sinnend zum Fenster hinaus; dann schüttelte er bedenklich den Kopf und nahm eine Prise.

*

Voll Zorn und Gram schritt Peter die Allee hinab. Ihr Empfang hatte nicht nur seinen Liebeshoffnungen den Todesstreich versetzt, sondern auch seinen Mannesstolz getroffen. Er fühlte sich gekränkt und gedemütigt. O ja, zum Schluß hatte sie wieder etwas eingelenkt, aber der Blick, mit dem sie ihn zuerst begrüßt, die Art, mit der sie eine Erklärung seines Besuches erwartet hatte – dies schmerzte und nagte und bohrte – dies würde er nie vergessen können.

Er zürnte ihr, den Umständen, dem Leben und sich.

»Ich bin ein Narr – ein doppelter – ein dreifacher Narr,« sagte er zu sich selbst. »Ich bin ein Narr, daß ich je an sie gedacht habe, daß ich mir gestattet habe, so viel, so ausschließlich an sie zu denken, daß ich je gehofft habe, es könne zu etwas führen. Jetzt habe ich Zeit genug vergeudet. Kann man nicht gewinnen, so ist es das Zweitbeste, die Gewißheit zu haben, daß man unterlegen ist. Ich bekenne mich als besiegt und kehre nach England zurück, sobald meine Koffer gepackt sind.«

Entsagend, Abschied nehmend schweiften seine Blicke über das ihm so vertraut gewordene Tal.

Zweifelsohne lachten ihn die olympischen Götter aus.


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