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Sechzehntes Kapitel

»Kastell Ventirose, den 21. August.

Sehr geehrter Mr. Marchdale!

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie nächsten Donnerstag abend um 8 Uhr mit uns speisen wollten, um meinen Onkel, den Kardinal Udeschini, kennen zu lernen, der mich auf einige Tage besucht.

Ich habe den ›Mann des Wortes‹ noch einmal gelesen. Sie müssen mir von Ihrem Freund, dem Verfasser, noch sehr viel mehr erzählen.

Mit freundlichem Gruß

Beatrice di Santangiolo.«

 

Es ist erstaunlich, auf welche Dinge manche Menschen Wert legen, welche sie schätzen und hochhalten. So schätzt und preist zum Beispiel Peter Marchdale das Original des obenstehenden konventionellen, alltäglichen Schriftstückes über alle Maßen und glaubt, daß er dies tun werde bis zum Ende seiner Tage.

Das Briefchen ist in etwas kleiner, gedrängter, nicht allzu leserlicher, aber charaktervoller Schrift geschrieben und steht auf bläulichem, mit einer kleinen Herzogskrone über dem Monogramm B. S. geschmücktem Bogen.

Als Peter es erhielt und an sein Gesicht hielt – was wohl selbstverständlich war –, glaubte er einen leisen Duft von Iris zu verspüren. Es war nichts Ausgesprochenes, Aufdringliches – nur ein Hauch, aber es lag so etwas Intimes, Vertrauliches, so etwas echt Weibliches darin, daß Peter den Brief noch öfters an sein Gesicht führte. Wie oft er dies wiederholte, läßt sich nicht feststellen, dagegen ist es Tatsache, daß nach einigen Monaten von dem Irishauch nichts mehr zu spüren, und an dessen Stelle ein ausgesprochener Tabaksgeruch getreten war.

Auch das ist nicht zu ermitteln, wie oft Peter das Briefchen las und wieder las und es durchforschte nach etwa zwischen den Zeilen stehenden geheimnisvollen Absichten. Tatsache indes ist es, daß wirklich geheimnisvolle Absichten zwischen den Zeilen standen, aber solche, die Peter nicht in der Lage war zu vermuten oder zu erraten. Wie hätte er denken können, daß dieser Brief das Mittel und er selbst der Zweck papistischer Ränke sei? Wie hätte er vermuten können, daß die schöne Schreiberin so gut wie er selbst wußte, wer der Verfasser von »Ein Mann des Wortes« war?

Dann aber befiel plötzlich eine Sorge andrer Art seine Seele. In schweigender Verzweiflung brütete er eine Weile vor sich hin. Endlich wandte er sich an Marietta und fragte: »Habt Ihr jemals schon mit einem Kardinal gespeist?«

»Nein, Signorino,« erwiderte diese geduldige Dulderin.

»Nun, aber ich befinde mich in dieser teuflischen Verlegenheit – son' proprio in un imbarazzo,« erklärte er ihr.

Marietta warf einen Dulderblick gen Himmel.

»Oder um mich anders auszudrücken: ich habe in meinem ganzen Kram nur ein Dinerjakett aus London mitgebracht.«

» Dina-giacca? Cosa è?« fragte Marietta.

»Einerlei, was es ist – die Hauptsache ist, was es nicht ist – es ist kein Frack.«

» Non è un abito nero,« sagte Marietta, die bemerkte, daß er eine Äußerung von ihr erwarte.

»Nun? Ihr seht also meine Verlegenheit! Könnt Ihr mir nicht einen Frack machen?«

»Dem Signorino einen Frack machen? Ich? O nein, Signorino.« Und Marietta schüttelte ihr sorgenschweres Haupt bedenklich.

»Das habe ich beinahe gefürchtet! Gibt es einen anständigen Schneider im Dorf?«

»Nein, Signorino!«

»Und auf der ganzen übrigen gesegneten Halbinsel auch nicht, wenn's drauf und dran kommt! Was fange ich aber jetzt an? Wie kann ich mit einem Kardinal speisen? Glaubt Ihr, der Kardinal werde in Ohnmacht fallen, wenn sich ein Mann in einem dina-giacca mit ihm zu Tisch setzte?«

»In Ohnmacht fallen? Warum sollte er in Ohnmacht fallen, Signorino?« fragte Marietta blinzelnd.

»Würde er einem solchen Frechling etwas antun? Würde er zum Beispiel den schrecklichen großen Kirchenbann auf ihn schleudern?«

» Machè, Signorino!« Sie nahm eine Haltung an, die seine Befürchtung mit ausgesprochener Verachtung von sich wies.

»Ich sehe,« sagte Peter, »daß Ihr keine Gefahr befürchtet? Ihr ratet mir also, mit frecher Stirne das dina-giacca zu tragen?«

»Ich verstehe den Signorino nicht,« versicherte Marietta.

»Verstehen heißt vergeben,« erklärte er, »und doch verstehen englische Diener in solchen Dingen keinen Spaß, obgleich sie es eigentlich sollten, nicht wahr? Jedenfalls werde ich mich durch Euer Urteil leiten lassen. Ich werde also mein dina-giacca tragen, aber wie! Mit einer Miene! Mit einem Anstand! Ich werde den ganzen Stolz, die ganze Würde eines hoffähigen Anzuges hineinlegen! Ist der Mensch, der da drüben arbeitet, ein Gärtner?«

Marietta blickte in der angedeuteten Richtung.

»Ja, Signorino, es ist der Gärtner, der drei Tage in der Woche hier im Garten arbeitet.«

»So, wirklich? Er sieht aus wie ein Räuber!«

»Wie ein Räuber? Luigi?«

»Ja,« bestätigte ihr Gebieter. »Er trägt grüne Barchenthosen, einen roten Gürtel und ein blaues Hemd – das ist die Räuberuniform. Er hat eine schwarzbraune Haut und ein durchdringendes Auge, und sein Haar ist pechschwarz: an diesen Merkmalen kennt man die Räuber, selbst wenn sie in Zivil gehen. Sagtet Ihr nicht, er heiße Luigi?«

»Ja, Signorino – Luigi Maroni. Wir rufen ihn Gigi.«

»Ist Gigi ein gewandter Bursche?«

»Ein gewandter Bursche –?« wiederholte sich Marietta verwundert. Dann aber wagte sie sich das Wort selbst zu deuten und erwiderte: »O nein, er ist hier aus der Gegend.«

»Ach so, er ist hier aus der Gegend? Um so besser, dann wird er ja wohl auch den Weg nach dem Schloß wissen, oder nicht?«

»Aber natürlich, Signorino!« versicherte Marietta.

»Und glaubt Ihr, daß man ihn, obgleich er kein gewandter Bursche ist, ausnahmsweise bestimmen könnte, seine Fähigkeiten einmal von der Gartenarbeit abzuwenden und Kurier zu werden?«

»Kurier, Signorino?« wiederholte Marietta mit gerunzelter Stirn.

» Ang – ein unoffizieller Postbote. Glaubt Ihr, daß man ihn bewegen könnte, einen Brief für mich nach dem Schloß zu bringen?«

»Aber gewiß, Signorino. Er ist hier, um den Befehlen des Signorino zu gehorchen,« sagte Marietta, die Schultern zuckend und die Arme schwenkend.

»Dann sagt ihm, bitte, er solle ein wenig Toilette machen. Unterdessen will ich den Brief verfassen.«

Als der Brief verfaßt war, fand Peter den räuberartig aussehenden Gigi schon wartend vor und übergab ihm das Schriftstück mit den nötigen Anweisungen.

Mit einem echt italienischen, verständnisinnigen Lächeln nahm Gigi den Brief in Empfang, legte ihn in seinen Hut und stülpte diesen auf den Kopf. Dann eilte er davon, aber nicht in der Richtung nach dem Weg zum Schloß, der durchs Dorf und über die Brücke und dann in einem großen Bogen bis ans Parktor führte. Sehr erstaunt blickte Peter seinem Boten nach, der auf Peters eigenes, der Küchentür gegenüberliegendes Geschirrhäuschen zuging.

Schon war Peter im Begriff, ihm nachzurufen und ihn zurechtzuweisen, als er sich noch eines Besseren besann und zuwartete.

Gigi ging in das Geschirrhäuschen hinein und kam mit einer Leiter wieder heraus, die er an den Fluß hinuntertrug und am Ufer niederlegte. Dann kehrte er noch einmal zurück und erschien mit einem Arm voll Planken, die etwa einen Fuß breit und fünf oder sechs Fuß lang waren. Nun hob er seine Leiter auf und legte sie quer über den Fluß. Dann legte er eine Planke auf die hintersten Sprossen der Leiter und ging bis an deren Ende; dann legte er das zweite und das dritte Brett und – hast du nicht gesehen? – stand er auf dem Grund und Boden von Ventirose.

Auf diese Weise hatte er sich eine, allerdings in der Mitte ziemlich schwankende Brücke hergestellt und damit drei gute Meilen Weges erspart.

Bewundernd beobachtete ihn Peter und flüsterte vor sich hin: »Und ich habe gefragt, ob er gewandt sei! Ja, ja, der Italiener ist findig, wo es sich drum handelt, sich Arbeit und Mühe zu sparen! Es sieht zwar stark nach einem unberechtigten Einfall in befreundetes Gebiet aus, aber der Kniff verdient, daß man sich ihn merkt!«

Dann zog er den Brief der Duchessa nochmals hervor, las ihn wieder und wieder und hielt sich ihn wieder und wieder ans Gesicht, um den leisen Duft einzuatmen.

»Himmel!« rief er aus. »Wie das an Spitzen und weiblichen Putz gemahnt! Donnerstag – Donnerstag! – Wie ich nur bis Donnerstag leben soll!«


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