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Zweites Kapitel

»Keine üble Aussicht, nicht wahr?« sagte jemand auf Englisch.

Es war die helle, sanfte Stimme einer Frau.

Peter sah sich um.

Jenseits des Aco, auf dem Grund und Boden von Ventirose, etwa acht Meter von ihm entfernt, stand eine Dame, die lächelnd zu ihm herübersah.

Peters Augen begegneten den ihren, und betrachteten forschend ihr Gesicht ... Plötzlich stockte sein Herzschlag – dann setzte er in rasendem Tempo wieder ein, und zwar aus den triftigsten Gründen der Welt, und um diese Gründe dreht sich diese Geschichte.

Es war eine junge, große, schlanke Frau in weißem Kleid mit einem Mantel aus weichen, weißen Spitzen und duftigen Rüschen. Einen Hut hatte sie nicht auf.

Ihr braunes, warmgetöntes Haar erglänzte im Licht wie gesponnene Seide.

Peters Herz pochte in gefährlichem Tempo – aus den triftigsten Gründen der Welt. »Es ist unmöglich – unmöglich – ganz unmöglich,« murmelte er.

Peters Gedanken verwirrten sich gänzlich, aber immerhin brachte er es fertig, aufzustehen und sich zu verbeugen.

Anmutig neigte sie ihr Haupt.

»Sie finden die Aussicht doch auch recht hübsch, nicht wahr?« fragte sie nochmals mit ihrer hellen Stimme und erhobenen Augenbrauen, was ihrem Gesicht einen drolligen Ausdruck von Besorgnis verlieh.

Trotz seiner Verstörtheit blieb ihm nichts übrig, als ihr zu antworten. Etwas in ihm, gewissermaßen ein automatisches zweites Selbst, brachte dies für ihn fertig.

»Ich glaube, man kann sogar ruhig sagen, daß sie sehr schön ist.«

»Oh ...?« rief sie aus.

Wieder zog sie die Brauen in die Höhe, doch diesmal drückten sie Überraschung aus. Sie warf den Kopf zurück und betrachtete die Gegend mit kritischem Blick.

»So kommt sie Ihnen nicht zu grotesk, zu theatralisch vor?«

»Man sollte sie mit freundlicher Nachsicht beurteilen,« gab sein automatisches zweites Ich zu bedenken, »denn schließlich ist sie doch nur unverfälschte Natur.«

Es blitzte in ihrem Auge auf, während sie nachzudenken schien – ob über die Worte oder über den, der sie sprach, mag dahingestellt bleiben.

»Wirklich?« sagte sie schließlich. »Baute – hat etwa die Natur diese Villen gebaut und sie diese Kornfelder gepflanzt?«

»Ja,« antwortete er keck, »denn die Menschen, die Villen bauen und Kornfelder pflanzen, müssen auch als Naturkräfte angesehen werden.«

Sie lachte leise und fragte dann plötzlich mit einer leichten Neigung des Hauptes aufs Geratewohl: »Mr. Marchdale, wenn ich nicht irre?«

Peter verbeugte sich.

»Ich freue mich, daß Ihnen unsere Gegend ein wenig gefällt,« fuhr sie fort, »ich bin nämlich – Ihre Hauswirtin.«

Zum dritten Male verbeugte sich Peter.

»Sie sind wohl heute nachmittag angekommen?« fragte sie.

»Fünf Uhr fünfundzwanzig von Bergamo.«

»Ein sehr angenehmer Zug,« bemerkte sie und verabschiedete sich dann mit einem liebenswürdigen »Guten Abend!«

»Guten Abend,« erwiderte Peter und leistete seine vierte Verbeugung.

Im Schatten der Bäume schritt sie über den samtweichen Rasen dem Kastell Ventirose zu.

Peter blieb stehen und blickte ihr nach.

Aber als sie außer Sicht gekommen war, sank er tief aufatmend auf seine Bank zurück! Er war tief erblaßt. Und jubelnd sagte er: »Welch ein Glück! Welch unglaubliches Glück! Sie ist's! Sie ist's! So wahr, als ich ein Heide bin – sie ist's! Oh, welches Glück, welch übernatürliches Glück!«


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