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Einundzwanzigstes Kapitel

»Nun, Trixie, darf man dir gratulieren?« fragte Mrs. O'Donavan Florence.

»Gratulieren – mir –? Wozu?« fragte Beatrice zurück.

»Zu was! Das ist wirklich gut!« rief die lebhafte Irländerin. »Versuche nur nicht, mir Sand in die Augen zu streuen – ich bin doch auch nicht von gestern!«

Beatrice sah ganz bestürzt drein.

»Was meinst du denn eigentlich? Ich verstehe dich gar nicht,« sagte sie dann.

»Ach Unsinn! Mach daß du weiterkommst,« rief Mrs. O'Donavan Florence, indem sie drohend ihren Sonnenschirm schwang. »Natürlich zu deiner Verlobung mit Herrn – wie heißt er nur gleich?« Dabei blickte sie bedeutungsvoll nach dem Weg hinab, wo Peters Sommeranzug allmählich in der Ferne verschwand.

Zuerst hatte Beatrice bestürzt ausgesehen, nun nahmen aber ihre Züge nach und nach einen mitleidig spöttischen Ausdruck an.

»Meine arme Käthe! Hast du den Verstand verloren?« erkundigte sie sich teilnehmend, mit teilnahmvollem Kopfschütteln.

»Ich nicht,« gab die Dame in fröhlichem Selbstvertrauen zurück. »Aber ich glaube, ich könnte mit Fingern auf einen langbeinigen jungen Engländer deuten, der nicht weit davon entfernt ist. Hat er noch nicht um dich angehalten?«

» Est-tu bête?« seufzte Beatrice mit wiederholtem teilnahmvollem Kopfschütteln.

»Nun, wenn er es noch nicht getan hat, so ist es nur eine Frage der Zeit, daß er es tun wird. Du brauchst ja nur die schmachtenden Blicke zu sehen, mit denen er dich förmlich verschlingt, um seinen Zustand zu erkennen. Versuche doch nicht, mich hinters Licht zu führen, und behaupte nicht, daß ich dir damit was Neues sage.«

»Was Neues!« spottete Beatrice. »Es ist nicht nur was Neues, sondern auch der helle Blödsinn – das Produkt deiner unerschöpflichen Einbildungskraft. Herr – ›wie heißt er nur gleich‹, wie du ihn nennst, und ich sind ganz oberflächliche Bekannte. Er ist vorübergehend mein Nachbar – hat für den Sommer die Villa Floriano gemietet – das Haus, das du dort drüben am andern Ufer des Flusses durch die Bäume schimmern siehst.«

»So, wirklich? Das interessiert mich natürlich sehr, aber ich habe es auch gar nicht in Abrede gestellt,« sagte Mrs. O'Donavan Florence mit spöttischer Sanftmut. »Die Tatsache, daß er der Mieter des Hauses ist, das ich da drüben, am andern Ufer des Flusses durch die Bäume schimmern sehe, erweitert mein Wissen in erfreulicher Weise, erklärt aber keineswegs seine schmachtenden Blicke, es wäre denn, daß er mit der Miete im Rückstand ist, und selbst dann müßte er eher ängstlich und flehend als schmachtend blicken. Weißt du, ich bin selbst Grundbesitzerin und kenne mich darin aus. Meine liebe Trixie, du hast des armen Menschen Herz entflammt, und wenn er es dir noch nicht mit seinen Lippen erklärt hat, so verkündet er es doch aller Welt mit seinen Augen. Man sieht ja ordentlich Rauch und Funken aus ihnen sprühen wie aus einem Fabrikschlot. Wenn du es wirklich noch nicht bemerkt hast, so muß dich eine ganz außerordentliche Bescheidenheit blind gemacht haben. Der Mann ist bis über die Ohren in dich verliebt! Unsinn oder nicht, aber es ist die lautere, nüchterne Wahrheit!«

Beatrice lachte.

»Es tut mir aufrichtig leid, den niedlichen Roman zerstören zu müssen, den du dir zurechtgemacht hast, Käthe, aber ich weiß zufällig, daß Mr. Marchdale eine andre Dame unglücklich liebt. Eben als du kamst, hat er mit mir darüber gesprochen.«

»So, das hat er getan – der oberflächliche Bekannte?« neckte die Irländerin. »So, so, er liebt eine andre – das löst meinen letzten Zweifel: die andre bist eben du!«

Lachend schüttelte Beatrice den Kopf.

»Ist das etwa wieder, was man Hibernizismus nennt?« fragte sie mit anscheinender Neugierde.

»O, ein Hibernizismus ist was ganz Gutes, wenn man ihn am richtigen Platz anwendet! – Hat er vielleicht zufällig den Namen der andern Frau genannt?«

»O du eigensinniges, halsstarriges Geschöpf du!« sagte Beatrice lachend. »Was liegt denn daran, ob er ihren Namen nennt oder nicht? Da er sie liebt, kann er jedenfalls mich nicht auch lieben – das ist doch klar.«

»Das mag sein wie's will. Ich mache aber jede Wette, daß ich ihren Namen weiß. Und was hat er dir sonst noch von ihr erzählt? Mir hat er ja nichts gesagt, aber ich kann sie dir malen. Sie ist eine schön gewachsene Engländerin mit braunen Haaren und grauen Augen, fünf Fuß acht Zoll hoch. Aus ihren Zügen spricht Schalkhaftigkeit, um nicht zu sagen Bosheit, und Humor, und ihren Kopf trägt sie mit einer gewissen burschikosen Überlegenheit. Nebenbei ist sie ein bißchen grande dame, so etwas wie eine englisch-italienische Herzogin, dabei ist sie ungeheuer reich, und zu ihren andern Reizen gesellt sich noch der, daß sie Witwe ist. Wahrhaftig, die Männer sind so auf Witwen erpicht, daß man sich nur wundern muß, wie manche Frau es fertig bringt, überhaupt einen Mann zu bekommen, ehe sie diesen erstrebenswerten Zustand erreicht hat – da hast du noch einen Hibernizismus, wenn du willst. Aber was sehe ich? Die Stirne der hohen Frau bedeckt sich mit glühender Röte? Habe ich die Achillesferse getroffen? Ist sie Witwe? Hat er dir gesagt, daß sie Witwe ist? ... Aber, Gott steh uns bei! Was kommt dich an? Du bist ja so weiß wie ein Betttuch! Was ist dir?«

»Guter Gott,« seufzte Beatrice, die, in ihren Sessel zurückgesunken, mit entsetzten Augen ins Leere starrte. »Guter – guter Gott!«

Mrs. O'Donavan Florence beugte sich vor, ergriff ihre Hand und fragte, nun wirklich erschreckt: »Aber was ist dir, Liebste? Was kommt dich an?«

Beatrice stöhnte.

»Es ist toll – es ist unmöglich! Und doch – wenn du lächerlicherweise zufällig recht hättest, so wäre es entsetzlich – entsetzlich! Wenn du recht hättest, müßte dieser Mann ja denken, ich hätte ihm Avancen machen wollen!«

»Ihm Avancen machen wollen!« Mrs. O'Donavan Florence unterdrückte mit Mühe einen lauten Ausbruch ihrer Heiterkeit. »Daran, daß ich recht habe, ist nicht zu zweifeln. Der Mann trägt sein Herz ja hinter seinem Zwicker und jeder kann darin lesen.«

»Nun denn,« begann Beatrice mit trostloser Miene. ... »Aber nein,« brach sie ab, »du kannst nicht recht haben! Es ist unmöglich, ganz unmöglich! Warte! Ich will dir die ganze Geschichte erzählen – dann kannst du selbst urteilen.«

»Schieß los,« sagte Mrs. O'Donavan Florence lustig und nahm eine Miene hingebender Aufmerksamkeit an, die sie auch beibehielt, während ihr Beatrice, nicht ohne zeitweiliges Stocken, die Geschichte von Peters Roman und von der Frau erzählte, die ihm für seine Heldin Pauline als Vorwurf gedient hatte.

»Aber natürlich!« rief die Irländerin, als sie zu Ende war, ohne diesmal ihrer Heiterkeit Zwang anzutun. »Aber natürlich, du Wunder von harmloser Unschuld! Der Herr würde ja niemals einer andern als der betreffenden Dame selbst auch nur einen Hauch davon verraten haben – auch dir nicht, wenn du und die Heldin nicht identisch wäret! Bringe diesen Umstand in Verbindung mit seinen Blicken, die dich verzehren, und du hast den doppelten Beweis. Das hättest du merken müssen beim ersten Wort, das er sprach. Und als er nun gar ihre hohe gesellschaftliche Stellung und ihren fabelhaften Reichtum erwähnte! O, du meine liebe ingénue! Mein harmloses Schäfchen! Und das will Trixie Belfont sein! Wo ist denn dein berühmter Verstand geblieben? Wo deine Intuition?«

»Aber siehst du denn nicht ein,« klagte Beatrice, »in welch falsche, welch gräßliche Lage ich dadurch gekommen bin? Ich suchte ihn mit aller Gewalt zu überzeugen, daß er es ihr sagen müsse! ... Ich sagte ... ach, du grundgütiger Gott ... ach, was habe ich nicht alles gesagt!« Sie schauderte zusammen. »Ich habe gesagt, die Verschiedenheit zwischen Rang und Vermögen könne gar nicht in Betracht kommen. Ich habe gesagt, aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie seine Bewerbung annehmen. ... Ich habe gesagt, sie könne gar nicht umhin. ... Ach, liebe, liebe Käthe! Er wird glauben, – natürlich – er kann gar nicht umhin zu glauben, ich hätte ihn ermutigen wollen, sei ihm auf halbem Weg entgegengekommen!«

»Ruhig, ruhig! Gar so schlimm ist es denn doch nicht,« tröstete die Freundin. »Der Mann läßt sich doch, wenn ich recht verstehe, nicht träumen, du wissest, daß er von sich und nicht von dem vorgeschobenen Freund gesprochen hat. Du hast ihm ja nie angedeutet, daß du ihn durchschauest.«

Einen Augenblick lang überlegte Beatrice, dann trat ein Ausdruck sichtlicher Erleichterung in ihre Züge und sie atmete auf.

»Gott sei Lob und Dank! Das hatte ich ganz vergessen! Nein, davon hat er keine Ahnung! Welchen Schrecken habe ich gehabt!«

»Trotz alledem wird er es dir aber sagen!« erwiderte Mrs. O'Donavan Florence.

»Nein, jetzt wird er es mir nicht mehr sagen, denn jetzt bin ich gewarnt und werde auf meiner Hut sein.«

»Ja, und was mehr ist: du heiratest ihn.«

»Käthe, suche deine Zuflucht nicht bei solchen Dummheiten!«

»Du wirst ihn heiraten,« wiederholte Frau Käthe gelassen. »Du wirst ihn schließlich heiraten, wenn du ein Herz im Leib hast, und ich kenne kaum ein Menschenkind, das ein besseres hätte. Man müßte nicht aus Fleisch und Blut sein, wenn man einer solchen Huldigung gegenüber kalt bleiben könnte. – Ich würde dich bitten, mir das Buch zu leihen, damit ich den ›echten Ring‹ mit dem nachgemachten vergleichen kann, wenn ich nicht gewiß wüßte, daß der ›echte‹ es selbst braucht, sobald er allein ist. Und dann wirkt das Gift weiter, und zum Schluß gibt's eine Hochzeit.«

»Erstens,« erklärte Beatrice sehr bestimmt, »heirate ich überhaupt nicht wieder – das steht felsenfest. Zweitens lese ich den Roman nicht wieder, und um dir dies zu beweisen, bestehe ich darauf, daß du ihn heute mitnimmst. Und drittens bin ich noch keineswegs überzeugt davon, daß du recht hast mit deiner Vermutung, ich sei ... nun, sagen wir, das Rohmaterial. Es handelt sich doch nur um eine bloße Möglichkeit, aber selbst diese Möglichkeit ist mir bis zu diesem Augenblick gar nicht in den Sinn gekommen. Nun, da es der Fall ist, werde ich schon auf meiner Hut sein und jede weitere Entwicklung der Sache zu verhüten wissen.«

»Erstens,« erklärte Mrs. O'Donavan Florence, Beatrices bestimmten Ton nachahmend, »keine Macht der Welt könnte mich zwingen, den Roman mitzunehmen. Warte nur bis du allein bist! Dann drängen sich dir Hunderte von Fragen auf, und du wärest unglücklich, wenn du sie dir nicht durch das Buch beantworten lassen könntest. Zweitens wird das Gift wirken, wirken und weiter wirken. Sag' was du willst: durch Schmeichelei werden wir alle gewonnen. Drittens wird er es dir sagen, und du wirst einen guten Katholiken aus ihm machen und ihn heiraten. In jedem Fall wäre es unerhört abgeschmackt, wenn eine so junge und schöne Frau wie du Witwe bliebe. Dein künftiger Gatte ist ein talentvoller, vornehmer Mann und hat auch kein übles Äußere. Ich bin nur begierig, ob du deinen Titel beibehältst, oder zur einfachen Mrs. Marchdale herabsteigst? Ach nein, verzeih', zur ›Ehrenwerten‹ Mrs. Marchdale. Mr. und die Ehrenwerte Mrs. Marchdale! Ich sehe euch schon gedruckt in der Morning Post. Bleibst du in Italien wohnen, oder kehrst du nach England zurück?«

»Ach, meine gute Käthe, meine süße Käthe, meine unverbesserliche Käthe, was für eine furchtbar dumme Käthe kannst du doch sein, wenn der Geist über dich kommt!« sagte Beatrice lachend.

»Bekäthe mich mit so viel Käthen als du willst, aber der Mann ist wirklich ganz hübsch. Er hat eine elastische, schlanke Gestalt, eine gute, klare Gesichtsfarbe und eine offene Stirn. Wenn auch der Schnitt seiner Nase auf etwas Hochmut, die Art, wie er seinen Schnurrbart zwirbelt, auf etwas Zweifelsucht, sein viereckiges Kinn auf etwas Eigensinn schließen läßt – ma foi, was schadet's! Du mußt eben das Bittere zum Süßen mit in den Kauf nehmen. Übrigens hat er schönes Haar und reichlichen Vorrat davon – er wird nicht kahl werden. Zu kleiden versteht er sich auch und er trägt seine Kleider mit einem gewissen Air. Kurzum, ihr werdet ein hübsches Paar abgeben. Jedenfalls aber kenne ich den Titel des Buches, in dem Trixie Belfont heute abend lesen wird,« schloß Mrs. O'Donavan Florence lachend ihre Rede.

Nachdem ihre Freundin sie verlassen hatte, blieb die Duchessa einige Minuten regungslos sitzen und betrachtete mit starrem Blick den Monte Sfiorito. Dann erhob sie sich und ging eine Weile auf der Terrasse hin und her. Plötzlich blieb sie stehen, lehnte sich an die Balustrade und blickte wieder auf die Berge.

Die wundervolle Aussicht hätte auch wohl ihre Beachtung verdient, aber es ist höchst zweifelhaft, daß sie von dem herrlichen Landschaftsbild, das sich vor ihren Augen ausbreitete, überhaupt etwas bemerkte.

Sie pflückte einen Oleanderzweig aus einer der Marmorurnen und drückte die rote Blüte an ihr Gesicht, schloß ihre Augen und sog den leisen Duft ein, dann ließ sie die Blume auf den Weg fallen, der unter der Terrasse vorüberführte.

»Es ist ganz unmöglich,« sagte sie plötzlich laut.

Schließlich kehrte sie ins Haus und in ihr weiß und rot gehaltenes Zimmer zurück. Dort nahm sie ein Buch vom Tisch und ließ sich in einen bequemen Lehnsessel sinken.

Als sich nach einiger Zeit auf den Steinfliesen des Ganges draußen Schritte hören ließen, sprang Beatrice hastig auf und vertauschte das Buch in ihrer Hand mit einem andern der auf dem Tisch liegenden Bände, und als Emilia Manfredi eintrat, fand sie die Duchessa ins › Etui de nacre‹ von Anatole France vertieft.

»Emilia,« sagte sie, »ich wünsche, daß du den » Jongleur de Notre Dame« ins Italienische übersetzest.«


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