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Drittes Kapitel

Die alte Marietta, das rechtschaffenste aller verschrumpelten Weiber, erschien in ihrer kleidsamen ländlichen Tracht, um das Kaffeegeschirr abzuräumen.

Bei Peters Anblick blieb sie erschrocken stehen und sah ihn mit ihren scharfen, kleinen, schwarzen Augen forschend an.

»Der Signorino sind nicht wohl,« rief sie in sowohl erschrockenem, als auch vorwurfsvollem Ton.

Peter raffte sich etwas auf.

»Hm – ha – doch, ich bin ganz wohl, danke,« beruhigte er sie. »Nur – nur sterbe ich,« fügte er sanft und zögernd hinzu.

»Sterben!« echote Marietta ganz entgeistert.

»Ja, aber Ihr könnt mir das Leben retten,« sagte er. »Ich sterbe nämlich vor Neugier – Ihr kommt gerade im letzten Augenblick – Ihr müßt mir sagen, was ich wissen will.«

Die ängstliche Spannung in ihrer Haltung löste sich; sie lächelte halb erleichtert, halb vorwurfsvoll und drohte ihm mit dem Finger.

»Ach, der Signorino haben mich arg erschreckt,« sagte sie.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung,« erwiderte Peter. »Nun aber seid mein rettender Engel und sagt mir, wer meine Hauswirtin ist?«

Marietta fuhr ein bißchen zurück und ihr runzeliges braunes Gesicht sah verlegen aus.

»Wer des Signorino Hauswirtin ist?« wiederholte sie.

» Ang!« machte er, womit er das charakteristische eh der italienischen Bejahung nachzuahmen glaubte, das er mit dem ebenfalls charakteristischen italienischen Ruck des Kopfes begleitete.

Noch immer verwundert, faßte ihn Marietta fest ins Auge. »Aber steht dies denn nicht in des Signorino Mietvertrag?« fragte sie vorsichtig und nicht ohne eine Spur von Mißtrauen.

»Natürlich steht es darin! Aber das ist es ja gerade! Wer ist sie?«

»Aber wenn es doch in Ihrem Vertrag steht!« wandte sie ein.

»Eben darum braucht Ihr kein Geheimnis daraus zu machen,« erklärte er. »Kommt! Heraus damit! Wer ist meine Hauswirtin?«

Marietta warf einen Blick gen Himmel.

»Des Signorino Hauswirtin ist die Duchessa di Santangiolo,« antwortete sie gottergeben. Aber als ob der Name ihr die Zunge gelöst hätte, fuhr sie fort: »Sie wohnt hier – im Kastell Ventirose. – Alles gehört ihr, die ganze Gegend, all diese Häuser – alles – alles.« Damit schlug die alte Marietta erst ihre Hände zusammen und breitete sie dann wie ein Schwimmer wieder aus mit einer Bewegung, die den ganzen Horizont zu umfassen schien.

»Wie, die ganze Lombardei?« fragte Peter gelassen.

»Die ganze Lombardei? Machè!« erwiderte sie verächtlich. »Als ob einem Menschen die ganze Lombardei gehören könnte! Nein, all diese Güter, diese Häuser!«

»Wer ist sie?« fragte Peter wieder.

Mariettas Augen verwunderten sich über eine solche Einfalt.

»Aber ich hab' es Ihnen ja eben gesagt!« rief sie. »Die Duchessa di Santangiolo!«

»Wer ist die Duchessa di Santangiolo?« fragte er weiter.

Marietta zuckte die Schultern. Dann schrie sie, als ob sie mit einem Schwerhörigen zu tun hätte: »Die Duchessa di Santangiolo ist des Signorino Hauswirtin – la propietaria di tutte queste terre, tutte queste case, tutte, tutte, tutte!«

»Ihr geht um meine Frage herum wie die Katze um den heißen Brei,« klagte Peter.

Marietta raffte alle ihre geistigen Fähigkeiten zusammen und betrachtete Peters Gesicht mit dem ernsten Bemühen, ihn zu ergründen. Endlich ging ihr ein Licht auf und unter lebhaftem Kopfnicken erklärte sie: »Jetzt versteh' ich's! Der Signorino wünschen zu wissen, wer sie persönlich ist!«

»Ich habe mich undeutlich ausgedrückt, aber Ihr mit Eurer unfehlbaren italienischen simpatia habt doch genau erraten, was ich meinte.«

»Sie ist die Witwe des Duca di Santangiolo,« sagte Marietta.

» Enfin vous entrez dans la voie des aveux,« lobte Peter.

» Scusi?« fragte Marietta.

»Ich freue mich zu hören, daß sie Witwe ist, aber dafür macht sie doch noch einen etwas jugendlichen Eindruck.«

»Sie ist auch noch nicht sehr alt,« stimmte Marietta zu, »höchstens Sechs- oder Siebenundzwanzig. Man hat sie frisch vom Kloster weg verheiratet, und das war vor neun Jahren. Der Duca ist vor fünf oder sechs Jahren gestorben.«

»Und war auch er jung und schön?«

»Jung und schön! Machè!« spottete Marietta. »Er war doch schon Vierzig vorbei und reichlich dick, aber sonst ein guter Mann.«

»Um so besser für ihn – jetzt!« sagte Peter.

» Già!« bestätigte Marietta, sich feierlich bekreuzend.

»Aber könnt Ihr mir vielleicht erklären, woher es kommt, daß die Duchessa di Santangiolo so gut Englisch spricht wie ich selbst?«

Die alte Frau zog überrascht die Brauen in die Höhe: » Come? Sie spricht Englisch?«

»So gut als irgend ein Engländer,« versicherte Peter.

»Ach natürlich,« überlegte Marietta, »sie war ja eine Engländerin!«

»Oho!« rief Peter aus. »Sie war eine Engländerin? War sie's?« – Er betonte das Wörtchen war. – »Und was ist sie denn jetzt?«

» Ma! Italienerin natürlich, wo sie doch den Duca geheiratet hat,« erwiderte Marietta.

»Wirklich? Dann kann also der Leopard die Flecken auf seinem Fell verändern?« wandte Peter ein.

»Der Leopard?« wiederholte Marietta verlegen.

»Na, wenn der Teufel die Heilige Schrift zu seinen Gunsten zitieren kann – warum sollte ich's dann nicht können?« fragte Peter. »Unter allen Umständen ist die Duchessa ein schönes Weib.«

»So hat der Signorino sie gesehen?« fragte Marietta.

»Ich habe allen Grund, das zu glauben. Eine Erscheinung, eine Lichtgestalt erschien auf dem andern Ufer des Aco und sagte, sie sei meine Hauswirtin. Sie mag eine Betrügerin gewesen sein, doch machte sie keinen Versuch, sich die Miete bezahlen zu lassen. Es war eine Dame in Weiß, mit Haar, Gestalt und Stimme so kühl wie der Fluß, und mit einem Auge, das mit einem einzigen Blick Bände sprach.«

Marietta nickte verständnisinnig.

»Das muß die Duchessa gewesen sein.«

»Sie ist eine sehr schöne Duchessa,« versicherte Peter.

Marietta war eine Italienerin und so sehr italienisch, daß sie sagte: »Wir sind alle, wie uns Gott erschaffen hat.«

»Seit Jahren habe ich sie für das schönste Weib Europas gehalten,« sagte Peter.

Marietta riß ihre Augen weit auf.

»Seit Jahren? Der Signorino kennt sie? Der Signorino hat sie schon früher gesehen?«

Ein diesen Nachmittag im Zuge gelesener Satz aus einem Roman fiel ihm ein, und er paßte ihn der Gelegenheit an: »Ich glaube, sie ist mein längst verlorener

»Bruder?« – stammelte Marietta.

»Nein, gewiß nicht: Schwester,« versicherte Peter entschieden. »Ich gestatte Euch, das Kaffeegeschirr wegzunehmen.«


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