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Fünftes Kapitel

Während dieser ersten in der Villa verbrachten Nacht fand Peter nur wenig Schlaf und immer wieder flüsterte er in sein Kissen hinein: »Welches Glück! Welches unerhörte Glück!« In aller Frühe stand er auf und ging in den Garten hinunter.

»Der Garten ist wirklich über Erwarten hübsch,« meinte er. »Der Agent hat nicht übertrieben und der Photograph nicht geschwindelt, wie ich fürchtete.«

Außer den sich weit über den Fluß neigenden Weiden und den sein Ufer umsäumenden steifen Pappeln waren eine Menge wunderschöner alter Bäume vorhanden: Linden, Akazien, Kastanien, lombardische Fichten und glänzende Steineichen. Das Schönste aber war der pfaublaue, funkelnde vorübertänzelnde Fluß selbst. Dazwischen hinein dehnten sich samtgrüne Rasenflächen, und auch ein Springbrunnen warf seine im Sonnenschein in allen Regenbogenfarben erglänzenden Strahlen in die Höhe. Große Blumenbeete, blühende Oleander, Granatbäume, Reseden, spanische Wicken und hauptsächlich Rosen, Rosen allüberall. Und Vögel, Vögel, Vögel und noch einmal Vögel. Von allen Seiten erklang ihr Zwitschern und Singen. Distelfinken, Drosseln, Amseln mit ihren kleinen, watschelnden, ungeschickten Jungen, die unter den Augen ihrer ängstlichen Eltern ihre ersten Fliegversuche machten, tummelten sich herum, auch eine große Menge gefräßiger, zänkischer Spatzen waren vorhanden. Bienen, Hummeln und in allen Farben funkelnde Libellen, blaue und weiße Schmetterlinge schwirrten durch die Luft – leider auch Bremsen, aber wer kümmert sich in Italien um ein paar Bremsen? Auf der andern Seite des Hauses wuchsen Feigen- und Pfirsichbäume und um die Nordwand des Hauses schlangen sich mit großen, weißen Trauben behangene Reben, und Artischocken in Reih und Glied reckten ihre stattlichen Köpfe in die Höhe.

Die Morgenluft war unsagbar weich und frisch und voll kräftigen Erdgeruchs. Über dem Rasen lag der Tau wie ein mit Kristallperlen durchwirktes Gewebe von Altweibersommer. Im Westen dehnte sich die freundliche Landschaft mit ihren Weingärten und weißen Villen, im Osten lachte der Gnisi im Sonnenschein und der in blaugrauen Dunst gehüllte Monte Sfiorito begrenzte den Blick ins Tal. Tief und still wie ein großer, dunkler Saphir leuchtete der See.

Ja, es war sicherlich ein schöner Garten! Aber obgleich er den ganzen Tag darin verbrachte und das Flußufer auf- und abwärts beobachtete und sehnsüchtige Blicke nach dem durch die Bäume schimmernden Schloß Ventirose warf – von der Duchessa di Santangiolo erblickte Peter keine Spur.

Auch am nächsten und übernächsten Tag blieb sie unsichtbar, so daß er endlich zu Marietta sagte: »Warum kümmert sich denn die alte Witwe gar nicht um den Fluß? Er könnte ja ihre ganze Besitzung unterwühlen, ohne daß sie es merkte – diese alte Witwe!«

»Diese alte Witwe?« wiederholte Marietta fragend.

»Nun ja, diese alte Witwe, meine Hauswirtin – die Herzogin-Witwe di Santangiolo!«

»Sie ist noch nicht so sehr alt – Sechs- oder Siebenundzwanzig!«

»Sie wäre doch alt genug, um es besser zu wissen!«

»Aber sie hat doch ihre Aufseher und Wächter, um nach ihren Besitzungen sehen zu lassen!«

»I wo! Aufseher und Wächter sind Mietlinge! Wo das Auge des Herrn nicht wacht, wachet der Wächter umsonst!« erklärte Peter wohlweise.

Am Sonntag besuchte er um acht und um zehn Uhr die Messe in der alten kleinen Rokokokirche des Dorfes, trotzdem sie eine ganze Meile von der Villa Floriano entfernt war, aber die Duchessa war nicht zu sehen.

»Was denkt sie denn, daß aus ihrer unsterblichen Seele werden soll?« fragte er Marietta.

Am Montag ging er nach dem rosa bemalten Postamt.

Vor der Tür hielt eine elegante kleine, mit feurigen Braunen bespannte und mit der Herzogskrone geschmückte Viktoria.

Peters Herz pochte.

Während er noch auf den Stufen zögerte, trat die Duchessa heraus – groß, stattlich, schön – in weißem Kleid und schwarzem Federhut, einen weißen, reichbesetzten Sonnenschirm in der Hand. Hinter ihr kam ein hübsches, dunkelfarbiges, etwa vierzehnjähriges Mädchen. Peter trat zur Seite, um die beiden vorüber zu lassen, und verbeugte sich tief. Die Duchessa blieb stehen und bemerkte lächelnd: »Ein schöner Tag heute!«

»Ein köstlicher Tag,« stimmte er bei, während sein Herz fast hörbar schlug. Mit seinem hellgrauen Flanellanzug, seinem Strohhut, seinem Zwicker, seinen hübschen Farben und dem ein ganz klein wenig anmaßend aufgezwirbelten Schnurrbart bot er das richtige Bild eines Vollblutengländers, den nicht so leicht etwas aus der Fassung zu bringen vermag.

»Vielleicht ein wenig zu warm?« meinte die Duchessa in liebenswürdiger, vielleicht auch ein ganz klein bißchen humoristischer Bereitwilligkeit, sich seiner etwa abweichenden Meinung anzupassen.

»Aber eigentlich erwartet man doch von einem italienischen Sommertag, daß er ›ein wenig warm‹ ist,« meinte er.

Die Duchessa lächelte.

»Es ist Ihnen also angenehm? Mir auch. Aber was dem Feld eigentlich not tut, ist Regen.«

»Da wollen wir nur hoffen, daß das Feld nicht kriegt, was ihm eigentlich not tut.«

Die Duchessa kicherte.

»Aber denken Sie doch auch an die armen Pächter!« sagte sie vorwurfsvoll.

»Das wäre vergebliche Mühe! Daß die Bauern niemals mit dem Wetter zufrieden sind, ist eine unbestreitbare Tatsache.«

Die Duchessa lachte.

»Na, dann wollen wir also hoffen, daß das gute Wetter anhält,« stimmte sie ihm bei. Darauf setzte sie huldvoll hinzu: »Ich will aber auch hoffen, daß Sie sich in der Villa Floriano nicht allzu unbehaglich fühlen?«

»Ich darf gar nicht wagen, von der Villa Floriano zu sprechen, denn ich könnte sonst allzu überschwenglich werden – sie ist entzückend schön.«

»Sie hat einen hübschen Garten und – ach ja, ich erinnere mich, daß Ihnen auch die Aussicht gefiel,« sagte die Duchessa. »Und wie ist's mit der alten Marietta? Hoffentlich versorgt sie Sie gut?« Ihre emporgezogenen Brauen drückten freundliche Besorgnis aus.

»Sie versorgt mich ausgezeichnet. Die alte Marietta ist eine unbezahlbare Perle,« erklärte Peter.

»Auch eine gute Köchin?« fragte sie weiter.

»Eine gute Köchin – aber auch eine gute Beraterin und Freundin. Und von einer Beredsamkeit!«

Die Duchessa lachte wieder.

»Ja, ja, diese lombardischen Bauernweiber! Sie sind unermüdliche Schwätzerinnen.«

»Ich glaube,« fühlte sich Peter zuzugestehen verpflichtet, »Marietta ist eine ebenso unermüdliche Zuhörerin! Eigentlich hat sie nur in einem Punkt meinen Erwartungen nicht entsprochen.«

»Oh!« machte die Duchessa und ihre hochgezogenen Brauen verlangten nach Näherem.

»Sie behauptet, sie trage keinen Dolch in ihrem Strumpfband verborgen und habe überhaupt von einer derartigen Mode noch nie etwas gehört.«

Wieder lachte die Duchessa hell auf.

»Das gilt für die Lombardinnen an der Küste. Hier im Binnenland haben wir friedliche Leute. Aber immerhin müssen Sie auf Ihrer Hut sein, denn Marietta gilt weit und breit für eine Hexe.«

»Wenn sie eine Hexe ist,« erklärte Peter uneingeschüchtert, »so steigt sie doppelt im Wert. Übrigens werde ich sie auf die Probe stellen, sowie ich heimkomme.«

»Wollen Sie die Arme mit Weihwasser besprengen?« fragte die Duchessa lachend. »Passen Sie auf! Wenn sie sich in eine schwarze Katze verwandelt oder auf dem Besenstiel zum Schornstein hinausfährt, so werden Sie sich ewig Vorwürfe machen.«

Damit schwebte sie, gefolgt von ihrer jungen Begleiterin, an ihm vorbei in ihren Wagen. Die feurigen Pferde warfen die Köpfe zurück, daß das Geschirr klirrte. Dann fuhr der Wagen davon.

Peter blieb noch eine gute Weile regungslos auf der Treppe stehen und starrte die lange, gerade Dorfstraße entlang. Eine dünne Staubwolke, die im Sonnenschein silbern erglänzte, erhob sich hinter dem Wagen.

Schließlich sagte er: »Ich glaube, ich kenne eine Hexe, die zweimal so gefährlich ist als Marietta!«


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