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Zehntes Kapitel

An diesem Abend erhielt Peter unter andern aus England eingelaufenen Briefen auch einen von seiner Freundin Mrs. Winchfield, aus dem er einige Einzelheiten erfuhr.

»Ihre Duchessa di Santangiolo war allerdings, wie Ihnen Ihre drollige alte Dienerin erzählt hat, eine Engländerin: das einzige Kind und die einzige Erbin des verstorbenen Lord Belfont. Die Belfonts von Lancastire (ein bis auf Ihre Duchessa jetzt erloschenes Geschlecht) waren die bigottesten Katholiken und ließen ihre Töchter immer in ausländischen Klöstern erziehen und verheirateten sie auch meistens an Ausländer. Auch die Grafen selbst holten sich ihre Frauen häufig aus dem Ausland, deshalb fließt wohl auch in den Adern Ihrer Duchessa ein gut Teil fremdes Blut.

Sie wurde, wie ich aus dem Adelsalmanach ersehe, im Jahre 1870 geboren und ist also dem gefährlichen Alter von ›Dreißig‹ ebenso nahe, als den sechsundzwanzig Jahren, die ihr von Ihrer Marietta gegeben werden. Getauft ist sie auf die Namen Beatrice Antonia Teresa, Mary – faites en votre choix. Mit neunzehn Jahren wurde sie verheiratet an Baldassare Agosto, Principe Udeschini, Duca di Santangiolo, Marchese di Castello Franco, Graf des Heiligen römischen Reiches, Ritter vom Heiligen Geist und von Sankt Gregor (versagt Ihnen der Atem noch nicht?), der im Jahr 1893 gestorben ist. Da der Ehe keine Kinder entsprossen sind, erbte sein Bruder Felipe Lorenzo die Titel, während ein jüngerer Bruder als Bischof in Sardagna lebt. Kardinal Udeschini ist der Onkel.

Damit, liebes Kind, habe ich meinen Sack voll Neuigkeiten entleert, aber vielleicht habe ich einen noch größeren Sack voll guter Ratschläge bei der Hand, den ich noch gar nicht aufgemacht habe. Bei reiflicher Überlegung will ich ihn übrigens ruhig zulassen. Nur denken Sie daran, daß in dieser sentimentalen italienischen Seegegend, bei diesem Sommerwetter die Gedanken eines einsamen jungen Mannes leicht eine törichte Richtung nehmen – und behalten Sie meinen Freund Peter Marchdale im Auge.«

Lange brütete der einsame junge Mann über Mrs. Winchfields Brief.

»Die Tochter eines Grafen, die Witwe eines Herzogs und die Schwiegernichte eines Kardinals,« sagte er. »Und als ob es damit nicht genug wäre, obendrein auch noch bigotte Katholikin ... Und doch – und doch,« fuhr er nach einer Weile etwas mutiger fort, »sollte man aus ihrem Besuch des Gottesdienstes in der Dorfkirche schließen, daß ihre Frömmigkeit, Gott sei Dank, mehr statischer als dynamischer Natur ist.«

Nach langem Sinnen und Nachdenken ging er in den von Duft und frischer, nächtlicher Kühle erfüllten Garten hinab und schlenderte am Ufer des Flusses herum und spähte durch die Dunkelheit nach Kastell Ventirose hinüber. Ab und zu drang der Schein eines erleuchteten Fensters durch die Bäume bis zu ihm. Tausende von Insekten summten und zirpten in der Stille der Nacht.

Von den Wäldern des Gnisi drang der langgezogene, schauerliche Klageruf irgend eines wilden Tiers, Vogels oder Wilds, unheimlich, grausenerregend bis zu ihm herüber. Zu seinen Füßen, auf der bewegten Oberfläche des Aco, funkelten und zitterten die sich widerspiegelnden Sterne wie abgebrochene Speerspitzen.

Er zündete sich eine Zigarette an und blieb regungslos stehen, bis sie ausgebrannt war.

»O weh, o weh!« seufzte er schließlich und drehte der Villa den Rücken zu. Und »Ja,« schloß er, »es ist schon richtig – ich muß unsern Freund Peter Marchdale im Auge behalten.«

»Aber ich fürchte, es ist schon zu spät, troppo tardo,« sagte er eine Weile später zu Marietta, die ihm eben heißes Wasser in sein Ankleidezimmer brachte.

»Es ist noch nicht sehr spät,« versicherte Marietta, »erst halb elf Uhr.«

»Sie ist ein Weib – deshalb muß man sie lieben; sie ist eine Herzogin – deshalb muß man sie verlieren,« erklärte er in seiner Muttersprache.

» Cosa?« fragte Marietta in der ihren.


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