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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Peter war an diesem Nachmittag ziemlich erregt nach der Villa Floriano zurückgekehrt.

»Er hätte es ihr sagen sollen –«

»Es war ihr Recht, es zu erfahren

»Der Rang kommt doch da nicht in Betracht –«

»Ein Gentleman kann seine Hand jeder Dame anbieten –«

»Sie hätte sich über die gesellschaftlichen Schranken hinweggesetzt –«

»Einer solchen Huldigung vermag kein Weib zu widerstehen –«

»Der Fall lag ganz eigenartig – konnte gar nicht nach hergebrachten Regeln beurteilt werden –«

Die klare, kühle, helle Stimme der Duchessa klang ihm beharrlich in den Ohren; die Worte, die sie gesprochen, die Gründe, die sie vorgebracht hatte, wiederholten sich immer wieder und wirbelten in seinem Gedächtnis durcheinander.

»Hätte ich es ihr sagen sollen? Soll ich morgen hingehen und es ihr sagen?«

Er versuchte zu überlegen, aber er war unfähig, zu denken. Er vermochte seine Gedanken nicht zu ordnen. Er konnte nur stillhalten und den Hexentanz, den sie in seinem Kopf aufführten, weiterstürmen lassen. Unaufhörlich wiederholte er sich das Gespräch mit der Duchessa, in toller Unordnung, ohne Zusammenhang schwirrten abgerissene Sätze der Unterhaltung durcheinander, und sobald er versuchte, sie zu sammeln, zerfloß seine Erinnerung ins Unklare, Nebelhafte.

Er rannte in seinem Garten herum, ging ins Haus und kam wieder heraus; er kleidete sich zum Essen um, kehrte in den Garten zurück, setzte sich schließlich auf seine Bank und rauchte Zigarette um Zigarette.

»Hätte ich es ihr sagen sollen? Soll ich es ihr morgen sagen?«

Ab und zu legte sich der Sturm in seinem Innern für einige Augenblicke, und es trat eine Ruhepause ein, in der er klar zu denken vermochte: dann schien die Antwort ganz einfach und selbstverständlich zu sein.

»Natürlich mußt du es ihr sagen! Sprich, und alles wird gut werden! Sie hat sich selbst an die Stelle der Frau gedacht und hat gesagt: ›Er hätte es ihr sagen müssen!‹ Sie hat es ernst, fast leidenschaftlich gesagt. Das bedeutet nichts mehr und nichts weniger, als daß sie an Stelle jener Frau gewünscht hatte, es zu erfahren. Sie wird die althergebrachten Schranken mißachten, sie wird gerührt, wird ergriffen sein. Kein Weib kann gegen eine solche Huldigung unempfindlich bleiben! Geh morgen zu ihr und sage ihr's – und alles wird gut werden.«

In solchen lichten Augenblicken sah er nach dem Schloß hinüber und malte sich mit bebendem Herzen die morgigen Ereignisse aus. Sein sehnendes Verlangen verlieh seiner Einbildungskraft Flügel.

Sie steht vor ihm in der ganzen Fülle ihrer Weiblichkeit, liebend, stark, glühend. Bei seinen Worten leuchten, brennen ihre Augen; das Blut kommt und geht in ihren Wangen: ihre Lippen öffnen sich leise. Dann haucht sie einige Worte, sein Herz erbebt und er ruft ihren Namen – »Beatrice, Beatrice!« Ihr Name drückt das Unaussprechliche aus, seine ganze vergötternde Leidenschaft, den verzehrenden Hunger, den wilden Durst seiner Seele. Aber nun bewegt sie sich auf ihn zu – sie streckt ihre Hände nach ihm aus. Er umfaßt sie mit seinen Armen – er drückt sie an sein Herz. – Und sein Herz pochte, pochte ganz fürchterlich. Und dann wunderte er sich, wie er so lange leben, wie er die gräßlichen, verhaßten Stunden überstehen werde, die vergehen mußten, bis »morgen« »heute« geworden war.

Aber dann begann der tolle Reigen seiner Gedanken aufs neue sein Spiel, und dann erschien ihm in der nächsten Ruhepause die entgegengesetzte Antwort gerade so selbstverständlich wie zuvor die erste.

»Es ihr sagen, wirklich? Lieber Freund, du bist verrückt! Sie wäre nur erstaunt, stumm und starr vor Verwunderung über deine Kühnheit und Anmaßung. Ich sehe sie vor mir mit ihrem ungläubigen Staunen, ich sehe die Verachtung in ihren Augen, mit der sie dich vernichten wird. Niemals ist ihr der Gedanke gekommen, daß du wagen könntest, sie zu lieben, daß du dich erkühnen könntest, deine Blicke zu ihr zu erheben – du, der du ein Nichts bist im Vergleich mit ihr, die alles ist. Ja – nichts, gar nichts, das reine Nichts. In ihren Augen bist du ein x-beliebiger Mensch, dessen Gesellschaft sie aus Liebenswürdigkeit duldet, aus Liebenswürdigkeit und faute de mieux. Eben weil du für sie ohne Belang bist, weil sie sich des Abgrundes wohl bewußt ist, der dich von ihr trennt, eben deshalb und nur deshalb läßt sie sich zu dieser vertraulichen Liebenswürdigkeit herab. Wärst du ihr im Rang auch nur annähernd ebenbürtig, so würde sie viel zurückhaltender sein. Vergiß nicht, daß sie keine Ahnung davon hat, daß du Felix Wildmay bist! Er bedeutet für sie nichts als einen Namen, und seine Geschichte ist ihr nur ein unterhaltender, kleiner Roman, der sie innerlich gar nicht berührt, und den sie mit völlig unpersönlichem Interesse erörtert. Sag's ihr doch, wenn du Lust hast, sage: ›Ich bin Felix Wildmay und Sie sind Pauline.‹ Und sieh, wie erstaunt, wie entrüstet, wie empört sie sein wird!«

Und dann starrte er mit verzweifelter Ergebung nach dem Schloß und überlegte, ob es nicht das Beste wäre, seine Siebensachen zu packen und nach England zurückzukehren.

In andern Augenblicken zeigte sich ihm dann auch noch eine andre Lösung der Frage: ein Mittelding zwischen Pessimismus und Optimismus, ein Kompromiß, wenn nicht ein Ausgleich.

»Komm, wir wollen ruhig sein und vernünftig überlegen. Die Folgen unsrer Handlungen sind selten so gut als wir hoffen, aber auch selten so schlimm, als wir fürchten. Von diesem Gesichtspunkte aus wollen wir die Sache betrachten. Gewiß, wenn du plötzlich sagtest, ich bin Felix Wildmay – Sie sind Pauline, so wäre sie erstaunt, vielleicht im ersten Augenblick sogar etwas fassungslos. Aber entrüstet? Warum? Worin besteht denn eigentlich der Abgrund, der zwischen ihr und dir gähnt? Was für Schranken sind es, die euch voneinander trennen, und aus denen du so viel Aufhebens machst? Sie ist eine Herzogin, die Tochter eines Grafen, und sie ist reich. Gut, all das ist ja sehr bedauerlich. Aber du selbst bist doch auch kein Plebejer, bist auch kein Bettler. Du stammst von guter Familie, bist ein Mann von Talent und hast ein anständiges Einkommen. Alles in allem gipfelt sich die ganze Angelegenheit darin: sie ist eine große Dame und du ein kleiner Edelmann. Auch das steht fest, daß unter gewöhnlichen Umständen ein so kleiner Edelmann sich nicht um die Hand einer so großen Dame bewerben könnte. Aber in diesem Fall liegen eben außergewöhnliche Umstände vor. Das Schicksal hat seine Hand ins Spiel gesteckt und zwischen dem kleinen Edelmann und der großen Dame außergewöhnliche und äußerst zarte Fäden angeknüpft. Sie selbst hat gesagt: ›Gewöhnliche Regeln können hier nicht gelten – er hätte es ihr sagen müssen!‹ Gut also! Sag es ihr! Gewiß wird sie überrascht sein, aber sie wird auch einsehen, daß kein Grund zum Zürnen vorliegt, und wenn auch hundert gegen eins zu wetten ist, daß sie dich nicht nimmt, so muß sie dich doch wie einen ehrenwerten Bewerber behandeln. Und mag sie deine Bewerbung nun annehmen oder nicht – es ist besser, du erklärst dich und hast die Sache hinter dir, als du läßt dich von der verzweifelten Ungewißheit stückweise verzehren wie die arme Kilkennyer Katze im Sprichwort In Kilkenny erzählt ein Sprichwort scherzend, daß sich zwei Katzen gegenseitig stückweise bis auf den Schwanz aufgefressen haben. Anm. d. Übers.. Sag ihr alles – bringe dein Schicksal zur Entscheidung – fürchte nichts, hoffe nichts – und trage das Ende wie ein Mann.«

Aber selbst diese gemäßigte Antwort rief eine Entgegnung hervor.

»Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß sie dich zurückweist, und wenn dies geschehen ist, so wird sie dir nie mehr gestatten, sie zu sehen, und du bist für alle Zeiten aus ihrer Gegenwart verbannt, und ich glaube, dies wäre dir sehr unerwünscht. Du würdest den großen Vorzug, sie zu sehen, mit ihr zu verkehren, aufs Spiel setzen in einer Wette, wo tausend gegen eins steht. Du nimmst den Rangunterschied auf die leichte Achsel und vergißt das Haupthindernis ganz. Sie ist Katholikin – eine bigotte sogar. Einen Protestanten heiraten! Ja wohl, ebenso gut einen heidnischen Türken!«

Schließlich folgte auf die Aufregung eine wohltätige Abspannung, Fragen und Antworten schwiegen, und er blickte nur noch stumpfsinnig nach Ventirose hinüber und wünschte, dort zu sein.

In dieser Gemütsverfassung fand ihn Marietta, als sie kam, ihn zum Essen zu rufen.

Peter raffte sich auf. Der Anblick der braunen alten Frau mit ihrem behaglichen, freundlichen Gesicht rief ihn in die Wirklichkeit, ins alltägliche Leben zurück, und das gewährte ihm, wenn auch keinen Trost, so doch eine gewisse Erleichterung.

»Das Essen?« fragte er. »Pflegte denn die aus dem Paradies verstoßene Peri vor dessen Pforten zu essen?«

»Die Suppe steht auf dem Tisch,« sagte Marietta.

Er stand auf, indem er einen letzten Blick nach dem Schloß hinüberwarf.

Eine Melodie summend, die ihm gerade durch den Kopf schoß, ging er ins Haus, und nun kam, als eine Wirkung der Reaktion in seinem Gemüt, der Geist des Übermutes über ihn.

»Marietta, welchen Standpunkt nehmt Ihr den gemischten Heiraten gegenüber ein?«

Marietta runzelte die Stirne.

»Gemischte Heiraten? Was ist das?«

»Heiraten zwischen Katholiken und Protestanten!«

»Protestanten?« – Ihre Stirne war das reine Netzwerk von Rünzelchen. – »Was sind das für Dinge?« fragte sie.

»Das sind Dinge – oder es wäre vielleicht freundlicher zu sagen, Leute, die keine Katholiken sind und den Katholizismus für einen tödlichen, seelenmordenden Irrtum halten.«

»Juden?« meinte Marietta.

»Nein – nicht gerade Juden. Man rechnet sie im allgemeinen unter die Christen. Aber sie protestieren, wißt Ihr. Protesto, protestare, aktives Zeitwort, erste Konjugation. ›Mi pare che la donna protesta troppo‹ – mir scheint, daß die Frau zuviel widerspricht – wie der Dichter singt. Es sind Christen, aber sie protestieren gegen den Papst und den Prätendenten.«

»Der Signorino meinen wohl Freimaurer?«

»Nein, das meint er nicht. Er meint Protestanten.«

»Aber, um Vergebung, Signorino,« beharrte sie, »wenn sie keine Katholiken sind, so müssen sie Juden oder Freimaurer sein. Christen können sie nicht sein. Christ und Katholik – das ist das nämliche. Alle Christen sind Katholiken.«

» Tu quoque!« rief er. »Ihr haltet die Begriffe für gleichbedeutend? Etwas Ähnliches habe ich auch schon einmal von einer andern sagen hören! Sehe ich aus wie ein Freimaurer?«

Prüfend ließ sie ihre scharfen alten Augen eine Weile auf ihm ruhen, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein,« erwiderte sie langsam, »ich meine nicht, daß der Signorino aussehen wie ein Freimaurer.«

»Also wie ein Jude?«

» Machè! Ein Jude? Der Signorino ein Jude!« Ihre Achseln zuckten förmlich Verneinung.

»Und doch bin ich das, was man einen Protestanten nennt!« sagte er.

»Nein,« sagte sie.

»Ja,« sagte er. »Ich verweise Euch an meine Taufpaten – Hochkirchler und Tories, Engländer und Protestanten bis auf die Knochen. Seid Ihr nicht selbst zufällig einmal mit einem Protestanten verheiratet gewesen?«

»Nein, Signorino. Ich habe überhaupt nicht geheiratet. Aber nicht aus Mangel an Gelegenheit – Gott bewahre! Zwanzig, dreißig junge Männer hofierten mir, als ich ein junges Mädchen war. Doch ich – mica! – ich habe sie gar nicht angesehen. Solange die Männer jung sind, sind sie zu unbeständig für die Ehe, und wenn sie alt sind, haben sie das Reißen.«

»Prachtvoll philosophiert!« lobte Peter. »Aber manchmal kommt es auch vor, daß die Männer weder zu alt, noch zu jung sind. – Es gibt Männer von fünfunddreißig, wie ich mir habe sagen lassen, und auch von vierzig Jahren. Wie steht's mit diesen?«

»Es gibt ein Sprichwort, Signorino, das sagt: › Sposi di quarant' anni son mai sempre tiranni‹ – Männer von vierzig Jahren werden immer Tyrannen –« belehrte sie ihn.

»Sprichwörter sind häufig leeres Geschwätz, über das man sich lustig macht. Aber ich kann mich nicht einmal mehr über papistische Vorurteile lustig machen. Ich wollte, ich wäre Herzog und Millionär! Wißt Ihr niemand, der mich dazu machen kann?«

»Nein, Signorino,« antwortete sie, ernsthaft den Kopf schüttelnd.

»Nicht einmal Cythere, die schaumgeborene Venus, vermag dies, obgleich sie eine Göttin ist,« klagte er. »Mir ist eigentlich recht elend zu Mute, und ich glaube, es wird das Beste sein, ich bitte Euch, mir eine Flasche Asti spumante zu bringen – von dem trockenen, von dem weiß versiegelten. Ich will versuchen, mir weiszumachen, es sei Champagner. Sagen oder nicht sagen – das ist die Frage!«

Marietta ging, um den Asti zu holen.


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