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Neunzehntes Kapitel

Den ganzen Abend kehrten Einzelheiten, denen er während seiner Anwesenheit in Ventirose gar keine Beachtung geschenkt hatte, in Peters Gedächtnis zurück. Immer sah er die so hübsch und wohnlich eingerichtete Terrasse mit der großen, weißen Markise, den bunten Teppichen auf den Marmorfliesen, den Korbstühlen mit den farbenfrohen Kissen vor sich, und den Tisch mit allerlei Gebrauchsgegenständen: gelb geheftete französische Romane, ein Papiermesser aus Schildpatt, ein silberner Briefbeschwerer, ein Riechfläschchen aus Kristall, eine Schale mit Mohnblumen und die von Jasmin umrankte Marmorbalustrade. Und dazu der blaue Himmel, der sonnige Park.

Immer wieder, immer wieder stand dies Bild vor seiner Seele – er brauchte nicht einmal die Augen zu schließen, um es zu sehen: es war ganz in sein Empfinden übergegangen. Wie die heitere Fassade ihres Hauses schien auch die Terrasse ihrem ganzen Wesen zu entsprechen, ja mehr noch, diesem zu entspringen. Hier spielt sich ein Teil ihres täglichen Lebens ab; diese Dinge waren die Gefährten ihrer Einsamkeit, die Zeugen von Erlebnissen, von Empfindungen, die Peter unbekannt blieben, gewissermaßen ihre Vertrauten. Hätte er ihre stumme Sprache verstanden, welch köstliche vertrauliche Enthüllungen würden sie ihm gemacht haben!

Als er sich am Donnerstag abend dem Schlosse näherte, hüllten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den Horizont in feurige Gluten. Der unregelmäßige Gebäudekomplex hob sich in allen Schattierungen von Blau gegen alle möglichen Schattierungen von Rot ab, die am Abendhimmel spielten. Der dunkle, altersgraue Steinbau sah aus wie indigoblauer Samt; der rote Verputz war wohl noch immer rot, aber es lag wie ein durchsichtiger blauer Halbschatten über ihm, während der weiße Marmor des jüngsten Schloßteiles von einem blassen amethystenen Schimmer übergossen war.

Nun konnte er ihre nächste Umgebung, an deren Kenntnis ihm so viel gelegen war, nach Herzenslust studieren: die weiße Marmortreppe mit dem roten Teppichbelag, von deren oberem Ende ein großes, weich gehaltenes Gemälde, das ein Tizian sein konnte, ihm entgegenblickte; das große Empfangszimmer mit seinem Mosaikboden und seiner Freskodecke, den Gardinen, Sofas und Sesseln aus gelbem Brokat, den Möbeln aus atlasglänzendem Zitronenholz, mit seinen Bronzen, Nippes, Stickereien, Windschirmen und Spiegeln; der längliche Speisesaal mit seinen hohen Spitzbogenfenstern, mit der von schlanken Marmorsäulen getragenen Decke, den in Arm- und Wandleuchtern von venezianischem Kristall brennenden Wachskerzen und dem glänzenden, mit duftenden Blumen reich geschmückten Tisch.

Nun konnte er ihre Umgebung nach Herzenslust betrachten – gewiß, nach Herzenslust, aber auch zur Verzweiflung seines Herzens. All die Pracht und all der Glanz wirkten erkältend und niederschlagend auf ihn ein; wohl war alles prächtig, üppig und heiter; wohl paßte es zu ihr, entsprach ihrer Persönlichkeit und brachte diese auch in gewissem Sinn zum Ausdruck. Aber ihre Umgebung betonte sie und betonte ihre äußere Stellung in einer Weise, die Peter nicht liebte, weil er diese instinktiv außer acht gelassen hatte, weil er es gar nicht ermutigend fand, sich ihres Reichtums, ihres Ranges zu erinnern. Alles um sie her betonte nachdrücklich die gesellschaftliche Kluft, die gesellschaftlichen Schranken, die ihn von ihr trennten.

Und sie ...

Sie war lieblich, sie war freundlich, kameradschaftlich – sie war ganz, wie sie immer gewesen war, aber doch – aber doch – war sie an diesem Abend in irgend einer nicht faßbaren, nicht festzustellenden Weise etwas anders als sonst, war der gesellschaftliche Unterschied, die Schranke zwischen ihnen bemerkbarer als sonst ... sie war mehr große Dame, mehr Herzogin als sonst ...

»Lieber Freund,« sagte er zu sich selbst, »es war verrückt, daß du dir auch nur einen einzigen Augenblick einbilden konntest, es sei die entfernteste Möglichkeit vorhanden, daß ›etwas‹ geschehen könne.«

Die einzigen Gäste außer dem Kardinal und Monsignore Langshawe waren Madame de Lafère, eine alte Französin mit schönem weißem Haar aus einer der benachbarten Villen, und Mrs. O'Donavan Florence, eine junge, hübsche, witzige Irländerin, die aus einem Hotel in Spiaggia herübergekommen war. Vermutlich aus Rücksicht für das geistliche Gewand der beiden Priester befand sich keine der Damen in voller Abendtoilette, und als man zu Tisch ging, führte man sich nicht am Arm. Das Mahl selbst war von einer Einfachheit, die Peter bewunderte, und die er natürlich dem eigenen guten Geschmack seiner Duchessa zuschrieb. Er war mit der »schwarzen« Aristokratie noch nicht vertraut genug, um zu wissen, daß bei ihr Einfachheit in Speise und Trank das Merkmal des guten Tones ist, wie bei den die Engländer nachäffenden »Weißen« das Gegenteil.

In der Hauptsache wurde die Unterhaltung von Mrs. O'Donavan Florence geleitet, die mit viel Humor und erstaunlichem Mut dem Kardinal zu Gemüt führte, wie schmählich der päpstliche Stuhl ihre Heimatinsel im Stich lasse.

»Irland ist unzweifelhaft das katholischste Land in drei Hemisphären,« erklärte sie. »Jeder Zoll seines Bodens ist mit dem Blute seiner Märtyrer getränkt, und doch habt ihr in weiß nicht wie viel Menschenaltern dem Kalender keinen einzigen irischen Heiligen einverleibt! Und im Kampf um die › Home Rule‹ habt ihr gegen uns Partei ergriffen, was ich euch nicht verzeihen kann, denn obgleich ich selbst Grundbesitzerin bin und auch ein bißchen meines Einkommens im Ausland verzehre, gehöre ich doch zu den verräterischen Unionisten.«

Der Kardinal erwiderte lachend, daß die Iren eine viel zu kluge, phantastische und poetische Rasse seien, als daß man sie mit Regierungs- und Verfassungsfragen behelligen dürfte. Derartige Sorgen und Arbeiten sollten sie nur ruhig den dummen, praktischen Engländern überlassen, und ihre so gewonnene Muße möchten sie der weiteren Entwicklung ihrer nationalen Vorzüge widmen. Irland solle England einfach als seine werktätige Haushälterin betrachten. Und was nun die Aufnahme von irischen Heiligen in den Kalender betreffe, so bilde gerade deren große Menge den Stein des Anstoßes. »Das ist ein › embarras de richesse‹,« sagte er. »Würden wir erst damit anfangen, so müßten wir ja Neunzehntel der verstorbenen Bevölkerung kanonisieren.«

Monsignore Langshawe ging vom Scherz zum Ernst über, trat für Schottland ein und beklagte die Verzögerung der Seligsprechung der »Seligen Mary« – der offiziellen Seligsprechung – »denn im Herzen jedes wahren Katholiken ward sie zur Heiligen an dem Tag, wo die blutige Elisabeth sie gemordet hat.«

Und dann legte Madame de Lafère ein gutes Wort ein für Ludwig XVI., Maria Antoinette und den kleinen Dauphin.

»Selige Maria – blutige Elisabeth,« sagte die Duchessa leise lachend zu Peter, »das ist die richtige Ausdrucksweise in Gegenwart eines Protestanten!«

»O, die ›Blutige Elisabeth‹ ist mir nicht neu,« gab er ebenso leise zurück. »Das Wort stammt von Kardinal Newman – oder nicht?«

»Ja, ich glaube,« erwiderte sie. »Jeder hier schlägt seinen eigenen Kandidaten für den Kalender vor – Sie haben den meinigen genannt: ich glaube nicht, daß es einen heiligeren Heiligen gibt als Kardinal Newman.«

»Wie denken Euer Eminenz über gemischte Ehen?« fragte Mrs. O'Donavan Florence jetzt.

Peter spitzte die Ohren.

»Diese Frage ist in Italien nicht so aktuell als in England,« erwiderte die Eminenz, »aber im allgemeinen muß ich die gemischten Ehen natürlich mißbilligen.«

»Und doch,« beharrte sie, »hat ein frommes katholisches Mädchen, das einen Protestanten heiratet, hundert Möglichkeiten, ihn zu bekehren.«

»Ich weiß nicht,« meinte der Kardinal, »ob es nicht für alle Fälle sicherer wäre, wenn der Übertritt schon vor der Hochzeit erfolgte? Nachher gäbe es vielleicht auch hundert Möglichkeiten, daß sie abfiele oder wenigstens lau würde in ihrem Glauben.«

»Nicht, wenn sie auch nur einen Funken wahren Glaubenseifers in sich trägt,« behauptete Mrs. O'Donavan Florence. »Jede Frau kann ihrem Mann das Leben zur Hölle machen, wenn sie es darauf anlegt, und der Mann würde um des lieben Friedens willen gerne nachgeben. Ich sehne mich oft nach den guten alten Zeiten der Inquisition zurück, aber Gott sei Dank, in der gesegneten Abgeschlossenheit der Familie ist es noch immer möglich, zu Folter und Daumenschrauben zu greifen – wenigstens in etwas gemilderter Form. Ich kenne in London ein Dutzend netter protestantischer Männer, an deren Übertritt ich arbeite, und ich bin überzeugt, daß mein Mißerfolg nur daher kommt, daß ich nicht in der Lage bin, sie in des Wortes vollster Bedeutung zum Altar zu führen.«

»Ein Dutzend?« sagte der Kardinal lachend. »Sollten Sie am Ende Mischehen und Bigamie in einen Topf werfen?«

»Das war nur ein kleiner Hibernizismus – eine irische Übertreibung, für die ich Euer Eminenz um Nachsicht bitte. – Aber was dem Proselytenmacher am meisten in die Quere kommt, das ist leider der Glaube selbst! Ja, wenn wir so ränkevoll und doppelzüngig wären, wie die Protestanten behaupten, so ginge alles glatt, spiegelglatt – der ganze Weg wäre wie mit Rosen bestreut! Warum ist uns verboten, auch einmal zu Mitteln zu greifen, die der Zweck heiligt? Und wo bleiben die accommodements avec le ciel, von denen man immer hört? Man gestattet uns ja nicht einmal, ein paar armselige accommodements avec le monde!«

»Betrachten Sie einmal das Gesicht meines Onkels,« flüsterte Beatrice Peter zu. »Er hat eine Gesinnungsgenossin gefunden für seine Neigung, alles von der heiteren Seite aufzufassen.«

In der Tat strahlte das kluge alte Antlitz des Kardinals vor Vergnügen.

»Das wird ein großer Tag sein für die Kirche und alle Nationen der Welt, wenn wir einmal einen irischen Papst bekommen,« fuhr Mrs. O'Donavan Florence fort. »Ein guter, starker, streitbarer Ire tut not, um alles wieder ins rechte Geleise zu bringen. Mit seiner lieblichen irischen Beredsamkeit führt er die verirrten Schafe in den Pferch zurück, und mit seinem kräftigen irischen Arm verscheucht er die Wölfe. Er würde die Italiener gar bald aus Rom hinausgefegt haben.«

»Die Italiener werden durch den natürlichen Verlauf der Dinge gar bald aus Rom hinausgefegt sein,« sagte der Kardinal. »Übrigens kenne ich einen irischen Bischof, der behauptet, wir hätten, ohne es zu wissen, schon eine ganze Anzahl irischer Päpste gehabt. Von jedem bedeutenden Papst erklärt er: ›Der muß irisches Blut in den Adern gehabt haben.‹« Er behauptet steif und fest, Pius der Neunte sei ein Ire gewesen. Schon sein Familienname Ferretti beweise dies, denn es sei der italienisierte irische Name Farrity. Nur ein Ire, erklärt der gute Bischof, hätte können so witzig sein.«

Mrs. O'Donavan Florence blickte einen Augenblick tiefernst vor sich nieder. Dann erklärte sie: »Ich suche die irische Urform für Udeschini zu finden!«

Allgemeines Lachen folgte dieser Bemerkung.

»Wenn Eminenz sagen ›bald‹, meinen Sie damit, daß wir es noch erleben können, die Italiener aus Rom vertrieben zu sehen?« fragte Madame de Lafère.

»Sie stehen am Rande des Ruins – um ihrer Sünden willen,« erwiderte der Kardinal. »Wenn der große Krach kommt – und er muß kommen, ehe viele Jahre ins Land gehen –, dann wird notwendigerweise auch eine Wiederherstellung des Kirchenstaates erfolgen, denn das Gewissen der Christenheit wird es nicht zulassen, daß der Stuhl Petri noch einmal seines Erbes beraubt werde.«

»Gott lasse diesen guten Tag bald anbrechen,« sagte Monsignore Langshawe.

»Wenn ich es erlebe, daß Rom dem Papst zurückerstattet wird, so werde ich mit Frieden in die Grube fahren, wenn ich auch den Tag nicht sehe, an dem Frankreich dem König zurückgegeben wird,« erklärte die alte französische Dame.

»Und ich – wenngleich ich es nicht erlebe, daß England in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückgeführt wird,« versicherte der Monsignore.

Die Duchessa lächelte Peter an und flüsterte: »An welche Brutstätte des Ultramontanismus und der Reaktion Sie geraten sind!«

»Es wirkt immer erfrischend, Menschen zu treffen, die eine Überzeugung haben,« erwiderte er.

»Selbst wenn man diese Überzeugungen für irrig hält?« fragte sie.

»Selbst dann – aber ich halte die Überzeugung, die ich heute abend habe äußern hören, durchaus nicht für irrig.«

»O –?« fragte sie verwundert. »Würden Sie es gerne sehen, wenn Rom dem Papst zurückgegeben würde?«

»Ja! Ganz entschieden ja – wenn nicht aus andern, so doch aus ästhetischen Gründen.«

»Ich glaube, daß es auch ästhetische Gründe dafür gibt, aber Sie werden begreifen, daß für uns andre Gründe ausschlaggebend sind. Wir sind der Ansicht, daß sie auf einfacher Gerechtigkeit beruhen.«

»Dieser Ansicht bin ich auch,« sagte er.

Nach Tisch setzte sich die Duchessa auf Ersuchen des Kardinals ans Klavier und spielte Bach und Scarlatti. Als sie diese köstliche, klare Musik wiedergab und ihr Antlitz vom weichen Licht der Kerzen beleuchtet ward, dachte Peter – – – doch was denken Liebende nicht alles in solchen Fällen!

Als sich Mrs. O'Donavan Florence verabschiedete, sagte sie zum Kardinal: »Euer Eminenz verdanke ich die zwei stolzesten Tage meines Lebens: der erste war, als ich in der Zeitung las, daß Sie den Hut empfangen hätten, und ich all meinen Bekannten gegenüber damit prahlen konnte, mit Ihrer Nichte zusammen im Kloster gewesen zu sein. Und der zweite Tag ist der heutige – künftig kann ich mich damit brüsten, daß ich das Glück gehabt habe, Ihnen meine Ehrerbietung bezeigen zu dürfen.«

»So, so,« sprach Peter zu sich selbst, als er im Sternenschein durch den tauigen, duftenden Park nach Hause wandelte, »also der Kardinal ist nicht für gemischte Ehen, und seine Nichte wird es natürlich auch nicht sein! Aber was kümmert das mich? Leider, leider ist die Frage – wie er ganz richtig bemerkt hat – ja gar nicht aktuell!«

Und damit zündete er sich eine neue Zigarette an.


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