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Fünfzehntes Kapitel

Beatrice sprach mit einem Priester – das heißt, es wäre vielleicht richtiger zu sagen, »verschwor« sich mit einem Priester – doch der Leser soll selber richten.

Sie befanden sich in einem Gemach des Palazzo Udeschini zu Rom – in einem Empfangszimmer des piano nobile. In den römischen Palästen ist bekanntlich ein Empfangszimmer genau wie das andre.

Groß, luftig, dunkel, die Wände mit dunkelgrün gestreiften Tapeten bedeckt; hier und dort ein nachgedunkeltes Gemälde: eine Kreuzigung, eine Heilige Familie in verblichenen schweren Goldrahmen; dunkelfarbige Teppiche auf den Steinfliesen des Fußbodens; dunkle Möbel: Tische, Schränke, Schreibtische – alles dunkel und schwer; große, um diese Jahreszeit gardinenlose Fenster gehen auf einen Hof – einen großen gepflasterten Hof mit phantastisch gefiederten Eukalyptusbäumen, in der Mitte ein alter brauner Springbrunnen, der unermüdlich seine eintönige Melodie plätschert.

In den Straßen mischten sich alle Düfte und Geräusche und die brütende Hitze, die charakteristisch sind für den August in Rom – für den römischsten Monat des Jahres, wie man ihn nennt, der unzweifelhaft der heißeste, lauteste und ungesundeste Monat ist. Aber hier im Zimmer war es kühl, schattig, still und voll von Wohlgerüchen – die frische Luft trug den Duft der Eukalyptusbäume herein. Beatrice stand vor einem zwischen zwei Fenstern angebrachten Spiegel, drehte ihren Kopf von einer Seite zur andern und betrachtete die Wirkung eines neuen Hutes. Es war ein erstaunlicher Hut – wenn ein Mann in solchen Dingen überhaupt mitreden kann – jedenfalls war es ein ganz wunderbares Gebilde: ein aufwärts gebogenes schwarzes Band, eine abwärts wallende schwarze Feder, ein herausfordernder, kecker weißer Reihertuff, wie ihn etwa der Schah von Persien tragen mag – und dazwischen hinein schimmerte es rot.

Der Priester saß in einem Lehnsessel, in einem jener steifen, römischen Lederstühle, die anderwärts kein Mensch bequem finden würde, und sah ihr belustigt, mit nachsichtiger Milde zu.

Es war ein etwa sechzig- bis fünfundsechzigjähriger geistlicher Herr. Er war schmal und leicht gebaut, hatte ein mageres Gesicht und zarte, aber feste Züge, eine schöne, edelgeschnittene Nase und ein charaktervolles, feines Kinn, dazu einen breiten, Humor verratenden Mund und eine vornehme Denkerstirne über lustigen, grauen, etwas tiefliegenden Augen. Das weiße Haar legte sich am Hinterkopf seidenweich um die Tonsur, die aussah wie eine natürliche kleine Platte.

Er machte unzweifelhaft einen gescheiten und aristokratischen Eindruck, aber noch viel mehr als dies einen gütigen, freundlichen und milden.

Gekleidet war er in eine schlichte schwarze Sutane, die sich keineswegs mehr in der ersten Jugendblüte befand: an den Säumen schillerte sie ins Bräunliche und an Schultern und Ellenbogen zeigte sie einen fettigen Glanz, der ein Beweis langer, treugeleisteter Dienste zu sein pflegt. Aber auch ohne Sutane hätte man den Geistlichen in ihm vermutet, denn er hatte jenes undefinierbare Etwas an sich, das manche Diener der Kirche unfehlbar als solche erkennen läßt. Keinesfalls aber hätte jemand, dessen Aufmerksamkeit in dem gedämpften Licht des Zimmers die rote Schärpe um seine Taille oder der Amethyst am dritten Finger seiner rechten Hand entgangen wäre, den Rang vermutet, den er in der römischen Hierarchie einnahm. Ich habe nämlich die Ehre, Seine Eminenz Egidio Maria Kardinal Udeschini vorzustellen, ehemaligen Bischof von Cittareggio, Präfekten der Kongregation für Archive und Inschriften.

Dies war sein kirchlicher Titel – er hatte aber deren noch zwei andre. Durch den Zufall der Geburt war er nämlich Fürst Udeschini; der dritte Titel war aber eigentlich der wunderbarste und wohl auch der bedeutendste. Dieser Titel war ihm von den Bewohnern des verrufenen Stadtviertels verliehen worden, in dem seine Titularkirche zur »Heiligen Maria mit den Lilien« gelegen war, und lautete: das »Armenonkelchen«.

Nach italienischen Begriffen war Kardinal Udeschini ein reicher Mann und verfügte mit den Zinsen seines Privatvermögens und seinen Stipendien zusammen über ein Jahreseinkommen von etwa hunderttausend Lire. Für sich selbst, für Essen und Trinken, Kleidung und allgemeine Ausgaben verwendete er fünftausend Lire. Wohnung und Bedienung hatte er in dem alten Familienpalast unentgeltlich. Der Rest von fünfundneunzigtausend Lire – na, man weiß ja, daß man in Italien Titel kaufen kann, und wird in der Annahme nicht fehl gehen, daß diese Summe der Preis ist, den er für den zuletzt erwähnten entrichtete.

Doch Kardinal Udeschini bezahlte seinen Titel keineswegs nur mit Geld. Wie schon angedeutet, befand sich seine Titularkirche in einem verrufenen Stadtteil – es war der übelriechendste und gefährlichste Roms, im Süden des Ghetto, am Ufer des Tiber gelegen und von Halsabschneidern und Meuchelmördern bewohnt. In Begleitung seines kräftigen jungen Vikars, des Don Giorgio Appolloni, arbeitete der Kardinal dort Nacht um Nacht so angestrengt, als nur irgend ein einfacher, fleißiger, pflichtgetreuer Pfarrer hätte arbeiten können. Er besuchte die Kranken, richtete die Niedergeschlagenen auf, ermahnte die Bösen, suchte die Trunkenbolde den Kneipen zu entfremden und stiftete Frieden zwischen den Händelsüchtigen. Nicht selten konnte er beim Nachhausekommen seiner schon vorhandenen großen Sammlung von ähnlichen Andenken ein neues Paar Stilette einverleiben. Nach Hause kam er gewöhnlich spät – meist erst nach Mitternacht und gar häufig erst bei Tagesgrauen, zu der Zeit, wo – wie er sich Don Giorgio gegenüber auszudrücken pflegte – der ermüdete Einbrecher sein Lager aufzusuchen pflegt. Und jeden Samstagabend saß der Kardinal wie ein einfacher Ortspfarrer drei Stunden im Beichtstuhl eingepfercht, wo die Bußfertigen ihm ihre Geheimnisse ins Ohr flüsterten und seine väterlichen Ratschläge empfingen ... Wenn Lazarus sich diesem Richterstuhl nähert, darf man eben nicht seiner Lumpen und Schwären gedenken.

Aber es soll nicht behauptet werden, daß der Kardinal ein Heiliger gewesen sei, jedenfalls war er nichts weniger als ein Asket. Trotz aller seiner weit über das pflichtgemäße Maß hinausgehenden guten Werke führte er im Vergleich mit einem wahren Heiligen ein üppiges, prächtiges Leben. Er trug kein härenes Hemd, und es ist auch nicht anzunehmen, daß er irgendwelche Neigung zur Selbstgeißelung und Kasteiung fühlte. O nein, er hatte seine Fehler, seine schwachen Seiten – sogar seine Laster, wenn man will. Er liebte ab und zu einen guten Scherz und hatte große Freude an der Musik. Hauptsächlich aber schnupfte er gern.

»Ich gebe zu,« erklärte er, »daß es eine furchtbar schlechte Gewohnheit ist, und ich kann sie auch nicht ausstehen – an andren. Als ich Bischof von Cittareggio war, verbot ich das Schnupfen meiner ganzen Geistlichkeit. Aber für mich selbst – ich muß wohl nicht erst sagen, daß da besondere Umstände vorliegen. Aber sonderbarerweise konnte jeder Geistliche in Cittareggio besondere Umstände für sich geltend machen. Ich habe versucht, das Schnupfen aufzugeben, aber der Versuch hat meinen Charakter verdorben, hat mich tatsächlich zu einem zänkischen alten Kerl gemacht, und deshalb genehmige ich mir aus Rücksicht für meine Nächsten gelegentlich eine kleine Prise, um mich zu besänftigen. Der Tabak ist ein antiseptisches Mittel – es dient zur Konservierung der Milch der frommen Denkungsart.«

Die in Frage kommenden »Nächsten« versorgten ihn mit gutem Schnupftabak. Scherze und Musik aber vermochte er sich selbst zu verschaffen. Er spielte Klavier und Orgel und sang mit einer hellen, lieblichen, etwas brüchig gewordenen Tenorstimme. Seine Lieblingskomponisten waren der kristallklare Scarlatti und der lichtumflossene Bach. Zur höchsten Begeisterung entflammte ihn aber der gregorianische Gesang, und in der Kirche zur »Heiligen Maria mit den Lilien« duldete er keine andre Musik; seine Geistlichen dort und seine Gemeinde sangen sie aber auch bewunderungswürdig schön, ebenso er selbst.

*

Also Beatrice stand vor dem Pfeilerspiegel und studierte ihren neuen Hut, während ihr der Kardinal belustigt zusah und sich mit nachsichtigem Lächeln in seinen Sessel zurücklehnte.

»Nun also? ... Was meinst du?« fragte sie, zu ihm zurückgewendet.

»Du verlangst meine Meinung als die eines Sachverständigen?« fragte er.

Seine Stimme klang beim Sprechen so angenehm wie beim Singen, hatte aber doch eine gewisse charaktervolle Festigkeit.

»Als die eines Mannes, der sicherlich guten Rat geben kann,« antwortete sie.

»Nun denn,« sagte er, indem er sein Kinn streichelte, als ob es ein Bart wäre, und sich der humoristische Zug um seinen Mund vertiefte, »nun denn, ich meine, die Feder sollte vorn etwas höher und hinten etwas tiefer gesteckt werden und –«

»Guter Gott, ich meine doch nicht den Hut! Was in aller Welt kann denn so ein lieber alter Onkel wie du von Hüten verstehen!« rief Beatrice.

Der humoristische Zug um den Mund vertiefte sich immer mehr.

»Sicherlich sollte ein Kardinal gar vielerlei verstehen, und somit müßte auch ich ein gutes Urteil über Hüte haben,« meinte er und nahm eine Prise.

»Es ist eine wahre Schande, daß du keine anständige Schnupftabaksdose hast,« bemerkte Beatrice mit einem Blick auf die ärmliche, hölzerne Dose, aus der er sich bediente.

»Die Dose ist ja nur ›der Stempel‹ – auf das Metall kommt's an! Wer hat dies gesagt: Shakespeare oder Byron?« fragte der Kirchenfürst.

»Meines Wissens ist es Pulcinella gewesen! Ich schenke dir eine sehr hübsche silberne Dose, wenn du sie annimmst.«

»Wirklich? Willst du dies?« fragte der Kardinal begehrlich.

»Natürlich will ich! Es ist eine Schande, daß du nicht längst eine hast.«

»Was wird denn eine hübsche silberne Dose kosten?«

»Das weiß ich nicht. Darauf kommt's auch gar nicht an.«

»Aber so ungefähr?« beharrte er.

»Ein paar hundert Lire wird sie wohl ungefähr kosten.«

»Ein paar hundert Lire?« Und er sah sie noch begehrlicher an. »Hast du zufällig so viel Geld bei dir?«

Beatrice, die unvorsichtige Frau, suchte ihre Tasche irgendwo in ihrem Kleid, zog ihre Börse heraus und erforschte deren Inhalt.

»Ja,« sagte sie harmlos und ahnungslos.

»Dann gib mir die paar hundert Lire!«

Damit streckte er seine Hand aus.

Aber Beatrice hielt die ihre zurück.

»Wozu?« fragte sie mit erwachendem Mißtrauen.

»O, ich kann sie schon verwenden.«

Seine ausgestreckte Hand – eine schmale, fleischlose, elfenbeinfarbene Hand – schloß sich, wie wenn sie schon etwas empfangen hätte, und dabei wurde der in köstlich ausgearbeitetes mattes Gold gefaßte, große leuchtende Amethyst sichtbar, den er am dritten Finger trug.

»Komm! Gib her!« rief er energisch.

Traurig, aber ergeben schüttelte Beatrice den Kopf.

»Da hast du mich schön dran gekriegt,« seufzte sie und gab ihm das Geld.

»Du hättest eben nicht mit deinem Geldbeutel klimpern und mit deinem Reichtum prahlen sollen,« sagte der Kardinal lachend, indem er die Banknoten einsteckte. Dann schnupfte er wieder und fügte hinzu: »Ich glaube, diese Prise habe ich redlich verdient.«

»Jedenfalls,« erklärte Beatrice so salbungsvoll als es ihr möglich war, »kenne ich einen hohen Würdenträger der Kirche, der sich eine schöne, sehr schöne Schnupftabaksdose in getriebenem Silber mit eingraviertem Wappen auf dem Deckel verscherzt hat.«

»Und ich,« gab er zurück, »ich kenne einen ganz heruntergekommenen alten Doktor und dessen Frau in Trastevere, die jetzt in den nächsten zwei Monaten Fleisch und Wein zum Mittagessen kriegen werden – auf Kosten meiner Frau Nichte. – Ich freue mich wirklich aufrichtig, daß du in unsre Familie hineingeheiratet hast!«

»Aber sag nur,« fragte sie, »warum du dir so viel überflüssige Mühe gemacht und das Geld nicht einfach verlangt hast? Warum hast du es mir durch List und Verrat entlockt.«

Der Kardinal lachte vergnügt.

»Ach, man muß in der Übung bleiben, und ich will nicht für nichts und wieder nichts aussehen wie ein Jesuit.«

»Siehst du denn aus wie ein Jesuit.«

»Man hat es mir wenigstens versichert.«

»Wer denn – um Gottes willen?«

»Ein Herr, den ich das Vergnügen hatte auf der Bahn zu treffen – es war ein sehr großartiger Herr mit goldenen Ketten, blitzenden Diamanten, einem prachtvoll gewichsten Schnurrbart und einem kahlen Kopf, der aussah wie eine rote Billardkugel. In der leutseligsten Weise der Welt wandte er sich an mich und sagte: ›Wie ich sehe, hochwürdiger Herr, sind Sie ein Jesuit. Deshalb verknüpft uns ein gemeinsames Band: ich bin nämlich Jude, und Juden und Jesuiten stehen beinahe in gleich schlechtem Ruf!‹«

Des Kardinals lustige graue Augen glitzerten vor Vergnügen.

»Ich hätte ihn für sein ›Beinahe‹ umarmen können! Und seither besinne ich mich nun darüber, ob er in seinem Herzen den Juden oder den Jesuiten diese Einschränkung zubilligt. Ich habe mich auch besonnen, was ich ihm hätte antworten sollen.«

»Aber was hast du ihm geantwortet?« fragte Beatrice neugierig.

»Nichts da,« entgegnete der Kardinal. »Mit aller schuldigen Ehrerbietung muß ich mich weigern, es dir zu sagen. Es war zu seicht und gedankenlos. Ich schäme mich, so oft ich daran denke.«

»Du hättest erwidern können, daß die Juden wenigstens den Vorzug haben, ihren schlechten Ruf zu verdienen,« schlug sie vor.

»O, mein liebes Kind,« warf er ein, »meine Antwort war seicht, und du möchtest sie scharf. Damit hätte ich die Gefühle des wohlmeinenden Herrn verletzt und vielleicht obendrein auch noch meine Seele mit einer Unwahrheit beschwert. Wer sind wir, daß wir es wagen sollten, darüber zu urteilen, ob die Leute ihren schlechten Ruf verdienen oder nicht? Nein, nein. Das Demütigende liegt darin, daß, wenn ich nicht nur das Äußere, sondern auch die inneren Eigenschaften eines Sohnes des heiligen Ignatius besäße, mir eine Antwort eingefallen wäre, die die Bekehrung des Juden zur Folge gehabt hätte.«

»Apropos, Bekehrung,« fiel Beatrice ein, – »sieh nur, wie weit wir von unserm Hammel abgeschweift sind!«

»Von unserm Hammel –?« Der Kardinal sah sie fragend an.

»Ich wollte doch wissen – nicht was du von meinem Hut, sondern was du von meiner Eroberung denkst!«

»O – ah, richtig! Von deinem Engländer, deinem Mieter!« Der Kardinal nickte.

»Von meinem Engländer – meinem Mieter – meinem Ketzer,« bestätigte sie.'

»Nun,« sagte er, und der humoristische Zug um seine Mundwinkel trat wieder stärker hervor, »ich denke, nach allem, was du mir von ihm erzählt hast, daß du einen nützlichen Nachbar in ihm finden wirst. Laß mal sehen! ... Mit einem einzigen Wort hast du ihm fünfzig Lire aus der Tasche gelockt, und die Kinder machten sich davon und segneten dich als ihre Wohltäterin. Ich denke also, daß du in ihm einen schätzenswerten Nachbar hast, und daß er seinerseits deine Nachbarschaft für etwas kostspielig halten wird.«

Beatrice bat ihn mit einer Gebärde, ernsthaft zu sein.

»Ich bitte,« sagte sie, »scherze nicht darüber. Ich möchte wissen, was du von seiner Bekehrung hältst?«

»Die Bekehrung eines Ketzers ist eine stets innigst zu wünschende Sache. Und niemand wünscht dies so inbrünstig wie ihr englischen Katholiken, besonders ihr Frauen. Man behauptet sogar, daß einmal eine englische Katholikin versucht habe, den Papst zu bekehren.«

»Nun, es hat auch Päpste gegeben, denen es nichts geschadet hätte,« erklärte Beatrice. »Was nun aber Mr. Marchdale betrifft,« fuhr sie fort, »so hat er ganz entschieden ›Anlagen‹ verraten. Er gab zu, daß er keinen Grund einsehe, warum nicht die heilige Jungfrau selbst uns den Kindern zu Hilfe gesandt haben könne. Dies ist doch von einem Protestanten ein ungewöhnliches Zugeständnis.«

»Gewiß,« sagte der Kardinal, »und wenn es ihm ernst war, so läßt sich daraus auf eine philosophische Gemütsanlage schließen.«

» Wenn es ihm ernst war?« rief Beatrice. »Warum sollte es ihm nicht ernst gewesen sein? Warum sollte er es gesagt haben, wenn es ihm nicht ernst war?«

»O, das mußt du mich nicht fragen,« protestierte der Kardinal. »Es gibt nämlich etwas, das die Franzosen politesse nennen, und ich könnte es mir recht wohl vorstellen, daß ein junger Mann sich mit der Ansicht einer Dame einverstanden erklärt, um dessentwillen, was die Franzosen ihre beaux yeux heißen.«

»Ich gebe dir mein Wort,« versicherte Beatrice, »daß meine beaux yeux nicht das Mindeste mit der Sache zu tun haben. Er sagte es aus ehrlicher Überzeugung. Er sagte, daß in einem Weltall wie dem unsern überhaupt nichts unmöglich sei, und daß es Dinge gäbe zwischen Himmel und Erde, von denen sich die Menschen nichts träumen ließen – und daß er keinen Grund einsähe, warum uns die heilige Jungfrau nicht den Kindern in den Weg geführt haben sollte. O, es war ihm ernst! Es war ihm ernst!«

Der Kardinal lächelte – vielleicht über ihren Eifer. Dann wiederholte er: »Also müssen wir daraus schließen, daß er eine philosophische Gemütsanlage hat.«

»Aber was ist zu tun?« fragte sie. »Man muß doch sicherlich etwas tun? Man muß ein solches Zugeständnis doch weiter verfolgen. Wenn ein Mann schon so weit ist auf dem Weg zum Licht, so ist es doch Pflicht, ihm weiter zu helfen.«

»Ohne Zweifel,« bestätigte der Kardinal.

»Gut – also was kann man tun?«

Der Kardinal blickte ernst und sagte: »Man kann beten.«

»Emilia und ich beten abends und morgens für seine Bekehrung.«

»Das ist gut,« lobte er.

»Aber sicherlich noch nicht genug!«

»Man kann Messen lesen lassen.«

»Monsignore Langshawe liest auf dem Schloß jede Woche zwei Messen für ihn.«

»Das ist gut,« lobte der Kardinal wieder.

»Aber ist dies genug?«

»Warum besucht ihn Monsignore Langshawe nicht – pflegt seine Bekanntschaft – spricht mit ihm – regt ihn zum Nachdenken an?« fragte der Kardinal.

»Ach, Monsignore Langshawe,« seufzte Beatrice, »interessiert sich nur für Geologie und würde nur über Moränen mit ihm sprechen, und würde ihn nur veranlassen, über das Fortschreiten der Gletscher nachzudenken.«

»Hm!« machte der Kardinal.

»Nun, also – ...?« fragte Beatrice ungeduldig.

»Nun also, Carissima, warum nimmst du die Sache nicht selbst in die Hand?«

»Darin liegt ja gerade die Schwierigkeit. – Was kann ich – eine Frau – in solch einer Sache tun?«

Der Kardinal betrachtete aufmerksam seinen Amethyst und der humoristische Zug um den alten Mund vertiefte sich.

»Ich will dir die Werke Bellarmins Robert Bellarmin, gelehrter Jesuit, geb. 1542 in Montepulciano bei Siena, trat 1560 in den Jesuitenorden ein, wurde 1605 Protektor des Cölestinerordens, starb 1621 in Rom. In der Schrift » De potestate ponteficis in temporalibus« verteidigte er die Oberherrschaft des Papstes über alle Könige. Sein Hauptwerk ist: » Disputationes de controversiis fidei adversus hujus temporis haereticos«, in 14 Bänden. Deutsch von Gumposch 1842-53. Anm. d. Übers. leihen – in ich weiß nicht wieviel Bänden. Du studierst sie und lädst dann deinen Ketzer zu einem Unterrichtskurs ein.«

»Wenn du doch es lassen wolltest, aus einer so ernsten Sache einen Scherz zu machen!«

»Bellarmin – ein Scherz!« rief der Kardinal. »Das ist das erste Mal, daß ich ihn so bezeichnen höre! Übrigens will ich nicht auf diesem Vorschlag bestehen.«

»Aber dann –? Bitte, berate mich ernsthaft. Was kann ich ungelehrte Frau tun?«

Der Kardinal nahm eine Prise. Wieder betrachtete er seinen Amethyst und zwinkerte in ihn hinein, als bemerke er etwas ungeheuer Komisches in seiner Tiefe. Dann lachte er leise und blickte wieder auf.

»Nun,« antwortete er langsam, »im äußersten Fall könnte ja die ungelehrte Frau sich aufraffen und ihn zum Essen einladen. Ich will hinaufkommen und ein oder zwei Tage bei dir bleiben, daß du ihn zu Tisch bitten kannst.«

»Du bist doch der liebste alte Onkel, den es gibt,« rief Beatrice entzückt. » Dir wird er nie und nimmer widerstehen können.«

»O, ich werde mich nicht in theologische Erörterungen mit ihm einlassen,« sagte der Kardinal. »Aber – für einige hundert Lire kann man schon etwas Übriges tun. Also werde ich kommen und dir meine moralische Unterstützung leihen.«

»Du sollst deine schöne silberne Tabaksdose dennoch bekommen,« erklärte sie.

Man merke die Prädestination!


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