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Siebzehntes Kapitel

Aber er brauchte nicht bis Donnerstag zu leben – es war ihm beschieden, sie schon am nächsten Nachmittag wiederzusehen.

Es ist allgemein bekannt, in welch jäher Weise in diesem Land der Berge und der Seen plötzlich Stürme zum Ausbruch kommen.

Es mochte etwa drei Uhr nachmittags sein, und Peter saß lesend in seinem Garten, indes die Welt ringsum in glühenden Sonnenschein gebadet lag.

Plötzlich machte sich eine Veränderung fühlbar: der Sonnenschein schien weniger glänzend, die Schatten weniger fest und weniger scharf umrissen zu sein, aber alles war fast unmerklich, man mußte ganz genau hinsehen, um sich zu überzeugen, daß es keine Einbildung sei. Es war, als habe sich ein dünner, fast unsichtbarer Schleier vor die Sonne gebreitet, aber nur ihren Glanz etwas mildernd, sie keineswegs verdunkelnd. Am ganzen Himmel war weit und breit kein Wölkchen zu entdecken.

Mit einem Male wurde die Luft, die den ganzen Tag über wohl heiß, aber doch anregend und belebend gewesen war, dick und stickig und legte sich bleischwer über die Erde. Dieser bedrückende Eindruck wurde noch gesteigert durch eine jäh eintretende, tiefe Stille ringsum. Alle die gewohnten Geräusche in der Natur verstummten: die Heuschrecken hörten auf zu zirpen, die Vögel hörten auf zu zwitschern; kein Blättchen rauschte – die Welt hielt den Atem an. Und wenn auch der Fluß weiterplätscherte, so wirkte gerade sein Rauschen wie ein Teil der allgemeinen tiefen Stille und betonte diese, unterstrich sie sozusagen.

Aber noch konnte man nirgends auch nur den Schatten einer Wolke entdecken, noch eine ganze Weile nicht. Dann plötzlich – man wußte nicht wie es geschehen war – hatten sich die schneebedeckten Gipfel des Monte Sfiorito in eine Wolke gehüllt.

Und nun breitete sich diese Wolke mit ungeheurer Schnelligkeit aus – sie dehnte sich in die Weite und senkte sich herab; sie verdunkelte die Sonne und verhüllte den Gnisi bis an die Mitte und wand sich wie eine Schlange von Rauch zwischen den Zinnen des Cornobastone; sie verwandelte das Saphirblau des Sees in dunkles Stahlgrau und erfüllte das ganze Tal mit einer Mischung von Finsternis und unheimlichem fahlem Licht. Wie ein bleifarbener Baldachin breitete sie sich über die Gegend, und im Osten war sie von einer grellroten Franse umsäumt, hinter der sich, von einem einzigen hellen Streifen des Himmels ausgehend, ein trübes, gelbes Licht über den Horizont zerstreute.

Nun ertönt in der Ferne ein dumpfes Donnerrollen, das sich gleich darauf lauter, zorniger wiederholt, wie eine Drohung, der man zum ersten Male keine Beachtung geschenkt hat. Dann ein Windstoß – ein heftiger, kalter Windstoß, der noch den Atem der Wälder mit sich führt, aus denen er kommt, und Staub, welke Blätter und abgefallene Blumenkelche in wildem Reigen vor sich her wirbelt. Die alten, hohen Bäume beugen und winden und krümmen sich, als kämpften Riesen gegen andre unsichtbare Riesen. Das kurz geschorene Gras erschauert bis in die Wurzeln unter dem Hauch seines Mundes und die stahlfarbene Oberfläche des Sees kräuselt sich zu aufgeregten kleinen Wellen. Dann fallen zwei oder drei große Regentropfen und dann – die Sintflut.

Peter steigt in sein Observatorium hinauf, in einen viereckigen, vierfenstrigen Turm auf dem Hause, um von dort aus den Sturm zu beobachten und in seinem Anblick zu schwelgen.

Er ist aber auch großartig, dieser Sturm. Es war erhebend, ihn zu sehen, ihn zu hören in seiner wilden Kraft, in seiner unbezähmbaren Wut. Peter deucht es, noch niemals habe es so heftig geregnet. Schon sind der See und die Bergabhänge, die Villen und die Weingärten im Westen völlig verschwunden hinter dicken Wassermauern, selbst die naheliegenden Wiesen von Ventirose, ja sogar die Umrisse seines eigenen Gartens kann Peter nicht mehr unterscheiden, sie sind völlig verschwommen wie in einem undurchdringlichen Nebel. Schwer wie Kugeln prasseln die großen Tropfen auf den Fluß herab und schleudern einen Spritzer in die Höhe zurück, größer als sie selbst. Und auf dem Ziegeldach über Peter dröhnt und rasselt es, als ob eine Schar Elfen in Nägelschuhen ihren Reigen tanzte. Der Donner grollt, kracht, dröhnt und hallt weit über die Tale. Der Blitz durchzuckt die wildgezackten, schwarzen Wolkenmassen, in langem, blendendem Zickzack. Der Wind heult, stöhnt und brüllt, und das viereckige Turmgemach, in dem Peter steht, erbebt unter den Stößen des Sturmes und ist von seinem kalten Hauch erfüllt! Ja, es war wahrhaft herrlich! Durch den erdersäufenden Regen sind die Gartenwege in schlammige Bäche verwandelt worden, die Landstraße hinter der Hecke in einen zwar seichten, aber doch reißenden Strom. ... Und jetzt ... in diesem Augenblick, wo er die Landstraße entlang blickt, bemerkt Peter etwas, was ihm das Herz bis in den Hals hinauf schlagen macht!

Drei halb vom Regen ertränkte Gestalten kamen dahergerannt: die Duchessa di Santangiolo, Emilia Manfredi und ein Priester.

Im Handumdrehen stand Peter barhäuptig am Tor.

»Treten Sie ein – treten Sie ein!« rief er.

»Wir sind völlig durchweicht und werden Ihr Haus überschwemmen,« sagte die Duchessa, als sie in sein Wohnzimmer trat.

In der Tat trieften sie von Wasser und waren kniehoch beschmutzt.

»Guter Gott!« stöhnte Peter ganz verdutzt. »Wie konnten Sie nur in diesem Wolkenbruch ausgehen?«

»Guter Gott,« sagte die Herzogin mit einem hilflosen Lächeln: »Es hat uns doch niemand prophezeit, daß es regnen werde, und wir haben einen schönen, langen Spaziergang unternommen – zu unserm Vergnügen!«

»Sie müssen ja naß sein bis auf die Haut – sie müssen ja erfrieren!« rief er, von einem zum andern blickend.

»Natürlich sind wir durch und durch erfroren,« gab sie zu.

»Und ich kann den Herrschaften nicht einmal ein Feuer machen lassen – die Zimmer sind unheizbar!« jammerte er und deutete trostlos auf das kaminlose, echt italienische Zimmer.

»Ist denn keine Küche vorhanden?« fragte die Duchessa, und in ihr hilfloses Lächeln mischte sich ein ganz klein wenig Spott.

Peter erhob seine Hände gen Himmel.

»Ich habe ganz den Kopf verloren! Die Küche! Natürlich die Küche! Ich werde Marietta sofort Feuer machen heißen!« Mit einer Entschuldigung verließ er das Gemach und suchte Marietta auf, die er in ihrem Zimmer fand, wo sie, auf den Knieen liegend, in Todesangst den Rosenkranz abbetete.

»Seid so gut und macht so schnell als möglich ein tüchtiges Feuer in Eurer Küche an – so schnell als irgend möglich!« sagte er.

Dann kehrte er zu seinen Gästen zurück.

»Wollen mir die Herrschaften gütigst folgen?« bat er. In unglaublich kurzer Zeit hatte Marietta aus Tannenzapfen und Holzklötzen ein lohendes Feuer entfacht. Sie knickste tief vor der Herzogin, noch tiefer vor dem Priester – Peter war nicht ganz sicher, ob sie vor diesem nicht sogar eine Kniebeuge machte, während er ihr mit einer raschen Bewegung über den Kopf fuhr. Vielleicht hatte er das Zeichen des Kreuzes über ihr gemacht.

Es war ein kleiner, unscheinbarer, weißhaariger Priester mit auffallend klugem, humoristischem, gütigem Gesicht und trug auch eine auffallend schäbige Sutane. Wie hätte Peter je auf den Gedanken kommen können, dies sei der Kardinal Udeschini? Wann haben Kardinäle je schäbige Sutanen getragen und humoristisch und anspruchslos ausgesehen? – vorausgesetzt, daß nicht alle Überlieferungen trügen. Wann stapfen sie im Regenwetter auf schmutzigen Landstraßen herum ohne jedes andre Gefolge als eine Dame und ein vierzehnjähriges Mädel? Und dieser kleine Mann? Wie hätte der dem überlieferten Begriff entsprochen? Allerdings, die abgeschabte Sutane hatte rote Knöpfe, und eine rote Schärpe schlang sich um seinen Leib und ein großer Amethyst funkelte an seinem Finger. Aber Peter war in kanonischen Dingen nicht hinlänglich zu Hause, um die Bedeutung dieser Abzeichen zu begreifen.

Wie hätte anderseits aber auch die Duchessa vermuten können, daß Peter einer Erklärung bedürfe? Jedenfalls sagte sie nur zu ihm: »Gestatten Sie, daß ich Sie vorstelle,« und dann zu dem Priester, »dies ist Mr. Marchdale, von dem ich schon früher gesprochen habe.«

Der weißhaarige geistliche Herr lächelte Peter freundlich an und reichte ihm seine zarte, schmale, alte Hand. » E cattivo vento che non è buono per qualcuno – debbe a questa burrasca la pregustazione d'un piaccere« (es ist ein schlechter Wind, der niemand Gutes bringt, doch verdanke ich diesem Unwetter ein großes Vergnügen), sagte er mit einem seinem Alter und seiner Rasse eigenen Gemisch von Höflichkeit und sonniger Freundlichkeit.

Unwillkürlich – er hätte wirklich keinen Grund dafür anzugeben gewußt – legte Peter ein gut Teil mehr Ehrerbietung in seine Verbeugung, als ein Mann seines Alters und seiner Rasse zu tun pflegt, und murmelte etwas von » grand' onore«.

Marietta schob eine Reihe Stühle an den aufgemauerten Steinherd und machte sich dann auf ihres Gebieters Befehl daran, Tee zu bereiten.

»Aber ich glaube, es wäre gut, wenn die Herrschaften vorher einen kleinen Kognak nehmen wollten,« schlug Peter vor. »Ich bin in Verzweiflung, daß ich keine andern Kleider anbieten kann. Aber vielleicht ist Kognak der beste Ersatz dafür.«

Der alte geistliche Herr lachte und legte seine Hand auf Emilias Schulter: »Mit diesem Vorschlag haben Sie diese junge Dame aus einer großen Verlegenheit gerissen. Um Kognak gerade wollte sie bitten, doch hatte sie den Mut nicht dazu.«

»O nein, gewiß nicht!« protestierte Emilia mit tiefer, echt italienischer Stimme und leidenschaftlichem Ernst.

Aber Peter holte eine Karaffe und goß für jeden ein Gläschen ein. »Ich trinke auf Ihr Wohl – c'est bien le cas de le dire. Ich hoffe, daß Sie sich nicht auf den Tod erkältet haben,« sagte er.

»O, jetzt sind wir ganz warm,« versicherte die Duchessa, »wir sitzen hier wie in Abrahams Schoß!«

»Der Regenguß wird uns beiden gut tun, Emilietta, dir und mir – wir werden wachsen, nicht?« sagte der Priester.

Die Farbe war in die Wangen der Duchessa zurückgekehrt und ihre Augen erglänzten in ungewöhnlichem Feuer.

Ihr Haar war in Unordnung geraten und fiel in natürlichen Wellen über Stirn und Schläfen. In der Küche war es ganz dunkel, nur das Herdfeuer warf seinen Schein, der in phantastischen Formen über Wände und Decken huschte und ab und zu einen rötlichen Reflex über Mariettas blankgeputztes Kupfergeräte warf. Draußen prasselte der Regen hernieder, der Wind heulte im Kamin, die Blitze zuckten und der Donner krachte. Peter blickte die Duchessa an und segnete die Elemente dafür, daß sie hier behaglich an seinem Herd, an seinem Feuer saß mit ihren nassen Kleidern, mit den geröteten Wangen und glänzenden Augen und zerzaustem Haar – Herrgott, das war eine unaussprechlich große Wonne! Und der unfaßbare, zarte, geheimnisvolle Duft, der die Luft in ihrer Nähe erfüllte, war nicht dazu angetan, sein Entzücken zu vermindern.

»Ich möchte wissen,« fragte sie mit einem schalkhaften Blick auf ihn, »ob Sie es sehr verübeln würden, wenn ich meinen Hut abnähme, denn er ist der reine Wasserbehälter, und das Wasser tropft mir anhaltend am Hals hinunter.«

Dies hatte gerade noch gefehlt, seinem Entzücken die Krone aufzusetzen! Sie nahm in seinem Haus ihren Hut ab!

»Aber, Durchlaucht, ich bitte!« erwiderte er feurig.

»Nimm den deinen auch ab, Emilia,« sagte die Duchessa.

»Ich habe den meinen schon beim Eintreten abgenommen,« verkündete der Priester. – »Bitte, die männliche Voraussicht zu bewundern!«

Es war köstlich, ihren Hut in der Hand halten zu dürfen – es war wie ein Teil ihrer selbst. Während er ihn aufhängte, drückte er ihn wiederholt an sein Gesicht, und der von ihm ausströmende Duft diente nicht dazu, seine Erregung zu beruhigen.

Dann brachte Marietta den Tee mit Brot und Butter nebst Toast und Cakes, wobei die kleinen blauen Porzellantassen und das Silbergeräte im Widerschein des Feuers funkelten.

»Wollen Durchlaucht nur die Ehre erweisen, den Tee einzugießen?« fragte Peter die Duchessa.

Sie schenkte den Tee ein und Peter reichte ihn herum. Und er stand ganz dicht neben ihr, um die gefüllten Tassen in Empfang zu nehmen – und sein Herz schlug – o, wie sein Herz schlug! Und einmal berührten ihre zarten Fingerspitzen seine Hand – welchen Eindruck dies auf ihn machte! Und immer lag ein süßer zarter Duft in der Luft wie eine leise, leise, geheimnisvolle Worte raunende Stimme.

»Ich wundere mich,« sagte der alte geistliche Herr, »daß wir Italiener nicht mehr Tee trinken. Ich selbst trinke nie welchen, ohne den Vorsatz zu fassen, diese Gewohnheit auch anzunehmen. Mir ist die Zeit noch ganz gut erinnerlich, wo ihn unsre Mütter als Arznei anwendeten und man ihn nur in der Apotheke kaufen konnte.«

»In Rom kommt er in die Mode – bei den ›Weißen‹,« sagte die Duchessa.

»Bei den ›Weißen‹!« rief er mit lustig geheuchelter Beunruhigung. »Das hätte ich eigentlich nicht hören dürfen, ehe ich meine Tasse ausgetrunken habe! So kann ich ja die Empfindung nicht mehr los werden, einen gemeinsamen Luxus zu treiben mit denen, die uns berauben!«

»Das sollte seinem Aroma noch eine gewisse Würze geben,« sagte sie lachend. »Übrigens kann man für diesen Luxus die ›Weißen‹ nicht allein verantwortlich machen – sie sind auch gar nicht so weiß, als unsre Phantasie sie uns malt. Sie könnten größtenteils ganz nett sein, wenn sie nur nicht so gewöhnlich wären.«

»Sollte jemand in dieser Weise für die ›Weißen‹ eintreten, wenn ich erst Papst bin, so werde ich ihn exkommunizieren,« drohte der Priester. »Übrigens möchte ich wissen, was gegen die ›Schwarzen‹ zu sagen wäre?«

»Die ›Schwarzen‹ sind mit geringer Ausnahme schwärzer, als sie gemalt werden, aber auch unter ihnen finden sich ganz nette Leute, wenn sie nur nicht so furchtbar anständig wären. Das ist es, was Rom als ständigen Aufenthalt für jedermann unmöglich macht, der auf menschliche Gesellschaft Wert legt. Die weiße Gesellschaft ist so gewöhnlich – die schwarze Gesellschaft ist so tödlich langweilig.«

»Es ist ein sonderbarer Zufall, daß das Oberhaupt jeder dieser beiden Parteien die Farbe der andern trägt. Unser Oberhaupt trägt sich Weiß und das der feindlichen Partei kann man tagtäglich in Schwarz durch die Straßen wandern sehen.«

Während dieses Geplauders konnten Peters Augen in Muße in Beatrices Anblick schwelgen.

»Vermutlich haben Sie noch nicht das Alter erreicht, wo dem Menschen eine gute Prise ein Hochgenuß ist?« fragte der Geistliche Peter, indem er eine hübsche silberne Tabaksdose hervorzog, die er aufklappte und Peter anbot.

»Im Gegenteil – sehr verbunden,« entgegnete Peter, nahm eine Prise und schnupfte wie ein Sachverständiger.

»Wo in aller Welt haben Sie gelernt zu schnupfen, ohne einen Krampfanfall zu bekommen?« rief die überraschte Duchessa.

»O, schon vor hundert Jahren, als ich noch im diplomatischen Dienst war,« erklärte er. »Das ist eines der nötigsten Erfordernisse.«

Emilia Manfredi schlug ihre großen braunen Augen auf und sagte mit kindlicher Verwunderung: »Wie merkwürdig!«

»Es ist nicht halb so merkwürdig, als es wäre, wenn es wahr wäre, meine Liebe,« bemerkte die Duchessa.

» Oh? Non è poi vero?« sagte Emilia leise und sah sehr enttäuscht aus. Mittlerweile betrachtete Peter die Dose und die schön getriebenen Blätter und Blumen, sowie das in den Deckel gravierte Wappen. Aber wie hätte er ahnen können, welche Rolle er bei Erwerbung dieser Schnupftabaksdose gespielt hatte, und welche Rolle sie bei der Entwicklung seiner eigenen Epopöe noch spielen sollte? Man merke zum zweiten Male auf die Prädestination!

»Der Sturm legt sich,« sagte der Priester.

»Pech!« dachte Peter.

In der Tat hatten sich Wind und Regen besänftigt, der Donner rollte nur noch in weiter Ferne und der Himmel hellte sich auf.

»Aber trotzdem liegt noch eine schwer zu lösende Aufgabe vor uns,« sagte die Duchessa. »Wie sollen wir nach Ventirose kommen? Auf den Straßen wird man bis an die Knöchel im Schmutz versinken!«

»Wenn Durchlaucht mir eine große Gunst erweisen wollen –« begann Peter.

»Ja –?« ermutigte sie ihn.

»So gestatten Sie mir, vorauszugehen und einen Wagen für Sie zu holen.«

»Ganz sicherlich werde ich nichts Derartiges erlauben,« erklärte die Duchessa streng. »Es ist wohl niemand da, den man schicken könnte?«

»Marietta möchte ich nicht gerne schicken, und ich fürchte, sonst wird niemand da sein. Aber, ich gebe Durchlaucht mein Wort, daß ich mit dem größten Vergnügen selbst gehen würde.«

Mit spöttischem Mitleid sah sie ihn an und schüttelte den Kopf.

» Würden Sie? Armer Mann! Armer Mann! Auf diesen Genuß werden Sie wohl verzichten müssen! Man darf nicht gar zu viel verlangen in diesem traurigen Leben.«

»Gut denn,« sagte Peter, »so weiß ich einen andern Ausweg. Werden die Herrschaften über eine etwas schmale Planke gehen können?«

»Ja –?« fragte die Duchessa.

»Ich getraue mir, eine Brücke über den Fluß zu improvisieren.«

»Ich glaube, der Regen hat ganz aufgehört,« sagte der Priester mit einem Blick nach dem Fenster.

Peter ermannte sich, das Unvermeidliche mit Fassung zu tragen, ging nach der Tür und streckte den Kopf hinaus.

»Ja,« gab er zu, so niedergeschlagen er auch innerlich war, »der Regen hat aufgehört.«

Und nun verschwanden auch die letzten Spuren des Sturmes so schnell, als dieser gekommen war. Im Norden war der Himmel schon wieder ganz hell und blau wie Lapis lazuli. Der dunkle Wolkenbaldachin trieb nach Süden. Plötzlich trat die Sonne hervor; ihre ersten Strahlen erglänzten auf den schneeigen Gipfeln des Monte Sfiorito und im nächsten Augenblick übergoß sie die ganze Gegend mit flüssigem Bernstein, während lichte Streifen von perlgrauem Duft ihr entgegen wallten; die ganze durchnäßte Welt erglühte wie in Gold gebadet.

Leichte Windstöße fuhren in die Küche und erfüllten sie mit dem kräftigen, scharfen Geruch nasser Erde. Der Priester, die Duchessa und Emilia traten zu Peter unter die offene Küchentür.

»Ach, Ihr armer, armer, armer Garten!« rief die Duchessa.

In der Tat hatte der Garten großen Schaden genommen. Die Blumen lagen geknickt, ihre Gesichter im Schmutz begraben. Der Rasen war mit abgerissenen Blättern und Zweigen bedeckt – ja, an einigen Stellen waren ganze Äste von den Bäumen gebrochen; zu Füßen jedes Rosenstrauches war die Erde mit einem Teppich roter Blütenblätter bedeckt; auf den Pfaden hatten sich überall Pfützen gebildet, die im Sonnenschein wie feurige Teiche glühten.

»Es ist nichts geschehen, was der Gärtner nicht wieder in Ordnung bringen könnte,« sagte Peter und dachte bei sich, das sei ein kleiner Preis für die Seligkeit, die er dem Sturm zu verdanken habe.

»Und unsre armen, armen Hüte!« rief die Duchessa, diese zerstörten Kunstwerke betrübt betrachtend. »Ich fürchte, die kann kein Gärtner mehr in Ordnung bringen.«

»Es klingt ungastlich,« bemerkte Peter, »aber ich glaube, es wird am besten sein, ich mache mich jetzt an den Bau Ihrer Brücke.«

So legte er denn erst die Leiter quer über den Fluß und dann auf diese die Planken, genau wie er es Gigi den Tag zuvor hatte tun sehen.

»Wie erfinderisch und – gleich allen großen Entdeckungen und Erfindungen, wie einfach!« rief die Duchessa lachend.

Peter winkte bescheiden das Lob ab, allein zu seiner Schande sei es gesagt, er gestand es nicht, daß er den Ruhm der Erfindung eigentlich nicht für sich in Anspruch nehmen durfte.

»Gute Nerven und etwas Mut gehören immerhin dazu,« meinte sie dann mit einem Blick auf die schmalen Planken und das schäumende grüne Wasser darunter. »Nichtsdestoweniger –«

Und ihre Röcke zusammenraffend, schritt sie mutig vorwärts und langte ohne Unfall am andern Ufer an. Der Priester und Emilia folgten hinter ihr drein.

Am andern Ufer blieb sie stehen und blickte lächelnd zurück.

»Da Sie ein so ausgezeichnetes Mittel entdeckt haben, den Weg zwischen unsern beiderseitigen Wohnstätten abzukürzen,« rief sie hinüber, »so hoffe ich, daß Sie die Gelegenheit auch bei jeder Gelegenheit benutzen – am Donnerstag zum Beispiel.«

»Danke tausendmal, Durchlaucht,« sagte Peter.

»Natürlich,« fuhr sie fort, »können wir alle noch den Tod haben von unserm Sturzbad, und es würde nur freundnachbarliche Teilnahme beweisen, wenn Sie sich morgen nach unserm Befinden erkundigen wollten. Kommen Sie um vier Uhr, und falls wir noch am Leben sind, sollen Sie – noch eine Prise kriegen,« versprach sie lachend.

»Ich bete dich an,« sagte Peter leise zu sich selbst. Laut aber erwiderte er: »Ich werde mit dem größten Vergnügen kommen.«

*

»Marietta,« bemerkte er abends beim Essen, »ich muß Euch die Mitteilung machen, daß der Aco überbrückt ist. Von nun an gibt es in der Lombardei ein Symbol weniger. Aber warum – verzeihet die Ollendorffsche Form meiner Frage – trägt der Kaplan der Duchessa rote Strümpfe?«

»Der Kaplan der Duchessa –?« wiederholte Marietta verwundert.

» Ang – der Duchessa di Santangiolo! Er trägt rote Strümpfe und Schuhe mit Silberschnallen. Meint Ihr, das sei besonders schön? Findet Ihr nicht, daß es ein bißchen weltlich und leichtfertig aussieht für einen geistlichen Herrn?«

»Er –? Wer –?« fragte Marietta noch einmal.

»Aber der Kaplan der Duchesse der heute nachmittag hier war!«

»Der Kaplan der Duchessa!« rief Marietta. »Hier! Heute nachmittag? Der Kaplan der Duchessa war nicht hier. Seine Eminenz Fürst-Kardinal Udeschini waren heute nachmittag hier!«

»Was?!« stammelte Peter,

» Ang,« machte Marietta.

»Das war Kardinal Udeschini – dieser harmlos aussehende kleine Herr mit dem sanften, lieben Gesicht?« fragte Peter verwundert.

» Sicuro – der Onkel des Duca,« versicherte sie.

»Guter Gott,« seufzte er. »Und ich bin so vertraulich mit ihm umgegangen wie mit einem Kneipkameraden!«

» Già –« sagte sie.

»Ihr braucht mir's nicht auch noch unter die Nase zu reiben! Ihr habt ihn ja selbst in Eurer Küche bewirtet,« bemerkte Peter.

» Scusi?« fragte sie.

»Nun – es wird ja so wohl am besten gewesen sein,« tröstete er sich; »denn vermutlich hätte ich mich nicht viel besser benommen, auch wenn ich es gewußt hätte.«

»Sein Kommen hat dies Haus vor dem Einschlagen gerettet,« verkündete Marietta.

»Oh –? Wieso?« rief Peter erstaunt.

»Ja, Signorino. Der Blitz schlägt nie und nimmer in ein Haus, in dem sich der Fürst-Kardinal befindet!«

»Ich verstehe – er würde es nicht wagen – er würde sich das nicht herausnehmen. Aber – aber hat er in all den Häusern eingeschlagen, in denen der Fürst-Kardinal nicht war?«

»Das glaube ich nicht, Signorino. Ma non fa niente. Es war ein furchtbarer Gewittersturm – furchtbar, ganz furchtbar. Der Blitz wollte eben in dies Haus einschlagen, als der Fürst-Kardinal ankam.«

»Hm,« machte Peter. »Dann haben wir beide, Ihr und ich, allen Grund, sein Kommen dem Walten der Vorsehung zuzuschreiben.«


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