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Dreizehntes Kapitel

Alle drei Hefte waren Versuche, ein regelrechtes Tagebuch zu führen. Sie begannen mit Eintragungen alltäglicher Vorkommnisse, die sachlich und einfach aufgezeichnet waren. Man hatte eine Gesellschaft besucht. Das Heft nannte die Namen der Anwesenden. Es war Geld eingegangen, Briefe waren angekommen, Gespräche mit einzelnen Personen waren kurz skizziert. Dann aber traten allmählich psychologische Betrachtungen in den Vordergrund, und schließlich – das wiederholte sich in allen drei Heften – war die Tagebuchform aufgegeben worden, und es folgte eine seitenlange Niederschrift, die wohl jedesmal in einer durchwachten Nacht zu Papier gebracht war. Diese Aufzeichnungen trugen die Überschrift »Wie es kommen muß!« Diese Überschrift war offenbar nachträglich zwischen die Zeilen und Abschnitte eingeklemmt worden.

Im ersten Heft beschäftigte sich Werneuchen mit der Möglichkeit, von Gerda ermordet zu werden. Man konnte es nicht anders nennen. Die Schlußausführungen hätten geradezu diese Überschrift tragen müssen. Kamp wußte freilich, daß sich Werneuchen mit dieser Möglichkeit lange herumgeschlagen hatte. Hier aber fand er seine Gedanken bis ins einzelne entwickelt, und hier sah er nun schwarz auf weiß, was er vor wenigen Stunden zu seiner Überraschung aus Elmas Munde vernommen hatte. Es war wunderbar, wie genau Elma Ernst Alexander durchschaut hatte, ohne doch offenbar gewisse Tatsachen zu kennen. Zugleich ging aus den Aufzeichnungen hervor, daß Werneuchens Befürchtungen nicht eine plötzlich aufsteigende und wieder zurücksinkende Idee gewesen waren, sondern daß sich der Gedanke, eines Tages von Gerda ermordet zu werden, in seine Seele gefressen und darin weitergebohrt hatte.

»Gerda mußte mich hassen von dem Augenblick an, da es ihr klar wurde, daß ich sie nie geliebt habe. Ich habe sie also um ihr Leben betrogen, denn Liebe ist nun einmal das Leben der Frau. Ich habe ihr tausendmal geschworen, daß ich sie liebte, und wußte doch immer, daß ich es nicht tat.

Wozu war dies denn? Liebte ich sie doch vielleicht einmal? Nein, ich liebte sie nicht, ich habe vielleicht nie einen Menschen geliebt. In mir war zuviel Unrast, ich wurde zu sehr vom Unglück verfolgt, als daß ich je einen Menschen lieben konnte. Dieses Unglück war schon lange da, ehe ich mein Vermögen verlor. Ich fühlte mich zum Beispiel unglücklich in meinem Beruf, ich hätte nie Offizier werden sollen. Meine Kameraden und Vorgesetzten liebten mich nicht. Nun ist es mir ja allmählich klar geworden, daß ich mit vielem recht hatte, was sie mir und meinem Wesen zum Vorwurf machten. Nicht ich war der Beschränkte, wie sie und ich lange dachten, sondern sie waren es. Aber dennoch, es wirkte in mir weiter, daß ich lange in einer Umgebung gewesen war, die mit falschem Maß rechnete und weder die Welt draußen noch mich richtig zu werten verstand.

Ich hatte Ehrgeiz, aber ich brachte es nicht einmal dazu, mich zum Kriegsakademieexamen überhaupt nur zu melden. Andere, die weit weniger konnten als ich, wurden kommandiert, ich nicht. Andere wurden Adjutanten, ich nicht. Weil ich nirgends besonders beliebt war.

Ohne den Krieg und ohne den Nimbus, mit dem er uns Offiziere zunächst umgab, hätte ich Gerda wahrscheinlich nie erringen können. Eigentlich war ich ein Hochstapler vor ihr, denn ich war ja gar nicht der Offizier, den sie in mir zu sehen glaubte. Ich war ein armseliger, vom Unglück verfolgter Mensch. Und wenn ich damals noch reich war, so wußte ich doch, oder wußte etwas in mir, daß dieses Vermögen eines Tages verloren sein würde, noch ehe ich so recht in seinen Genuß gekommen war.

Aber gerade daß Gerda in mir den tatkräftigen Offizier und großzügigen Menschen sah, zog mich an. Sie hatte von mir ein Bild, wie ich gern sein wollte, wie ich aber nicht war. Ich habe diese Rolle nur einige Wochen hindurch spielen können. Dann durchschaute sie mich. Dennoch ließ ich alles kommen wie es kam. Ich wollte eben der glückliche Mensch sein, als der ich ihr in der ersten Zeit erschienen war.

Nein, ich habe sie nicht geliebt, aber ich sehnte mich danach, jemanden zu lieben wie andere Menschen und glücklich zu sein, und deshalb habe ich mich immer wieder in das Schicksal anderer Menschen mit Gewalt eingekrallt. Ich hoffte, daß es mir eines Tages doch gelingen würde, und hätten nur Gerda oder die anderen Mädchen, die ich vor ihr an mich band, einige Zeit durchgehalten und Nachsicht mit mir gehabt, so wäre vielleicht doch ein anderer Mensch aus mir geworden. Freilich ist das keine Entschuldigung für mich. Denn in der Tat habe ich Gerda um ihr Leben betrogen, und sie mußte schließlich doch merken, daß der Wunsch, von ihr loszukommen, alles andere bei mir überwog.

Als unser ältester Junge geboren wurde, stand ich an ihrem Bett und sah, wie sie Schmerzen litt, und ich fragte mich, ob ich bereit wäre, diese Schmerzen für sie auf mich zu nehmen. Nein! klang es in mir. Lieber sollte sie hundertmal mehr gequält werden, als daß ich so litt!

Als Gerda dann das zweitemal der Mutterschaft entgegensah, habe ich im allertiefsten Grund in jedem Augenblick und auch bei der Entbindung immer gehofft, daß sie sterben würde.«

Hier mußte Kamp mit Lesen einhalten. Dieses Bekenntnis schien ihm grauenvoll Er hatte Werneuchen als den rücksichtsvollsten Menschen kennengelernt, der sich bei jeder Spinne oder Mücke überlegte, ob er sie wirklich töten dürfte, und es dann auf die schonendste Art tat. Dieser Mensch sollte immer auf den Tod seiner Frau gewartet haben? Und doch fühlte Kamp, daß das irgendwie die Wahrheit war.

Er las weiter.

»Gerda kann zu mir nicht anders gestanden haben als ich zu ihr. Wenigstens von dem Augenblick an, da wir erkennen mußten, daß wir uns gegenseitig nicht glücklich machen konnten. Sicher hat sie jeden Tag darauf gewartet, daß ich im Felde fallen würde. Von dem Augenblick an, da Eheleute merken, daß sie sich nicht lieben, muß Kampf auf Leben und Tod zwischen ihnen sein. Wir wünschten, wir mußten wünschen, voneinander befreit zu werden. Tod war der einfachste Weg dazu. Oder Scheidung? Scheidung ist nur eine symbolische Andeutung dafür, daß man den anderen Menschen gern austilgen möchte. Fast alle Menschen, die sich scheiden lassen, wünschen sich eigentlich gegenseitig den Tod. Sie haben nur nicht den Mut dazu. Was hindert sie daran? Die konventionelle Furcht vor einer solchen Tat und die Furcht vor der Strafe!

Aber diese Hemmungen können überwunden werden. Ich freilich brauche Gerda jetzt nicht mehr zu töten, denn das Gesetz gibt mir Mittel an die Hand, sie aus meinem Leben zu entfernen. Es ist eine alte Sache, daß man im Rahmen des Gesetzes rauben und töten kann. Sie hat sich gegen meine »Ehre« vergangen. Ich werde es beweisen, und sie wird schuldig gesprochen werden. Obwohl niemand anders an ihrem Vergehen die Schuld trägt als ich. Mir hilft in diesem Falle das Gesetz, sie verdammt es. Meine Schuld steht außerhalb des Gesetzes. Da sie mich mit den Mitteln des Gesetzes nicht tödlich treffen kann, muß sie zur Mordwaffe gegen mich greifen. Und zwar bald! Noch bevor unser Prozeß entschieden ist! Sie hat Angst vor ihrem Vater, der sie verstoßen würde, wenn er von ihrem Vergehen erführe. Ihr Vater ist reich. Wenn ich vor dem Urteil ermordet werde, steht sie makellos da. Ich bin tot, sie aber erbt einmal das große Vermögen ihres Vaters. Sie wird zögern und immer wieder zögern. Aber es bleibt ihr nichts anderes übrig. Vor dem letzten Gerichtstermin wird sie mich ermorden lassen. Ich habe Angst vor der Zeit, wenn der letzte Termin anberaumt sein wird. Es ist der Augenblick – –«

Hier schloß das erste Heft. Kamp zitterte vor Erregung. Er konnte die Seiten nicht zuschlagen, starrte eine lange Weile darauf, las noch einmal ganze Abschnitte. Unheimlich stieg diese Grabesstimme aus den Blättern auf. »Ich habe Angst vor der Zeit, wenn der letzte Termin anberaumt sein wird!« las er mit leiser Stimme noch einmal.

Werneuchen hatte recht behalten. Jener Brief des Rechtsanwalts am Tage nach seiner Abreise, das Eingeständnis Reuschhagens, alles traf mit dem Verschwinden Ernst Alexanders zusammen. »Es ist der Augenblick –.« Nur, Werneuchen hatte es noch nicht gewußt, daß der Augenblick gekommen war. Er hatte sich gefürchtet vor dem letzten Termin. Er hatte sich vorgestellt, daß er eine Vorladung zu diesem letzten Termin bekommen und dann, von da ab, sich in acht nehmen und mit Sicherungen umgeben würde. Von da ab! Jetzt noch nicht! Jetzt konnte er noch ruhig nach Regensburg fahren, brauchte noch keine Angst zu haben. Der letzte Termin war ja noch nicht bestimmt. Aber er war doch schon bestimmt, auch wenn er noch nicht angesetzt war. Der Umschwung war bereits eingetreten, der diesen letzten, den allerletzten und entscheidenden Termin, im Gefolge haben mußte. Reuschhagen hatte seine Aussage verweigert. Mit diesem Augenblick war der Prozeß für Gerda verloren. Es war »der Augenblick« gewesen!

Die widersprechendsten Gefühle und Gedanken stürmten auf den jungen Studenten ein. Er hatte die Beweise in der Hand, alles rundete sich zum vollständigen Bilde. Noch viel schlimmer, furchtbarer, gemeiner, als Elma es ahnte, war der Kampf zwischen diesen beiden Menschen gewesen. Ein unheimliches Ringen auf Leben und Tod. Jahrelang hatten es die beiden vielleicht nicht geahnt, daß es eines Tages so kommen mußte. Gingen vielleicht mit gleichgültigen Mienen aneinander vorbei, bis die Erkenntnis in ihnen aufstieg, daß sie sich eines Tages im schonungslosen, unbarmherzigen Kampf begegnen würden. Jedem von ihnen allein mußte diese Erkenntnis langsam gekommen sein, zuerst ungläubig zurückgewiesen, dann immer deutlicher und deutlicher. In Werneuchen die Erkenntnis, daß er Gerda durch den Prozeß bürgerlich vernichten müßte. In Gerda, daß sie ihn ermorden lassen würde.

Was hatte er, Kamp, dabei zu tun? Noch immer wußte er es nicht Er suchte die Schuld gleichmäßig zu verteilen, fragte nach dem ersten Beginn dieses Kampfes. Soviel er wußte, reichte das Verhältnis Gerdas zu Reuschhagen bereits in die Kriegszeit zurück. Werneuchen hatte erst spät, eigentlich erst vor einem halben Jahr davon erfahren. Aber irgendwie mußte er doch gefühlt haben, daß Gerda ihn hinterging. Vielleicht hatte sie, wenn sie wirklich Reuschhagen liebte, ihm den Tod gewünscht, und er hatte es dunkel gefühlt. Waren seine bösen Wünsche für sie also nicht nur Erwiderung, Vergeltung, Verteidigung? Aber er hatte sie von Anfang an durch die Lüge seiner Liebe betrogen. Er hatte sich ihr anders gegeben, als er war, nur weil er seines unglücklichen freudlosen Daseins überdrüssig war.

Wer konnte hier Richter sein? Vielleicht hatten sie alle beide furchtbar an sich gesündigt? Vielleicht trug nur die unglückselige Zeit alle Schuld?

Kamp saß lange in tiefem Nachdenken über dem Heft, ehe er es beiseite legte. Seine Gedanken gingen weiter. Welche Schlüsse ergaben sich aus diesen Aufzeichnungen für das Verschwinden Werneuchens? Er überprüfte noch einmal die Sachlage genau und von Grund aus. Konnte es nicht vielleicht doch immer noch ganz anders gewesen sein, als er sich jetzt vorstellte? Nein, nein! Alles zusammen gab ein lückenloses Bild. Er wiederholte noch einmal die Fakta: Gerdas Vater war reich, und sie hatte Angst vor ihm. Wenn der Prozeß ihre Schuld erwies, stand sie mittellos auf der Straße. Im anderen Falle, wenn es ihr gelang, schuldlos aus diesem Prozeß hervorzugehen, hatte sie sich und ihren Kindern Zukunft und Erbschaft gesichert. Sie hatte den Prozeß immer und immer wieder in die Länge gezogen. Nicht, um Werneuchen zu quälen, und nicht nur, um länger seine Versorgung zu genießen, wie man angenommen hatte, sondern weil sie vor dem furchtbaren Entschluß, ihn zu töten oder töten zu lassen, immer wieder zurückbebte. Nun aber ging es nicht länger. Reuschhagen hatte sie im Stich gelassen, der letzte Termin stand bevor. Sie mußte zur Tat schreiten, wenn sie nicht selbst verloren sein wollte.

Klar und richtig hatte Werneuchen es niedergeschrieben: »Vor dem letzten Termin muß sie mich ermorden oder ermorden lassen!« Da, in dem kleinen schwarzen Heft, stand es.

Er schlug noch einmal das Heft auf und las diesen Abschnitt mit halblauter Stimme. Dachte an das Zusammentreffen in der Lindwurmstraße und an das Auftauchen Benschs. »Wie es kommen muß!« stand über diesen Aufzeichnungen. Die Anzeichen sprachen deutlich. Was hatte Gerda in Regensburg gewollt? Was wollte sie in München? Weshalb tauchte gerade jetzt der Packer Bensch wieder auf? Die Zusammenhänge lagen klar. Wenn der Kommissar morgen früh Gerdas Briefe und dieses Heft las, war sie verloren.–

Das zweite Heft handelte von Bensch.

Werneuchen hatte hier zunächst seine Erlebnisse mit dem Kanonier Bensch aus seiner Junkerzeit niedergeschrieben. Fast wörtlich so, wie er es Elma und Kamp des öfteren erzählt hatte.

Nur einige Einzelheiten waren Kamp neu, an und für sich belanglose Kleinigkeiten. Einmal hatte der Kanonier ein Paar Stiefel, ein andermal ein Portemonnaie gestohlen. Der Wert war nicht groß. Aber oftmals hatte er ihm Dienstgegenstände wie Kinnketten, Geschützverschlüsse, Obergurte, Steigbügelriemen entwendet und ihn dadurch in die peinlichsten Lagen gebracht. Man konnte später vielleicht über die kleinen Nöte des damaligen Fahnenjunkers lächeln, diese Dinge waren für Werneuchen gleichwohl sehr wichtig gewesen, sie konnten von vornherein seine Laufbahn entscheiden und, was schlimmer war, ein Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins war ihm aus jenem Jahr für sein ganzes Leben zurückgeblieben.

Nach den Taten des Kanoniers Bensch berichtete das Heft von dem ersten Auftreten des Packers Bensch bei dem Umzug nach München, von seinen kaum verhüllten Erpressungsversuchen bei dem Einzug in die Villa, und dann von diesem unheimlichen Wiederauftauchen nach zwei oder drei Jahren. Alles das war Kamp freilich nicht neu. Er wußte auch längst, daß Ernst Alexander in diesem Bensch den Sendling der feindlichen Macht sah, die sein ganzes Leben beherrschte und belauerte. Einige der niedergeschriebenen Gedanken warfen aber doch neues Licht auf Werneuchens Einstellung.

»Man kann nie wissen, ob nicht für irgendeinen Menschen irgendein Grund vorhanden ist, jemanden aus dem Wege zu räumen. Du brauchst nicht einmal Zeuge einer Heimlichkeit zu sein, sondern es ist nur nötig, daß du dafür gehalten wirst. Das Wiederauftauchen Benschs zeigt mir, daß jemand ein Interesse daran hat, mich zu beobachten. Ich weiß nicht, wer und weshalb, irgendein Wille aber umgibt und umlauert mich ständig.

Vielleicht ist es nicht einmal Gerda, die mir nachstellt. Es gibt da so viele Möglichkeiten. Zum Beispiel: Ich besinne mich deutlich, wie ich an einem Tag im Spätherbst zum Fenster der Wannseebahn in Berlin hinaussah. Ich öffnete das Fenster. Es war schon dunkel. Der Zug war fast unbesetzt. Wie ich meinen Kopf aus dem Fenster bog, war ich von den Nebenabteilen im Licht des Zuges deutlich zu erkennen. Weiß ich, was in einem der benachbarten Wagen soeben vor sich gegangen war? Vielleicht ein Mord? Vielleicht hatte ein Liebhaber seinen Rivalen aus dem fahrenden Zug gestoßen? Auf einmal sieht der Täter mein Gesicht. Er muß damit rechnen, daß ich ihn bei seiner Tat beobachtet habe. Auf dem Bahnhof sucht er im Gewühl zu entkommen. Ohne es zu wissen, gehe ich hinter ihm her. Er bemerkt mich, er glaubt sich von mir verfolgt und wird nun selber mein unermüdlicher Verfolger. Tagelang, wochenlang verhalte ich mich untätig. Meine Passivität ängstigt ihn erst recht. Er nimmt an, daß ich vielleicht nur auf eine besondere Gelegenheit warte. Er kann es sich nicht anders erklären. Manchmal denkt er: er hat es vielleicht doch nicht gesehen! Dann wieder: er muß es gesehen haben! Diese Ungewißheit macht ihm das Leben zur Hölle. Schließlich wird er mich ermorden oder ermorden lassen. Immer gibt es einen Bensch, der das um ein geringes besorgt.

Vielleicht sollte Bensch mich schon das erstemal ermorden, und er hätte es getan, wenn ich in jener Nacht, wie ich zuerst gewollt, allein in der Villa geschlafen hätte. Vielleicht hatte er sogar Mitleid mit mir, als er mir selbst davon abriet? Dann sollte er mich ermorden, als er jetzt wieder auftauchte. Mich rettete der Koffer, der ihm augenblicklichen und größeren Gewinn bot. Bensch aber wird wieder auftauchen, wenn es an der Zeit ist!

Ich weiß nicht, weshalb ich ermordet werden soll. Vielleicht ist es Gerda, die sich von mir zu befreien wünscht? Vielleicht stehe ich bei irgend jemandem in dem Verdacht, daß ich etwas gesehen habe, was niemand sehen sollte? Vielleicht hat die Sache sogar mit Politik etwas zu tun, obwohl ich mich nie um Politik gekümmert habe?

Das schlimme ist, daß ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Aus jedem Gang, den ich tue, aus jedem Brief, den ich schreibe, kann mein unbekannter Aufpasser herauslesen, daß ich jetzt gegen ihn vorgehen will. Ich besuche den Pfarrer: der Unbekannte glaubt, daß ich meine Anzeige mit diesem besprechen wolle. Ich lasse auf der Polizei meinen Reisepaß erneuern: der Unbekannte glaubt, daß ich jetzt die Anzeige erstatten werde. Vielleicht gibt es irgend etwas: wenn ich das tue, so würde der Unbekannte daraus unzweifelhaft ersehen, daß ich nichts weiß. Aber ich ahne nicht, was es ist.

Ich weiß nichts! Ich will nichts anzeigen! Ich will nur Gutes für alle Menschen! Ich bin unschuldig! Laßt mich am Leben!«

So schloß das zweite Heft.

War das Wahnsinn? Doch Bensch war wiedergekommen, und Werneuchen war verschwunden! Hatte er nicht alles vorausgewittert?

Je weiter Kamp in diesem Heft las, desto mehr mußte er an Berdelow denken. Der Zusammenstoß zwischen Werneuchen und Herrn Berdelow war erfolgt, kurz ehe Bensch das zweitemal auftauchte. Werneuchen hatte seinen Freunden mehrfach versichert, nichts Unerlaubtes von Berdelow zu wissen. Was aber tat das, wenn Berdelow aus irgendeinem Grunde zu der Überzeugung gekommen war, daß Werneuchen dennoch um eine Verfehlung von ihm wußte? Vielleicht hatte er Werneuchens Drohung bei seiner Entlassung in diesem Sinne aufgefaßt? Damals hatte er ihn beobachten lassen, um ihn bei dem ersten verdächtigen Anzeichen aus dem Wege zu schaffen. Werneuchen aber schwieg, und Berdelow beruhigte sich wieder. Nun hörte er, daß eine Anzeige eingelaufen war. Er hörte Werneuchens Namen nennen. Seine Angst stieg. Werneuchen kam zu ihm, um ein gutes Zeugnis zu erbitten. Berdelow mußte diesen Besuch ganz anders auffassen. Jetzt beschloß er, Werneuchen zu beseitigen. Es war die höchste Zeit, den vermeintlichen Mitwisser loszuwerden. Damals gab er die Anzeige auf, weil er einen Posten zu besetzen hatte, und vielleicht auch, weil er sich durch die verlangte Kaution aus einer augenblicklichen Schwierigkeit heraushelfen wollte. Zufällig meldet sich auf dieses Inserat unter anderen Werneuchen. Jetzt reift in dem Fabrikanten der Plan, er setzt sich mit Bensch in Verbindung. Sie beschließen, Werneuchen mit Hilfe eines Stellenangebots in eine entlegene Gegend zu locken und dort umzubringen.

Konnte das alles sein? Weshalb nicht? Es blieb noch aufzuklären, woher die Verbindung zwischen Bensch und Berdelow stammte und wer jener Direktor Goldschmidt war, mit dem Werneuchen in Regensburg doch wohl richtig verhandelt haben mußte, ehe er seinen letzten Brief schrieb. Natürlich war es nicht so! Aber Kamp bemühte sich, sich auch in diese Möglichkeit hineinzudenken. Er wollte, daß der Kommissar sie als die wahrscheinlichste ansah und diesen Weg verfolgte. Vielleicht kam Leuthold gar nicht auf den Gedanken, daß Gerda die Schuldige sein konnte. Wenn man ihm die Spur Berdelows möglichst auffällig machte! Aber vielleicht war es doch Berdelow gewesen? Gerda oder Berdelow! Vielleicht war einer dem anderen zuvorgekommen?

Kamp nahm noch einmal das erste Heft zur Hand, das er bis jetzt nur flüchtig durchblättert hatte. In der Mitte fand er einige Seiten, die er bisher übersehen hatte. »Wie es auch kommen kann!« stand darüber geschrieben. Werneuchen warf hier die Frage auf, ob auch Elma ihn bald hassen würde. »Vielleicht ist sogar sie es, die mich einmal ermorden lassen wird«, stand da. Doch es fehlten die tatsächlichen Unterlagen, die in den anderen Heften mit so grausamer Genauigkeit ausgeführt waren. Es schien, als ob Werneuchen mit dem Schuldgefühl seines gebrochenen gehetzten Wesens Elmas aufkeimenden Haß gewittert hätte, ohne noch Näheres vermuten zu können. Vielleicht mußte er aber auch nur immer wieder vermuten, um der ständig in ihm lauernden Angst Nahrung zu geben. Offenbar war er dann bald selbst von der Sinnlosigkeit seiner Fragen überzeugt gewesen und hatte die Aufzeichnungen eingestellt.

Dennoch schlug diese dritte Möglichkeit dem Studenten plötzlich wie eine Sturzflut entgegen. Elma? Nein, es war Wahnsinn, zu denken, daß sie mit Werneuchens Verschwinden irgendwie in Beziehung stehen konnte. Jetzt! Aber wenn sie an Gerdas Stelle gewesen wäre? Wenn diese Eintragungen noch ein oder zwei Monate fortgesetzt worden wären? Ihn schauderte. »Wie es auch kommen kann!« stand über diesen Seiten. Es war anders gekommen, aber wer konnte wissen, wie es nach Monaten oder Jahren hätte kommen müssen!

»Elma!« rief er lauter, als er wollte, und klappte das Heft zu.

Gegen drei Stunden hatte Kamp gelesen. Die seltsamsten Empfindungen wogten in ihm durcheinander. Jetzt wußte er um die Geheimnisse Werneuchens. Er hatte keine Ahnung von Ernst Alexander gehabt. Die Worte Elmas hatten ihn völlig überrascht und erschüttert. Jetzt erst wußte er, wie sehr sie recht hatte.

Immer konnte er sich noch nicht entschließen, schlafen zu gehen, sondern saß lange, lange am Schreibtisch, immer wieder eines der Hefte vornehmend und einige Abschnitte nochmals lesend. Um ihn herrschte tiefe Stille. Das Licht der elektrischen Lampe zitterte unmerklich. Ihm war, als hätte er die ganzen Stunden hindurch mit diesem einsamen Licht Zwiesprache gehalten. Wie ein ferner Gruß von Werneuchen war es, über gestaute Wasser, über rauschende Turbinen, über Akkumulatoren und Transformatoren hindurch, an endlosen Drähten entlang. Kaum noch zu ahnen, ein ganz, ganz fernes Grüßen.

»Wie du auch gestorben sein magst, du ferner Freund, von welch furchtbarer Angst die letzten Minuten deines Lebens erfüllt waren, – jetzt hast du Ruhe. Jetzt martern dich nicht mehr die Angstgesichter, jetzt haben die Spannungen deiner verkrampften Seele sich gelöst. Ich weiß: im Krieg bist du ein Held gewesen. Tolle Taten hast du ausgeführt in Flandern und vor Douaumont. Dann war die Angst in dir immer mächtiger geworden, nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst vor dem Leben mit seinen furchtbaren Möglichkeiten. Du hattest in den Abgrund des Entsetzens gesehen, der uns Menschen stets verborgen bleiben sollte. Du warst zu vertraut geworden mit den dunklen Regungen, die auf dem Boden unseres Wesens lagern. Wir anderen merken sie kaum, du aber fühltest sie als Tatsächlichkeiten, und so stiegen sie auf und gewannen furchtbare Kräfte.

Nur weiß ich nicht, ob du so zerfasert, so zerspalten warst, weil dich Mord und Tücke seit Jahren umlauerten, oder ob du diese Gewalten erst aufriefst. Dieses letzte ist das tiefste Geheimnis, das auch du nicht mehr enträtseln konntest. Vielleicht belauerte deine Frau seit Jahren deinen Schlaf, Mordwillen im Auge, und deine schlechten Träume stammten daher. Vielleicht aber wecktest du auch erst die gefährlichen Instinkte durch deine Bereitschaft. Vielleicht wäre Bensch ein gewöhnlicher Packer gewesen, wenn er deine Angst nicht gewittert hätte. Ich weiß nicht, ich weiß nichts!

Kann ein furchtbares Ende, wie du es gehabt hast, mit Angst und Entsetzen aufs Leben zurückwirken, oder hat umgekehrt die Furcht vor einem bevorstehenden grausigen Ereignis einen solchen Einfluß auf die Dinge, daß sie eine Katastrophe gewissermaßen durch ihre bloße Bereitschaft herbeizurufen vermag?

Es muß ein furchtbarer Entschluß sein, einen Menschen zu ermorden. Und doch steht die Zahl der Morde, die jahraus, jahrein verübt werden, einigermaßen fest. Wie erklärt sich diese Gleichmäßigkeit? Vielleicht durch die regelmäßige Wiederkehr dieser seltenen und besonderen Voraussetzungen? Oder vielleicht senken sich von Zeit zu Zeit in regelmäßigen Abständen Angstzyklone auf unsere Erde nieder und wirken die furchtbaren Taten, zeugen vielleicht alle furchtbaren Ereignisse auf unserer Erde? Kommen vielleicht alle Kriege, alle Morde aus dieser Angst, die auf einmal da ist?

Allen Katastrophen, die die gewohnte und gewöhnliche Ordnung stören, fliegt immer ein Atem von Nervosität und Angst voraus. Aber wie ist es: Wittert die Herde den Wolf und drängt sich ängstlich zusammen, oder reißt erst diese Angst den blutgierigen Wolf in den Kreis? Noch einmal: ich weiß nicht, ich weiß nichts! Und wer auch Werneuchen ermordet haben mag, diese Frage wird niemals entscheiden werden: Kam es, weil du Angst hattest? Hattest du Angst, weil es kam?«

So hielt Kamp seine einsame Zwiesprache mit dem Licht und der Nacht. Es waren übernächtige Gedanken, die durch sein Hirn fluteten, er wußte es selbst. Und doch schien sich ihm eine Wahrheit zu entschleiern, der er im gewohnten Zustand niemals teilhaftig geworden wäre. Er fühlte, wie im Schicksal Werneuchens nur deutlich sichtbar wurde, was sonst im verborgenen wuchert: die Angst und das Mißtrauen, das Völker und Menschen gegeneinander hetzt. Es ist diese Angst, die uns alle Scheußlichkeiten, die wir von anderen erwarten, selber begehen läßt. Das steigert sich wie Induktionsströme gegeneinander. Wir möchten gut sein und wagen es nicht. Wir möchten einander lieben und fürchten, daß der andere das Mordbeil zückt. Vielleicht war das das Verhängnis Werneuchens und Gerdas gewesen. Und ist immer das Verhängnis aller Menschen und wird es ewig sein.

»Ich weiß nicht, ich weiß nichts!« –

Allmählich ließ die Spannung der seltsamen Lektüre nach. Die Bilder der Wirklichkeit drängten sich wieder hervor. Was war denn gewesen, ehe er die Hefte aufschlug? Ehe er Gerdas letzte Briefe las? Er sah sich mit Elma an der Elektrischen stehen, ihr die Hand reichen und ihr nachblicken, bis sie verschwunden war. Das war die Wirklichkeit. Was sollte er jetzt beginnen? Irgendein Entschluß wurde von ihm verlangt. Sofort spürte er wieder den dumpfen Haß gegen Werneuchen. Gerade deshalb, weil er tot war und die Lebenden sich quälen mußten. Ganz stark spürte er dieses Gefühl. Vielleicht war es wirklich so, wie es Elma gesagt hatte: daß Werneuchen noch in der letzten Sekunde seines Lebens im Triumph daran gedacht hatte, daß mit ihm nun auch sie vernichtet war? Vielleicht hatte er sogar an die Briefe in seinem Schreibtisch gedacht und gehofft, daß Gerda in den Verdacht des Mordes kommen würde?

Seltsam liefen die Gedanken in seinem Kopf gegeneinander. Er hatte Mitleid mit dem Freund, und doch schien ihm dessen wunschlose Todesruhe wie eine Niedertracht, ein schlechter Ausgleich gegen die Angst der Lebendigen. Er mußte an Elma denken. Schlief sie jetzt? Nein, sie würde nicht schlafen. Sie wälzte sich in marternden Gedanken auf dem Bett. Und Gerda?

Was würde sein, wenn der Kommissar morgen die Briefe und die Aufzeichnungen fand? Man mußte Gerda für die Schuldige halten. Man würde sie verhaften lassen! In aller Härte und Kälte suchte Kamp sich das klarzumachen. Gerda war schuldig! Hier lagen die Beweise.

Aber, wenn sie schuldig war, – dann hatte sie trotzdem, trotz allem recht getan! Elma hatte es gesagt! Und man mußte Gerda retten! Es war furchtbar, einen Menschen zu ermorden. Nur in einer solchen übernächtigen Stunde konnte man daran denken. Aber war die Tat nicht auch aus einer solchen Stunde erwachsen, wo die Dinge des Lebens seltsam weit waren und in unbestimmten Umrissen dastanden? War der Entschluß nicht auch einmal am Rand des Abgrunds gefaßt worden? Und was aus emporgepeitschten und überreizten Nerven hervorgegangen war, das sollte jetzt ins wache Bewußtsein und in die Wirklichkeit zurückschlagen? Nein, man mußte Gerda retten! Die Lebende gegen den Toten retten! Gerda und Elma verschmolzen ihm fast zu einem einzigen Wesen. Es war, als ob man Elma in Gerda retten müßte. Der Entschluß stand fest!

Kamp nahm die Briefe, legte das erste und dritte Heft beiseite. Allein das zweite Heft, das Heft des Packers Bensch sollte der Kommissar morgen finden. Wenn er dieses Heft mit den ungewissen Befürchtungen vor einem ewig lauernden Mörder morgen in der Schublade fand, – was mußte er schließen? Ein höhnisches Lächeln umspielte den Mund des Studenten. Der Kommissar würde hier die Bestätigung der Mitschuld Berdelows sehen. Alle Spuren wiesen auf ihn. Mochten sie! Und wer weiß, vielleicht war der Fabrikant wirklich der Schuldige? Dieser anmaßende Kerl in seinem verstaubten Haus! Mochte man ihn verhaften! Kamp wollte nicht gerade seine Verurteilung, aber die Rettung Gerdas wollte er auf alle Fälle. Dazu war es nur nötig, ihre beiden letzten Briefe und die zwei Hefte beiseite zu schaffen.

Mit kurzem Entschluß legte er das mittlere Heft in die Schublade zurück und schob sie zu. Wohin aber mit den anderen Sachen? Man konnte sie im Ofen verbrennen. Aber würde der Kommissar nicht die Öfen untersuchen? War es nicht überhaupt seltsam, daß er nicht sofort den Schreibtisch und die ganze Villa versiegelt hatte? Natürlich, er traute dem Freund des Ermordeten. Er glaubte, Kamps Interesse an der Überführung des Täters voraussetzen zu dürfen. Und er hatte damit recht gehabt, solange man auf der Polizeistube gewesen war. Nun aber war alles anders geworden.

Aber vielleicht ließ Leuthold ihn längst beobachten? Vielleicht stand draußen einer seiner Beamten und sah, wie er hinter den verschlossenen Läden die ganze Nacht Licht brannte? Man durfte nicht hinausgehen und die Schriftstücke etwa im Garten vergraben. Es konnte sein, daß ihn jemand dabei belauschte. Wenn er sie auf dem Boden versteckte? Aber morgen würde wahrscheinlich das ganze Haus durchsucht werden. Es gab nur eine Sicherheit: alles verbrennen, dann die Asche sammeln und in den Fluß werfen! Doch man mußte es von draußen sehen, wenn er Feuer machte. Und auch die Köchin konnte es bemerken und morgen aussagen!

Alle diese Möglichkeiten wurden bedacht und verworfen. Aber das Ausschlaggebende war: Kamp wollte die Schriftstücke gar nicht vernichten. Er wollte sie behalten! Um keinen Preis der Welt, nicht um vollkommene Sicherheit hätte er sie fortgegeben. Ihn lockte das Geheimnis, das er in Händen hielt. Der Gedanke, in diesen Heften über Gerdas Schicksal zu verfügen, überwältigte ihn.

Er ging in die ausgeräumte Wohnstube und schob Hefte und Briefe kurz entschlossen unter seine Kollegbücher. Dort mochte man sie suchen! Befriedigt kehrte er in das Arbeitszimmer zurück, öffnete die Läden und drehte das Licht ab. Als der Funke in den Drähten verglomm, war es ihm einen Augenblick lang, als nähme Werneuchen einen letzten Abschied von ihm, und merkwürdigerweise empfand er eine gewisse uneingestandene Genugtuung dabei. Er trauerte um ihn, aber dennoch würde er den Toten verraten und um seine Rache bringen. Ja, er hatte es schon getan, als er die Schriftstücke versteckte. Lebe wohl, Ernst Alexander Werneuchen! Du hast ausgelitten, aber Lebende sollen um deinetwegen nicht mehr leiden!

Draußen war es schon hell. In den Kastanien lärmten die Vögel. Im Osten stand der Himmel in Flammen. Er legte sich zur Ruhe.

Er war so müde, daß er trotz aller Erregung sofort einschlief. Auf einmal stand der Kommissar vor ihm und fragte im strengen Ton, ob er den Schreibtisch durchsucht hätte. Ein Beamter hinter ihm spielte mit Handfesseln. Er gab zu, die große Schublade geöffnet zu haben, bestritt aber, daß er etwas entwendet hätte. Der Kommissar verlangte mit eigentümlichem Lächeln sein Ehrenwort. Kamp gab es ohne Besinnen. Er hatte sogar das Gefühl, ein gutes Werk dabei zu tun. Dann ließ Leuthold ihm die Fesseln anlegen und hielt ihm die beiden unterschlagenen Hefte und Gerdas Briefe vor. Kamp zuckte mit den Achseln.

Später sah er sich am Schreibtisch sitzen. Werneuchen trat herein, er kam von der Reise zurück. Die Anstellung hatte er nicht bekommen. Man merkte ihm an, daß er furchtbar enttäuscht war. Er sprach aber wie gewöhnlich ganz sachlich und mit leiser Ironie über seinen Mißerfolg und machte sich dann an seinen Büchern zu schaffen. Es war unendlich rührend, wie er dastand, innerlich gebrochen und nach außen hin ganz beruhigt. Er sagte nur: »Das liegt so an der Zeit. Ich kann nichts dafür. Ich habe getan, was ich konnte. Und überhaupt kein Mensch kann etwas dafür.« In diesem Augenblick liebte ihn Kamp wie nur je. Er wußte doch, daß Werneuchen ermordet war, und weinte laut auf.

Darüber erwachte er. Es war schon spät. Er mußte sich ankleiden.


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