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Achtes Kapitel

Kurz bevor ihre Eltern vom Nachmittagsschlaf aufstanden, schlich Elma aus der Wohnung heraus. Sie hielt es nicht mehr aus, in der furchtbaren Spannung, in der sie sich befand, die Gleichgültige zu spielen.

Ihr Vater hatte, wie immer, nichts an ihr bemerkt, aber ihre Mutter hatte sie bei Tisch zweimal mit Blicken gestreift, die sie kannte. Sie hatte sich bemüht, ruhig zu sein, und vielleicht nur deswegen hatte sie am Telephon zu Otmar Kamp eine vielleicht allzu gleichgültige Auffassung über Werneuchens Schicksal gezeigt. Im Grunde war sie nichts weniger als beruhigt, aber sie hatte Angst vor dem Augenblick, wo Rechtsanwalt und Polizei benachrichtigt wurden. Bis dahin konnte man die Augen zumachen und vor sich selber fast so tun, als wenn nichts geschehen war. Aber dann begann der Mechanismus die Katastrophe aufzurollen und durchzuwalken. Erst dann wurde alles furchtbare Wirklichkeit, und davor entsetzte sie sich. Ihr war, als müsse sie diesen Augenblick mit allen Kräften hinausschieben.

Wenn sie ganz ehrlich vor sich selber war, hatte sie eigentlich keinen Zweifel, daß Werneuchen nicht mehr unter den Lebenden weilte. Er war tot, er war ermordet. Immerhin – dieses Gefühl hatte sie – könnte auf einmal ein Brief von ihm kommen, und alles löste sich wie ein Alpdruck nach dem Emporschrecken auf. Man hatte von Ermordungen gelesen und wußte, daß sich solche Dinge tatsächlich in der Welt zutrugen. Aber daß einem selbst so etwas zustieß, das war unglaublich, traumhaft, unwirklich. Es war kaum auszudenken in seiner Furchtbarkeit Und so war es vielleicht wirklich nur ein Traum, aus dem es ein plötzliches und unwahrscheinliches Erwachen gab. Aber sie wußte genau, daß diesmal hinter dem Traumhaften die Wirklichkeit stand. Sie hatte es begriffen, seit ihr der Packer Bensch eingefallen war. Es war das drittemal, daß Bensch auftauchte. Das drittemal, nach den Warnungen seines zweimaligen Kommens, mußte es etwas zu bedeuten haben: den Tod.

Was sie von diesem ganzen Vorgang fassen konnte, war noch lange nicht alles. Wie eine zermalmende Kugel rollte es auf sie zu. Aber ganz empfinden würde sie es erst, wenn es sich in einzelnes auflöste und sie Stück für Stück des Entsetzlichen in die Hand nehmen und beschauen würde. Über diese Dinge war sie sich vollständig klar. Sie wußte, daß die nächsten Tage ihr kaum Erträgliches aufbürden würden, auch wenn sie jetzt das Unerträgliche nicht fühlte, obwohl es eigentlich schon da war.

Aber etwas hatte sie bereits begriffen, und es füllte sie so völlig mit ungeheurem Weh und einer brennenden Scham aus, daß fast nichts anderes in ihr Raum hatte: daß sie den Mörder gesehen und gesprochen und ihm sogar noch die Hand gereicht hatte, ohne daß ein Gedanke oder die Ahnung einer Vermutung von ihm in ihr Gehirn geschlagen war. Sie hatte neben ihm gestanden, sie hatte die Hand gefaßt, die vielleicht, nein, sicher! Ernst Alexander umgebracht hatte, und sie hatte nichts gewußt. Und dennoch, schon damals – jetzt wußte sie es ganz bestimmt – hatte sie es tief im Gefühl gehabt, so tief freilich, daß es gerade noch unbemerkt dicht unter der Schwelle ihres Bewußtseins lag. Und aus diesem Gefühl heraus war ihr dann plötzlich die Erkenntnis gekommen, daß der Unheimliche niemand anders sein konnte als jener grauenhafte Packer. Mit einemmal war ihr alles klar geworden, und im nächsten Augenblick stand sie am Telephon, um es Kamp zu sagen. Weil sie dieses Allerfurchtbarste nie geglaubt hätte, wenn sie es nicht von der eigenen Stimme ausgesprochen hörte.

Sie wußte nicht, was geschehen sollte. In den nächsten Stunden oder am nächsten Tage würde alles losrollen – das wußte sie – mit Verhandlungen, Polizisten, Untersuchungen. Und sie würde dabeisitzen und immer nur das eine denken, daß sie den Mörder gesehen hatte, nur einen Tag nach seiner ruchlosen Tat.

Sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte. Sie schlenderte durch die Augustenstraße. Dann fiel ihr ein, daß sie vielleicht Kamp in der Bibliothek aufsuchen konnte. Gewiß arbeitete er dort. Sie stand vor den Anschlägen der Universität, um herauszubekommen, ob er eine Vorlesung hatte. Sie ging in den Lesesaal. Nirgends sah sie ihn. Eigentlich dachte sie auch gar nicht daran, ihn zu finden. Sie wollte nur vor sich selber so tun, als ob ihr Gang durch die Stadt einen Sinn hatte. In Wirklichkeit hatte sie sogar Angst davor, Kamp zu treffen. Sie erwartete von ihm Vorwürfe, daß sie den Mörder ihres Verlobten in dem unheimlichen Menschen nicht gewittert hatte. Nicht einmal nur Vorwürfe, sondern Verachtung, eine wegwerfende Verachtung, die sie vernichten mußte. Dennoch rief sie bei ihm an. Er war in die Stadt gefahren. Die alte Auguste wußte nicht, wohin. Vielleicht hatte er schon den Rechtsanwalt aufgesucht. Oder er hatte, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Polizei alarmiert. Eigentlich mußte er das tun. Sie hätte es gar nicht von ihm verstanden, wenn er es nicht getan hätte. Obwohl sie selbst noch eben dagegen gewesen war.

Sie setzte sich in das Café, wo Otmar Kamp ihr Werneuchens letzten Brief vorgelesen hatte. Sie wartete sogar eine Viertelstunde, bis der Platz, wo sie damals gesessen hatten, frei wurde und sie sich auf denselben Stuhl setzen konnte. Dort saß sie lange und versuchte sich einzubilden, daß es damals war. Aus Spielerei, und als ob sie die Zeit dazwischen auslöschen könnte. Damals hatte sie noch mit keiner Silbe an das Furchtbare gedacht. Sie sehnte sich nach diesem Vormittag zurück, obwohl sie doch damals schon unglücklich und fast verzweifelt gewesen war. Aber es war doch eine andere und viel müdere Form des Unglücklichseins gewesen! Sie sehnte sich danach, wieder nur so unglücklich zu sein, wie sie damals gewesen war.

Unterdessen betrachtete sie sich im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Sie sah fast noch genau so aus wie damals. Was war das Leben denn eigentlich, wenn sie jetzt noch so aussah wie an jenem Vormittag? War sie dann nicht auch noch dieselbe Person? Konnte sie nicht einfach aufstehen und hinausgehen, und alles war nicht gewesen? Lächerlich! Aber es gelang ihr, sich für lange Zeit ganz gefühllos zu machen. Sie brauchte sich nur einige Zeit im Spiegel zu betrachten. Dort saß Elma Diepenbroich, eine hübsche junge Dame der besten Gesellschaft. Sie hatte dunkles Haar und wunderhübsche blaue Augen. Und sie hatte ein neues Frühjahrskostüm an. Einige Jünglinge sahen interessiert nach ihr hin. Das war immer so. Man beneidete sie. Dann zahlte sie und ging hinaus, noch immer ganz mit sich beschäftigt, alles andere von sich forthaltend. Es ließ sich gewiß noch eine ganze Weile fortführen.

Sie ging über den Karlsplatz. Gewissermaßen ging sie selber neben sich und beobachtete sich, wie sie über den Karlsplatz ging. Sie sah auch alle Menschen, die dort vorübereilten. Sie sah einen Schutzmann an der Ecke zur Sonnenstraße stehen. Genau so einen, wie der, der dabeigestanden hatte, als sie mit dem Mörder ihres Verlobten sprach. Auf einmal sah sie Bensch. Er ging ziemlich langsam über den Platz und bog neben dem Schutzmann in die Sonnenstraße ein. In diesem Augenblick wachte sie auf, oder vielmehr, sie teilte sich in zwei Hälften. Die eine Hälfte spannte sich, dachte angestrengt nach, faßte Entschlüsse. Die andere Hälfte sah dem allen neugierig zu.

Sie trat ruhig, als ob sie eine Auskunft haben wollte, auf den Schutzmann zu und bat ihn, jede verdächtige Bewegung zu unterlassen. Der Mann sah sie erstaunt an. Sie bezeichnete ihm den Herrn im grauen Anzug, der dort eben hinter einem Radfahrer den Bürgersteig erreicht hatte.

»Bitte bleiben Sie ganz ruhig und sehen Sie nicht auffällig nach ihm hin! Dieser Mann ist ein Raubmörder! Ich flehe Sie an, mir zu glauben! Ich bin die Tochter des Professors Diepenbroich aus der Agnesstraße. Ich gehe jetzt hinter dem Manne her und behalte ihn im Auge. Bitte schicken Sie mir Hilfe!«

Dann ging sie langsam weiter, um Bensch nicht aus dem Auge zu verlieren. Daß er sie bemerkt hatte, hielt sie für ausgeschlossen. Nur wußte sie nicht, ob der Sipomann ihr glauben oder sie für wahnsinnig halten würde. Außerdem wußte sie nicht, ob der Mann seinen Posten verlassen durfte und konnte sich überhaupt nicht vorstellen, was er nun machen würde.

Inzwischen war sie Bensch auf die andere Seite der Sonnenstraße gefolgt. Auf einmal fiel ihr ein, daß sie zu dem Schutzmann das Wort »Raubmörder« gebraucht hatte. Es war ihr ganz unwillkürlich über die Lippen gesprungen. Sie hätte auch kaum etwas anderes sagen können, um seine Teilnahme auf die höchste Spitze zu treiben. Aber daß sie dieses furchtbare Wort, das für sie selbst soviel in sich faßte, nun wirklich zum erstenmal gebraucht hatte, erregte sie bis ins Innerste. Daneben aber verfolgte sie ganz kaltblütig ihre Spur. Sie selbst wunderte sich über dieses nahe Nebeneinander der starken Spannung und der klaren Überlegung.

Bensch war inzwischen die Sonnenstraße entlang gegangen und überquerte den Sendlinger Torplatz. Sie kamen an verschiedenen Polizisten vorüber, und jedesmal überlegte sie sich, ob sie nicht auch noch diese alarmieren sollte. Aber sie hatte Furcht, einen anzusprechen. Vielleicht merkte der Verfolgte es. Vielleicht hatte er sie überhaupt schon gesehen. Mit aller Kraft ihrer Seele wartete sie auf Hilfe vom Karlsplatz. Der Sipomann mußte doch irgend etwas veranlassen!

Benschs Verhalten war ganz merkwürdig. Manchmal blieb er stehen und starrte lange in eine Schaufensterauslage. Dann ging er beschleunigt weiter. Sie kam schließlich auf den Gedanken, daß er selbst jemanden verfolge, und mußte denken, ob er nicht auch ihnen auf die ganz gleiche Weise nachgeschlichen war, als sie vom Promenadenplatz zum Elisabethplatz gingen. Jetzt bog Bensch in die Lindwurmstraße ein. Als sie noch immer niemanden hinter sich bemerkte, drohte sie fast zusammenzubrechen. Der Sipomann auf dem Karlsplatz hatte ihr wohl nicht geglaubt oder seinen Posten nicht verlassen dürfen. Mit aller Kraft zwang sie sich weiterzugehen. Und wenn sie sich selbst auf Bensch stürzen müßte, sie wollte seiner habhaft werden!

Auf einmal ging ein Herr neben ihr. Sie wußte sofort, daß er ihr zu Hilfe kam. Es war ein gut aussehender Herr in blauem Anzug, mit einem blonden Schnurrbart auf der Oberlippe.

»Der Mann dort an der Laterne ist der Bewußte, nicht wahr?«

»Ja!« sagte sie tonlos und hastete weiter. Sie konnte das Gefühl, das sie überkam, nicht in Worte fassen. Der Herr stellte sich ihr, neben ihr herschreitend, als Polizeikommissar Leuthold vor. Er wäre zufällig auf der Wache am Stachus gewesen, als die Meldung des Wachtmeisters eintraf, und hätte sich sofort mit zwei Kriminalbeamten in Zivil aufgemacht. Er beobachtete sie bereits seit dem Sendlinger Torplatz.

Der eine der beiden Wachtmeister ging auf der anderen Seite der Straße, der andere fuhr als Radfahrer etwa fünfzig Schritt vor dem Verfolger her. Von Zeit zu Zeit stieg er ab, befühlte seine Pneumatiks und schüttelte den Kopf, ganz wie ein Radler, dem die Luft ausgeht und der noch eine weite Tour vor sich hat.

»Wie ungeschickt!« zischelte Kommissar Leuthold durch die Zähne, als der Radfahrer immer wieder abstieg. Bei aller Aufregung bemerkte Elma, daß er ihr imponieren wollte und mußte lächeln.

»Wissen Sie, gnädiges Fräulein, es ist bei dieser Expedition alles ein bißchen improvisiert. Da ist nichts zu machen. Wenn der Kerl da vorn vom Bau ist, weiß er jetzt, daß wir hinter ihm her sind. Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt etwas viel zu Ihnen spreche. Aber es ist natürlich, wenn wir ordentlich ins Gespräch verwickelt scheinen.«

Elma wunderte sich, daß man Bensch nicht einfach festnahm. »Los, los!« rief sie in höchster Aufregung. »Weshalb verhaften Sie ihn nicht?«

Der Kommissar aber wollte ihn noch beobachten. »Wer weiß, was wir noch alles entdecken!«

Auf einmal ging Bensch auf den Eingang eines kleinen Cafés zu, steckte sich eine Zigarette an und drehte sich dabei, wie um die Windrichtung für das Zündholz zu prüfen, halb nach rückwärts um, ehe er hineinging. Elma trat mit einem unbewußten Schritt halb hinter den Rücken des Kommissars, der ein bedenkliches Gesicht machte. Sie erschrak.

»Hat er uns jetzt gesehen? Weshalb wird er nicht endlich verhaftet?«

Sie hatte die Empfindung, daß ihr Leben von dieser Jagd abhing. Leuthold beruhigte sie. Es wäre kaum möglich, daß er sie bemerkt hätte. »Und wenn auch. Er ist in der Falle. Ich kenne dieses Lokal. Es hat keinen Ausgang nach hinten, außer durch die Küche. Wir haben ihn!«

Der Radfahrer vor ihnen stieg ab, lehnte das Rad an die Wand und begann anscheinend seinen entzweigegangenen Schlauch auszubessern. Es sah so natürlich aus, daß Elma wiederum zweifelte, ob dieser Mann wirklich zu ihnen gehörte. Aber auch das konnte sie nicht beruhigen.

»Worauf warten Sie denn eigentlich noch? Um Gottes willen, verhaften Sie ihn schnell!«

Der Kommissar aber war dafür, erst einzugreifen, wenn Bensch das Café wieder verließ. Auch wenn es Stunden dauern sollte. Wahrscheinlich hätte dieser Bensch, oder wie er hieß, in dem Lokal eine Verabredung. Man könnte vielleicht gleich Helfershelfer mit verhaften, wenn man wartete. Dann käme es auch in einem solchen Falle darauf an, die einzelnen Komplizen möglichst getrennt voneinander dingfest zu machen. Man arbeitete so am besten dem Untersuchungsrichter in die Hände.

»Ja, mein gnädiges Fräulein, so einfach ist der Beruf des Kriminalisten nicht!«

»Und wenn sie alle zusammen herauskommen?« fragte Elma drängend. Der Mann brachte sie mit seiner vorsichtigen Taktik zur Verzweiflung.

»Das tun sie nicht. Diese Leute kommen immer einzeln und unauffällig heraus.«

»Und wenn diese Komplizen, oder wie Sie sagen, zuerst herauskommen und wir sie nicht erkennen?«

»Wenn etwas Verdächtiges herauskommt, packen wir schon zu. Nun, wir werden ja sehen. Verlassen Sie sich nur ganz auf uns alte erfahrene Kriminalisten.«

Der eine Wachtmeister kam über die Straße herüber und empfahl, daß jemand in das Lokal hineingehen und erkunden sollte, mit wem der Mann dort drinnen zusammensitze. Leider wäre die Sache gewagt. »Wenn es ein schwerer Junge ist, kennt er uns alle drei.«

Der Kommissar war dafür, zunächst einmal abzuwarten. Auch der Radfahrer kam heran und wurde Elma als Wachtmeister Neumann vorgestellt. Er machte einen stillen, fast einfältigen Eindruck.

»Ich kenne das Lokal nicht«, sagte er leise. »Hat es wirklich keinen Hinterausgang?«

»Verlassen Sie sich darauf!« entgegnete der Kommissar. »Aus diesem Lokal kommt keine Katze heraus.«

Der Wachtmeister zuckte die Achseln.

Sie richteten sich auf langes Warten ein. Es konnte zwei, auch drei Stunden dauern. Sie postierten sich in den Toreingängen der benachbarten Häuser. Elma stand mit dem Kommissar zusammen. Sie erzählte ihm in Kürze, worum es sich handelte.

»Das sind sehr ungewisse Vermutungen, gnädiges Fräulein, und wenn Sie mir das alles erzählt hätten, würde ich deswegen kein solches Aufgebot in Bewegung gesetzt haben. Aber etwas überzeugt mich in der Tat davon, daß wir es hier mit einem Verbrecher zu tun haben: das Aussehen und der Gang dieses Mannes. Ein Verbrecher scheint er mir zu sein. Ob er tatsächlich ein Verbrechen begangen hat, darüber wage ich jetzt noch nichts zu sagen.«

Elma wollte nach Hause telephonieren und nochmals versuchen, Kamp zu erreichen.

»Das können Sie ruhig tun«, meinte Leuthold. »Da der Mann nicht sofort wieder herausgekommen ist, wird er wohl noch einige Zeit drin bleiben. Vielleicht hat er dort wichtige Konferenzen.«

Elma ging in den nächsten Laden und teilte zu Hause mit, daß sie bei einer Freundin wäre und wohl erst spät wiederkommen würde. Dann rief sie bei Kamp an. Otmar war noch nicht nach Hause gekommen und hatte auch nicht aus der Stadt angerufen.

»Dann wird er es wahrscheinlich sehr bald tun. Liebe Auguste, bestellen Sie ihm doch, daß er in die Lindwurmstraße kommen und vor dem Hause Nr. ... unauffällig auf und ab gehen soll.«

Auguste notierte sich die Bestellung, und knapp zehn Minuten später raste Kamp herbei.

Als sein Auto in die Lindwurmstraße einbog, prüfte er die Hausnummern, sah, daß die angegebene Stelle noch ziemlich weit sein mußte, und ließ den Wagen noch einige hundert Meter laufen. Dann stieg er aus und schlenderte unauffällig, wie man es von ihm verlangt hatte, eine Zigarette rauchend und mit dem Stock schlenkernd, dahin. Er kam an dem bestimmten Haus vorüber, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Nicht einmal ein Polizist war zu sehen, wie er es mit Bestimmtheit angenommen hatte. Vielleicht hatte man ihn doch zum Narren gehalten. Vielleicht saß Bensch oder Berdelow oder weiß der Himmel wer hinter einem dieser unzähligen Fenster und lachte ihn aus.

Er hatte das Gefühl, daß er heute verurteilt war, aus den Armeleutegegenden nicht mehr herauszukommen. Besonders an dieser Stelle war die Straße ärmlich und häßlich. Zwischen dürftigen Häuschen standen zerfallene Mietskasernen. In den Erdgeschossen lagen kleine Läden. In einem Hause gab es sogar eine Art Café und Restaurant. Dieses Lokal machte nicht einmal einen allzu üblen Eindruck. Vielleicht hielt sich Elma in diesem Lokal auf, dachte er, aber er ging doch nicht hinein, um nichts zu verderben.

Er machte gerade kehrt und wollte ein Stück zurückgehen, als er sich von Elma angerufen hörte. Er sah sie mit dem Kommissar im Toreingang des Nachbarhauses stehen. Mit wenigen Worten war er im Bilde.

»Bitte, sagen Sie den Herren, daß man ihn sofort verhaften muß!« flehte sie Kamp an. »Weshalb hat man ihn nicht sofort festgenommen!« Sie kam von dem Gedanken nicht los, daß Bensch trotz aller Versicherungen Leutholds bereits entschlüpft war.

Leuthold war noch immer nicht für ein offenes Eindringen in das Lokal mit gewaltmäßiger Verhaftung. Aber vielleicht konnte man etwas anderes tun. Er winkte die beiden Wachtmeister herbei.

Nach kurzer Beratung wurde beschlossen, daß Kamp in das Café hineingehen sollte.

»Wenn dieser Bensch dort eine Verabredung hat, wie zu vermuten ist, müssen seine Komplizen längst drin gewesen sein. Er muß also mit ihnen zusammensitzen. Gehen Sie nur hinein, Herr Kamp. Es schadet auch nichts, wenn der Bensch Sie erkennen sollte. Reden Sie ihn ruhig mit Erkner an und drücken Sie Ihre Verwunderung aus, daß er noch immer in München ist. Damit Ihnen nichts passiert, stelle ich Ihnen zur Sicherheit Herrn Neumann vor die Tür.«

Kamp war sofort damit einverstanden. Gleichwohl schlug ihm das Herz bis zum Hals, nicht aus Angst, sondern vor Aufregung. Er klinkte die Tür auf und trat ein.

Im vorderen Raum, wo ein Büfett mit Kuchen und Schnäpsen aufgebaut war, saß nur ein Liebespaar. Er sah sie flüchtig an und ging mit raschen Schritten zum hinteren Zimmer. Durch die Glastüre sah er einige Gestalten sitzen. Er trat ein, aber fast wäre er mit einem Aufschrei zurückgeprallt. Bensch war nicht in dem Raum, dafür aber saßen an einem Tischchen in der Ecke als einzige Gäste – Frau Gerda und der Musiker Reuschhagen.

Gerda stieß einen leichten Schrei aus, als sie ihn erblickte. Reuschhagen drehte sich erschrocken um.

»Ach Sie sind's«, sagte er. »Ich dachte schon, Werneuchen wäre da.«


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