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Fünfzehntes Kapitel.
Ewans Lüge

Es währte nicht allzu lange, bis Dan die Miene der Zerknirschung ablegte. Sobald Ewans bleiches Gesicht den vollen Schmerz seiner Trauer nicht mehr zum Ausdruck brachte, kannte Dans Lockenhaupt keine Sorgen mehr. Er fuhr während der ganzen Monate zum Heringsfang hinaus, ließ sich von der Sonne und der Salzluft braun brennen und gab mit seiner fröhlichen Stimme das Lachen der See wieder. Er eignete sich verschiedene schlimme Gewohnheiten an, von denen er sich früher ferngehalten hatte. Jeden Morgen, nachdem die Boote in den Hafen eingelaufen und Tere, der Steuermann und Crennel, der Koch, zurückgeblieben waren, um die Fische zu verkaufen, wandten Dan und der alte Billy Quillasch zusammen ihre Schritte den »Drei Beinen von Man« zu. Es wurde dort viel aus Dan gemacht, und des Burschen Seele war der armseligen Schmeichelei nicht unzugänglich. Es hieß Herr Dan hier und Herr Dan dort, und wo ist Herr Dan? und was sagt Herr Dan dazu? und es herrschte eitel Lust und Freudigkeit; und mittlerweile kreidete der schnurrbärtige alte Fuchs, das Weib, das die Schenke hielt, die ganze Rechnung auf Dans Namen auf der Innenseite ihres Schrankes an.

Wußte der Bischof hiervon? Wußte er? Ist je ein junger Geselle wohl vor die Hunde gegangen, ohne daß irgend eine alte Klatschbase des einen oder andern Geschlechts sich gefunden hätte, die Hiobspost in das eine Ohr, das gerade davon verschont bleiben sollte, zu flüstern und zu sagen: »Ach ja! ach ja!« und »Wehe, wehe!« und »Ich bin gewiß der letzte, der schlimme Nachrichten, wie man zu sagen pflegt, bringen mag,« und »Ach, ist jammerschade um so einen feinen, braven jungen Burschen wie er ist!« und »Um nichts in der Welt würde ich es jemand anderem wiedererzählt haben!«

Der Bischof sagte wenig und versuchte, sein Ohr zu verschließen; sobald Dan ihm jedoch ein X für ein U zu machen gedachte, durchschaute er seine Absicht sonnenklar. Dan empfand in seines Vaters Gegenwart stets ein Gefühl der Scham, das schwerer zu ertragen war als jeder Vorwurf. Des Bischofs Schweigen sprach von einer Langmut, einem Vertrauen, stark in der Hoffnung, aber noch stärker in der Liebe, dem selbst der zurückhaltende Dan sich nicht verschließen konnte. Mit der Miene eines geprügelten Hundes oder vielleicht mit einem leisen Fluch auf den Lippen, stets aber mit der festen Absicht, sich selbst oder seine Gefährten ohne Verzug in die See zu stürzen, schlich er von dannen. Dies tragische Vorhaben dauerte gewöhnlich nicht länger als die kurzen anderthalb Meilen, die Bischofs-Hof von den »Drei Beinen von Man« trennten, und dann wurde es mit etwaigen andern Sorgen in einem vollen Maße von Manx Jough ersäuft.

Unter allen Leuten war der Deemster der erste, der den Bischof von Dans traurigen Streichen in Kenntnis setzte. Seit dem Tode von Ewans Frau hatten des Deemsters Gefühle für Dan eine vollständige Veränderung erlitten. Von jenem Augenblick an sah er Dan mit einem in seiner Tiefe an Haß grenzenden Mißtrauen an. Er verbot ihm sein Haus, wenn auch Dan über dies Verbot lachte und es unbeachtet ließ. Er ging zum ersten Male seit zehn Jahren wieder nach Bischofs-Hof hinüber und ergoß jeden losen Streich, an dem Dan beteiligt war, in das Ohr des Bischofs, und Dan gab ihm nach dieser Richtung hin reichlich Gelegenheit, und Bischofs-Hof sah den Deemster in öfteren Zwischenpausen.

Wenn es für den Bischof, als Vater der Kirche, schon beschämend war, seinen Sohn mit all dem Gesindel der Insel, dem Auswurf des Landes und dem schmutzigen Abschaum der See in Verkehr zu wissen, so blieb ihm die Versumpfung Dans mit ihrer ganzen Schande kein Geheimnis. Er hörte mit vorgebeugtem Haupte zu, und wenn der Deemster von Vorstellungen zu Vorwürfen überging und ihm riet, erst im eigenen Hause Ordnung zu schaffen, ehe er wieder die Kanzel beträte, erhob er seine großen, müden Augen mit einem verzweifelten, hilfeflehenden Blick und antwortete in einer wie Schluchzen klingenden Stimme: »Hab Nachsicht, Thorkell, hab Nachsicht mit dem Jungen, er ist mein Sohn, mein einziger Sohn.«

Es begab sich, daß gegen Ende des Heringsfanges ein alter Mann von achtzig Jahren, ein William Callow, der Hauptmann der Parochie von Michael war, starb. Seine Anstellung war eine halb zivile, halb militärische, und sie schloß das Amt eines Parochie-Polizeileutnants ein. Callow war ein außerordentlich rechtlicher Mensch, und sein Lebenslauf ohne einen Makel gewesen. »Kein einziger Mensch ist würdig, des alten Mannes Platz einzunehmen,« sagten die Leute, als sie ihn begruben; als aber der Name seines Nachfolgers von Castletown aus bekannt gemacht wurde, wer anders sollte da der neue Hauptmann sein als Daniel Mylrea? Die Leute waren erstaunt, der Deemster lachte vor sich hin, und Dan selbst erbleichte.

Kaum einen Monat nach diesem Ereignis erreichte das Mißverhältnis zwischen Dan und dem Deemster, und dasjenige zwischen Dan und dem Bischof seinen Höhegrad.

Seit Monaten schon hatte der Bischof sich mit dem Plan herumgetragen, seinen Kirchenacker, der eine Last für die abnehmende Kraft seines zunehmenden Alters war, zu teilen und Dan, der nun einmal kein Diener der Kirche werden konnte, zu seinem Pächter und zum Bebauer seines Ackers zu machen. Er ließ also achtzig Acker schönen, wohl drainierten und bestellten Curragh Bodens von seinem Grundbesitz abnehmen, die, nachdem der Heringsfang vorüber, Dan als Zeitvertreib dienen und eine bleibende und solide Ernährungsquelle für ihn werden sollten. Es befand sich kein Wohnhaus auf den achtzig Ackern, aber Scheunen und Ställe sollten errichtet werden, und Dan sollte das alte Ballamona als Wohnsitz mit Ewan teilen.

Dan sah diesen Vorbereitungen mit nur geringem Interesse zu. Der Grund dieser Lauheit war, daß er tief in Schulden steckte, von denen sein Vater nichts wußte. Als der Heringsfang vorüber und die Berechnung gemacht war, hatte es sich herausgestellt, daß das Boot nicht mehr als zweihundertvierzig Pfund verdient hatte. Hiervon gehörten dem alten Billy Quillasch vier und jedem andern Mann zwei Anteile, ein Teil war für Davy, den Schiffsjungen, beiseite gelegt, und der Eigentümer war für sich selbst, für die Netze und das Boot zu acht Anteilen berechtigt. So weit war alles ganz befriedigend. Die Verlegenheit und Unzufriedenheit stellten sich ein, als Dan seinen Kassenbestand zu zählen begann. Es ergab sich, daß nicht genügend flüssiges Geld da war, um den alten Billy und die Männer und den Jungen zu bezahlen, ganz abgesehen von Dans acht Teilen.

Dan kratzte sich den Kopf und überlegte. Er war kein Held im Rechnen, doch zählte er seine Zahlen mit dem gleichen Ergebnis zum zweiten Male zusammen. Dann machte er einen Überschlag von den Vorräten – Tee zu vier Schilling das Pfund, neben frischem Fleisch viermal die Woche und feinen Mehlzwiebacken. Es war zwar eine Ausgabe, aber keine zugrunde richtende, und der Heringsfang war zwar mäßig aber nicht schlecht gewesen, und was auch das Nettoergebnis war, es hätte, wo das auf Gegenseitigkeit beruhende System des Anteils zwischen Herrn und Knecht herrschte, kein Defizit da sein dürfen.

Dan begann, das Geheimnis zu durchschauen – es war erschreckend sichtbar im Lichte der Zahlen, die von Zeit zu Zeit in die Innenseite des Schrankes der »Drei Beine von Man« angekreidet waren. Es war jedoch leichter, herauszufinden, welchen Weg das Geld gegangen war, als es wieder zu ersetzen, und der alte Billy und seine Genossen begannen zu murren und zu brummen.

»'s übersteigt wirklich alles,« sagte der eine.

»Unser diesjähriges Unternehmen macht sich nicht bezahlt,« sagte ein anderer.

Dan hörte das Murren und ging nach Bischofs-Hof hinauf. Schließlich war das Defizit ja doch nur vierzig Pfund, und so viel würde sein Vater ihm schon leihen. Aber kaum hatte er sich zum Frühstück niedergesetzt, als sein Vater, der unverkennbar trüberer Stimmung als gewöhnlich war, zu klagen begann, daß er seine Gaben an die Armen wegen der auf seines Sohnes Pachtung zu errichtenden Scheunen und Ställe hätte einschränken müssen.

»Ich hoffe, dein Fischfang wird ein günstiges Resultat liefern, Dan, denn ich habe kaum ein Pfund in der Tasche für deine Einrichtung.«

So sagte Dan also nichts über seine Schuld und ging mit langem Gesicht und den Worten: »Was ich Euch sage, Jungens, das Unwetter bricht über uns los,« zu den Fischern zurück.

Der alte Billy blickte düster wie ein Donnerwetter drein und antwortete mit einer ungeduldigen Bewegung: »Dann haltet Euere Augen offen, rate ich Euch.«

Dan maß den alten Seebären vom Kopf bis zu den Füßen und griff mit der Hand in seinen Guernsey. »Ihr würdet nicht auf diese Weise mit mir reden, Billy Quillasch, wenn ich mich bei Euch nicht zum Narren gemacht hätte. Es ist ein wahres Wort, daß derjenige, der seinem Diener seine Geheimnisse anvertraut, denselben zu seinem Herrn macht.«

Der alte Billy kicherte, und die Männer brachen in ein überlautes Gelächter aus. Billy fragte, was Dan sich denn überhaupt dächte, weshalb er Kinvigs Boot, wo er seine sicheren dreißig Pfund die Saison gehabt, verlassen hätte; und Ned Tere wünschte zu wissen, was seine Frau sagen würde, wenn er mit fünf Pfund, zehn Schilling zurückkäme; und Crennel, der Schmierfinke, fragte, welch einen Namen der Herr einer derartigen Saison überhaupt beilege?

Kein einziger unter ihnen erinnerte sich seines Anteiles an der langen, in der Innenseite des Schrankes angekreideten Berechnung.

»Armer lieber Alter,« dachte Dan, »er muß schließlich doch das Geld schaffen – das ist der einzige Ausweg,« und zum zweiten Male richtete er seine Schritte gen Bischofs-Hof.

Billy Quillasch sah ihn fortgehen und folgte ihm.

»Ich habe da eine herrliche Idee,« sagte er, geheimnisvoll auf seine Stirn tupfend.

»Was ist es?« fragte Dan.

»O, ein furchtbar mächtiger Plan. Und jedenfalls würde er Euch wieder flott machen,« sagte Billy.

Es stellte sich heraus, daß der furchtbar mächtige Plan die alte Weise war, Geld von einem Wucherer zu borgen. Der alte Billy kannte den rechten Mann dafür. Sein Name war Kisseck, und er war der Wirt der »lustigen Heringe« in Peeltown, nahe am Ende der krummen kleinen Gasse, die sich nach dem Teile des Hafens hinschlängelt, der den Schloßfelsen überblickt.

»Nein, nein, das geht nicht,« sagte Dan.

»Ach, und warum etwa nicht?«

»Warum nicht? Warum nicht? Weil es einfach Raub wäre, zu borgen, was man nicht zurückerstatten kann.«

»Raub? Was fällt Euch ein, so etwas nur auszusprechen? Ach, die Idee nur! Ihr glaubt wohl man hat keine Gefühle? Raub? Nun, ich muß gestehen!«

Und der alte Billy setzte mit beleidigter Miene seinen Weg fort.

Das Ende jedoch war, daß Dan dem Bischof an dem Tage nichts sagte, und daß derselbe Abend ihn in den »lustigen Heringen« fand. Der Wirt hatte nichts zu verleihen, nein, nicht er, er kannte indes Leute, denen es nicht darauf ankommen würde, gegen genügende Sicherheit oder irgend jemandes Bürgschaft, wie man zu sagen pflegt, eine Summe vorzustrecken. Wenn nur Herr Dan einen guten Namen unter so ein Stückchen Papier zu setzen hätte? Aber natürlich könnte das einem so feinen Herrn, wie ihm, nicht schwer fallen. Wer die Leute wären? Sie gehörten nach Liverpool, nach der Goree Piazza – Benas sei ihr Name.

Drei Tage darauf erhielt Kisseck, der Wirt, die vierzig, der gebräuchlicheren Zahl wegen zu fünfzig gemachten Pfund und einen kleinen Wisch Papier mit ihnen. Dan nahm das Papier und machte sich damit nach Ballamona auf den Weg. Ewan würde die Bürgschaft für ihn übernehmen, und der alte Bischof brauchte überhaupt von der ganzen Geschichte nichts zu erfahren. Als Dan jedoch sein neues Heim erreichte, war Ewan nicht dort; ein armer alter Quäker, Christian mit Namen, der sich durch Vernachlässigung der Vorschriften Salomos, in betreff der Sicherstellung, an den Bettelstab gebracht hatte, lag im Sterben und hatte den Pastor holen lassen.

Dan hatte es eilig; die Fischer murrten und ihre Weiber hingen ihnen an den Rockschößen; das Geld mußte ohne Verzug geschafft werden, und Ewan würde, wenn er da wäre, natürlich ohne weiteres die Bürgschaft unterschreiben. Eine Idee, die ihm den Schweiß auf die Stirne brachte, bemächtigte sich seiner. Er hatte das Papier vor sich auf den Tisch ausgebreitet und eine Feder zur Hand genommen, als er draußen Ewans Stimme hörte, und darauf warf er die Feder nieder und atmete wie befreit auf.

Ewan kam herein und erzählte vom alten Christian, dem Quäker. Er hätte keine Woche mehr zu leben, der arme Kerl, und nicht ein einziger Schilling sei ihm in der Welt übrig geblieben. Einst bebaute er seine hundert Acker, aber er hatte Bürgschaft für diesen und für jenen geleistet und für alle bezahlen müssen; und während sie nun in Üppigkeit lebten, mußte er als ein heimatloser Bettler sterben.

»Jedenfalls hat er eine schlimme Tugend geübt,« fuhr Ewan fort: »Ich würde keine Bürgschaft übernehmen, selbst nicht für meinen eigenen Bruder, wenn ich einen hätte. Es würde ihn nur dazu treiben, das Brot, das er morgen verdienen würde, heute schon zu essen.«

Dan ging davon, ohne irgend etwas über das Stückchen Papier aus Liverpool zu sagen. Die Fischer kamen ihm entgegen, und als sie keine Antwort hörten, brach ihr Gemurre von neuem aus.

»Nun, ich gehe zum Bischof, und nichts für ungut,« sagte der alte Billy.

Er ging nicht; das Stückchen Papier wurde unterzeichnet, aber nicht von Ewan; das Geld wurde ausgezahlt; die dankbaren Seebären wurden mit ihrem Geld in der Tasche und einer derben Ohrfeige nach Hause geschickt.

Ein oder zwei Monate vergingen, und Dan wurde still und nachdenklich und manchmal mürrisch, und die Leute begannen zu sagen: »Der junge Herr ist lange nicht mehr so wild,« oder vielleicht, »Merkwürdig stetig ist er geworden,« oder selbst, »Es sollte mich nicht wundern, wenn er schließlich doch noch ein Pastor würde.« Eines Tages im November ging Dan nach Ballamona hinüber, fragte nach Mona und hatte ein langes Gespräch mit ihr. Er erzählte ihr von seinem in Aussicht stehenden Mißgeschick, und sie hörte ihm mit erbleichendem Gesicht zu.

Von dem Tage an war Mona ein verändertes Wesen. Sie schien eine große Sorgenlast, die sie niederdrückte und die dem zarten und schweigsamen Mädchen den Lebensweg schwer und freudlos machte, mit Dan zu teilen.

Gegen Anfang Dezember kamen ganz außer der Zeit verschiedene Briefe von dem jungen Schreiber der Gebrüder Benas, Jarvis Kerrisch. Darauf ging der Deemster öfter als einmal hinüber nach Bischofs-Hof und hatte ernste Zusammenkünfte mit dem Bischof.

»Wenn du diese deine Behauptung als wahr beweisen kannst, Thorkell, werde ich mich für immer von ihm abwenden – ja, für immer,« sagte der Bischof mit heiserer Stimme und mit von Schmerzenslinien durchfurchtem Antlitz.

Nach Verlauf einiger Tage erschien ein Fremder in Ballamona, und nachdem er wieder davongegangen war, sagte der Deemster zu Mona: »Halte dich bereit, morgen früh mit mir nach Bischofs-Hof hinüberzugehen.«

Mona schien plötzlich der Atem zu versagen. »Wird Ewan auch kommen?« fragte sie.

»Ja, aber ist es nicht der Tag seines wöchentlichen Gottesdienstes in der Kapelle – Mittwoch – nicht wahr?«

»Und Dan?« fragte sie.

»Dan? Weshalb Dan? Nun, Mädchen, vielleicht Dan ebenfalls – wer kann es wissen?«

Der Bischof hatte nach dem alten Ballamona hinübergeschickt und sagen lassen, daß er seinen Sohn am nächsten Morgen nach dem Gottesdienst in der Bibliothek zu sehen wünsche.

Um zwölf Uhr am nächsten Tage stellte sich Dan, der gepflügt hatte, in seinen langen Stiefeln und rotem Hemde in Bischofs-Hof ein und fand Mona und den Deemster in der Bibliothek wartend vor. Mona antwortete nicht auf seine Anrede, sie schien ihrer Stimme nicht mächtig; der Deemster erwiderte jedoch mit ein oder zwei losen Worten; und dann kam der Bischof sehr gedankenschwer mit Ewan, dessen Augen heller als seit vielen Tagen leuchteten, herein, und hinter ihnen schritt der Fremde, den Mona am vorhergehenden Tage in Ballamona gesehen hatte.

»Nun, und was bedeutet dies?« sagte Ewan beim Anblick der vielen Versammelten.

Der Bischof schloß die Türe und antwortete mit abgewandtem Gesicht: »Wir haben eine peinliche Zusammenkunft vor uns, Ewan, nimm Platz.«

Es war ein düsterer Tag; die Wolken hingen niedrig, und das dumpfe Brausen der See tönte durch die stille Luft. Ein Holz- und Torffeuer brannte im Kamin, und der Deemster stand auf und stellte sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dasselbe. Der Bischof saß in seinem mit Messingnägeln ausgeschlagenen Stuhl am Tisch und stützte seine schmale Wange in die Hand. Es entstand eine Pause, und dann sagte der Bischof ohne die Augen zu erheben: »Ewan, weißt du, daß es den Regeln der Kirche entgegen ist, daß ein Geistlicher Bürgschaft für einen Schuldner leistet?«

Ewan stand, den Deckel eines von ihm aufgenommenen Buches auf und zu schlagend, am Tisch. »Ich weiß es,« sagte er ruhig.

»Weißt du, daß der Geistliche, der diese Regel außer acht stellt, vom Bischof seines Amtes entsetzt werden kann?«

Ewan sah sich mit einem erstaunten Blick rund um, antwortete aber ebenso ruhig wie vorher: »Ich weiß es.«

Es trat eine augenblickliche Pause ein, und dann wandte sich der Deemster, nach geräuschvollem Räuspern, dem Platze zu, wo Dan mit seinen Füßen den Teppich bearbeitete, der einer die Büste Bunyans tragenden Säule als Unterlage diente.

»Und wißt Ihr, Sir,« sagte der Deemster in seiner schrillen Stimme, »was die Strafe für Fälschung sein mag?«

Auf Dans Angesicht hatten sich während der letzten Minuten verschiedene Wechsel vollzogen, als er dasselbe jedoch dem Deemster zuwandte, war es hart wie aus Stein gehauen.

»Gehängt zu werden vielleicht,« antwortete er mürrisch; »Verbannung vielleicht; was soll es? Heraus damit – macht schnell.«

Dans Augen funkelten; der Deemster kicherte hörbar; der Bischof blickte über den Rand seiner Brille zu seinem Sohn empor und tat einen langen Atemzug. Mona hatte dort, wo sie stillschweigend am Kaminfeuer saß, ihr Gesicht in die Hände vergraben, und Ewan, noch immer mit dem Buch in seinen Händen spielend, sah mit einem Blick bestürzter Verwunderung von Dan auf den Deemster und von dem Bischof auf Dan.

Der Deemster winkte den Fremden heran, der von seinem Platz an der Türe nähertrat und auf Ewan zuschritt.

»Darf ich fragen, ob dieses Dokument mit Ihrer Bewilligung ausgestellt ist?« Mit diesen Worten reichte er Ewan ein Papier, das derselbe mit zitternden Fingern in Empfang nahm.

Es herrschte eine augenblickliche Stille. Ewan überflog das Dokument. Es enthielt die Bestätigung, daß Gebrüder Benas von der Goree Piazza in Liverpool fünfzig Pfund an Daniel Mylrea ausgezahlt hatten, und es war mit Ewans eigenem Namen als Bürgen unterzeichnet.

»Ist das Eure Unterschrift?« fragte der Fremde.

Ewan blickte zu Dan hinüber und sah denselben mit tief gesenktem Haupt und bebenden Lippen dastehen. Der Bischof zitterte sichtlich und saß, seine zerstörten Hoffnungen betrauernd, mit kummervoll gesenktem Haupte am Tisch.

Der Fremde blickte von Ewan zu Dan und von Dan zum Bischof. Der Deemster sah mit einem geisterhaften Lächeln auf dem Gesicht gerade vor sich hin.

»Ist dies Eure Unterschrift?«, wiederholte der Fremde, und seine Worte fielen wie Kettengerassel in die Stille hinein.

Ewan wurde alles klar. Er blickte von neuem auf das Dokument, konnte mit seinen trüben Augen jedoch keine Silbe entziffern. Dann erhob er sein Antlitz, und die darauf geschriebenen Schmerzenslinien sprachen von einem entsetzlichen inneren Kampfe.

»Ja,« antwortete er, »die Unterschrift ist die meine – was soll es?«

Bei diesen Worten erhoben der Bischof und Mona zu gleicher Zeit ihre Augen. Der Fremde blickte Ewan ungläubig an.

»Wenn Ihr die Unterschrift anerkennt, ist alles in Ordnung,« sagte er mit kühlem Lächeln.

Ewan bebte an jedem Gliede. »Ja, ich erkenne sie an,« sagte er.

Seine Finger zerknitterten, während er sprach, das Dokument, doch stand er erhobenen Hauptes, und seine Lippen schienen die Wahrheit zu sprechen. Dan fiel schwer auf einen Stuhl herab und verbarg sein Gesicht in den Händen.

Der Fremde lächelte wieder dasselbe kalte Lächeln.

»Die Verleiher wünschen die Anleihe zurückzuziehen,« sagte er.

»Das mögen sie tun – in einem Monat,« erwiderte Ewan.

»Das genügt.«

Des Deemsters Gesicht zuckte; auf Monas Wangen glänzte es feucht; der Bischof war aufgestanden und ans Fenster getreten und blickte mit von Tränen verschwommenem Blick in den nun gegen die Fensterscheiben prasselnden strömenden Regen hinaus.

»Es würde grausam sein, diese peinliche Zusammenkunft noch zu verlängern,« sagte der Fremde und fügte mit einem Blick auf Dan, der keinen Versuch machte seine Scham zu verhehlen und schluchzend da saß, in hartem Ton hinzu –

»Die Verleiher hatten nur Grund, zu fürchten, daß das Dokument vielleicht ohne Euer Wissen aufgesetzt worden sei.«

Ewan gab das Papier mit zitternder Hand zurück. Er blickte den Fremden durch schwimmende Augen an und sagte sanft, aber mit größter innerlicher Anstrengung: »Ihr habt meine Antwort, Sir – ich wußte von dem Papier.«

Der Fremde verneigte sich und ging hinaus. Dan sprang auf und schlang die Arme um Ewans Hals, wagte aber nicht, ihm in das kummervolle Antlitz zu blicken. Mona bedeckte ihre Augen und schluchzte.

Der Deemster griff nach seinem Hut und sagte, im Hinausgehen vor Ewan stehen bleibend, in einem bitteren Flüstertöne –

»Narr! Narr! Du hast diesen Menschen zu deinem eigenen Verderben gerettet.«

Als die Türe sich hinter dem Deemster schloß, wandte der Bischof vom Fenster sich ihnen zu.

»Ewan,« sagte er mit einer wie ein Aufschrei klingenden Stimme, »der Engel, der unsere Handlungen hienieden im Buche des Lebens verzeichnet, wird dir die Lüge, die du heute gesprochen hast, zu deinen Gunsten im Himmel niederschreiben.« Dann hielt er inne, und Dan erhob seinen Kopf von Ewans Schulter.

»Was dich anbetrifft, Bursche,« begann der Bischof von neuem, an seinen Sohn gewandt: »so bin ich abgefunden mit dir für immer; verlaß mich jetzt und laß mich dein Angesicht nicht wieder sehen.«

Dan verließ gebeugten Hauptes das Zimmer.


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