Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Der Deemster der Insel Man

Zwanzigmal wohl während der Nacht ersann Thorkell sich neue Pläne, wie er den Fluch abwenden könne. Zuerst nahmen seine Gedanken die Richtung trotziger Rachsucht an. Welche Mittel er auch in Anwendung bringen mußte, das Weib, die Kerrisch sollte es ihm büßen. Von Haus und Hof wollte er sie gejagt sehen, wie eine Landstreicherin sollte sie betteln gehen. Er wollte seinen Fuß ihr in den Nacken setzen, und dann würde es sich zeigen, was ihre unheimlichen Verwünschungen vermöchten.

Dieser Balsam erwies sich jedoch als unwirksam für seine geängstete Seele, und er verwarf ihn. Nein, nein, das Weib mußte versöhnt werden. Er wollte ihr eine jährliche Rente von fünf Pfund aussetzen; er wollte ihr das behagliche Torhüterhäuschen vom alten Ballamona als Wohnung geben; seine Frau sollte ihr im Winter warme Flanelldecken und manchmal ein Pfund Tee von der Sorte, wie alte Leute ihn gern haben, schicken. Dann würde doch sicher ihr Fluch kraftlos, sein eignes Leben nicht gestört werden!

Thorkells Schlafzimmer in dem neuen Hause am Slieu Dhoo ging über die Curraghs auf die See hinaus. Bei Tagesanbruch öffnete er das Fenster und lehnte sich, um die kühle Morgenluft einzuatmen, hinaus. Die Sonne ging über dem jenseitigen Lande auf; ein frischer Wind fegte von der Küste über die Felder, und die weißen Häupter der dem Westen zueilenden Wellen spiegelten auf Augenblicke den Glanz des östlichen Himmels wieder. Mit dem Salzdunst der See in der Nase erschien es Thorkell jämmerlich, daß ein Mann sich zum Sklaven einer einfachen Vorstellung machen, als beschämend und erniedrigend, daß das Niesen eines alten Weibes den Frieden eines starken Mannes stören solle. Aberglaube war das Schreckgespenst der Manxleute, die Scham der Lächerlichkeit würde ihn lange jedoch schon erstickt haben, wenn er keine gesetzliche Unterstützung gefunden hätte. Duldsamkeit gegen Aberglauben! Jeder Mensch, der an Vorbedeutungen und Zeichen oder Zaubermittel und Beschwörungen oder an den bösen Blick glaubte, müßte sofort ins Gefängnis gesteckt werden! Es wäre nur gerecht, einem tollen Hunde einen Maulkorb anzulegen und so weiter.

Thorkell schloß das Fenster, tat die Fensterladen vor, warf seine Kleider ab und ging zu Bett. In der Stille und Dunkelheit nahmen seine Gedanken jedoch eine ganz entgegengesetzte Richtung an. Welch ein Wahnsinn, welch eine Unverschämtheit und welch ein Unglaube war es doch, die von den besten und weisesten Menschen aller Zeiten in Leben und Tod anerkannten Überzeugungen verwerfen zu wollen! Welch eine Eintagsfliege unserer modernen Zeit dürfte sich mit überlegenem Lächeln gegen sie verwahren und sprechen: »Siehe, dies ist Torheit: Saul von Israel und Saul von Tarsus, und Samuel und Salomo standen auf in Torheit und legten sich nieder in Torheit.«

Thorkell sprang, aus jeder Pore schwitzend, von seinem Bette auf. Ja, das alte Weib, die Kerrisch, sollte pensioniert werden, sie sollte in dem behaglichen Häuschen bei dem Einfahrtstor von Ballamona wohnen; sollte Flanelldecken und Tee und manche andere willkommene Gabe haben; ihre Tochter sollte zurückgebracht und verheiratet werden, ja, verheiratet – an irgend einen ehrlichen Burschen.

Die Lerche sang schmetternd in den Lüften, die Krähen erwachten in der hohen Esche, die Schwalben pickten am Fenstergitter, als endlich der Schlaf Thorkells blutunterlaufene Augen schloß, und er sich zum kurzen, unterbrochenen Schlummer ausstreckte. Das laute Klopfen Christophers an seiner Türe erweckte ihn. Es gab damals keine Landbriefträger, und es gehörte daher zu Christophers täglichen Pflichten, nach dem Posthause zu gehen. Er war an diesem Morgen schon dort gewesen und mit einem Brief für seinen Herrn zurückgekehrt.

Thorkell nahm den Brief mit nervösen Fingern in Empfang. Er hatte das Siegel erkannt, es war das des Gouverneurs der Insel, und der Brief kam vom Schloß Ruschen. Er erbrach das Siegel und las:

 

Schloß Ruschen, den 3. Juni.

»Sir – ich schreibe im Auftrage Sr. Exzellenz, Euch zu ersuchen, ohne Verzug nach Castletown zu kommen und Eure Ankunft auf dem Schlosse Madam Fredericks mitzuteilen, die Euch im Auftrage der Gräfin empfangen wird.

Ich habe die Ehre etc. etc.«

 

Der Brief war vom Sekretär des Gouverneurs unterschrieben.

Was bedeutete dies? Thorkell fand keine andere als eine unheilvolle Erklärung. In einem verwirrten Zustand halber Bewußtlosigkeit befahl er, sein Pferd zu satteln und vor die Fronttüre zu bringen. Eine halbe Stunde darauf hatte er sich von seinem unberührten Frühstück erhoben und saß im Sattel.

Er ritt am Tynwaldhügel vorüber und durch Foxdale dem Süden zu. Zwanzigmal wohl hielt er still und schien sein Pferd einer anderen Richtung zuwenden zu wollen, um dann doch seinen Weg weiter zu verfolgen. Es stand ihm ja frei, nach Belieben umzukehren! Er tat es indes nicht. Um zwei Uhr stand er vor dem niedrigen Schloßtor und zog die große, laute Glocke.

Er schien erwartet zu sein und wurde sofort in ein Zimmer nördlich vom Schloßhof geführt. Das Gemach war eng und niedrig und nur spärlich von zwei tief in die anscheinend drei Meter dicken Wände eingefügten Spitzbogenfenster erhellt. Den Boden bedeckte eine Binsenmatte; neben dem Kamin stand eine Harfe. Eine schon ältliche, aber sehr jugendlich gekleidete Dame erhob sich bei Thorkells Eintritt. Sie trug eine kurze Taille, während ihr gestickter Rock lang nachschleppte. Ihre Füße bedeckten mit Flittern besetzte Schuhe und ihr Haar war in einem Knoten oben auf ihrem Kopf aufgesteckt.

Thorkell stand mit der Miene eines Verurteilten vor ihr. Sie lächelte, lud ihn ein, Platz zu nehmen und setzte sich ebenfalls.

»Ihr habt von dem Tode eines unserer beiden Deemster gehört?« fragte sie ihn.

Thorkell erbleichte und senkte das Haupt.

»Ein Nachfolger muß bald ernannt werden und der Deemster muß immer ein Manxmann sein; er muß die Sprache der gewöhnlichen Leute verstehen.«

Thorkells Gesicht zeigte einen verdutzten Ausdruck. Die Art und Weise der Dame war sehr herablassend.

»Die Wahl steht dem Gouverneur der Insel zu, und die Gräfin ist gebeten worden, einen Namen vorzuschlagen.«

Thorkells Gesicht erhellte sich. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen.

»Die Gräfin hat viel Gutes von Euch gehört, Herr Mylrea. Man hat ihr gesagt, daß Ihr durch Euren großen Fleiß und Eure – Weisheit Euch im Leben emporgearbeitet – selbst ein Vermögen erworben habt.«

Die Stimme der Dame verfiel in den Ton einschmeichelndster Leutseligkeit. Thorkell stammelte ein paar Redensarten.

»Still, Herr Mylrea, Ihr dürft Euch nicht selbst unterschätzen. Die Gräfin hat erfahren, daß Ihr ein unternehmender Mann seid – jemand, dem es nicht auf den Pfennig ankommt, wo ein Pfund winkt.«

Thorkell gingen die Augen auf. Er sollte zum Deemster gemacht werden, aber er sollte sich seine Ernennung erkaufen. Die Gräfin hatte kürzlich viel Geld verloren, und der von ihr unterhaltene üppige Hofstaat große Einschränkungen erfahren.

»Kurz und gut, die Gräfin beabsichtigt halb und halb Euren Namen für das Amt vorzuschlagen, Herr Mylrea; ehe sie dies jedoch tut, hat sie mich beauftragt, zu erforschen, wie Ihr über die Sache denkt.«

Thorkells kleine Augen zwinkerten, und seine Lippen zogen sich nach oben. Mit auf die Brust gelegter Hand und gesenktem Haupte sagte er untertänig:

»Meine Gedanken über die Sache, Madam, haben alle nur eine Richtung – die Richtung der Dankbarkeit.«

Das Gesicht der Dame verzog sich lächelnd, und es entstand eine Pause.

»Es ist eine große Auszeichnung, Herr Mylrea,« sagte sie dann und hielt den Atem an.

»Um so größer ist meine Dankbarkeit,« erwiderte Thorkell.

»Und wie weit seid Ihr geneigt Eure Dankbarkeit für die Gräfin sich erstrecken zu lassen?«

»Unbegrenzt, Madam,« erwiderte Thorkell aufstehend und sich verneigend.

»Die Gräfin ist augenblicklich in Bath –«

»Ich würde so weit und – weiter gehen, Madam, weiter,« sagte Thorkell, während des Sprechens mit seiner rechten Hand tief in seine Tasche fahrend, um – durch welch einen Zufall bleibt ungesagt – einige Münzen aneinander klingen zu lassen.

Es entstand eine zweite Pause, dann erhob sich die Dame, streckte ihm ihre Hand entgegen und sagte bedeutungsvollen Tones:

»Ich glaube, Sir, ich glaube, ich darf schon jetzt es wagen, Euch als Deemster von Man zu begrüßen.«

Thorkell galoppierte in gehobener Stimmung, mit gesenktem Haupt, über den Sattelknopf geneigtem Körper und ein über das andere Mal in ein leichtes Lachen ausbrechend, heimwärts. Die Meilensteine blieben einer nach dem andern hinter ihm zurück, und doch fühlte er die Anstrengung des Weges kaum. Wo blieben seine Träume, seine Ahnungen, Zauberformeln und die Macht des bösen Blickes? Er war Richter seiner Insel. Er war Herr seines Geschickes.

St. Johns durchreitend ließ er die dunkle Höhe des Berges hinter sich zurück und wandte sich dem darunterliegenden schattigen Hag von Kirk Michael zu. Wo die Bäume im Tale am dichtesten standen, hielt er vor einem niedrigen, langen, etwas abseits vom Wege liegenden Hause still. Es war das Wohnhaus des Bischofs der Insel, augenblicklich jedoch leer stehend. Das Bistum war die letzten fünf Jahre vakant gewesen, und unter den schweren Gebirgsschauern und den ungestümen Seewinden war das alte Haus in Verfall geraten.

Thorkell saß im gedämpften Licht der hohen Ulmen steif im Sattel da, sein Geist war mit mancherlei Gedanken beschäftigt; mit einer fast zärtlichen Empfindung erinnerte er sich der letzten Tage des alten Ewan, seines Vaters, seines Bruders Gilcrist, um dann plötzlich zu den Ereignissen des Morgens auf Schloß Rushen zurückzukehren. Wie weit entfernt der Morgen zu liegen schien!

Die letzte Krähe hatte ihren leisen, rauhen Ruf herausgekrächzt, und der letzte Sonnenstrahl war zwischen den dicken Zweigen der dunklen, leise säuselnden Bäume erloschen, als Thorkell seinen Weiterritt antrat.

Als er Ballamona erreichte, war es finstere Nacht. Der Erzdekan leistete seiner Tochter, die den Tag ihr Zimmer nicht verlassen hatte, Gesellschaft. Thorkell rannte noch mit Reitstiefeln und Sporen an den Füßen eilig wie ein Eichkätzchen die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer hinein. In zwanzig hastigen, wie aus einer Doppelbüchse abgefeuerten Worten erzählte er alles, was sich zugetragen hatte. Das bleiche Gesicht seiner Frau zeigte keine Freude und verriet keine Überraschung. Ihr Schweigen berührte Thorkell wie ein Vorwurf, und als ihre Augen auf seinem Gesicht haften blieben, wandte er die seinen ab. Der Erzdekan war sprachlos, sein erstaunter Blick aber vielsagend genug, und als Thorkell das Zimmer verließ, folgte er ihm auf dem Fuße.

Während des Abendessens ließ das Benehmen des Erzdekans auf warme Freundschaft schließen.

»Sie scheinen es sehr eilig mit der Ernennung eines Deemsters zu haben,« sagte er. »Hat es Euch nicht als merkwürdig überrascht, da das Bistum so lange unbesetzt geblieben ist?«

Thorkell lächelte vor sich hin und antwortete, daß es freilich merkwürdig schiene.

»Vielleicht bedürfte es nur der Erwähnung eines Namens,« fuhr der Erzdekan fort, »das heißt, der Erwähnung von einem einflußreichen Mann – einem Manne von Stellung – vom Deemster zum Beispiel.«

»Ganz recht,« erwiderte Thorkell, vor sich hin kichernd.

Darauf folgte eine fernere beiderseitige Freundschaftsversicherung. Als beide Männer sich vom Tisch erhoben, sagte der Erzdekan mit einem bewußten Lächeln: »Natürlich – wenn Ihr vielleicht – wenn Ihr je daran denken solltet – wenn – ich meine – wenn der Deemster je gefragt würde, einen Namen für die Bischofswürde vorzuschlagen – würde er sich natürlich erinnern, daß – kurz und gut – daß Blut dicker als Wasser ist – ta fuill ny s'chee na uschtey, wie der Manxmann sagt.«

»Ich werde mich dessen erinnern,« sagte Thorkell bedeutungsvollen Tones und leichten Lächelns.

Zufrieden mit seinem Tagewerk, mit sich selbst und der Welt, suchte Thorkell sein Bett auf, legte sich in Frieden und Zufriedenheit nieder und schlief den Schlaf der Gerechten.

Nach nicht allzu langer Zeit wurde Thorkell Mylrea Deemster Ballamona.

Er trat seine Pflichten nach dem kürzesten Studium des Statutengesetzes an. Ein Manxrichter betreibt die Gerichtsverwaltung hauptsächlich nach dem »Brustgesetz«, das heißt dem ungeschriebenen, in seiner eignen Brust waltenden Kodex, der angenommenermaßen von Deemster auf Deemster übergeht. Dieser allgemeine Aberglaube kam Thorkell sehr zustatten, es fand sich niemand, der seine juristischen Kenntnisse auf die Probe stellte.

Sobald er sein Amt inne hatte, begann er Nachforschungen nach seinem Bruder Gilcrist anzustellen. Er brachte in Erfahrung, daß derselbe, nachdem er Cambridge verlassen, sich als Dekan hatte ordinieren lassen und dann der Erzieher des Sohnes irgend eines englischen Edelmannes und später Kaplan in dessen Familie geworden war. Thorkell schrieb ihm und erhielt eine Antwort, und dies war der erste Verkehr seit des alten Ewans Tode zwischen den beiden Brüdern. Gilcrist hatte vor kurzem geheiratet und ein bescheidenes Pfarramt auf einem abgelegenen Yorkshire-Moor übernommen. Er liebte seine Gemeinde und wurde von ihr geliebt. Thorkell schrieb wieder und wieder und noch einmal wieder, und seine Briefe waren in allen Tonarten der Vorstellungen und Beschwörungen gehalten. Das Ende des Briefwechsels war, daß der Deemster der Vertreterin von Schloß Ruschen einen zweiten Besuch abstattete, und daß das Gerücht die Insel durchlief, derselbe mächtige Einfluß, der Thorkell zum Deemster gemacht hätte, würde nun auch seinen Bruder zum Bischof von Man machen.

Darauf erschien der Erzdekan in glühendem Zorn in Ballamona und erinnerte seinen Schwiegersohn an die vielen Verpflichtungen, die er ihm schulde, berührte vergessene Gefälligkeit, spielte auf dunkle Gerüchte und dunklere Taten an, erwähnte mit bedeutungsvollem Tonfall des Mädchens Mally Kerrisch, behauptete, daß er aus ungenannten Gründen die Achtung seiner geistlichen Brüder und die Verehrung seiner Gemeinde eingebüßt habe und schloß mit der rührenden Versicherung, daß er denselben Morgen noch während seines Rittes von Andreas einen dickköpfigen Manxmann zu seinem ihn begleitenden rothaarigen Genossen – beide die räudigsten Schafe der Hügelseite – habe sagen hören, »da geht der Pastor, der seine Tochter verkauft und ihr einen Ehemann gekauft hat.«

Thorkell ließ die Flut der Vorwürfe über sich ergehen und sagte dann ruhig, sich auf seinem Absatz herumdrehend: »So nahe mir mein Hemde auch sein mag, meine Haut ist mir doch noch näher.«

Des Deemsters Frau erholte sich nicht wieder. Nach der Taufe verließ sie nur noch selten ihr Zimmer. Ihre Wangen wurden schmaler, bleicher konnten sie nicht mehr werden, und ihre schüchternen Augen verloren allen Glanz. Sie sprach wenig und schien alles Interesse am Leben verloren zu haben. Ihrem Gatten bezeigte sie dieselbe gelassene Unterwürfigkeit, sah ihn aber von Tag zu Tag weniger. Der Anblick ihres Kindes allein, wenn Kerry es ihr zum Nähren brachte, vermochte den Glanz einer vorübergehenden Freude auf ihrem Antlitz hervorzurufen. Wenn es zu lange an ihrer Brust blieb, wenn es weinte, wenn seine gewinnende Art und Weise ihr ein Lächeln entlockte, rief ein schneller Rückschlag der Gefühle Trübsinn hervor, und mit einem tiefen Seufzer gab sie Kerry das Kind zurück. So ging es einige Monate lang und der Deemster war unterdessen zu sehr von weltlichen Dingen in Anspruch genommen, um sich über die über seinem Haupte schwebende Wolke irgend welche Gedanken zu machen, die alte Kerry aber sagte – »sie wandelt der Grube zu.«

Es war Winter, als Gilcrist Mylrea auf der Insel erwartet wurde, er schrieb jedoch, die Gesundheit seiner Frau lasse zu wünschen übrig, sie würde wahrscheinlich ein Kind zur Welt bringen, und er möchte seine Ankunft lieber bis zum Frühling verschieben. Ehe die Ginsterbüsche auf den Bergen ihre neuen, grünen Nadeln angesetzt hatten, und ehe die Fischer aus Peeltown zu ihrem ersten Makrelenfang auf die See hinausgegangen waren, lag Thorkells Frau an ihrer letzten Krankheit darnieder. Sie ließ ihren Gatten rufen, um Abschied von ihm zu nehmen. Der Deemster aber, der keinen Grund für Gefahr sah, lachte sie ihres schüchternen Abschieds wegen aus. Sie würde bald Mutter eines zweiten Kindes sein – das sei alles. Sie schüttelte bei seinen Scherzen jedoch den Kopf, und als er den am Boden kriechenden, girrenden, vor sich hin pappelnden Ewan ihr lachend ans Bett brachte und seine langen, dünnen, haarigen Finger dem Baby mit der Frage, ob es wohl eine kleine Schwester haben möchte, vor das Gesicht hielt, zuckte das bleiche Antlitz auf dem Kissen und füllten, während tiefe Schatten alle Züge überflogen, die sanften Augen sich mit Tränen.

»Leb wohl, Thorkell, und um des Kindes willen –«

Thorkells schrilles Lachen jedoch durchtönte das Gemach, und im nächsten Moment war er aus dem Zimmer verschwunden.

Am selben Tage wurde die Frau des Deemsters den Sorgen eines Lebens, das keine Freude für sie in sich schloß, entrückt. Die Engel des Lebens und des Todes hatten Hand in Hand das neue Wohnhaus von Ballamona betreten, und die junge Mutter war, während sie einer Tochter das Leben gab, gestorben.

Als der Deemster erfuhr, was sich zugetragen hatte, durchhallte sein lautes Geschrei alle Zimmer des Hauses. Seine Seele war in Aufruhr; er schien erschreckt und niedergebeugt, nicht vor Kummer, sondern vor Furcht und Entsetzen.

»Sie ist tot; ja, sie ist tot, sie ist tot,« rief er hysterisch; »weshalb hat es mir niemand gesagt, daß sie sterben würde?«

Der Deemster begrub seine Frau zur Seite des alten Ewan unter dem Holunderbaum, dicht an der Mauer des auf die See hinausblickenden Kirchhofes. Er erließ keine Einladungen, und wenige Menschen nur standen mit ihm am offnen Grabe. Während des kurzen Beerdigungsgottesdienstes stand sein Pferd an die Achsenriegel der Leichenpforte gebunden, und noch fiel die Erde in hohlem Schall von des Totengräbers Schaufel auf den Sargdeckel hinab, als Thorkell den Sattel bestieg und davon ritt.

Vor Sonnenuntergang stand er wartend an der hölzernen Landungsbrücke am Hafen von Derby. Das alte Fahrzeug, der »King Orry«, lief an dem Tage ein und brachte seine Passagiere ans Land. Unter ihnen befand sich der neue Bischof von Man, Gilcrist Mylrea. Er hatte in den sechs Jahren, die er fort gewesen war, bedeutend gealtert. Seine schlanke Gestalt war tief gebeugt; sein dichtes, in Locken auf seine Schultern fallendes Haar grau gesprenkelt, und seine schmalen Wangen waren von Falten durchfurcht. Während er vom Boote aus die Brücke betrat, hielten seine Arme irgend einen Gegenstand zart umfangen. Er schien allein zu sein.

Die Brüder begrüßten sich mit gemessenen, verlegenen Blicken.

»Wo ist dein Weib?« fragte Thorkell.

»Sie ist tot,« erwiderte Gilcrist. »Nichts ist mir von ihr geblieben, als dies,« und er blickte auf die Last an seiner Brust herab.

Es war ein kleiner Knabe. Thorkells Gesicht erbleichte und seine Augen drückten Entsetzen aus.


 << zurück weiter >>