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Zehntes Kapitel.
Die erste Nacht des Heringsfanges

Die Sonne ging unter, und eine frische Brise wehte auf der See, als die Ben-my-Chree, gefolgt von der ganzen Heringsflotte, Contrary Head umsegelte und die beiden dort fließenden Ströme kreuzte. Etwa eine Stunde noch blieb es Tag genug, um die sich in kleine Buchten und Einschnitte teilende Küste übersehen und auf die mit Ginster und üppigem Riedgras bewachsenen Berge hinausblicken zu können. Das Zwielicht nahm zu, als die Flotte um Niarbyl Point bog und die Insel mit dem in den finstern Himmel ragenden Cronk-my-Irey-Lhaa auf ihrer Leeseite ließ. Beim Durchkreuzen von Fleshwick Bay herrschte vollständige Dunkelheit und war nichts mehr von Ennyn-Mooar zu sehen. Nach einer Stunde erhellte sich der Himmel jedoch wieder und glitzerte sternenübersät, und als der alte Billy Quillasch außerhalb Port Erin die Spitze seines Bootes in sechs Klafter Wasser mit dem Winde laufen ließ, war hinter Bradda der Mond aufgegangen, und die zerklüftete Landspitze hob sich klar gegen den Himmel ab.

Eines nach dem andern scharten sich nun die Boote der Flotte um die Ben-my-Chree.

Dan erkundigte sich beim alten Billy, ob er in früheren Jahren an dieser Stelle auch schon auf Fische gestoßen sei.

»Nicht seit sieben Jahren,« antwortete der Alte.

»Weshalb versucht Ihr es denn heute?«

Billy streckte seine Hand gegen einen Zug Seemöwen aus, der im Mondschein niedergetaucht war und dann wieder davonsegelte. »Seht Ihr die Möwen?« fragte er. »Die tun Schifferdienste heute abend und zeigen uns die Fische.«

Davy Fähle hatte sich über den Bug gelehnt und schlug mit einem Stock gegen die gerade über dem Wasser befindlichen Schiffsplanken.

»Regt sich was?« fragte der alte Billy.

»Ja,« antwortete Davy, »das Meerleuchten steigt auf.«

Der Wind hatte sich gelegt und glänzende Flächen phosphorhaltigen Lichtes im Wasser zeigten, daß der Hering sich rührte.

»Machen wir 'n Versuch; auf mit dem Gerät!« rief Billy Quillasch, und darauf begannen die Vorbereitungen, um die Netze über die Vierung hinabzulassen.

»Ned Tere, Ihr paßt auf die Leine, Crennel, Ihr paßt auf die Korke auf. Davy – wo ist der Schlingel? – Du achtest auf die Bändsel, hörst Du?«

Darauf wurden die Netze aus dem unteren Schiffsraum heraufgewunden und über die zwischen den Luken und der Verschanzung des Schiffes befindlichen Bänke gelegt. Tere und Crennel warfen dieselben aus, und Davy lief mit den Bändseln, so wie sie heraufkamen, nach dem Achterdecke, um sie nahe der Heckriegelung an der Warpleine zu befestigen.

Nachdem jedes Netz ausgesteckt und an dem ihm in der Trift am nächsten befestigt war, und eine solide neun Fuß tiefe Maschenwand die See eine halbe Meile weit abfegte, rief Quillasch: »Nieder mit den Schoten!« Die Segel wurden vermittelst straff gespannter Stricke eingezogen; der Hauptmast, der nach hinten niedergelegt werden konnte, wurde herabgelassen, und nur der Jigger blieb, um das Boot mit dem Winde treiben zu lassen, aufrecht.

»Auf mit dem Licht da,« rief Quillasch.

Bei diesem Befehl erschien Davy Fähl's Kopf über der Luke.

»Gewiß, der Junge ist auch nie am Platz. Herauf mit dir, schnell.«

Davy sprang eiligst auf Deck, nahm eine Laterne und befestigte sie oben an der Spitze des Kielschwertes. Dann trieben Schiff und Netze miteinander weiter, und Dan und Ewan, die solange auf Deck gewesen waren, gingen zusammen hinunter.

Es war eine ruhige, klare Nacht, mit gerade Licht genug, um zwei oder drei Bojen, die auf der Rückfläche des dem Boote nächsten Netzes unter dem Wasser daherfluteten, zu erkennen. Der alte Billy hatte sein Terrain nicht verkannt. Große, weiße Flecken kamen aus der dunklen Tiefe hervor, die nur dort, wo die sich ebnenden Wellen die düstere See glätteten, der Widerschein vereinzelter Sterne erhellte. Ein oder zwei Male ließ sich ein schwaches, klatschendes Geräusch vernehmen und blitzten kleine Pünktchen flimmernden Silbers im Wasser auf. Die Heringe spielten miteinander und bald durchbrachen Schwärme auf Schwärme die dunkle See und zersprühten dieselbe in glitzernden Schaum. Ein Fang wurde jedoch nicht gemacht, und nach Verlauf einer Stunde steckte Dan seinen Kopf zur Luke heraus und rief dem Bootsmann zu, das Ausgucknetz zu versuchen. Die Leine wurde bis zum ersten Netz, das, außer einem oder zwei Hundshaien, die hier und da eine Masche zerrissen hatten, schwarz und leer heraufkam, eingeholt.

»Zu heller Mondschein heute nacht,« sagte Quillasch, »sie sehen die Netze und ihre Schlauheit ist erstaunlich.«

Eine halbe Stunde später jedoch versteckte sich der Mond hinter eine dem Lande zusegelnde schwere Wolke; der Himmel nahm eine graue, bleierne Farbe an, und eine aufsteigende Brise kräuselte die See. Darauf verging Stunde auf Stunde, ohne daß ein einziger Fisch in das Ausgucknetz ging. Gegen ein Uhr am Morgen kam der Mond wieder hervor. »Jetzt werden wir einen reichen Fang machen,« sagte Quillasch, und einen Augenblick später flutete eine leuchtende Masse über die Netzlinie hinüber, sank, verschwand und zog drei der Bojen mit sich hinab.

»Netze hoch,« rief jetzt Quillasch in einem anderen Tone.

Darauf wurden die Netze ins Boot gezogen. Davy, der Schiffsjunge, zog das Tau durch einen durch das Mastloch am Gangspill befestigten Kinnbacksblock. Ned Tere löste die Netze von den Stricken, und Crennell und Corlett zogen sie über den Dollbord. Sie kamen silberweiß im Mondlicht herauf und bargen einen soliden Haufen Fische. Billy Quillasch und Dan hoben sie über das Takelwerk herüber und schütteten die Heringe in den Kielraum.

»Fünf Mease Ein Maß von 500 Stück Heringen. wenigstens,« sagte Quillasch mit befriedigtem Schmunzeln. »Versucht's noch einmal.« Und zum zweiten Male gingen die Netze nieder. Die anderen Boote der Flotte wurden durch ein am Treibsegel aufgestecktes blaues Licht davon benachrichtigt, daß die Ben-my-Chree auf Fische gestoßen sei. In wenigen Minuten wurde das blaue Licht durch andere blaue Lichter ringsum beantwortet, ein Zeichen, daß der Fischfang überall sich als ziemlich befriedigend herausstelle.

Ein, zwei, drei Uhr kam und ging. Die Nacht nahte ihrem Ende; der Mond verkroch sich von neuem, und in der dem Morgengrauen voraufgehenden Dunkelheit warfen die an den Booten der treibenden Flotte befestigten Lampen ein geisterhaftes Licht über das glatt und weit daliegende Meer. Endlich stieg im Osten das graue Licht und darauf die Sonne über dem Lande auf. Dann wurden die Netze zum letzten Male eingezogen, und der Fischfang hatte für diese Nacht sein Ende erreicht. Der Mast wurde wieder gerichtet; ehe das Boot sich jedoch wandte, rief der Bootsmann: »Männer, laßt uns unserer Gewohnheit nachkommen,« und sofort schoß die Admiralsflagge am Mastbaum empor und die Männer ließen sich auf ein Knie nieder, um mit in den Mützen vergrabenen Gesichtern einem vom alten Billy gesprochenen einfachen, kurzen Dankgebet für die Segnung der See zu lauschen.

Hiernach sprang die ganze Mannschaft auf die Füße, und alles war Geschäftigkeit, Eile, Rufen und Befehle mit einigen kräftigen Flüchen vermischt.

»Zieht die Segel auf – reicht 'ne Hand dort – verdammter Bursche,« rief Quillasch, »aus 'm Wege da, oder ich werde Euch mal fein über die Planken schicken.«

In fünf Minuten war die Ben-my-Chree mit der Heringsflotte hinter sich unter einer scharfen Brise auf der Rückfahrt begriffen.

»Neun Mease – nicht schlecht für die erste Nacht,« sagte Dan zu Ewan.

»Salzt sie gut ein,« rief Quillasch, und Ned Tere bestreute die Heringe, wie sie im Behälter lagen, mit Salz.

Crennel, der Koch, besser unter dem Namen »der Schmierfink« bekannt, kam mit einer mächtigen Pfanne durch die Luke herauf, um sie mit Fischen zu füllen, und während er hiermit beschäftigt war, konnte man ein schwaches »zirp – zirp« von unten herauftönen hören, die Heringe waren noch am Leben.

Die ganze Bemannung ging, außer Corlett, der noch am Steuer stand, Davy, der überhaupt nicht mitzählte und sich im Bug des Schiffes ausstreckte, und Ewan in die Kajüte zum Rauchen hinab. Der junge Pastor, der Davy während der Nacht beobachtet hatte, setzte sich nun auf eine Rolle Taue nahe dem Platz, wo dieser lag. Das »zirp – zirp« war, abgesehen von dem Plätschern des Wassers am Bug des Schiffes, der einzig hörbare Laut in der Luft, und mit einer Kopfbewegung gegen den Kielraum sagte Ewan: »Es scheint grausam, Davy, nicht wahr?«

»Grausam? Nun ja, 's ist möglich, möglich. Ach ja, gewiß, sie haben ebensogut wie irgend jemand sonst Gefühl.«

Der Pastor hatte den Knaben richtig erkannt.

»Ihr solltet sie haufenweise um die Netze herumliegen und ihre Mütter und Schwestern, sozusagen, die sich mit den Kiemen im Netz verstrickt haben, beobachten sehen. Und wenn Ihr 'n Netz aufzieht, fort gehen sie zu Millionen und Millionen, als ob ein Blitz durchs Wasser führe. O ja, ja, man soll sich nur nicht einbilden, sie hätten kein Gefühl.«

»Es scheint grausam, Davy, wie?«

Davy blickte nachdenklich drein, er zerbrach sich über dies ernste Problem den Kopf.

»Ja, und das merkwürdigste dabei ist, so grausam es auch scheint, sie zu fangen, der Hering selbst fängt den Sandaal, und der Kabeljau fängt den Hering, und der Tumler und der Butzkopf fangen den Kabeljau.«

Ewan bemühte sich, sehr überrascht auszusehen.

»Ja, das ist die Wahrheit, ganz gewiß, 's ist grausam, sonderbar, merkwürdig, aber 's wird wohl nun mal so naturgemäß sein, denn seht, wir selbst machen es ja nicht anders.«

»Wie meint Ihr das, Davy? Ich hoffe, wir verschlingen einander nicht,« sagte der junge Pastor.

»O, meint Ihr? Wir tun es erst recht.«

Ewan heuchelte Entsetzen.

»Nun, natürlich, ich will nicht sagen verschlingen, nicht gerade verschlingen; aber der stärkste Bursche verhaut stets die übrigen; und der zweitstärkste verhaut einen kleineren, und der allerkleinste wird von allen verhauen, so ist's doch?«

Davy hatte den verwickelten Knoten dieses Problems gelöst, des Burschen armes, einfältiges Gesicht sah jämmerlich bedrückt aus, und er kam auf seinen alten Ausspruch, »'s scheint, 's ist alles nur naturgemäß,« wieder zurück.

Ewan fühlte sich ein wenig beschämt, derartig mit dem schlichten, ernsten, weichherzigen kleinen Burschen gespielt zu haben. »So glaubt Ihr also, daß es alles nur naturgemäß ist, Davy?« fragte er, während die Rührung ihm fast die Kehle zuschnüren wollte.

»Ja, ja, das tue ich, ja; man könnt darüber weinen, aber 's muß eben wohl so naturgemäß sein.«

Und Davy nahm seine blaue wollene Mütze ab und drehte sie in der Hand herum, und schüttelte ernsthaft sein beunruhigtes junges Haupt.

Dann folgte eine allgemeinere Unterhaltung über Davys frühste Jugend. Sein Vater war, ehe Davy geboren wurde, als Soldat einberufen worden, und man hatte nie wieder von ihm gehört; dann war seine Mutter gestorben, und Billy Quillasch, als ältester Bruder seiner Mutter, hatte ihn aufgezogen. Davy war als Junge immer mit Onkel Billy gesegelt, er fuhr nun als Schiffsjunge und unter der Vereinbarung, daß Onkel Billy seinen Anteil am Fischfang erhalten solle; der junge Herr (Herr Dan) hätte aber ein gutes Wort für ihn eingelegt, ja, das hätte er, und er wüßte ganz genau, was das nützen würde. »Er ist nun 'n ganz fixer Bursch,« hatte Herr Dan gesagt, »und versteht mit den Booten umzugehen; nächstes Mal muß er seinen eigenen Anteil haben.« Ja, Sir, das hat Herr Dan gesagt.

Es war unverkennbar, Dan war in den Augen des Knaben ein Held. Sowie nur Dans Namen genannt wurde, zeigte sich auf Davys einfältigem Gesicht ein schwärmerischer Ausdruck. Dans zweifelhafte Abenteuer und fragliche Triumphe erschienen in seinen Augen heldenhaft. Davy hatte Dan beobachtet und ihm gelauscht, und obgleich Dan nichts von dieser stummen Anbetung ahnte, hatte der Junge jedes Wort, das Dan je zu ihm gesprochen, wie einen Schatz in seinem Herzen bewahrt. Davy besaß das Gemüt eines Hundes, und Dan war sein Herr.

»Onkel Billy und er sind wie ein paar Brüder,« sagte Davy, »und Onkel Billy ist furchtbar stolz auf den jungen Herrn und sehr eifersüchtig dazu. Ach, ja, und wer könnte sich darüber wundern?«

Diesen Augenblick gerade kam Crennell herauf, um zu sagen, daß das Frühstück fertig sei, und Ewan ging, seine Hand auf Davys Schulter gelegt, gemeinschaftlich mit dem Knaben nach unten. In der Kajüte saß Dan, übermäßig lachend, am Ofen. Ewan sah auf den ersten Blick, daß er getrunken hatte und nahm, sich bis an seine Seite drängend, eine Flasche Brandy vom Ofenbord herunter und tat sie, unter dem Vorwand, Platz für seinen Hut zu schaffen, in den Vorratsschrank. Darauf setzte sich die ganze Mannschaft an den Tisch nieder. Es gab eine mächtige Schüssel mit Pellkartoffeln und eine ähnliche Schüssel mit Heringen. Jeder der Männer fuhr mit seinen Händen in die Schüssel hinein, warf einen Hering auf seinen Teller, schlitzte ihn vom Kopf bis zum Schwanz mit den Fingern auf, riß alles Fleisch vom frischen Fisch herab und warf die nackten Gräten in einen auf dem Tisch stehenden Napf.

»Hebt Euch noch ein Plätzchen für die Mahlzeit in den ›Drei Beinen von Man‹ auf,« sagte Dan.

Es sollte zu Ehren der Eröffnung des Heringsfanges an dem Morgen ein Frühstück in den »Drei Beinen von Man« stattfinden.

»Du kommst doch auch mit, Ewan, wie?«

Der junge Pastor schüttelte verneinend den Kopf. Dan war sehr ausgelassen, wozu die Spirituosen, von denen er mehr als ihm gut war genossen hatte, das ihre beitrugen. Ewan sah das nur zu bekannte Licht gefährlichen Übermutes in Dans Augen aufflammen und machte zwanzigerlei Versuche, die Unterhaltung innerhalb der Grenzen des Erlaubten zu halten. Dan ließ sich jedoch keine Fessel anlegen und ging, in die ordinäre Redeweise der Leute verfallend – ein sicheres Zeichen, daß der alte Adam in ihm die Oberhand hatte – rückhaltlos auf die Witze ein, die der Matrose Ned Tere auf Kosten Davy Fähls angeregt hatte.

»Ihr würdet es nicht glauben, wie?« fragte Ned, Dan zuplinkend und einen Seitenblick auf Davy werfend. »Und was ist es denn?« fragte Dan, ebenfalls mit einem Seitenblick auf Davy.

»Nun, daß der dort drüben sich mit den Mädchen zu schaffen macht.«

»Ist das wirklich wahr?« fragte Dan, seinen Hering fallen lassend und erstaunt aufblickend.

Ewan hustete bedeutungsvoll und sagte: »Schon gut, Dan, schon gut.«

»Ja, doch, und umschwänzelt und umschnüffelt sie auf eine erstaunliche Art,« begann Ned Tere von neuem.

»Nein, ist's möglich?!« sagte Dan, seine Augen verdrehend.

Davy rührte sich nicht; er brach sehr sorgfältig seine Kartoffel durch, und war mit beiden Augen und beiden Händen beschäftigt, sie aus ihrer Schale herauszuquetschen.

»Ja, ja, der Bengel ist von der verliebten Sorte,« sagte Billy Quillasch, »und dabei steckt ihm der Heusamen fast noch in den Haaren.«

»Ah, nun,« sagte Dan, in der vorgeblichen Absicht, Davy zu Hilfe zu kommen, »'s ist nur natürlich, daß der Junge irgend einem Mädchen den Hof machen sollte.«

»Wieso?« rief Quillasch, den neckischen Ton ganz plötzlich fallen lassend. »Wieso? Und nicht 'n Pfennig sein eigen? Und schuldet mir 'n Vermögen für seine Erziehung.«

»Laßt gut sein, Billy,« sagte Dan, »und fallt nicht, wie ein Habicht über 'n Menschen her. Eines schönen Tages wird Euch Davy seine Schuld mit 'm Vormarssegel heimzahlen.«

Davy blickte vor sich nieder, man konnte jedoch deutlich genug sehen, daß seine Augen sich mit Tränen füllten.

»Nun ist's genug, Dan, nun ist's genug,« warf Ewan ein. Des jungen Pastors Gesicht war plötzlich erbleicht. Dan jedoch sah nichts von alledem.

»Und seht ihn Euch an,« sagte Dan, um Ewan herumlangend und Davy einen Rippenstoß versetzend, »und seht ihn Euch an, welch 'ne unschuldige Miene er aufsteckt!«

Die dicken Tränen tropften nun aus Davys Augen. Von jedem anderen hätte er die Hänselei ertragen, nur nicht von Dan.

»Dan,« sagte Ewan mit erzwungener Ruhe, »höre auf; ich kann es nicht länger mit anhören!«

Bei diesen Worten stand Davy von seinem unbeendeten Frühstück auf und versuchte auf das Deck hinaufzuklettern.

»Ah, nun seh nur einer,« sagte Dan mit angenommenem Ernst, und Ewans veränderte Miene nicht beachtend, erhob er sich und folgte Davy, um ihn mit einem Arm zu umschlingen und zurückzuziehen. »Laß doch die Grützköpfe reden, Davy, Junge,« sagte er überredend. Davy stieß ihn mit einem ärgerlichen Wort zurück.

»Was sagt er da?« fragte Quillasch.

»Nichts,« erwiderte Dan, »nur 'n unschuldigen Fluch.«

»Geflucht hat er? Er soll mir nicht unter die Augen kommen, wenn er nicht den Rattenschwanz fühlen will.«

Darauf erhob sich Ewan mit flammenden Augen und bleichem, zitterndem Angesicht.

»Ich will Euch sagen, was Ihr seid,« rief er mit erregter, bebender Stimme. »Nicht ein einziger Mann ist unter Euch allen. Eine Bande armseliger Lästermäuler seid Ihr!«

Mit diesen Worten wollte er der Deckleiter zuschreiten; Dan aber, dessen branntweinerhitztes Gesicht in einem Augenblick einen alten, häßlichen Ausdruck annahm, sprang in rasender Wut empor und stürzte, seinen Stuhl umstoßend, mit flammenden Augen und erhobener Hand auf Ewan zu, und plötzlich, augenblicklich, fuhr seine Faust wie ein Blitzstrahl herab, und Ewan stürzte zu Boden.

Die Männer sprangen auf und scharten sich um beide. »Der Pastor! Der Pastor! Gott steh' uns bei, der Pastor!«

Dan stand mit einem geisterhaften, bleichen und verzerrten Angesicht da, und zu seinen Füßen lag Ewan.

»Allmächtiger Gott! Master Dan, Master Dan,« schluchzte Davy. Ehe die Männer Zeit gefunden hatten sich zu erholen, war Davy vom Deck zurückgesprungen und hatte Ewans Kopf auf seine Knie gehoben.

Ewan tat einen langen Atemzug und öffnete die Augen. Er blutete aus einer Wunde über der Schläfe, da er mit dem Kopf auf einige eiserne Kettenenden gestürzt war. Unter fortwährendem Jammern: »Master Dan, Allmächtiger Gott, Master Dan,« zog Davy ein weißes Taschentuch aus Ewans Brusttasche und band es ihm über die Wunde am Kopf. Das Blut jedoch sickerte durch und färbte das Tuch.

Ewan erhob sich bleich und zitternd und suchte, ohne irgend jemand anzusehen, Halt an Davys Schulter, um langsam das Deck zu erklimmen. Dort taumelte er vorwärts, sank auf die Rolle Taue, die ihm vorher als Sitz gedient hatte, nieder und vergrub sein unbedecktes Haupt in seiner Brust.

Die Sonne war zu der Zeit über Contrary aufgegangen, und das klare junge Morgenlicht tanzte nah und fern auf der sich kräuselnden Flut. Eine frische Brise wehte vom Lande, und die Boote der Flotte segelten wie eine Flucht glücklicher Vögel mit ausgebreiteten Flügeln vor dem Winde her.

Die Ben-my-Chree umsegelte die Landspitze, und der Rauch begann in vielen zarten Windungen über den Schornsteinen der kleinen Stadt Peel emporzusteigen. Ewan jedoch sah nichts von alledem, mit seinem Kopf auf der Brust und starren Herzens saß er im Bug des Schiffes.

Inzwischen tat unten in der Kajüte Dan sein Bestes, eine unbekümmerte Miene an den Tag zu legen. Er pfiff ein wenig und sang ein wenig und lachte viel; das Pfeifen jedoch wie der Gesang brach kurz ab, und das Lachen klang lärmend und leer. Zuerst, als er Ewan hatte daliegen sehen, schien alles Feuer seiner bösen Leidenschaft ausgebrannt und sein Herzschlag ihn fast zu ersticken. Er wäre am liebsten neben Ewan niedergesunken, um ihn aufzurichten; seine eigenwilligen Knie versagten jedoch den Augenblick, sich zu beugen, und im nächsten Moment bewegte der Engel Gottes sein Herz nicht mehr. Die Fischerburschen hatten ebenfalls ihre Bestürzung überwunden und begannen zu triumphieren und für Dan Partei zu ergreifen und von seinem Mut und was sonst noch zu sprechen.

»Die Pastoren – ach, die Pastoren – die Sorte bildet sich ein, jeden Menschen für 'n unausgesprochenes Wort zur Rede stellen zu dürfen.«

»Lästermäuler – ach, armselige Lästermäuler, was meint ihr dazu – ist ihm ganz recht geschehen, sage ich!«

Dan wanderte ruhelos in der Kajüte auf und ab, bald hörbar vor sich hinkichernd, bald sich fragend, was es ihn kümmere, um im nächsten Moment in lärmendes Lachen auszubrechen und sich zum Rauchen niederzulassen und plötzlich wieder aufzuspringen, die Pfeife in den Ofen zu werfen und die Brandyflasche aus dem Schrank zu holen. Wo war Ewan? Was tat er? Wie sah er aus? Dan würde eher gestorben sein, als sich so weit erniedrigt zu haben, diese Fragen zu stellen; wollte aber keiner dieser grinsenden Tölpel es ihm ungefragt sagen? Als Tere mit der Nachricht vom Deck nach unten kam, der junge Pastor habe doch wohl ganz gewiß oben zu beten angefangen, flammten Dans Augen von neuem auf, und er hätte beinahe seine Hand erhoben und den kichernden Taugenichts niedergeschmettert. Er trank ein halbes Wasserglas voll Brandy und verwahrte sich, obgleich niemand es bisher angedeutet hatte, gegen die Zumutung, daß es ihm auch nur irgendwie zu Herzen ginge, nein, nicht im geringsten, was sie auch Gegenteiliges sagen möchten.

Fünfzehn Minuten nach dem Streit lief die Flotte in den Hafen ein. Dan sprang gerade den Augenblick, als die Ben-my-Chree die beiden Strömungen außerhalb Contrary kreuzte, auf Deck. Zuerst warf er einen Blick nach vorne, um Ewan auf dem Ankertau im Bug des Schiffes mit geschlossenen Augen und tief auf die Brust gesenktem Haupt sitzen zu sehen. Darauf blitzte ein wildes, fremdes Licht in seinen Augen auf, er taumelte nach dem Hinterdeck und entriß Corletts Hand das Steuer, stellte es hart Backbord und trieb den Schnabel des Schiffes dem engen Wasserstrich, zwischen der Landspitze und dem Inselfelsen zu, auf dem das alte Schloß stand.

»Hart Backbord!« rief der alte Billy Quillasch, »für solche Schiffe ist dort nicht Wasser genug – Ihr werdet uns auf den Felsen laufen.«

Dan lachte wild auf, und seine Stimme hallte zwischen den Höhlen und Buchten der Küste wieder.

»Hurra! für den Hafen oder – die Hölle,« schrie er mit lauter Stimme, und dann erschütterte ein neuer Ausbruch seines tollen Lachens die Luft und schickte ein Echo vom Lande zurück.

»Was ficht den jungen Herren an?« fragten die Männer, die, mit entsetzten Blicken und unbeweglich auf Deck stehend, sich den Untiefen der kleinen Bucht zutreiben sahen.

Nach Verlauf von zwei Minuten atmeten sie erleichtert auf. Die Ben-my-Chree war wie ein Pfeil durch die kleine Meerenge dahingeschossen und lief in den Hafen ein.

Dan ließ das Steuer fahren, taumelte, kaum sich aufrecht zu halten vermögend und über die Brücke stolpernd, das Deck entlang. Der alte Billy brachte das Boot an seinen Landungsplatz.

»Kiel strecken! Anlegen, hörst du nicht? Wo ist der Schlingel?«

Davy stand neben dem jungen Pastor.

»Du blödsinniger Taugenichts, was stehst du da und jammerst? Ich werde dir's heimzahlen, du Strandlungerer.«

Der Bootführer wollte sich Davy nahen, als Ewan aufstand, und die Augen fest auf ihn gerichtet, ihm entgegentrat. Er schien sprechen zu wollen, überwand sich jedoch und kehrte sich ab.

Der alte Billy brach in ein bitteres, kurzes Lachen aus und sagte: »Ich schwanke wie ein Pumpenschwengel hin und her, ja, wie ein Pumpenschwengel.«

Das Boot lag nun an der Landungsbrücke und Ewan sprang an Land. Ohne einen weiteren Blick oder ein weiteres Wort schritt er, das weiße, mit Blut durchzogene Taschentuch noch um seine Stirn geschlungen und mit seinem Hut in der Hand, von dannen.

Am Hafen war eine Menge Weiber mit Körben versammelt, die alle darauf warteten, Fische zu kaufen. Tere, der Matrose und Crennel, der Koch, zählten die Heringe und verkauften sie. Die übrige Bemannung ging an Land.

Dan befand sich unter den letzteren. Sein Gesicht schien im sanften Morgensonnenschein alle Farbe verloren zu haben. Äußerlich behauptete er seine Kaltblütigkeit, innerlich dagegen steigerte sich sein Wahnsinn mit jeder Minute, und während er mit unsicherem Schritt die gepflasterte Straße entlang stolperte, durchtönte sein hohles Lachen wie ein Mißklang die stille Luft.


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