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Achtes Kapitel.
Die Liebe zum Weibe übertreffend

Die Ereignisse dieser Geschichte müssen etwa sechs Jahre überspringen, und während der Zeit hatte der Deemster das geringe Interesse, das er je für seine Kinder gehabt hatte, fast gänzlich verloren. Mona war zur Jungfrau erblüht; zart, graziös, ruhig, ein schlankes, blondhaariges Mädchen von zwanzig Jahren mit blumenähnlich sanft geneigtem Haupt und einer leisen, süßen Stimme. Ihre großen blauen Augen, mit ihren Tiefen von Liebe und Teilnahme überschatteten lange, herabfallende Wimpern wie Binsen einen Gebirgssee. Sie war von so reiner und lieblicher Weiblichkeit, wie es sich das Herz eines Vaters nur träumen lassen konnte; dem Deemster jedoch machte sie nur geringe Freude. Wenn Mona der Sohn gewesen wäre, hätten ihr ruhiges Wesen und ihre fügsame Natur in Betracht kommen mögen, ein Weib indes war eben nur ein Weib in des Deemsters Augen, er würde, wie der Beduinenhäuptling, seine Kinder ohne Einrechnung seiner Töchter aufgezählt haben. Was Ewan anbetraf, so hatte er alle Hoffnungen, die der Deemster je in ihn gesetzt hatte, betrogen. Seine spartanische Erziehung war vergebens gewesen. Körperlich war er ein Schwächling; ein schlanker, schmächtiger, zweiundzwanzigjähriger Jüngling, blondhaarig wie seine Schwester, mit einem ebenso durchgeistigten und schönen und kaum weniger weiblichen Angesicht als diese. Er war von selbstquälerischer Gemütsart, unaufhörlich durch dunkle Zweifel beunruhigt, und obgleich er in dieser Hinsicht ganz seines Vaters Sohn war, hegte der Deemster nur Verachtung für sein Temperament.

Das Ende von allem war, daß Ewan den dringenden Wunsch äußerte, sich der Kirche zu weihen. Der Deemster hatte beabsichtigt, seinen Sohn Jurisprudenz studieren zu lassen, damit er nach ihm seinen Platz einmal einnehmen möge. Ewan vereinte mit seinem weiblichen Gemüt jedoch einen männlichen Starrsinn. Jurisprudenz wollte er nicht studieren, dem geistlichen Beruf war er entschlossen zu folgen. Der Bischof hatte damals gerade ein Seminar für seine Geistlichen auf Bischofs-Hof eröffnet, und Ewan suchte und fand Aufnahme in demselben. Der Deemster wütete, sein Sohn jedoch war selbst durch seinen Zorn nicht umzustimmen. Dies war als Ewan neunzehn Jahre alt war, und nach zwei Jahren beseitigte die durchgeistigte Beschaffenheit seines Gemütes das Hindernis seiner Jugend, und der Bischof setzte ihn mit einundzwanzig Jahren in ein Amt ein und ernannte ihn zum Hauskaplan von Bischofs-Hof.

Kaum war dies geschehen, als Ewan einen anderen selbständigen Lebensschritt tat. Mit Kenntnis des Bischofs, aber ohne den Deemster zu Rate zu ziehen, heiratete er, nachdem er mündig gesprochen war, ein liebliches Kind von sechzehn Jahren, die Tochter des alten Feindes seines Vaters, des Hilfspredigers der Parochie. Nachdem die Kunde dieses unweisen Schrittes dem Deemster zu Ohren gekommen war, erstarb der letzte Funken von Interesse in ihm, den er bis dahin noch für seinen Sohn gehabt hatte, und er schickte Mona mit einem kurzen Auftrag nach Bischofs-Hof, der Ewan benachrichtigen sollte, daß er es ihm und seiner Frau frei stelle, das alte Ballamona zu beziehen. Damit wandte er sich von seinem Sohne ab und tat sein Bestes, ihn gänzlich aus seiner Erinnerung zu löschen.

Ewan führte sein kindliches Weib nach der seiner Familie durch sechs Generationen hindurch angehörigen Heimstätte, auf der er selbst das Licht der Welt erblickt, und auf der der andere Ewan, sein alter Großvater, gelebt hatte und gestorben war.

Diese Ereignisse machten den Deemster zu einem noch einsameren Manne, als er es schon gewesen war. Er sah keine Gesellschaft bei sich, er besuchte keine Gesellschaft. Abend für Abend saß er einsam in seinem Studierzimmer in Ballamona, das ganze Haus schlief schon lange, ehe er zu Bette ging, und lange, ehe es erwachte, war er schon wieder munter. Die Gegenwart seiner Tochter war keine Gesellschaft für ihn. Das Mädchen wuchs wie das jugendliche Abbild ihrer Mutter neben ihm auf, nur noch lieblicher; eine sich ihm stündlich darbietende Vision vergangener Tage, der er jedoch keine Beachtung schenkte. Betrogen in seiner einzigen Hoffnung, seinem Sohne, den er in Wahrheit nie der Liebe, sondern nur seines eignen armseligen Ehrgeizes wegen geliebt hatte, ging er aus seiner Enttäuschung als ein zwiefach verbitterter und dreifach verhärteter Mann hervor. Er war auffällig gealtert, seine rastlose Energie jedoch war dieselbe geblieben. Zweimal die Woche hielt er seine Gerichtssitzungen ab, wenige aber nur, die das Gericht nicht fand, suchten das Gericht, denn der Deemster stand in dem Ruf eines harten und die Gesetze in ganzer Strenge handhabenden Richters. Wenn die Leute wegen Geldangelegenheiten im Streit waren, pflegten sie zu sagen: »Ah, weshalb zum Deemster gehen? Das heißt nur, einem bissigen Hunde einen Knochen ins Maul werfen,« und dann verglichen sie sich.

Die einzige Freude in dem einsamen Leben des Deemsters gipfelte in dem Sohn seines Bruders, in Dan. Dieser lustige Geselle hatte seine Erwartungen nicht enttäuscht. Mit zwanzig Jahren war er ein schmucker, braunhaariger, braunäugiger Bursche, sechs Fuß zwei Zoll an Gestalt, gerade und schlank, und stark und sehnig wie ein Ochse. Er war der Athlet der Insel, und wo immer nur ein zäher Ringkampf oder ein köstliches Stück Fechten zu bestehen war, da war Dan mitten dazwischen. »Ach, und wenige genug kommen ihm nur annähernd gleich,« pflegten die Leute zu sagen. Mehr aber noch als Dans Körperkraft und Gestalt gewährte dem kleinen Deemster seine rücksichtslose Nichtachtung allgemein heilig gehaltener Dinge eine bittere Freude. In dieser Hinsicht hatte Dan mit den zunehmenden Jahren sich nicht verbessert. Dutzendweise ersann er sich in seiner beklagenswerten Kampflust Ränke, um die Bauern in ihrem Bestreben, den Pastor um seinen Zehntteil zu betrügen, zu unterstützen, und es trug nicht wenig dazu bei, des Deemsters herbe Freude an dergleichen Späßen zu erhöhen, daß es der Sohn des Bischofs war, der sie verübte. Was den Bischof selbst anbetraf, so tat er sein Bestes, derartige Tollheiten zu übersehen. Er hatte seinen Sohn für die Kirche bestimmt, und trotz allen Mutwillens, trotz aller Ringkämpfe und athletischen Spiele und selbst trotz einiger in der Trunkenheit verübten Raufereien, die gerüchtweise in der Luft schwebten, trug er Dans Namen als Schüler in das von ihm in Bischofs-Hof errichtete Seminar ein.

Zur gehörigen Zeit rückte Dans Examen heran, und nach demselben hatte alles Anklammern an eine vergebliche Hoffnung ein Ende. Der Erzdekan war des Bischofs examinierender Kaplan, und öfter als einmal hatte der kleine Mann schon im voraus seine gewissenhafte Absicht kundgetan, mit dem Sohne des Bischofs ebenso zu verfahren, wie er es mit jedem anderen tun würde. Das Examen fand in der Bibliothek von Bischofs-Hof statt, und außer den Studenten und dem Examinator waren einige sechs oder sieben Geistliche anwesend, Ewan Mylrea, der neu ernannte Dekan unter ihnen. Es war ein rein mündliches Examen, und als die Reihe an Dan kam, nahm der Erzdekan seine überlegenste Miene an und packte den Kandidaten bei seiner schwächsten Seite.

»Ich vermute, Sir, Ihr denkt Eures griechischen Testamentes sicher zu sein?«

Dan antwortete, daß er überhaupt nie etwas darüber gedacht habe.

»Ich vermute, daß Ihr trotz aller Eurer Bescheidenheit Euch vorstellt, es gut genug zu kennen, um es lehren zu können?« sagte der Erzdekan.

Dan hatte sich in bezug auf diesen Gegenstand keinerlei Vorstellungen gemacht.

»Nehmt das griechische Testament herab und denkt, daß ich Euer Schüler sei, dem Ihr es erklären sollt,« sagte der Erzdekan.

Dan nahm das Buch von dem Bücherschrank herab und drehte es in seinen Fingern herum.

»Nun, Sir, schlagt das Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen auf.«

Dan kratzte gemächlich seinen großen Kopf und versuchte sein möglichstes, die Stelle zu finden: »Ich also soll der Lehrer sein – habe ich recht verstanden?« fragte er mit erstauntem Ausdruck.

»Ja, ganz recht!«

»Und Ihr wollt der Schüler sein?«

»Gewiß – tut, als ob Ihr mein Lehrer wäret – und nun beginnt.«

Hier legte sich Ewan verstörten Angesichts dazwischen.

»Ist das nicht eine etwas sehr schwere Zumutung, Erzdekan?« fragte er schüchtern.

Der Erzdekan musterte seinen Enkel mit hochmütigem Blick und antwortete nicht.

»Beginnt, Sir, beginnt,« sagte er dagegen mit einer Handbewegung gegen Dan und nahm seinen Platz auf dem hochlehnigen Stuhl an der Spitze des Tisches ein.

Denselben Augenblick leuchtete ein mutwilliger Blitz in Dans Augen auf. Er stand mit dem beim Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen geöffneten griechischen Testament vor dem Tische und wußte nur zu gut, daß er das Gleichnis nicht lesen konnte.

»Wann vertauschen wir unsere Rollen, Erzdekan?« fragte er.

»Wir haben es schon – Ihr seid der Lehrer – ich bin Euer Schüler – fangt an!«

»O, wir haben es schon, wie?« sagte Dan; und damit hob er des Erzdekans auf dem Tische liegenden, silberbeschlagenen Spazierstock auf und ließ ihn mit einem Streiche wieder niederfallen. »Dann macht, daß Ihr von Eurem Stuhle aufkommt,« sagte er befehlenden Tones.

Des Erzdekans Apfelgesicht spiegelte in dem Augenblick einige bläuliche Schattierungen wieder, er erhob sich jedoch. Darauf händigte Dan ihm das offene Buch ein.

»Nun, Sir,« sagte er, »lest Ihr mir zuerst das Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen vor.«

Die Geistlichen begannen unruhig zu werden und sich einander anzublicken. Des Erzdekans Gesichtsausdruck war nicht gerade liebenswürdig, er nahm jedoch das Buch und las das Gleichnis.

»Recht gut, wirklich recht gut,« sagte Dan im Tone milder Herablassung – »einige falsche Betonungen, im ganzen aber recht gut.«

»Meine Herren,« sagte einer der Geistlichen, »dies geht zu weit.«

»Stille, Sir,« rief Dan mit einem Blick verletzter Autorität.

Darauf entstand eine entsetzliche Verwirrung. Einige der Geistlichen lachten unverhohlen, andere kicherten vor sich hin, und noch andere legten in heißem Zorn Widerspruch ein, und das Ende war, daß die Prüfung zu einem plötzlichen Abschluß kam und daß, ob gerecht oder ungerecht, weise oder töricht, Dan als untauglich für das Predigeramt erklärt wurde.

Als der Bischof diesen Urteilsspruch hörte, erbleichten seine farblosen Züge sichtlich, und er schien den Anfang vom Ende vor sich zu sehen. Mit Bitterkeit gedachte er in diesem Augenblick des Deemsters. Diese fehlgeschlagene Hoffnung trug nicht dazu bei, die schon lockeren Bande zwischen den Brüdern zu befestigen. Das Verhängnis, das schon zu Lebzeiten ihres Vaters sie Jahr auf Jahr getrennt hatte, schien sie jetzt durch den Lebensgang und durch das Schicksal ihrer Kinder noch weiter voneinander zu entfernen. Jeder von beiden hatte das Gefühl, als ob der andere seine liebsten Erwartungen in seinem Sohn vernichtet habe, und dies war ein Vergehen, das weder der eine noch der andere verzeihen konnte. Dem Deemster schien es, als ob der Bischof alle ehrgeizigen Pläne seines Lebens vernichten und ihn wie einen nackten Baumstamm aus dem Boden reißen und als kinderlosen Mann zurücklassen wollte. Dem Bischof kam es vor, als ob der Deemster das eine Leben, das ihm mehr als seine eigne Seele galt, untergraben und zwischen ihm und dem Herzen stehen wollte, das mit aller seiner Torheit ihm teurer war als die ganze übrige Welt. Seit der Zeit von Ewans Heirat und Dans Schande sahen der Bischof und der Deemster sich kaum mehr, und wenn sie auf der Straße aneinander vorübergingen, wechselten sie nur einen kalten Gruß aus.

Wenn das Schicksal nun jedoch mehr als je die unnatürliche Feindschaft zwischen den Söhnen des alten Ewan nährte, so wirkte es fördernd auf die Liebe ihrer Kinder. Nie wohl waren Vettern sich unähnlicher oder sich gegenseitig mehr zugetan gewesen. Zwischen Dan, dem verwegenen Tollkopf, und der groß- und sanftäugigen und ruhigen Mona bestand eine ihnen unbewußte Zuneigung. Sie waren nebeneinander aufgewachsen, hatten sich täglich gesehen, waren Hand in Hand den Strand entlang getollt, hatten wie mit einer Stimme der Seemöwe zugeschrien und waren doch immer Knabe und Mädchen geblieben. Einmal jedoch, als sie auf dem Pastoratsacker die Gerste in Garben banden und es ein sehr heißer Tag gewesen war, hatte Mona ihren weißen Sonnenhut auf ihre Schultern zurückgeworfen. Dan, der es sah, war mit der Absicht, ihn heimlich zu stehlen, hinter sie getreten; die ihn haltenden Bänder jedoch hatten sich in ihr Haar verwickelt und an ihrem Haarknoten gezerrt, so daß das wunderbar wellige Geriesel ihren Rücken herabgeflutet war. Der Wind hatte das lose Haar erfaßt und sie drin eingehüllt, und so hatte sie aufrecht und mit dem ersten Erröten auf den Wangen, das Dan je darauf hervorgerufen, im Korn gestanden und den ganzen wunderbaren Glanz ihrer tiefen, blauen Augen voll auf ihn gerichtet. Dann, o dann schien Dan zum ersten Male nicht mehr ein Mädchen in ihr zu sehen, sondern ein Weib, ein Weib, ein Weib! Und die Berge hinter ihr waren in einer Sekunde vor seinen Augen ausgelöscht, und alles hatte sich um ihn im Kreise gedreht.

Als er wieder zu sich kam und sich seiner Sinne bewußt wurde, fühlte er Monas Lippen unter den seinen keuchen und nach Atem ringen.

Wenn nun aber die Liebe zwischen Dan und Mona ihnen jetzt noch unbewußt die verwandtschaftliche Liebe überschritt, so war die Liebe Ewans für Dan etwas ganz Außergewöhnliches und Höheres als die Liebe zu einem Weibe. Ewans reines Gemüt mit seinem unbestimmten, seelischen Verlangen schien mit dem tollen Gesellen, der stets rauflustig war, stets lachte und die Scham, wie eine Ente die Wassertropfen, von sich abschüttelte, nichts gemein zu haben. Zwanzigmal hatte er vermittelnd zwischen dem Bösewicht und dem Bischof gestanden, zwanzigmal hatte er die Torheiten des Sohnes vor dem Vater verheimlicht. Er schien für den gedankenlosen Kopf, der nie unter seiner reichen Lockenfülle eine Sorge oder einen Schmerz aufkommen ließ, zu denken; er hoffte für das leichtsinnige Herz, das selbst auf nichts hoffte; er zitterte für die Seele, die keine Furcht kannte. Niemals seit David um Jonathan weinte, bestand wohl eine ähnliche treue Freundschaft zwischen Mann und Mann. Und Ewans Ehe störte diese Zuneigung in keiner Weise, denn die Liebe, die er für Dan im Herzen trug, war eine brüderliche Leidenschaft, für die die Sprache bis jetzt noch keinen Namen hat.

Wir wollen nur ein Beispiel anführen, das diese Freundschaft in ihrer doppelten Bedeutung kennzeichnet – Ewans Liebe und Zorn und Dans rücksichtslose Härte und darunter verborgene großherzige Natur, dann werden wir mit besserem Verständnis zu wichtigeren Dingen übergehen.

Derry, der Schäferhund, der die Nacht, als Dan beschämt von dem Oiel Verree nach Hause schlich, oben auf seines Herrn Bett gelegen hatte, war ein durchtriebener kleiner Fuchs, dem die Hinterlist und Falschheit in den Knochen steckte. Stellte sich ein Vagabund wie Bill der Tölpel ein, blickte er mit großen, unschuldigen Augen zu ihm empor, leckte ihm die Hand und drängte seine Schnauze in dieselbe, um im nächsten Moment nach seinem Hinterteil zu schnappen und wie ein Blutegel daran fest zu hängen. Seine unliebenswürdigen Eigenschaften nahmen mit den Jahren zu. Eines Tages, als Dan auf einem größeren Ausflug von Hause gewesen war und Derry zurückgelassen hatte, brachte er einen anderen Hund, einen großen, zottigen, schottischen Schäferhund mit klaren Augen, einem gutmütigen Gesicht, und einem mächtigen Büschel von einem Schwanz mit heim. Derry war am Eingangstor, als sein Herr zurückkehrte, und warf dem Eindringling nicht allzu freundschaftliche Blicke zu. Von dem Augenblick an wollte er nichts mehr von seinem Herrn wissen, er folgte seinem Ruf nicht und schien seinen Pfiff von dem Gekrächze eines Wachtelkönigs kaum unterscheiden zu können. Statt dessen ging er seinen eignen Weg und verfiel in allerlei wüste Gewohnheiten. Er ging allein und inkognito während der Nacht aus und kehrte zu ganz unchristlichen Stunden erst wieder heim. Die Bauern der Nachbarschaft beklagten sich, daß ihre Schafe tot, von eines Hundes Zähnen zerrissen und erwürgt im Felde gefunden wurden. Derry war als ein ausschweifender Hund bekannt, und der Verdacht fiel auf ihn. Dan nahm darauf den alten Fuchs ins Gebet, und seitdem blickte Derry durch einen Bindfadenmaulkorb in die Welt.

Eines Tages sollte ein Wettlauf zwischen den Schäferhunden stattfinden, und Danny hatte seinen schottischen Schäferhund, Laddie, dafür eintragen lassen. Der Wettlauf sollte auf der Wiese von Slieu Dhoo vor sich gehen, und eine große Menge Menschen fand sich ein, um ihm beizuwohnen. Um den Wettlauf durch alle möglichen Windungen und Krümmungen zu erschweren, waren künstliche Hindernisse errichtet und eine Herde Schafe auf die Wiese hinausgetrieben worden. Der Preis sollte demjenigen Hunde zufallen, der auf das Wort seines Herrn die Schafe zusammen- und in kürzester Zeit zum Eingangstor hinaustreiben würde. Der gerade verheiratete Ewan hatte sich ebenfalls eingefunden, und neben ihm stand sein junges Weib. Das Zeichen war gegeben, und es kam die Reihe an Dan, die Schnelle seines Laddie zu erproben. Der Hund machte einen guten Anfang, und in zwei bis drei Minuten hatte er die Schafe mit Ausnahme von zweien in eine Umzäunung getrieben, in deren unmittelbarer Nähe Ewan mit seiner jungen Frau stand. Dann stürzte er auf das Wort seines Herrn auf die Wiese zurück, um die Nachzügler ebenfalls zu holen, und Dan rief Ewan zu, weder Hand noch Fuß zu rühren, um die Schafe nicht zu verjagen. Wer anders als Derry in seinem Maulkorb sollte nun gerade denselben Moment über die Hecke hinüberschauen! Schnell wie der Blitz duckte er den Kopf, streifte mit seinen Vorderpfoten den Maulkorb ab und fuhr, nach ihren Beinen schnappend, unter die Schafe, so daß sie nach allen Himmelsrichtungen hin auseinander stürzten, und ehe Ewan einschreiten konnte, war er mit seinem Maulkorb zwischen den Zähnen wieder verschwunden. Als Dan, der eine oder zwei Ruten weiter auf der Wiese stand, sich umblickte und sah, was sich zugetragen hatte, und daß seines Hundes Chancen verloren waren, übermannte ihn der Zorn, und mit einer Flut von Vorwürfen wandte er sich an Ewan.

»Da – daran bist Du mit deinem verfluchten Hin- und Hergeschlenkere schuld.«

In vollständiger Ruhe erklärte ihm Ewan, daß Derry der Unheilstifter gewesen sei.

Darauf verfinsterte sich Dans Gesicht noch mehr.

»Eine nette Ausrede,« sagte er mit spöttischem Lächeln, und sich gegen die Leute wendend, fragte er: »Hat irgend jemand sonst den Hund seinen Maulkorb abstreifen sehen?«

Niemand hatte das, was Ewan behauptete, wahrgenommen. Aller Augen waren auf die beiden fernen, von Dan und Laddie verfolgten Nachzügler gerichtet gewesen.

Als Ewan sah, daß Dan seinen Worten mißtraute und Fremde als Zeugen aufrief, überzog eine dunkle Röte sein Gesicht, und seine feinen Nasenflügel erbebten.

»Eine nette Ausrede,« wiederholte Dan und drehte sich gerade den Moment auf seinem Absatz herum, als Derry mit seinem Maulkorb über der Schnauze wieder erschien und mit dem Schwanze wedelnd und dem Ausdruck lammgleicher Unschuld um Dannys Füße herumschwänzelte.

Bei diesem Anblick erbleichte Ewans fahles Gesicht noch mehr, und Dan brach in ein heiseres Lachen aus.

»Wir haben von einem Hunde gehört, der seinen Maulkorb abstreift,« sagte er, »wer aber hätte wohl je gehört, daß ein Hund in seinen Maulkorb selbst wieder hineinschlüpfte?«

Bei diesen Worten trat Ewan einen Schritt von der Seite seines jugendlichen Weibes, das mit schwer atmender Brust da stand, hervor. Seine Augen flammten, jedoch bezwang er seine Erregung und sagte mit erzwungener Ruhe, aber mit tiefer Bewegung in der Stimme: »Dan, glaubst Du, daß ich dir die Wahrheit gesagt habe?«

Dan wandte sich um. »Nein, aber eine Lüge, glaube ich, hast Du mir gesagt,« antwortete er, und seine Stimme kam heiser aus seiner Kehle hervor.

Alle hörten die Worte, und alle hielten den Atem an. Ewan stand einen Augenblick wie angewurzelt da, sein bleiches Gesicht entfärbte sich gänzlich. Dann trat er zurück, nahm sein junges Weib bei der Hand und ging gesenkten Hauptes und brennenden Herzens davon. Und während er, die Wut über jene wahnsinnige Szene in seinem Hirn mit sich schleppend, durch die Menge dahinschritt, schlugen die höhnenden Bemerkungen der Leute an sein Ohr. »Ach, ja, ja, habt Ihr's wohl gehört? Einen Lügner nannte er ihn, und nicht eine Silbe hat er darauf geantwortet.« »'n Lügner! Ach, 'n Lügner, und dabei 'n Pastor noch obendrein!« »Recht feige, jedenfalls – 'n Lügner! Ach, ja, ja, ja!«

Bei diesen Worten ließ Ewan die Hand seines Weibes fahren und schritt, von Kopf zu Füßen zitternd, auf Dan zu.

»Du hast mich einen Lügner genannt,« sagte er mit einer schrillen Stimme, die wie ein Schrei klang. »Jetzt halte ich Dich beim Wort – Du sollst Dich mit mir schlagen – das sollst Du – bei Gott, das sollst Du.«

Er war nun vor Leidenschaft seiner Sinne kaum mächtig.

»Der Pastor! Der Pastor! Menschenkind, der junge Pastor!« murmelten die Leute und bildeten einen Kreis um beide.

Dan stand einen Augenblick stumm da. Er blickte von seiner ganzen Höhe auf Ewans bebende Gestalt und auf sein verzerrtes Antlitz herab. Dann wandte er sich um und sah in die Gesichter der Leute. Im nächsten Moment schwammen seine Augen in Tränen; er trat einen Schritt näher an Ewan heran, schlang seinen Arm um ihn und verbarg den Kopf an seinem Nacken, und der große, kräftige Mann weinte wie ein Kind. Im nächsten Augenblick war Ewans Zorn verraucht, und er küßte Dan auf die Wange.

»Plärrende Feiglinge! Ach, Schwadroneure! Ach, Menschenkind, das reine Turteltaubenpaar!«

Dan erhob das Haupt und blickte sich um, streckte sich zu seiner ganzen Höhe empor, ballte die Faust und sagte:

»Nun, Burschen, Ihr habt Euer Bestes getan, einen Streit hervorzurufen, und es ist Euch nicht gelungen. Ich will mich mit meinem Vetter nicht schlagen, und er soll sich mit mir nicht schlagen; wenn aber irgend jemand unter Euch sich überzeugen möchte, ob ich ein Feigling bin – mag er vortreten – ich bin bereit.«

Kein einziger Bursche bewegte sich auch nur einen Fußbreit von der Stelle.


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