Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
Danny, der Tollkopf

Danny war ein großer Liebling vom Deemster, Und was er auch ausführte, nichts erregte sein Mißfallen. Die Würze des Mutwillens in dem Jungen gewann ihm des Onkels Herz. Sein eigener Sohn hatte ihn enttäuscht. Er schien keine Lebensfreude in sich zu haben, war stiller Natur und sein Vater hielt ihn für einen Weichling. In mehr als einer Hinsicht war der Deemster nur ein mittelmäßiger Beurteiler seines eigenen Geschlechtes, dagegen gewährte es ihm keine Schwierigkeiten, die Eigenart seines Brudersohnes zu verstehen. Über die pathetische Erzählung von Dannys wildesten Streich, oder über den trübseligen Bericht seiner verwegensten Teufelei konnte er, mit zwischen den Schultern hin und her wiegendem Kopf, kichern und lachen, um dann unter Begleitung eines derben Scherzwortes dem Knaben einen Schlag auf das Hinterteil zu versetzen und schließlich mit der Hand in die Tasche zu fahren und nach einem Gegenstand darin herumzusuchen, und denselben dem jungen Tunichtgut in die Hand gleiten zu lassen.

Danny war ungefähr fünfzehn Jahre alt, ein Prachtstück von einem Jungen und den Gängelbändern seiner Wärterin Kerry Quayle entwachsen, als er sich einen höchst verwegenen Streich ersann, dem Kerry als hauptsächlicher Gegenstand zum Opfer fiel. Er hatte keinen anderen Zweck und kein anderes Ziel, als Kerry und Christopher, die blinde Frau und den tauben Mann miteinander zu verheiraten. Christopher war ein ungeschickter, knochischer Mensch, dessen Kleidung aus einer blauen Jacke und einem kurzen, grauen Rock bestand. Sein vollständiger Name war nicht der Vergessenheit anheimgefallen, doch war er als Christopher, Bills Sohn bekannt. Wenngleich fast stocktaub, war er doch musikalisch. Er spielte die Violine und sang. Auf ersterer quietschte er wie eine Raspelfeile und mit seiner Stimme trompetete er wie ein Nebelhorn. Hinüber nach Ballamona lenkte Master Danny die Schritte und fand Christopher beschäftigt, ein Beet Päonien zu jäten.

»Ach, Mann, die Sorte von Blumen hat sie aber auch für ihr Leben gern. Ach, wie sie sie beriecht, wenn Ihr sie für den Bischof heraufbringt,« sagte der junge Bösewicht, die Sprache des Volkes sprechend.

»Was? Die alte Kerry beriecht sie? Und nicht 'n Hauch von Geruch haben sie.«

»Ach, was, 's sind ja auch gar nicht die Blumen, der Mann ist's, Christopher, der Mann!«

»Schweigt, schweigt! Und blind noch dazu. Nein, nein!«

»Aber ihr sanftes Gemüt, Christopher! Und ihre Lieblichtuerei! Und, Menschenkind, wie sie Euch gern hat! 'n gutherziger Mensch durch und durch, und so 'ne schöne Stimme wie er hat. Ach, wunderbar, wunderbar!«

»Ist es Euer wirklicher Ernst?«

»Das sollte ich meinen! Gewiß, und wem anders als Euch könnte das verborgen geblieben sein, Christopher?«

»Unbegreiflich, unbegreiflich!«

»Kommt nach dem Hof herüber und trinkt 'ne Tasse Tee bei ihr.«

Christopher kratzte sich den Kopf. »Ist es wirklich wahr, Danny, Junge?«

»Das überlasse ich Euch zu beantworten, Christopher,« und mit diesen Worten lief der junge Taugenichts geradewegs nach Bischofs-Hof zurück, wo er die blinde Kerry abfaßte und sich in eine glühende Beschreibung von Christophers persönlichen Reizen ergoß.

»Nein, aber was für 'n schmucker Kerl er ist, man sollt's nicht glauben! Meiner Seele! Ihr solltet ihn nur 'mal in seinem Sonntagshut oder mit 'ner Krause am Hemd sehen und erst gar sein Lächeln! 'n wirklich schmucker Mann ist Christopher!«

»Was, der Grützkopf im Unterrock?«

»Ach, aber wie herzensgut er bei alledem ist, und Gott steh' mir bei, Kerry, wie er in Euch verliebt ist!«

»Was, der rothaarige alte Bursche, der immer zum Singen herüberkommt, wie man zu sagen pflegt?«

»O, nein, Weib, schwarzhaarig wie 'n Rabe, und welche schmachtenden Blicke er Euch zuwirft, wenn er Euch nur nahen sieht. Ihr könnt's Euch nicht vorstellen! Und wie schrecklich gern er 'mal nach 'm Hof käme und 'ne Tasse Tee bei Euch tränke und dergleichen mehr!«

»Ist's wirklich wahr, Danny, mein Junge?«

Am folgenden Tage schon erschien Christopher in seinem Sonntagshut, mit einer Krause am Hemd und einer Päonie, so groß wie ein Märzkohlkopf, in seiner Faust an der Küchentüre von Bischofs-Hof. Das Ende von allem war, daß Christopher und Kerry in der Kirche ihr Ehegelöbnis ablegten. Toll, wie der Scherz war, der den tauben Mann und die blinde Frau zu einem Ehepaar machte, erwies sich die Ehe, trotz der gegenseitigen Gebrechen, als eine sehr glückliche.

Der Deemster hörte am Sonntag Morgen, auf dem Wege zur Kirche, von diesem Streich und lächelte während des ganzen Gottesdienstes leise vor sich hin, und als das erste Aufgebot von der Kanzel erfolgte, konnte man ihn vernehmbar in seinem Kirchenstuhl kichern hören. »Danny wurde der Sehergabe des alten Weibes müde – wurde ihm unbequem – wollte sie los werden – fein!« lachte er vor sich hin. Nicht lange darauf jedoch bereitete ihm ein seinem Geschmack noch mehr entsprechender Streich eine noch größere Freude, dem die Zielscheibe seiner eigenen Witze, die Kirche selbst, zum Opfer fiel.

Es war ein alter Manx-Gebrauch, daß am heiligen Abend die Kirche dem Volke zum Absingen seiner Lieder und Carvals überlassen wurde. Dieser merkwürdige Gottesdienst war als Oiel Verree (der Abend Marias) bekannt, und seit den letzten zwanzig Jahren hatten Christopher, der Gärtner, und Herr James Quirk, der Schulmeister, als Sänger an diesem absonderlichen Manx-Gottesdienst mitgewirkt. Es hatte bisher eine große Rivalität zwischen diesen musikalischen Berühmtheiten gewaltet, nun aber machte das Gerücht die Runde, daß sich ihre Kunstleistungen in einem gemeinsam gesungenen Lied vereinen würden. Dan hatte diese ganz außergewöhnliche Vereinigung der Talente durch eine Verschwörung zu erreichen gewußt, die voraussichtlich das Vergnügen der Zuhörer bedeutend steigern würde.

Christopher konnte keine Silbe lesen, würde aber nie, ohne ein gedrucktes Notenheft in der Hand zu halten, sein Lied gesungen haben. Herr Quirk, der Schulmeister, konnte selbstredend lesen, wie wir aber schon wissen, war er ebenfalls, wie Christopher, beinahe stocktaub. Jeder von beiden konnte sich selbst, aber keiner den andern singen hören.

Und nun zu der Verschwörung. Dan sprach am Tage des heiligen Abends in dem Häuschen am Abhang vor, und »Christopher,« sagte er, »'s ist wunderbar, daß ein Mann von Eurem Verstand bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen ist, einem Jammerlappen, wie dem kreischenden alten Jemmy Quirk, mit einem Schlage das Handwerk zu legen. Wenn Ihr Euch nur entschließen wolltet, eine Ballade mit ihm vereint zu singen. Meiner Seel, Menschenkind, dann würden den Leuten die Augen aufgehen, welch 'ne krächzende alte Stimme er hat!«

Auf Christophers Gesicht begann ein Lächeln wohlwollender Überlegenheit sich zu verbreiten. Dies günstige Zeichen ausnutzend, fuhr der junge Taugenichts fort: »Tut es am Oiel Verree-Abend, heute abend, Christopher. Er wird seine erste Stimme singen, und Ihr könnt die zweite Stimme dazu singen.«

Das war eine unglückliche Bemerkung. Des Gärtners Gesicht verfinsterte sich sichtlich. »Was, ich zweite Stimme für den Kerl singen? Nein, niemals!«

Dan klärte Christopher mit ängstlicher Beflissenheit darüber auf, daß es Fälle gäbe, wo die zweite Stimme eigentlich die erste sei, und der versöhnte Gärtner gab endlich seine Zustimmung zu dem Vorschlag; die Überzeugung hatte dabei feste Wurzel in seinem Gehirn gefaßt, daß, wenn er sich zu einem Duett mit dem Schulmeister herbeiließe, er so laut, wie es die Stimme nur immer hergeben wollte, singen müsse, um sofort seinen Rivalen zu übertönen; war doch die bloße Idee schon, daß er für solch einen elenden Kerl die zweite Stimme singen sollte, lächerlich.

Darauf begab Master Dan sich nach dem Schulhause, von dem er freilich kein Schüler mehr war, wo er aber des Vorrechtes eines früheren Schülers, mit dem Lehrer gleichberechtigt verkehren zu dürfen, sich erfreute. »'s ist merkwürdig, Jemmy,« begrüßte er Herrn Quirk, »'s ist merkwürdig, daß ein Mann von Eurem Verstand bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen ist, einem Jammerlappen, wie dem kreischenden alten Christopher, mit einem Schlage das Handwerk zu legen. Wenn Ihr Euch nur entschließen wolltet, eine Ballade mit ihm vereint zu singen. Tut es am Oiel Verree, heute abend, Jemmy, und meiner Seel, Menschenkind, dann würden den Leuten die Augen aufgehen, und sie würden sehen, daß des Alten krächzende Stimme wie 'n hohler Topf klingt.«

Der Schulmeister fiel Dans Plan noch eher zum Opfer, als der Gärtner es getan hatte. Ein Lied wurde gewählt; es sollte das alte Manxlied von den »arglistigen Weibern« werden, von denen in der Bibel gesagt wird, daß sie von Evas Zeiten an Unglück über die Menschheit gebracht haben.

Christopher pflegte seine Lieder an seine Stubenwand gesteckt zu halten. »Die arglistigen Weiber« war das Lied, das über dem Kamin, gerade unter dem Pendel der Uhr, mit dem komischen Gesicht darauf, stach. Es war, wie die übrigen gedruckten Lieder, altersgelb, zerknittert und schmutzig; Christopher erkannte es jedoch an dem Platz, an dem es hing, wie er jedes andere Lied seinem Platz an der Wand nach unterscheiden konnte.

Danny hatte durch irgend einen Kniff einen Einblick in dies literarische Geheimnis getan, und nachdem er mit dem Schulmeister über das zu singende Lied sich geeinigt hatte, lauerte er Christopher auf und ging, sobald er ihn sein Häuschen hatte verlassen sehen, unter dem Vorwand, Kerry einen freundschaftlichen Besuch machen zu wollen, in dasselbe hinein. Ehe er sich wieder verabschiedete, hatte er das Lied herabgenommen und ein anderes von der entgegengesetzten Seite des Zimmers statt dessen aufgehängt. Der Ersatz war zufälligerweise ebenfalls ein Exemplar der »arglistigen Weiber,« nur mit dem wirklichen Unterschied, daß das unter der Uhr hängende Lied in der englischen Sprache und das an seiner Statt aufgehängte in der Manxsprache war. Gegen zehn Uhr am Abend begannen die Kirchenglocken zu läuten, und Christopher nahm, nachdem er nach der Uhr geblickt hatte, das unter dem Pendel hängende Lied herab, zog seinen besten kurzen Rock an und begab sich zur Kirche.

Am nächsten Tage sollten auf Bischofs-Hof große Weihnachtsfestlichkeiten stattfinden, und Kerry war hinübergegangen, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Ewan und Mona hatten Weihnachten seit dem Tage, da sie Bischofs-Hof verließen, stets beim Bischof verlebt. Wie sonst immer, waren sie diesen Abend herübergekommen, und nachdem sie im Verein mit Danny einige Stunden damit verbracht hatten, das Haus in das grüne und rote Gewand von Mistel und Stechpalme zu kleiden, hatte der Bischof sie zu Bett geschickt. Dannys Schlafzimmer war das kleine Gemach über der Bibliothek, und Ewans war das Stübchen darüber. Alle drei Kinder sagten dem Bischof gute Nacht und gingen auf ihre Zimmer. Danny jedoch legte sich nicht schlafen; er lauschte bis er den Bischof in der Bibliothek mit dem Stuhle rücken und den Torf aufstochern hörte, und dann zog er seine Stiefel aus und schlich nach Ewans Zimmer hinauf. Dort vertraute er diesem mit verhaltenem Atem an, welch ein gewaltiger Spaß sich heute abend beim Oiel Verree abspielen würde; zugleich teilte er ihm seine Absicht mit, demselben beizuwohnen und forderte ihn zum Mitkommen auf. Sie brauchten nur gerade durch das kleine Fenster seines Schlafzimmers auf den weichen Rasen vor der Bibliothek zu springen und auf dieselbe Weise sich später wieder Eintritt verschaffen. Niemand würde erfahren, daß sie aus gewesen wären und welch einen »Jucks« sie haben würden! Ewan indessen war nicht zu bewegen, und so machte Danny sich allein auf den Weg.

Christopher erreichte die Kirche erst, nachdem des Pastors Predigt beendet war. Die Gebete waren vor einer sehr minderzähligen Gemeinde verlesen worden, kaum jedoch waren sie vorüber, als ein ganzer Schwarm junger Männer und Mädchen das Seitenschiff heruntergeschritten kam. Die jungen Mädchen gingen auf die Galerie hinauf, um von ihrem erhöhten Standpunkt Hände voll Erbsen auf ihre Junggesellenfreunde hinabzuwerfen. Welch eine Idee, abgesehen von der des Unfugs diesem alten Gebrauche zugrunde liegt, müssen wir als ungelöstes Rätsel den gelehrten und eingehenden Studien der Altertumsforscher zu ergründen überlassen. Fast alle trugen ein Licht in der Hand, und die Lichte der jungen Mädchen waren mit einem roten Bande oder einer roten Rosette verziert.

Beim Verlassen der Kirche stand der Pastor plötzlich dem seinen Weg durch das Seitenschiff der Kirche sich bahnenden Christopher gegenüber. Der Ausdruck seines Gesichtes war den Moment nicht gerade besonders huldreich, und den Gärtner aufhaltend rief er laut in dessen Ohr hinein: »Vergeßt nicht, darauf acht zu haben, daß alles anständig und ordentlich zugeht, und daß Ihr mir die Kirche vor Mitternacht schließt.«

»Ach, aber die Kirche gehört, so viel ich weiß, den Leuten,« sagte Christopher, sein struppiges Haar zurückwerfend.

»Die Leute sind ebenso unwissend wie die Ziegen,« erwiderte der Pastor ärgerlich.

»Ach, ja, und Ihr seid ihr Hirte, also nennt sie wenigstens Schafe,« sagte Christopher und setzte seinen Weg fort.

Danny hatte sich zu dieser Zeit ebenfalls eingestellt und saß, in der linken Hand sein Licht haltend, mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt zur Rechten Christophers. Nachdem alles bereit war, und Willy Thorn, der Küster, seinen Platz innerhalb der Altarbrüstung eingenommen hatte, fand die Eröffnung der Feier statt. Zuerst erhob sich ein Mann und sang ein Lied auf englisch, und dann sang jemand anderes ein Manxlied. Der Glanzpunkt des Abends indes sollte das von den beiden geschworenen Feinden und Rivalen Christopher und James Quirk vorzutragende Duett sein.

Endlich war die Zeit für diese beiden Ehrenmänner gekommen. Sie erhoben sich von den entgegengesetzten Seiten der Kirche, betrachteten einander mit feindlichen Blicken, traten aus ihren Stühlen heraus und schritten das Kirchenschiff hinab der Eingangstüre zu. Dann wandten sie sich stillschweigend um und blieben, mit dem Gesicht dem Altar zugekehrt, Seite an Seite stehen.

Das Gekicher auf der Galerie und das Geflüster im Schiff war allen, außer denen die es verursachten, hörbar. »Still, still, Menschenkind, da sind sie, da sind sie.« »Seht nur bloß Christopher im Unterrock und mit dem Taschentuch um seinen Hals gesteckt.« »Lieber Himmel, das ist so seine Gewohnheit!« »Ein wahrer Hanswurst.«

Danny hatte den Moment alle Hände voll zu tun, Stille und Ordnung aufrecht zu halten. »Still, Mann, laßt sie doch erst beginnen.«

Das von den Rivalen zu singende Lied hatte einige dreißig Verse. Es war ein alter Brauch, daß nach jedem Vers die Sänger einen langen Schritt der Richtung des Altars zu machten. Zu der Zeit da das Lied von den »arglistigen Weibern« beendet war, mußten die Sänger sich also am entgegengesetzten Ende der Kirche befinden.

Die Züge Jemmy Quirks trugen eine erhabene Verachtung zur Schau. Was Christopher anbelangte, so sah er jetzt in der letzten Minute eher wie ein Mann aus, dem es mehr um seinen Gegner, als um irgend etwas sonst leid tat.

»Sehr romantisch die beiden,« flüsterte ein Mädchen auf der Galerie ihrer kichernden Nachbarin zu.

Die Spannung hatte den höchsten Grad erreicht, als Christopher mit der Hand in die Tasche fuhr und das gedruckte Exemplar seines Liedes zum Vorschein brachte. Er faltete es auseinander, blickte mit der Miene eines noch einen letzten Blick auf seine Partitur werfenden Dirigenten auf dasselbe hinab, nickte wie zustimmend mit dem Kopfe und hielt es dann mit einer herablassenden Gebärde zwischen sich und Herrn Quirk. Der Schulmeister seinerseits warf einen schnellen Blick auf das Papier, sah noch einmal, sah zum dritten Male auf dasselbe und dann in Christophers Gesicht.

Die Erregung war aufs äußerste gestiegen. »Still, still doch, hört Ihr nicht?« flüsterte Danny aus seinem Kirchenstuhl, »still, Mann, oder Ihr verderbt uns den ganzen Witz.«

Den Moment, wo Herr Quirk in Christophers Gesicht blickte, sah er ein Lächeln die Züge desselben umspielen. Herr Quirk mißverstand dasselbe, er witterte einen Kniff. Der Schulmeister konnte lesen, er sah, daß das Lied, welches der Gärtner ihm hinhielt, nicht dasjenige war, für das er sich auf Master Dans Anweisung vorbereitet hatte. Sie hätten der Verabredung gemäß die englische Ausgabe der »arglistigen Weiber« singen sollen. Dies war die Manx-Ausgabe, und obgleich der Versfuß derselbe war, wurde das Lied doch stets zu einer anderen Melodie gesungen. Ah, Herr Quirk durchschaute alles! Das Ungeheuer wollte zeigen, daß er, James Quirk, Schulmeister, nur in einer Sprache singen konnte; aber so gewiß wie sein Name Jemmy war, er war ihm gewachsen. Er konnte die Manx-Ausgabe ebensowohl singen, und er würde es. Die Reihe zu lächeln war nun an Herrn Quirk.

»Ah, seht sie bloß an – alle beide – wie sie sich wie ein paar alte Drachenköpfe vom Kirchturm angrinsen!«

Mit einer taktschlagenden Handbewegung des Gärtners nahm der Vortrag seinen Anfang. Christopher sang das verabredete Lied – die englische Ausgabe der »arglistigen Weiber«. Herr Quirk sang die Ausgabe, die sie in ihren Händen hielten – die Manx-Ausgabe der »arglistigen Weiber«. Keiner hörte den anderen, und um irgend welcher Idee, daß einer von ihnen zweite Stimme singen könne, vorzubeugen, schrie jeder, was seine Lungen nur immer hergeben wollten. Zu der einen Melodie sang Christopher:

»Und so seit Adams Zeiten
Ihre Bosheit Ihr mögt sehn.«

Und zu einer anderen Melodie sang Herr Quirk:

» She ish va'n voir ain ooilley
Son v'ee da Adam ben.
«

Welch ein Gelächter! Wie die jungen Mädchen auf der Galerie sich unter hysterischem Gekreische in ihren Stühlen zurücklehnten! Wie die jungen Burschen im Schiff unten das heilige Haus von ihrem Lachen widerhallen ließen! Die Sänger aber mit unverwandt auf ihre Noten gerichteten Blicken hörten nichts anderes als jeder seine eigene Stimme.

Drei Verse hatten sie gesungen und drei Schritte gegen den Altar gemacht, als plötzlich das Gelächter und Gekreische ringsum verstummte. Aller Augen wandten sich der Eingangstüre zu. Dort stand, mit starrer Verwunderung auf dem Gesicht geschrieben, barhäuptig und eine Hand an die halb geöffnete Türe gelehnt, der Bischof.

Wenn ein Geist erschienen wäre, hätte das Entsetzen nicht größer sein können. Danny hatte sich in rückhaltslosem Lachen in seinem Stuhle gewälzt, beim Anblick des Bischofs jedoch entfiel das Licht seiner Hand und verspritzte auf dem Bücherpult. Der Bischof wandte sich ab und war, ehe die Leute von ihrer Überraschung sich erholt hatten, verschwunden. Im nächsten Moment hatten alle Anwesenden sich erhoben und die Kirche verlassen. Nach zwei Minuten war niemand als Christopher und Herr Quirk noch anwesend, die beide mit starr auf das gedruckte Lied in ihrer Hand gerichteten Blicken und sich der Tatsache, daß sie keine Zuhörer mehr hatten unbewußt, eifrig weiter sangen.

Danny verließ am Abend die Kirche durch das schmale Spitzenbogenfenster der Sakristei. Auf dem Rasen an der Nordostseite der Kirche angelangt, übersprang er die Mauer, die den Kirchhof von der nördlich gelegenen Wiese trennte, und schlug den um die Felsenspitze sich schlängelnden Pfad nach Bischofs-Hof ein. Es war ein langer, unbesuchter Pfad, und die Einsamkeit desselben war in jener Nacht ein großer Vorzug in Dannys Augen. Der Bischof mußte die Landstraße entlang durch das Dorf zurückgekehrt und ihm daher schon voraus sein.

Die Nacht war schweigsam und düster und mit Salzdunst beladen, ein feuchter Nebel schwebte über der See. Danny schritt schnell voran. Der tiefe Schall der den Sand überspielenden Wellen drang durch die schwere Luft an sein Ohr. Spät, wie es war, konnte er den kleinen Sandläufer auf Orris Head schreien hören. Die Silberschwalbe schoß mit ihrem langgedehnten, trüben Ruf gerade über seinem Haupte dahin. Mit Ausnahme dieser Laute und seiner eigenen schnellen Fußtritte war alles stumm.

Unter einer äußerlichen Schicht von eigenwilligem Skeptizismus verbarg sich ein gutes Stück Aberglaube in Danny. Er war bis zum Halse hinauf von Feenmärchen und Hexengeschichten vollgepfropft. Beide hatte er vom alten Billy Quillasch und von seinen Bootsleuten, während sie, ihre Netze flickend, am Strande herumsaßen, gelernt. Und diese unheimlichen Erinnerungen stiegen, wie er sich auch dagegen wehren mochte, während dieser Nacht in ihm auf. Er fing, um sie zu verjagen, zu flöten an, und als dies sich als nutzlos erwies, begann er zu singen. Die Wahl seines Liedes war unter den Umständen keine sehr glückliche. Es war die trübselige Ballade von »Myle Charaine«. Danny sang sie auf Manx, ich gebe hier jedoch einen Vers in der Übersetzung wieder –

»O, Myle Charaine, wer hats Gold dir beschert?
Einsam du ließ'st mich zurück;
O, nicht auf der Curragh, tief unter der Erd –,
Einsam und verlassen vom Glück.«

Er war von der Seeseite nach Bischofs-Hof zurückgekehrt, und hier trat die Bibliothek des Bischofs zwischen der Kapellentüre und den Hintergebäuden von dem übrigen alten Hause hervor. Es war hell in der Bibliothek, und während er über den sanften Rasen mit dem eilenden Fuß eines Kiebitzes dahinlief, warf er durch das unverhängte Fenster einen Blick in das Zimmer. Der bekannte Raum war leer. Auf dem Herde glimmte ein Torffeuer und kleidete die von Bücherregalen eingefaßten Wände in einen rosaroten Schein. Des Bischofs weiß überzogener Lehnstuhl stand an der einen Seite des Kamins, seine Morgenschuhe standen vor demselben, und auf dem dreibeinigen kleinen Mahagonitisch lagen neben dem Tintenfaß des Bischofs viereckige Hausmütze und die lange Federpose. Die Türe stand halb offen, und die zwei Lichter in den beiden Messingständern zu jeder Seite des Kamins hatten ihre Lichthütchen auf und waren verlöscht.

Der Bischof war noch nicht zurückgekehrt; das leichte Triumphlächeln, das bei diesem Gedanken wie der Strahl eines bleichen Sonnenlichtes Dannys Gesicht erhellte, verschwand plötzlich. In unklarer, kindlicher Weise erkannte der Knabe, daß es nicht nur die Dunkelheit der Nacht und der einsame Weg gewesen waren, die ihn zu flöten und zu singen veranlaßt hatten. Dort, wo er im Dunkeln der Nacht stand, sank ihm der Kopf auf die Brust, und mit einer unwillkürlichen Bewegung nahm er die Mütze vom Kopfe und drehte sie in seiner Hand hin und her.

Im nächsten Augenblick kletterte er an der Ecke der Wand zu dem Bleidach empor, das den vorspringenden Teil der Bibliothek bedeckte. Auf dies Dach hinaus führte das Fenster seines eignen Schlafzimmers, und in einer Minute stand er in demselben. Alles war dunkel drinnen, er bedurfte aber keines Lichtes, um sich in seinem Zimmer zurecht zu finden. Jeder Winkel, jede Ecke war ihm bekannt, der Platz, wo er seine Angelruten hatte, der Nagel, an dem sein Schmetterlingsnetz hing, die Schublade, in der er die Flasche mit seinen Elritzen und die Kanne mit dem Deckel, die seine Molche, den Schrecken aller weiblichen Wesen im Hause, enthielt. Wenn Danny so blind wie die alte Kerry gewesen wäre, würde er jeden Gegenstand, den sein Zimmer enthielt, haben finden können, ausgenommen vielleicht seine Hosen oder sein Hemd oder seinen anderen Stock oder die Mütze, die stets verloren ging, und bei der Suche nach derartigen Dingen konnte natürlicherweise keinem Jungen Licht oder Helle nützen.

Kaum hatte Danny einen einzigen Schritt in sein Zimmer getan, als er merkte, daß jemand anderes in seiner Abwesenheit darin gewesen war. Derry, sein Schäferhund mit den menschlichen Augen, der auf seinem Bett gelegen hatte, sprang herab und umschwänzelte ihn. »Nieder, Derry, nieder,« flüsterte er ihm zu und einen Augenblick meinte er, es hätte Derry sein können, der die Türe aufgestoßen hatte. Die Schnauze des Hundes hätte jedoch nicht die Steppdecke von seinem Bett herabwerfen oder die oberste Schublade, die seine Fliegen für die Angel enthielt, aufziehen, oder unter den langen Angelruten in der Ecke herumwirtschaften können. Die Steppdecke lag doppelt da, die Schublade stand offen, die Ruten lagen zerstreut umher – irgend jemand war dort gewesen, um nach ihm zu sehen und hatte, nachdem er ihn nicht gefunden, nach einem Grund für seine Abwesenheit gesucht, und derjenige, der es gewesen war, mußte ohne Licht gekommen – oder blind gewesen sein.

»Ach, 's war Kerry, die hier immer herumkramt,« redete Danny sich vor und in unangenehmer Erinnerung an Kerrys wunderbare Eigenschaft, der er als Opfer verfallen war, kam er mit sich überein, daß sein Zurückjagen ganz unnütz gewesen sei. Zu gleicher Zeit ertappte er sich dabei, einen Plan zu schmieden, der den gegen ihn sprechenden Schein zunichte machen könne. Zu seiner Ausführung hatte er einen Fuß schon auf die Treppe gesetzt, als er die Haustüre sich öffnen und schließen und einen bekannten Fußtritt die Halle durchschreiten hörte. Der Bischof war zurückgekehrt. Danny wartete und lauschte. Jetzt wurde in der Bibliothek gesprochen. Sein scharfes Ohr vermochte die Worte nicht zu unterscheiden, über die Stimmen jedoch konnte er sich nicht täuschen – es waren die des Bischofs und der blinden Kerry. Mit leisem Schritt schlich er nach Ewans Zimmer hinauf. Ewan schlief jedoch. Unter bald heißen und bald kalten Schauern entkleidete er sich und schlüpfte zu ihm ins Bett. Noch ehe er Zeit hatte, mit dem Kopf unter die Decke zu fahren, hörte er den Bischof auf der Treppe. Die Schritte wandten sich dem darunter liegenden Zimmer zu, und dann nach einer kurzen Zwischenpause hörte er sie wieder auf der Treppe. Im nächsten Augenblick wußte Danny, obgleich seine Augen natürlich fest geschlossen waren, und er anscheinend im tiefsten Schlummer lag, daß der Bischof mit einer brennenden Kerze sich über sein Bett neige.

Es hieße der Wahrheit zu nahe treten, behaupten zu wollen, daß Master Dannys' Schlaf diese Nacht ein gestörter war; am nächsten Morgen jedoch, als die Knaben gemeinschaftlich erwachten, und Ewan mit einem erstaunten Blick über seinen unerwarteten Bettgenossen sich auf seinen Ellenbogen aufrichtete, schlüpfte Danny seitwärts aus dem Bett und begann, ohne Ewan zu tief in die Augen zu blicken, seine Toilette gewohntermaßen damit, daß er seine Mütze aufsetzte. Soweit war er gekommen, als er in Hemd und Mütze dastehend mit dem Abenteuer des gestrigen Abends herausplatzte, mit dem Singen, dem plötzlichen Erscheinen des Bischofs, dem Lauf heimwärts über die Klippen und dem Herauf- und Insbettschleichen. »Du wirst mich aber nicht verraten, Ewan, nicht wahr?« sagte er. Nach Ewans Gesicht zu urteilen, mochte das Schicksal des Weltalls von seiner Antwort abhängen, er leistete jedoch das von ihm verlangte Versprechen. Dann gingen die Knaben hinunter zu Mona und vertrauten ihr das entsetzliche Geheimnis an. Darauf kam der Bischof mit bleicherem Gesicht und ernster als gewöhnlich zum Frühstück herein.

»Danny,« sagte er, »weshalb hast du diese Nacht nicht in deinem eignen Bett geschlafen, mein Junge?«

»Ich habe oben bei Ewan geschlafen, Vater,« erwiderte Danny, ohne zu zögern.

Der Bischof sagte weiter nichts darauf, und alle setzten sich zum Frühstück nieder.

»Und so seid Ihr beiden Jungen also zusammen zu Bett gegangen – zusammen?« fragte er, das letzte wiederholte Wort betonend und auf Ewan blickend.

Ewans Gesicht wurde dunkelrot, und seine Zunge stotterte: »Ja, Onkel.«

Der Bischof senkte die Augen. »Jungen,« sagte er, »wollt Ihr es glauben, ich habe Euch ein großes Unrecht getan.«

Die Jungen waren den Moment sehr mit dem Tischtuch beschäftigt.

»Ihr müßt nämlich wissen,« fuhr der Bischof fort, »daß gestern abend beim Oiel Verree ein sehr unpassender Auftritt stattgefunden hat, und die ganze Nacht bin ich durch den peinigenden Gedanken gequält worden, daß Danny vielleicht mitten dazwischen war.«

Die Köpfe der Knaben hingen sehr tief über ihre Teller herab, und Monas große Augen füllten sich sichtlich. Dannys erster Impuls war, auf der Stelle mit seinem ganzen Vergehen zutage zu kommen, er sagte sich jedoch, daß er in dem Falle Ewan der Lüge zeihen müsse. Ewan seinerseits würde den Betrug eingestanden haben, er wußte jedoch, daß dies eine Strafe für Danny bedeuten würde. Die weisen Köpfe der Knaben sahen keinen Ausweg aus diesem Wirrsal. Das Frühstück war das schweigsamste, das je an einem Weihnachtsmorgen auf Bischofs-Hof eingenommen worden war, und wunderbarerweise, so wenig auch gesprochen wurde, der Bischof tat das Wenige allein. Als sie jedoch vom Tisch aufstanden, und die Knaben in trüber Vorahnung sich aus dem Zimmer schlichen, trat Mona mit einem kummervollen, tränenfeuchten Gesicht an den Bischof heran, und aus der Tiefe ihrer großen traurigen Augen den Blick auf ihn richtend, sagte das kleine Mädchen, »Ewan wollte keine Lüge sagen – und Vetter Danny wollte Euch nicht hintergehen – aber er war – ich meine Danny – ich meine, lieber Onkel – Ihr werdet nicht –«

»Du meinst, daß Danny gestern abend auf dem Oiel Verree war – ich weiß es, Kind, ich weiß es,« sagte der Bischof und streichelte ihr lächelnd den Kopf.

Der Bischof aber wußte ebenfalls, daß Danny an dem Tage den Abgründen des Lebens um einen Schritt näher getreten und nur einen Schatten seines kindlichen Selbst zurückgelassen hatte, und in seinem innersten Herzen sah er diese verschwommene Gestalt und weinte über sie.


 << zurück weiter >>