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9

Am folgenden Morgen erhielt ich, noch im Bette liegend, einen Brief von Pritzlaff. Der Konsul schrieb: »Lieber Junge, haben sehr bedauert, daß Du Dich umsonst bemüht hast. Tante und ich waren draußen bei Boltenhagens, noch etwas Luft schnappen, ehe der Winter und das verdammte Reißen wieder loslegen. Teplitz hat übrigens in alter Weise angeschlagen. Empfehle Dir das, wenn Du mal meine Jahre auf dem Buckel hast. Kriegsjahre doppelt gerechnet. Du verstehst mich. Also komm um elf aufs Kontor! Habe prima Überraschung für Dich in petto. Exquisite Sache! Nur zugreifen und nicht lang besinnen! Pünktlich um elf, mein Junge! Um zwölf auf die Börse. Weizen loco sehr fest. Könnte noch einige Waggons gebrauchen. Frühstück bei De Crignis! Oder ziehst Du Ungar vor? Dann natürlich ins Petersburg! Dein alter Onkel Fritzepritz. Diskretion vor Tante, falls Du sie vorher noch aufsuchst!«

Ich überlas den Brief mehrere Male, drehte das Papier hin und her und überlegte mir kopfschüttelnd, was für eine Überraschung gemeint sein könne. Etwas Weibliches vielleicht? Onkel Pritzlaff verstand sich darauf. Und doch ... ich konnte es mir nicht zusammenreimen.

Auch das Erlebnis vom gestrigen Abend schien verblaßt. Ich hatte Mühe, mir die Züge der Kleinen zurückzurufen, die noch vor wenigen Stunden so unauslöschlich in mich eingeschrieben schienen. Waren das Züge, Farben, Umrisse, die nur im Halbdunkel eines mattbeleuchteten Tingeltangels, in jener Dämmerung zwischen Traum und Wachen gleichsam phosphoreszierten, aber vor der ruhigen Klarheit des Tageslichts wie spurlos verschwanden, ohne darum doch aufzuhören, wirklich zu sein? Denn als ich unwillkürlich die Augen mit der Hand überdeckte, tauchte langsam ein süßes sinnliches Mädchengesicht wieder auf und leuchtete wie aus weiter Ferne in mystischem Licht.

Pritzlaffs Kontor lag in einem der hochgiebeligen, schmalbrüstigen Häuser der Altstadt. Die steile dunkle Treppe ächzte unter meinen Tritten. An einem unvermuteten Absatz stolperte ich und mußte mich am Geländer festhalten, um nicht rückwärts abzustürzen. Als ich die Klingel zog, schlug es von der nahen Domkirche her elf Uhr. Gleichzeitig hörte ich in dem Stockwerk über mir eine Tür öffnen und wieder zuschlagen, ohne daß jemand herunterkam. Aus dem Klang schloß ich, daß es eine Glastür sein müsse, wie übrigens auch die, vor der ich stand.

Warum mir alle diese Kleinigkeiten so in Erinnerung geblieben sind? Vielleicht weil die nachfolgende halbe Stunde über mein Leben entschieden und in ihrem rückwirkenden Lichte auch das scheinbar Bedeutungslose, das ihr vorausging, Bedeutung gewonnen hat. Aber was ist am letzten Ende denn wirklich bedeutungslos in dieser Welt der verborgenen und unerforschlichen Zusammenhänge? Das Ächzen der Treppe, das Stolpern auf dem Absatz, das Öffnen und Zuschlagen der Tür ... hat vielleicht ein geheimer Sinn in dem allen gelegen? Waren es Flüsterstimmen, in denen mein kommendes Schicksal zu mir redete, aber nur taube Ohren und stumpfe Sinne fand?

Der Konsul saß vor einem Stoß von Papieren und Kontobüchern und reichte mir mitten aus der Arbeit heraus die Hand, über die er einen Schreibärmel gestreift hatte.

»Nimm Platz, mein Junge. Ich bin gleich so weit.«

»Bitte, laß dich nicht stören. Ich habe Zeit.«

Während er hastig über das Papier weiterfegte, hier und da auf einem Blättchen sich Notizen machte und Zahlen ausrechnete, hatte ich Muße, ihn zu betrachten. Ich hatte ihn seit dem Frühjahr nicht gesehen und fand ihn merklich gealtert. Die große, breitschulterige, immer etwas schwerfällige Gestalt war sehr zusammengesunken. Das vordem noch kohlschwarze Haar war stark ergraut und überquerte in dünnen Strähnen den mächtigen Schädel, der in seiner plattgedrückten Kugelform an einen tief über dem Horizont hängenden Vollmond erinnerte. Sollte dieser Vollmond, der seit der Kindheit an meinem Himmel gestanden hatte, wirklich schon seinem kalendermäßigen Untergang nahe sein? So fragte ich mich. Aber die breite fleischige Knollennase in dem glattrasierten Gesicht und das ausladende wollüstige Kinn verrieten noch die alten Lebensinstinkte dieser in Tat wie in Genuß gleich unermüdlichen und eisernen Natur.

Entschlossenheit, Rücksichtslosigkeit, selbst Grausamkeit, wenn es galt, einen geschäftlichen Vorteil auszunützen oder einem langjährigen Konkurrenten in einem günstigen Moment das Messer auf die Brust zu setzen, auf der anderen Seite eine durstige, durch nichts zu ersättigende Empfänglichkeit für die weichen Dinge dieser Welt, das waren die Pole, zwischen denen die Bahn dieses körperlich und geistig über das Maß gewachsenen Mannes sich länger als ein Menschenalter immer aufwärts und über die Höhen des Daseins hinwegbewegt hatte.

Wie hatte ich seine hinreißende und verwegene Art, das Leben zu nehmen, von Jugend an beneidet, und wie weit entfernt war ich selbst von dieser echten Tradition unserer Familie! Wer ihn nicht näher, etwa nur gesellschaftlich kannte, gewahrte den liebenswürdigsten, gastfreundlichsten, jovialsten Lebemann von kaufmännisch patrizischer Färbung. Aber welch prächtiges und gefährliches Raubtier lauerte hinter dem breiten Lachen und der gefälligen Behäbigkeit!

Wegen seines ausgearbeiteten, wollüstig grausamen Römerkopfs hatte ich ihn in meiner Primanerzeit mit dem großen Lebenskünstler und Genußmenschen Sulla verglichen. Wie ich jetzt so vor ihm saß und ihn betrachtete, mußte ich mir selbst ein Kompliment machen über die instinktive Sicherheit meiner Schülerphantasie.

Pritzlaff ordnete seine Papiere, klappte die Kontobücher zu und schloß alles sorgfältig ein. Dann zog er mich mit einer großen Gebärde an sich.

»Willkommen, Dietrich! Willkommen, mein alter Junge! Freut mich, dich wieder mal zu sehen. Gut siehst du aus. Sehr gut, mein Junge. Besser als im Frühjahr. Mein Gott! In deinen Jahren ... Bäume habe ich ausgerissen! Einen ganzen Wald von Mastbäumen hätt' ich ausreißen können! Seitdem hat man ein Loch nach dem anderen zurückgesteckt. Es gibt ein Lied mit dem Refrain: ›Und in der Kajüte wird es kalt ...‹ Hab' ich dir sicher schon vorgesungen bei De Crignis? Na also, mein Sohn. In der Kajüte wird es kalt. Und darum, mein lieber Dietrich Stobäus ... wundere dich nicht. Bleibe ruhig auf deinen vier Buchstaben sitzen. Darum also, mein lieber Junge, will ich dir jetzt ein Präsent machen, das ich dir, um offen zu sein, vor zehn Jahren, vor fünf Jahren, ach vielleicht noch vor drei Jahren nicht gemacht hätte. Dann hätt' ich es nämlich, mit Verlaub zu melden, für mich selbst behalten. Aber wie bereits so schön bemerkt, in der Kajüte wird es kalt, und alte Knaben, wie ich ganz sachte einer geworden bin, sollen ihre Finger von so etwas lassen. Diese Blume, die ich dir jetzt überreichen und ins Knopfloch stecken will, diese Wunderblume blüht mehr für die reifere Jugend von deiner Jahreszeit. Für mich hat sie leider zu spät geblüht. Hol' uns der Deiwel! Man kann nicht alles haben wollen. Dir aber rat' ich, mein lieber Dietrich Stobäus, greife zu. Nimm, was du kriegen kannst und was ich dir als dein alter Vormund und Onkel in aller Freundschaft und Uneigennützigkeit ans Herz lege.«

Pritzlaff hatte während seiner langen Rede sich mit den beiden Händen rechts und links auf meine Schultern gestützt und vorgebeugt die Worte in mich wie in einen Schalltrichter hineingesprochen. Jetzt ließ er mich los, richtete sich auf und steuerte schwerfällig zu einer Tapetentür, die zu einem Nebenraum führte. Ich meinerseits war bereit, alles über mich ergehen zu lassen, und drehte mich halb mit meinem Stuhl herum, neugierig, was da wohl herauskommen werde. Pritzlaff drückte auf die Klinke und rief durch die halbgeöffnete Tür hinein: »Immer heraus mit Ihnen, Mädelchen! Treten Sie über die Schwelle und erfüllen Sie meine niedere Hütte mit dem ganzen Glanze Ihrer achtzehn Jahre.«

Dabei streckte er seine breite, fleischige, beringte Hand durch die Türspalte und zog wie ein Fischer, der einen zappelnden Fisch aus dem Netz holt und ihn dem Käufer präsentiert, ein halb widerstrebendes Mädchen aus dem dämmerigen Hinterzimmer ins volle Tageslicht. Als es über die Schwelle getreten war und mir zwischen Lachen und Verwirrung sein Gesicht zuwandte, sah ich, daß es meine Angebetete vom gestrigen Abend war.

Einen Augenblick glaubte ich, mein Herz sollte stillstehen. Es war, als seien die Pforten seiner Kammern mit einem Schlage ins Schloß gefallen, und alles Blut schiene sich da innen anzustauen, um sich dann, wie aus einer plötzlich geöffneten Schleuse, brausend wieder durch meinen Körper zu ergießen. Ich fühlte, wie ich kreideweiß und dann glühend rot wurde, der Schweiß trat mir auf die Stirn, und es war gut, daß ich saß. Sonst hätte ich taumeln oder gar umsinken müssen. Wie durch einen blutigen Nebel oder durch einen durchsichtigen roten Vorhang hörte ich die Stimme des Konsuls:

»Hier, liebes Kind, stelle ich dir deinen künftigen Protektor und Mäzen vor, Herrn Dietrich Stobäus aus D. Er wird die Güte haben, dich an das Stadttheater in D. zu empfehlen, und dich überhaupt in jeder Weise unter seine Fittiche nehmen. Er ist ein Gentleman und du kannst dich ganz auf ihn verlassen. Dies, mein lieber Junge« – ich hörte, wie die Stimme sich an mich wandte –, »dies ist Fräulein Karola vom Elysiumtheater, mit ihrem bürgerlichen Namen Fräulein Karoline Bergmann, die Zierde und der Stern unseres Sommertheaters, wie gesagt. Vorläufig als Stern am Bühnenhimmel allerdings nur mit bewaffnetem Auge sichtbar, aber für Kenner und Forscher, wie wir es sind, mein Junge, eine kommende Größe ersten Ranges. Du mußt nämlich wissen, lieber Dietrich Stobäus, Fräulein Karola verfügt über eine geradezu entzückende, himmelssüße Nachtigallenstimme, der es nur noch an Ausbildung und Technik fehlt. Das eben ist deine Sache, mein Junge. Dafür lege ich Fräulein Karola vertrauensvoll in deine Hände. Ich bin überzeugt, du wirst das schon machen.«

Ich hatte meine äußere Fassung wiedergefunden und nickte mechanisch, ohne recht zu wissen, warum.

Der Konsul schien über meine schnelle Zustimmung sehr befriedigt.

»Na also, mein Junge!« fuhr er fort und klopfte mir ermutigend auf die Schulter. »Ich wußte ja, man kann sich auf dich verlassen. Man sieht doch gleich, was ein Mann und keine Schlafmütze ist. Ihr habt ja in D. eine so ausgezeichnete Kraft für Gesang und Stimmbildung, die Pellerini. Früher unsere erste Koloratursängerin und Primadonna hier. Meiner Zeit auch eine gute Freundin von mir. Im Vertrauen gesagt, sie heißt eigentlich Matutat, Mieze Matutat, und stammt aus Pillkallen, die brave Pellerini. Ich werde ihr schreiben, die Kleine kommt zu ihr. Und alles weitere, mein Junge, alles weitere, das siehst du ja selbst.«

Er zog das Mädchen, das bisher schweigend mit einem leichten Erröten auf dem lieblichen Engelsangesicht dagestanden hatte, näher zu mir heran.

»Da, überzeuge dich selbst, mein lieber Dietrich Stobäus. Ist man mit einer solchen Erscheinung nicht gerade prädestiniert für eine glänzende Bühnenlaufbahn? Auch ohne Stimme geradezu prädestiniert? Im übrigen mußt du nicht meinen, daß du in Fräulein Karola die erste beste junge Dame aus dem Volk vor dir hast. Fräulein Karolas Stammbaum führt durch ihre Frau Mama, eine geborene Triboleit, ebenfalls früher bei der Bühne, auf den ältesten litauischen Uradel, ja, wenn die Angaben stimmen, direkt auf den Großfürsten Jagello zurück. Du erinnerst dich von der Schule her, Jagello von Litauen, später König von Polen, 1343-1415, der Besieger des deutschen Ordens bei Tannenberg. Ich bitte dich, das zu respektieren.«

Der Konsul hatte die letzten Sätze mit einem breiten und zynischen Lachen begleitet, das wie ein Grunzen klang. In das eben noch so reine, holde und süße Gesicht der Kleinen trat ein böser Zug. Wie ein dünner senkrechter Bleistiftstrich zeichnete er sich zwischen die dunklen feingezogenen Brauen.

»Sie brauchen nicht zu lachen, Herr Konsul,« hörte ich sie sagen, und es waren die ersten Worte, die sie vor mir sprach. »Sie brauchen nicht zu lachen. Wir haben es schwarz auf weiß von meinem verstorbenen Onkel, von Mamas Bruder, daß wir von einem polnischen Obersten abstammen. Ich weiß nicht, wann er gelebt hat.«

»Selbstverständlich nicht!« warf der Konsul ein und grunzte wieder.

»Natürlich unehelich!« ergänzte die Kleine und machte jetzt ein sehr sachliches Gesicht.

»Natürlich unehelich!« echote der Konsul.

»Lachen Sie nicht immer so!« sagte die Kleine erbost und stampfte ganz heftig mit dem Fuß auf. Aber es schien ihr nicht so sehr ernst damit zu sein. Ihr Gesicht klärte sich plötzlich wieder auf und sie mußte selber lachen.

»Mein Gott, man kann doch nicht wissen, wann alle polnischen Obersten gelebt haben! Jedenfalls ist es schon sehr lange her.«

»Polnische Obersten sind immer sehr lange her!« grunzte der Konsul dazwischen.

»Und was das Uneheliche anbetrifft,« fuhr die Kleine dozierend fort, »dabei ist doch nichts. Mama ist doch auch ein uneheliches Kind. Wer kann überhaupt wissen, ob er ehelich oder unehelich ist. Vielleicht bin ich auch unehelich und weiß es nicht.«

Ich sah, wie ein Schatten über Pritzlaffs zynisch verzogenes Gesicht ging.

»Rede keinen Unsinn, mein liebes Kind!« sagte er mit einem Ausdruck, als habe er auf ein Pfefferkorn gebissen. »Ich kann das schon aus Pietät vor dem Andenken deines hochachtbaren Vaters nicht dulden.«

»Damit sage ich doch nichts gegen Papa,« warf Fräulein Karola dazwischen. »Er hätte doch nichts dafür gekonnt. Das wäre doch Sache von Mama gewesen. Und die hätte vielleicht auch nicht mal Schuld gehabt. Wer hat überhaupt Schuld in der Welt?«

Der Konsul kratzte sich geräuschvoll den Kopf und lachte mit einem Anflug von Verlegenheit, den ich noch kaum an ihm kannte:

»Du siehst, mein lieber Dietrich Stobäus, du hast ein sehr philosophisches kleines Dämchen vor dir. Laß dir das gesagt sein. Die Kleine ist nicht auf den Kopf gefallen ... Was aber Ihre Abstammung anbetrifft, mein liebes Fräulein Karola, so müssen wir doch ein für allemal daran festhalten, daß Sie die erstgeborene und eheliche Tochter des Herrn Malermeisters Immanuel Bergmann und seiner Gattin Ilona, gebornen Triboleit, sind, der dann noch sieben weitere, ebenso im ehelichen Bette erzeugte Töchter gefolgt sind. Bitte das jedenfalls zu beachten!«

»Ganz, wie Sie wünschen, Herr Konsul!« knixte die Kleine mit einem anmutigen Lächeln und einem schnellen, nicht recht verständlichen Blick zu Pritzlaff hinüber, den dieser zu übersehen schien. Er wandte sich vielmehr an mich und sagte in seinem pointierten Ton, jedesmal mit einem Grunzen zwischen den einzelnen Kadenzen:

»Du mußt nämlich wissen, mein lieber Dietrich Stobäus, Herr Immanuel Bergmann vertritt im Gegensatz zu dem großfürstlichen mütterlichen Blut mehr das bürgerliche und volkstümliche Element in dem Stammbaum dieser philosophischen jungen Dame. Herr Immanuel Bergmann hat bei Großgörschen bei Leipzig, und auf den Schlachtfeldern in der Champagne gegen den französischen Erbfeind geblutet, hat danach viele Jahre lang das ehrsame Handwerk eines Dekorationsmalers am hiesigen Stadttheater mit künstlerischem Pinsel versehen, ist erst als reiferer Mann in den heiligen Stand der Ehe getreten und hat sich endlich, nach wohlvollbrachtem Tagewerk, zu seinen Vätern versammelt. Ehre seinem Andenken!«

Der Konsul hatte sich in Schweiß geredet. Er zog sein großes, rotes Taschentuch, tupfte sich die Stirn und trat mit feierlich erhobenen Händen näher an Fräulein Karola und mich heran.

»So! Die Zeremonie der gegenseitigen Vorstellung wäre damit beendigt. Und jetzt, Kinder, jetzt habt euch! Der Herr segne euren Eingang und Ausgang! Amen!«

Damit drückte er uns so dicht gegeneinander, daß wir beinahe mit den Köpfen zusammenstießen, kehrte uns dann entschlossen den Rücken und schob sich schwerfällig gegen das Fenster, wo er in die Betrachtung eines gegenüberliegenden Getreidespeichers versank. Ich aber stand mit mühsamer Fassung, in allen Nerven glühend, vor dem schönen Mädchen, das lächelnd in meinem Gesichte zu forschen schien.

»Wir wollen gute Freunde werden, Fräulein Karola,« sagte ich schließlich und kam mir über die Maßen dumm vor, daß mir nichts Besseres einfallen wollte.

Sie schwieg und lächelte noch immer und schien in meinen Zügen weiterzuforschen.

»Wir wollen gute Freunde werden!« wiederholte ich. »Wollen wir das, Karola?«

Sie senkte den Kopf, warf einen schnellen Blick zu dem gegen die Scheiben trommelnden Konsul hinüber und errötete ein wenig, was ihr einen reizenden Anschein von Hilflosigkeit gab. Dann erhob sie mit einem himmlischen Aufschlag, der mir den letzten Rest von Besinnung raubte, ihre großen dunklen Augen zu mir und lächelte von neuem, so daß zwischen den halbgeöffneten Lippen ein Stückchen des weißen Zahnschmelzes sichtbar wurde. Wie ein schwellendes rotes Kissen mit einer schmalen weißen Stickerei in der Mitte erschienen mir diese Lippen. Ich hätte die meinen inbrünstig und besinnungslos darin versenken mögen.

»Ja, Fräulein Karola? Sagen Sie ja!« stieß ich heraus und erschrak vor meinem eigenen Ton, so rauh und heiser klang er mir.

»Vielleicht!« nickte sie leise und mit einem kleinen Seufzer. »Wir wollen sehen. Vielleicht!«

Ich ergriff ihre kühlen weichen Hände und vermählte sie mit der Glut der meinen.

»Sie schönes, schönes Mädchen, Sie!«

Der Konsul drehte sich am Fenster um und sagte, auf seine Uhr deutend, trocken und geschäftsmäßig:

»Dreiviertel zwölf! Börsenstunde, liebe Kinder! Besprecht das nötige Wie und Wo und dann trennt euch für jetzt. Das Leben ist noch lang. Weizen dagegen kann morgen schon wieder um einen halben Taler gefallen sein.«


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