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8

Die Vorstellung nimmt ihren Fortgang. Die Frau Direktor und ihre Mädchengarde singen, werfen die Beine, teilen Kußhändchen aus und erwidern sie. Der Herr Direktor, ein aufgedunsener Komiker mit einer fettig krähenden Kapaunstimme, sorgt für die Belustigung des Parterres, indem er über seine eigenen Beine stolpert, unter Tischen verschwindet und wieder zum Vorschein kommt, und mit Stühlen zusammenbricht. Die Offiziere gegenüber klatschen immer lebhafter. Sträußchen werden geschleudert, Blicke getauscht. Nach dem vorletzten Bild die pièce de résistance. Der Frau Direktor als Benefiziantin werden, im Auftrag der Offiziere, ein riesiger Lorbeerkranz, ein Pelzmuff und ein Vogelbauer mit einem Harzer Kanarienvogel auf die Bühne gereicht. Der Kanarienvogel beginnt im Lichtschein der Bühne aus voller Kehle zu schmettern, und eine rauhe Stimme aus dem Garten ruft unter schallendem Gelächter dazwischen: »August, kick mal, was die für 'n großen Vogel hat!«

Das Wort schlägt bei mir ein. Ich habe immer die gefährliche Eigenschaft besessen, sogar in der höchsten Aufregung und im stärksten Affekt, mich selbst wie einen Wildfremden beobachten und zerlegen zu können. Während ich also mit dem Publikum mitlachte, sagte ich zu mir: »Und du? Was für einen Vogel hast du? Anstatt wie ein verliebter Primaner dazusitzen und die Kleine da oben auf der Bühne anzuschmachten, wovon sie nichts hat, vielleicht kaum etwas merkt, solltest du dich lieber beeilen, ein Billetdoux hinter die Szene zu schicken und sie zu einer Cliquot bei De Crignis einzuladen, ehe es zu spät wird und vielleicht einer von den Offizieren sie dir wegschnappt.«

Aber indem von der einen Seite der Tatmensch so zu mir redet, flüstert von der andern der Stubenhocker, der Grübler und Zauderer: »Wozu dir einen Korb holen! Das Püppchen hat längst seinen Abnehmer gefunden. Du bist ein Narr! Begnüge dich mit dem Bilde als Bild und frage nicht, ob es von Leinwand oder Pappe ist. Geh hübsch nach Hause und träume davon, und morgen machst du dich aus dem Staube und siehst sie nie wieder. So bleibt sie dir eine Sehnsucht dein Lebelang. Ein holder Klang, vom Wind verweht. Das ist das Höchste, was uns beschieden ist.«

Die Vorstellung ist zu Ende. Der Vorhang fällt und hebt sich noch ein halbes dutzendmal. Beifallsklatschen, Bravorufe, Blumen, Knixe, Kußhändchen, Gläserklirren, Stühlerücken, Geldklappern, knirschender Gartenkies. Die Laternen erlöschen. Ich sehe auf und stehe allein auf der dunkeln Straße, während hier und da aus der sich zerstreuenden Menge Stimmen, wie hin und her bewegte, immer fernere Lichtchen, aufblitzen und verschwinden.

Ich stehe wie betäubt und warte noch etwas. Irgendwo ganz tief in mir wurmt eine dunkle Hoffnung, die versäumte Gelegenheit noch in letzter Minute nachzuholen, wenn meine Angebetete aus dem Tor treten werde. Aber niemand kommt. Ich höre, wie von innen verriegelt wird. Der Bühnenausgang ist rückwärts nach einer hinteren Gasse zu, fällt mir ein. Also vorbei! Zu spät! Der Lebensstümper hat wieder einmal den Tatmenschen geschlagen.

Ich knirschte mit den Zähnen, drehte mich auf dem Absatz um, und während ich langsam nach Hause ging, malte ich mir aus, wie sie sich jetzt von den Offizieren zu De Crignis führen ließe.


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