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7

Die Sonne war in einem Feuerwerk von Rot, Gelb und Violett untergegangen, und es dunkelte schon, als ich auf einem Umwege wieder in die Stadt zurückkam. Ich trat in eine Konditorei und ließ mir das Intelligenzblatt geben, um mich nach irgendeiner Zerstreuung für den Abend umzusehen. Das Stadttheater hatte seine Pforten noch nicht geöffnet, und es war wenig Auswahl. Schließlich fiel mein Blick auf eine Annonce ganz in einer Ecke, wonach das Sommertheater Elysium zu seiner Abschiedsvorstellung und gleichzeitig zum Benefiz der Frau Direktor einlud. Es wurde »Kieselack und seine Nichte vom Ballett« gegeben. Leichte Kost, die mir gerade in die Stimmung paßte.

Ein Bühnennarr bin ich immer gewesen, und unser heimisches Stadttheater hat manche Zuwendung von mir erhalten, die sich allerdings, wie ich gestehen muß, öfters auch auf die mitwirkenden Damen erstreckt hat. Ich beschloß also, ins Elysium zu gehen, aß schnell in meinem Hotel zu Abend und fuhr dann hinaus, wieder an dem Hause des Konsuls vorbei, denn das Theater lag in derselben Vorstadt, nur wenige hundert Schritte weiter.

Es war ein großer Garten mit alten dichtbelaubten Linden, von leiser herbstlicher Färbung. Nur ein paar Laternen brannten, und die Zuschauer saßen rings herum im Halbdunkel an den Holztischen und verteilten ihre Aufmerksamkeit zwischen ihren Biergläsern und dem hellerleuchteten, überwölbten Bühnenhalbrund, das sich im Hintergrunde des Gartens auftat.

Rechts und links vom Podium zogen sich gedeckte Arkaden, die in Logen eingeteilt waren. In der vordersten Loge, dicht an der Bühne und etwa in gleicher Höhe mit ihr, nahm ich Platz, bestellte mir eine Flasche Wein und zündete mir eine Zigarre an.

Das Spiel hatte bereits begonnen und die Frau Direktor schickte ihre süßesten Triller zu mir herüber, wobei sie in wechselnden Posen alle ihre brünetten Reize zu enthüllen strebte. Mir schien, daß dies alles für mich berechnet sei, denn ich bemerkte zuerst niemand in den Logen, und das Volk unten im Garten zählte ja nicht.

Unter anderen Umständen hätte ich sie vielleicht nicht lange schmachten lassen und ihr das Taschentuch des Paschas zugeworfen, denn da ich mit meinen körperlichen Vorzügen nie habe Staat machen können, so hat es mir immer doppelte Lust bereitet, das, was meiner Person versagt wurde, mir durch meinen Geldbeutel zu erzwingen und mich für die Nichtachtung des weiblichen Geschlechtes dadurch zu rächen, daß ich das Weib in seiner Erniedrigung als käufliches Objekt, als Dirne, als Sklavin genoß. Merkwürdigerweise haben unter den solchermaßen von mir Beglückten nicht wenige Gefallen an ihrer Rolle gefunden. Ein Beweis, daß die weibliche Natur, zum mindesten im Zustande sinnlicher Erregung, ein brutales Herrentum nicht ungern duldet, oft sogar danach verlangt. Ich selbst aber bin auf diesem Schleichwege, wenn auch nicht zur Liebe selbst, immerhin in ihr Grenzgebiet gekommen. Ich habe mich statt an Wein gleichsam an Schnaps betrunken und so doch wenigstens mit einer Art von Rausch mich schadlos gehalten.

Aber wie nenne ich das Unnennbare, was an jenem Abend kurz nach meinem Eintreten in die Loge mich überfällt, alle meine Sinne und Nerven, mein Fühlen und Denken, meinen ganzen Menschen gefangen nimmt, so daß die schönsten Triller und üppigsten Haremsposen der Frau Direktor mich kalt lassen und meine Augen nur ein Einziges auf der Bühne wahrnehmen, nur mit einem Einzigen mitgehen, an einem Einzigen gebannt hängen? Wie nenne ich diese rätselhafte, tückische und zerstörende Kraft, die blitzschnell mein Blut entzündet und mein Mark versengt hatte?

Mögen die Philosophen, Ärzte, Dichter oder wer sonst immer nach neuen Worten dafür sinnen! Was ist der alte, brave, ehrbare Schulbegriff Liebe gegen den Zustand wilden Taumels, süßer Trunkenheit, gieriger Leidenschaft zugleich, der von einem Moment zum andern durch und durch Besitz von mir ergriffen und mit einem Schlage, wie durch ein grauenhaftes Wunder, den alten Menschen in einen neuen umgewandelt hatte! Die Urheberin aber der furchtbaren Zauberei, die mich in meinen Grundwurzeln vergiftete und mich sofort ein Ende mit Schrecken vorausahnen ließ, ohne daß ich auch nur eine Spur von Angst davor empfand – die unbewußte Urheberin also, die Anstifterin dieser dämonischen Besessenheit war ein achtzehnjähriges, schlankes, graziöses, wundervoll gewachsenes Geschöpfchen mit aschblondem Kraushaar, dunklen, feuchtschwimmenden Augen und milchweißen Schultern, das im Bühnenchor mit noch vier, fünf anderen Mädchen mitsang und zuerst durch eine süße, glockenhelle, wenn auch kleine Stimme meine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Sie stand dabei etwas von den anderen Mädchen verdeckt, so daß ich nur aus dem Wohllaut ihres Tons auf ihre Erscheinung hatte schließen können. Aber dann bringt eine Wendung der Szene sie in den Vordergrund. Ein einziger entzückter, umfassender Kennerblick, und es ist um mich getan! Sie trägt, wie die Mitspielerinnen, ein kurz geschürztes, dünnes Ballettröckchen, das von ihren biegsamen Formen wenig mehr zu erraten übrig läßt. Ich sehe den blendenden Nacken, die durchsichtigen, zart marmorierten Schultern, den schwellenden Ansatz der Brüste, die prachtvoll modellierten weißen Arme, die hochgestellte, gertenhafte und zugleich so weich gerundete Figur, ich trinke die schwimmende Sehnsucht der großen dunklen Augen, die in die Ferne zu träumen scheinen, den unendlich keuschen und doch merkwürdig sinnlichen Liebreiz von Stirn und Wangen, an denen in gewissen Augenblicken, wenn sich der Kopf wie trunken zurückneigt, irgend etwas mich an die Leda- und Jogesichter der großen Italiener erinnert. Ich verfolge das gefällig hin und her bewegte Mädchen auf der Bühne mit neuem, immer steigendem Entzücken, denn jede Geste der schlanken, vornehmen Hände, jede Regung des biegsamen Körpers, jedes Neigen des schmalen feinen Kopfes enthüllt mir neue, noch ungesehene Reize oder zeigt mir die schon bekannten in immer anderer, wechselnder Beleuchtung.

Ich saß in meiner Loge vorgebeugt, mit angespannten Muskeln und, wie ich glaube, weit herausquellenden Augen, die lächerliche Verkörperung eines maßlos und über alle Begriffe hinaus Verliebten, der keinen Blick von dem angebeteten Mädchen wendet, als hinge Leben oder Tod daran.

Und schon begann die Eifersucht zu spielen. In der ersten Pause, die mir Zeit dazu ließ, sah ich mich argwöhnisch und feindselig um, und fand, daß die Nachbarlogen sich gefüllt hatten. Gegenüber bemerkte ich ein paar Herren, die ich für Offiziere in Zivil hielt. Sie beteiligten sich lebhaft am Klatschen und warfen der tief sich verneigenden Frau Direktor Blumen, Bonbons und Schokolade zu. Einige sehr ausdrucksvolle Kußhände schienen mehr den Chormädchen und besonders auch meiner Auserwählten zu gelten.

Ich fand dieses Benehmen rücksichtslos und empörend, obwohl ich es in anderen Fällen oft genug selbst so gehalten hatte. Aber an jenem Abend war das alles weit, weit von mir fort, als hätte ich geschlafen und sei plötzlich auf einem anderen Planeten erwacht. Mein ganzes bisheriges Leben erschien mir mit einemmal so fremd, schal, leer. Eine ausgepreßte Zitrone, die ich hinter mich warf! Ich begriff nicht, wie ich so viele Jahre hatte essen, trinken, schlafen, atmen, leben, vegetieren können, da doch meine wahre Existenz soeben erst begonnen hatte! Wie war es nur möglich gewesen, diese unendliche Zimmerflucht aneinandergereihter, gleichförmiger, graugetünchter Lebenstage zu durchwandern, ohne daß je ein Strahl von der Sonne mich beschienen hatte, die jetzt blendend in meine Augen brach und mich mit niegekannter Seligkeit erfüllte? Hatte ich die Stunden, Tage, Jahre meines Daseins bis zu diesem Augenblick nicht heruntergehaspelt, wie eine Betschwester die Perlen ihres Rosenkranzes sinn- und gedankenlos durch die Finger gleiten läßt? Plötzlich aber öffnet sich der Himmel über ihr, das Wunder steigt herab! Da bricht sie in die Knie, weiß nichts mehr, fühlt, sieht nichts mehr, als daß ein Wunder geschah und daß sie jetzt erst lebt, nie vordem gelebt hat!

Ruhe, meine Seele! Fassung, leidenschaftliches und gemartertes Herz, das noch jetzt, so manches Jahr hernach, stärker an seine Wände klopft bei der Erinnerung an den Frühlingsglanz, der an jenem Schicksalsabend in mein herbstelndes Leben kam und durch die Schuld der Sterne und meine eigene nun für immer dahin ist!

Irgendwo habe ich bei einem Dichter einmal gelesen, daß die Liebe, die uns beim ersten Anblick eines Wesens unvorbereitet, unangemeldet, wie eine Naturkatastrophe überfällt, nichts anderes sei, als das blitzartige Rückerinnern an eine frühere Seelenwanderungsexistenz, in der wir mit eben jenem Wesen schon einmal, vielleicht schon viele Male vorher, in Liebe und Haß verbunden gewesen wären. Möglich, daß diese Hypothese den meisten lächerlich und phantastisch erscheinen wird. Man muß sie wohl am eigenen Leibe erlebt und erfahren haben, um sie ganz zu verstehen. Nun denn! Ich, der, wie man sieht, ein Wörtchen in der Sache mitreden kann, ich bin von ihrer Richtigkeit überzeugt. Ich glaube daran wie an mich selbst. Nur werden wir, wenn wir vordem waren, notgedrungen auch nachher sein. Ohne Postexistenz keine Präexistenz, und umgekehrt. Eines bedingt das andere.

Was ich hier erzählt habe und noch zu erzählen gedenke, wäre also nur eine einzelne Phase und Episode aus dem in Ewigkeit währenden Ringen zweier unlöslich auf der Galeerenbank zusammengeschmiedeter Seelen, und ich hätte Chancen, den Kampf zwischen Mann und Weib, in dem ich für diesmal zugrunde gegangen bin, unter anderen Sternen, in fernen Regionen und ungedachten Zeiten noch einmal, vielleicht noch oftmals und dann mit glücklicherem Ausgang zu bestehen.


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