Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom, I. Buch
Karl Gutzkow

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Erstes Bändchen.

1 Erstes Buch.

3 1.

Langen-Nauenheim ist eines jener nordhessischen Dörfer, die so recht mitten im Herzen Deutschlands liegen. Dennoch ist ihnen nicht so warm gebettet, wie es sein sollte an der Brust einer so großen Mutter, wie das Vaterland. Sieht man in Langen-Nauenheim die verfallenen Hütten mit ihren Stroh- und Schindeldächern, rings die dünngesäeten wie frierenden Halme auf den Feldern, das spätreifende Steinobst an den wenigen Bäumen oberhalb eines der vielen Bäche, die da- und dorther von den rothen Felsen des Gebirgs so behend niedereilen, als suchten auch sie, wie andere Quellen, blumengeschmückte grüne Matten, so begreift man nicht, wie all der Kummer und das Elend es hergeben können, daß in der Hauptstadt des Landes jeden Mittag Schlag zwölf Uhr eine so prächtige Wachparade von goldgestickten Uniformen und stolzberittenen Husaren aufziehen kann.

Freilich ist Langen-Nauenheim ebendeshalb auch so gut regiert wie Klein-Bockenheim und Ober-Heddersheim und hat am Eingang und Ausgang seinen bunten Pfahl mit den Landesfarben und den Namen des Regierungs- und Steueramtsbezirks, zu dem es auf Gottes Erdboden gehört, hat sein Amthaus, seine Spritzenordnung, seinen Feuerversicherungszwang, seinen Büttel, seinen Nachtwächter und seinen sogar landesherrlich salarirten Schulmeister.

4 Letzterer hieß Gottlieb Schwarz.

Gerade jedoch sein Häuschen ist keines von den schmuckeren.

Fast lehnt es an die Kirche an, die aber selbst so grau und geflickt zwischen zwei kleinen Hügeln steckt wie ein großes Storchennest zwischen den Hörnern eines Strohdachgiebels. Fenster hat es, wo die Scheiben mit alten Schulheften geflickt sind; der Regen corrigirte die Schreibfehler und falschen Grundstriche der langen-nauenheimer Jugend. Dicht in der Nähe liegt ein Gärtchen mit einem Staket von dürrem Reisig, zwischen dem im Juni manchmal einige Erbsen blühen, falls man im April sie zu säen nicht vergessen hat, was schon vorgekommen ist.

Vor Jahren – damals war hier alles noch anders.

Damals war Gottlieb Schwarz selbstverständlich jünger, mit rosigen Hoffnungen eben aus einem hochlöblichen Landes-Schullehrerseminar hervorgegangen. Wie herrlich hatte sich das ausgenommen, wenn die jungen Volks-Lehramtscandidaten im Seminargarten Rosenstöcke veredelten und süße Birnen auf sauere Quitten pfropften! Auch Seidenzucht trieb man, versandte auch – wenigstens im Geiste – den köstlichsten Honig an die Lebküchler von Frankfurt am Main und Nürnberg! In der Theorie bewährte sich das alles prächtig und vielleicht auch einige Jahre lang in der Praxis, wenigstens zu Langen-Nauenheim am Diemel-, Demel-, Donners- und Dustersbach – die Geographen haben unter vier Bächen, an denen sie Langen-Nauenheim können liegen lassen, die Auswahl – dann aber . . . Ja dann folgte vorzugsweise ein Weib, das nicht richtig gewählt war, folgten Kinder, sieben »lebendige«, nächstdem keine Beförderung, keine »Aufbesserung«, immer die aschgrau bleibende aussichtslose Zukunft und das vielbesprochene Leid eines deutschen Schullehrers. Ja, das ist ein Beruf, den plötzlich eines schönen Morgens in Deutschland, dem Vaterlande des Gedankens, der Buchdrucker- und 5 Buchmacherkunst, niemand mehr gewählt haben wird, weil den Ofen zu heizen bei der Locomotive einträglicher ist.

Gottlieb Schwarz erntete, vollends als Witwer, Brennesseln, wo er einst von oculirten Rosen geträumt hatte und von jenen saftigen, länglichen, so schön röthlich angesprenkelten Birnen, die man beim Dessert eines frankfurter Bankiers Tafelbirnen nennt und die selbst die eingeladenen Diplomaten nicht verschmähen in die Tasche zu stecken und sie ihren Kindern vom Diner mit heimzubringen.

Doch um von Kindern zu reden.

Gottlieb Schwarz wird soeben von seinen sieben »Lebendigen« eines »los«.

Das ist die Lucinde, die Aelteste! Dies mit der damals noch bei ihm nachschimmernden Romantik des Seminars getaufte Kind Maria Ludovica Lucinda ist eben dreizehn Jahre alt und im Begriff die »Kinderlehre« zu absolviren. Ein nach dem unpoetischen Vergleich eines Fuhrmanns wie eine »langhalsige Flasche« aufgeschossenes Mädchen steigt in eine Kutsche zu einer vornehmen alten Dame, die sie nach der Residenz entführen will. Maria Ludovica Lucinda, die mit solchem Staatsnamen Getaufte, die hätte der Vater eigentlich lieber daheim behalten sollen. Sie war in seiner spät geschlossenen Ehe das erste spät gekommene Kind gewesen (als eines den Anfang gemacht hatte, ging das Niederkommen rascher, die Natur hat ihre wunderlichen Gesetze); sie war noch, wie ihr Name zeigte, von leuchtenden Hoffnungen begrüßt worden, und Ida, Clara, Estrella, Balduin, Hugo, Achilles, Patroklus, was sollte nicht alles ihr nachfolgen! Doch blieb der hoffnungsvolle symbolische Aufschwung nur bei der Erstgeborenen und die Spätern hingen schon alle von den Namen derer ab, die als Anne, Kathrine, Michel, Kaspar u. s. w. ihnen ein Pathengeschenk ins Tauftuch binden konnten. Lucinde, die Romantische, 6 Nachhall verklungener Jugend-Zaubertöne, – Goldenes Morgenroth des Lebens, o, daß wir einst dein Bild nur noch einmal, einmal wiedersehen, im Abendroth! – Lucinde verwerthete sich dem Witwer noch am besten von seinem reichen Kindersegen, denn die »Lange« hatte Neigung zum Schulmeistern. Sie konnte zwar keinen Eierkuchen backen ohne ihn anzubrennen, aber sie stand dem Vater in seiner jetzt schon sogenannten »Schulfuchserei« bei. Sie sprach nicht gerade englisch, nicht französisch, aber an einer alten Wandlandkarte, die sich staatsinventariumsmäßig im langen-nauenheimer Schulhause erhalten hatte aus einer Zeit, wo man noch einige Inseln der Südsee und das Innere Afrikas nicht entdeckt hatte, konnte sie stundenlang stehen und ihrer Zuhörerschaft Wunder vortragen von den Pyramiden, die sie nach Amerika, von den Porzellanthürmen, die sie gen Afrika versetzte. Die Gegenden, wo es noch Bären und Wölfe gab, wurden der langen-nauenheimer Jugend von ihr im hintersten Indien gezeigt, womit freilich im Widerspruch stand, daß der Revierförster der zwei Dörfer weiter wohnenden Herrschaft dann und wann noch einen von »da drüben herüber«, vom Rhöngebirge, kommenden Wolf just gegen Weihnachten geschossen hatte.

Gottlieb Schwarz war lange schon in der Stimmung, zu allem, was ihm das Leben bescheerte, nur mit eigenthümlicher Miene zu lächeln. Jene wilden Verzweiflungen, wo der Mensch sich in die Haare fährt und »Gott! Gott! Gott! ist's denn möglich!« oder dergleichen dumme Redensarten ausstößt, hatte er schon hinter sich. Auch zu dem Abschied seiner Lucinde lächelte er. Mußten einmal die Kinder »versorgt« werden, so fängt man ja ganz natürlich von oben mit der »Latte« an. Die Nächste nach der »Latte«, ein Kind, das schon mit irdischerm Namen nach der Frau des obenerwähnten Revierförsters Luise hieß, verstand sich zwar nicht so gut auf Geographie als Lucinde, aber sie rechnete 7 besser und ihre Eierkuchen brannten nicht an; Hannchen vollends, die Dritte – wieder nichts Mythologisches mehr – war erst zehn Jahre alt, hatte aber mehr Sinn für die Wirthschaft als die beiden Aeltesten zusammengenommen; sie ließ sich nie die Mühe verdrießen, nach den geheimen Orten zu suchen, wohin die Hühner ihre Eier legten, sie pflanzte gern und hielt recht hausmütterlich ihre kleinern Geschwister zum Kleiderschonen und Nasenputzen an. Endlich bestand der Rest der Nachkommenschaft des früh gealterten Männleins aus Knaben und von denen konnten sich erst zwei die Hosen selbst zuknöpfen.

Das Rathsame, warum erst Lucinde weggegeben werden mußte, lag besonders darin, daß sie hübsch und etwas hoch hinaus war. Sie hatte kostspielige Liebhabereien. Schwarz von Namen und von Haar und von Augen, pflegte sie sich gerade gern mit irgendeinem zinnober- oder purpurrothen Stück Zeug zu putzen, mit Bändern und Lappen, und hätten diese ringsum die Pachterstöchter oder die Frau Pfarrerin selbst schon nahe am Wegwerfen gehabt; die flocht sie dann noch in das dunkle, schwere, etwas rauhe, etwas roßhaarmatratzenmäßige, weil ungepflegte Haar. Ferner hatte sie die Liebhaberei, unendlich träge, geradezu herausgesagt faul zu sein, sich den Sonnenschein so in den offenen kleinen, rothlippigen Mund scheinen zu lassen, daß dabei die weißen Zähne wie Perlen blitzten. Sie hatte die Liebhaberei, sich in einer Luke des verwitterten Hausdachs einen Taubenschlag zu halten. Kurz, der Vater ließ die Lucinde lieber ziehen und sie ging auch gern: ihre Leidenschaft war eben die Geographie und ihre Träume spielten sozusagen »jenseit der Berge«.

Das halbe Dorf umsteht den Wagen, mit dem Lucinde in die Residenz fährt.

Man sieht, was ihr auf ihre Lebensbahn mitgegeben wird . . . Zwar nicht die vier Hemden, die sechs Taschentücher, das Dutzend 8 Strmüpfe, ihr Sonntagskleid, die ein zugeknöpftes Bündel machen und demzufolge verborgen und ohne Kritik bleiben; aber den selbstgefertigten Seidenhut, für dessen Form ein urweltliches Modell von der Frau Pfarrerin diente, für dessen Besatz Bänder und Lappen von allen Honoratioren, die hier im Bereich der vier Bäche wohnten, entlehnt worden waren. Ihre Toilettegeräthschaften sind in einem wunderlichen Korb beherbergt, dessen Erscheinen ein allgemeines Gelächter hervorruft. Es ist ein drahtgeflochtener Bienenhelm, in dem Gottlieb Schwarz damals, ehebevor er sich verehelicht hatte, in seinem damals erfreulichern Gartenwesen noch nach dem Leben und Weben in seinen Bienenkörben geschaut und Verwirklichung seminaristischer Ideale getrieben hatte. Manche von den Aeltern, die herumstehen, wissen noch, daß das »Klima« bald äußerlich bald innerlich für Bienenzucht hier zu Lande zu rauh wurde. Dann hatte Lucinde oft diesen Helm benutzt, um der Schuljugend poetische Schauer und Schrecken einzujagen. Als praktische Erläuterung ihres Geschichtsunterrichts über das Mittelalter rannte sie mit vermummtem Kopf den Kindern nach und veranlaßte Turnierschauspiele, bei welchen mancher Ente der Fuß verrenkt wurde. In diesen dorfbekannten Helm hat Lucinde alle ihre Geheimnisse verpackt, auch ihre Näh-, Strick- und Stickapparate, die ihr leider in jeder Beziehung zu sehr Geheimnisse geblieben waren. Dann kommt ein Sack mit gedörrten Zwetschen von jener langen-nauenheimer Art, die erst sechs Stunden im Wasser quellen muß, bis sie ans Feuer kommen darf und auch dann noch wie ein Gericht Kieselsteine schmeckt; ferner ein Kober voll Eier, die sehr behutsam im Innern des Wagens untergebracht werden, und zuletzt auf die Höhe des Gefährts, über dem Verdeck, ein großer Waschkorb, den Lucinde sehr feierlich zurückzuschicken versprechen muß. In ihm gurrt, gluckst und gurgelt es durcheinander. Es ist ihr Taubenschlag. Ohne ihre 9 Tauben mochte Lucinde nicht mit in die Stadt und die vornehme Dame hatte auch gerade für diese die bequemste und passendste Unterkunft versprochen.

Die Abreise Lucindens war gewiß für Langen-Nauenheim etwas höchst Merkwürdiges und Seltsames. Sie erregte Staunen genug, jedoch nur Staunen. Keine Thräne floß, beim Vater nicht, bei den ältern Geschwistern nicht; die jüngsten weinten nur, weil sie nicht »mitgenommen« wurden. Die Hauptsorge des Vaters war das baldige Zurückschicken des Waschkorbs; er schlug den Nacht-Eilwagen, die Fahrpost, die Briefpost, die Diligence und mehrere landeskundige Hauderer als auszuwählende beste Retourgelegenheit vor. Die Tauben gab er leichter dahin; die kosteten ihm ja ein »Schreckliches« an Erbsen und dem ganzen Hause an Zeit. »Wer sich Tauben hält, ist immer ein verdorbener Millionär«, war einer von den Sätzen, wie er dergleichen sonst vor zwanzig Jahren in sein Tagebuch zu schreiben pflegte.

Die Kutsche fährt ab; die Leute sehen ihr nach wie der Thurn und Taxis'schen Post. Das Fremde kommt, das Fremde geht . . . Gottlieb Schwarz steht vielleicht am längsten. Dann nimmt aber auch er erst nachdenklich noch eine Prise, die er sich »auch noch zu seinem Verderben« angewöhnt hat, und geht – Es ist Sonnabend Nachmittags – die seligste Zeit des Schullehrerlebens! – in die am Ende des Dorfes, vor dem großen Berge liegende Fuhrmannsausspannung. Da pflegten die Fuhrleute und mehreren Conducteure der Thurn und Taxis'schen Postcurse Vorspann, geistigen und leiblichen, zu nehmen. Es war immer eine muntere Welt dort; eine frankfurter Zeitung lag auf, die Lucindens Vater eifrig studirte, um auf den Ausbruch besserer Zeiten gerüstet zu sein. Die Zeiten, wo er im »Beiwagen« dieser Zeitung gesucht hatte, ob nicht endlich seine letzten Einsendungen, die »Ferienphantasieen eines deutschen Dorfschullehrers«, seine 10 »Jubel-Vorschläge zur Verbesserung der Volkserziehung«, seine »Beobachtungen über die merkwürdige Entwickelung eines Hagebuttenpfropfreises zur Erzielung veredelter Dornröschen«, sein »Aufruf an die deutsche Nation zur Abschaffung des überflüssigen Dehnbuchstabens H« und ähnliche Stilübungen und seminaristische Reminiscenzen zum Abdruck gekommen waren, die lagen weit schon, weit, weit hinter ihm . . . Um die Erinnerungen zu stopfen, um sich gleichsam über die Versorgung seines Kindes zu freuen, trinkt er denn nun wol auch heute einen Schoppen mehr als nöthig von jenem etwas schweren Bier, das die Fuhrleute lieben, ehe sie über den großen Berg »machen« . . . Wol war es bedenklich, daß Gottlieb Schwarz unter ihnen mehr verkehrte, als seiner Stellung und besonders dem späten Heimwanken gut war, wenn Nachts die lieben Sternlein blinken und die vielen Brücken von vier Bächen beachtet werden müssen, die hier alle so still und kühl und mit dem Leid der Menschen dahinfließen.


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