Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Vierundzwanzigstes Kapitel: Der nächste Tag.

Der Fürst fuhr am andern Morgen zum Bahnhofe, nicht ohne die sichere Erwartung, daß der Tag ihm einige recht wenig angenehme Stunden bringen würde. Es fröstelte ihn jetzt schon wie einen, der lange in der Sonne gestanden hat und nun in den Schatten treten muß.

Die Fürstin hat im Schlafwagen eine sehr gute Nacht gehabt, und ihre plötzliche, unerwartete und, wie sie wohl ahnt, unerwünschte Ankunft macht sie freundlicher und geschmeidiger. Freilich, in ihres Mannes Augen ist ein gewisser Blick, der ihr nicht gefällt. – Das wird Rosmaries Einfluß sein.

»Nun, diese graue Luft könnte man zwar auch in Berlin haben, aber ich bin froh, daß ich dem alten Nebel- und Regenneste entflohen bin. Du freust dich auch, daß ich komme; nichts als Scherereien und Ungemütlichkeiten wirst du gehabt haben.«

Der Fürst lächelt ein wenig. »Recht sorgliche Tage hatte ich, und Rosmarie ist noch sehr zart, aber sie hat in der letzten Zeit Fortschritte gemacht. Große Fortschritte!«

Sie stehen in dem schön mit Palmen geschmückten Vestibül des Hotel Angst, und mit großer Schnelligkeit zieht der Fürst seine Gemahlin in den Lift; er hat oben den nichts ahnenden Harro gesehen, der mit einem Blütenzweig in der Hand die Treppe hinauf steigt. Die Fürstin hat aber schnelle Augen.

»War das nicht der Thorsteiner? Wie ist das möglich?« Aber der Fürst zieht vor, ihre Frage zu überhören, und nun sind sie schon in den Räumen, die er für sie bestellt hat. Es sind nicht die besten Zimmer, die sind schon vergeben, aber die Fürstin findet vorderhand nichts auszusetzen. Sie darf nur ihren Reisemantel abwerfen, sie hat schon Toilette gemacht.

»Nun also, Fried, was macht die arme Rosmarie heute, sie wird noch elender geworden sein.«

»Du wirst dich sehr verwundern, wenn du sie siehst, Charlotte.« »Ich kann es mir schon denken, größer und fahler als irgend ein Mensch sonst. Diese unglückselige Länge.«

»Sie ist sehr schön geworden.«

»Schön, die Rosmarie?«

»Sie schlägt damit vollständig aus der Art. Wie ein Schwan im Hühnerhof wird sie unter den andern Brauneckern aussehen. Ich muß ein Bild von ihr haben.«

Die Fürstin starrt ihren Mann an. Was hat er denn nur? Etwas ganz Fremdes, fast Fröhliches ist an ihm!

»Es macht die große Freude, Charlotte, die verschönt auch, und du hast recht gesehen, der Thorsteiner ist da.«

»Der Thorsteiner – er ist dir nachgereist?«

»Er war schon da, als ich kam.«

»Fried, was soll das heißen, ich bin sprachlos, ich verstehe dich nicht mehr.«

»Nun also, die Rosmarie ist Braut, seit gestern. Und wen sie liebt und immer geliebt hat, das weißt du ja auch; du hast ihn ja mit seinem Blütenzweig gesehen.«

Die Fürstin stieß eine fast gellende Lache aus.

»Der Ruinengraf! Der Harro Thorstein, der mit seinen Schildereien handelt, und die Rosmarie! Ja will er sie denn? Sie war ihm doch so lästig mit ihrer lächerlichen Verliebtheit, schon als kleines Mädchen!«

»So wird sie wohl mit Rosmarie gehandelt haben,« denkt der Fürst.

»Es wird das beste sein, Charlotte, du suchst dich so bald als möglich mit dem Gedanken auszusöhnen. Harro ist mir stets sehr wert gewesen, und ich war ihm immer dankbar für seinen Beistand.« »Du willst sagen, er habe sich, als Rosmarie allein mit dieser Person, dieser Miß Granger, war, an sie wieder herangepirscht. Nun, ein Goldvogel ist ja die Rosmarie für einen armen Raubritter wie den Thorsteiner!«

Der Fürst stand mit dem Rücken gegen das Fenster, und sein Gesicht hatte einen merkwürdig starren Ausdruck angenommen, den sie gar nicht an ihm kannte.

»Ja, hast du dir denn nicht überlegt, was die Vettern, was deine Schwester dazu sagen werden, daß du die einzige Tochter einem Abenteurer gibst?«

»Zu welch verschiedenen Dingen der gute Harro, dessen Leben so offenbar neben dem unsrigen hergegangen ist, sich entwickelt hat. Ein Raubritter ... – ein Abenteurer –«

»Von seinem Leben in Paris – wie es die Herren Künstler mit ihren Modellen treiben, das weiß man ja, – wirst du auch nichts erfahren haben. Und jetzt in Rom – du glaubst doch nicht, daß die Rosmarie, die sich ihm schamlos in den Weg warf ...«

»Beendigen wir dies Gespräch, Charlotte! Erhole dich ein wenig von deiner Reise und suche dich mit dem Gedanken auszusöhnen. Harro Thorstein schien dir früher nicht unangenehm zu sein; du mußt dich jetzt, da er doch ein Glied der Familie wird, mit ihm aussöhnen.«

»Fried, du verbirgst mir irgend etwas! Meinst du, ich hätte es dir nicht sofort angesehen, wie ich aus dem Zuge stieg? Dieser Mensch hat sich hier eingeschlichen, hat Rosmarie kompromittiert, unmöglich gemacht – du kannst nicht mehr anders!«

»Strenge deine Phantasie nicht gar zu sehr an, auf das Richtige kommst du in Ewigkeit nicht. Und jetzt bitte ich dich, mich zu entschuldigen, ich habe mit Harro zu sprechen.«

Und dabei ging er so ruhig hinaus, als ob ihr Gespräch aufs liebenswürdigste geschlossen hätte.

Die Fürstin sah ihm nach, sprachlos, dann sank sie auf einen Stuhl. »Der Harro Thorstein – von allen Menschen! Der soll Rosmarie gehören. Nun, man wird sie ihm auf dem Präsentierteller angeboten haben, und er wird es sich haben gefallen lassen.« –

Es zuckt durch ihre Seele wie ein wildes brennendes Weh. Als ob ihr das Leben alles, alles versagt und es jener andern gegeben habe. »Alles, alles hat sie!« stöhnt sie, und es kam ihr nicht zum Bewußtsein, wie sinnlos das war. Sie ging in ihr Schlafzimmer, schickte ihre Kammerfrau mit ärgerlichen Worten hinaus und warf sich auf ihr Bett. Ein Bild steht ihr vor Augen: Der lange Thorsteiner, wie er mit dem schönsten Lächeln, das seine Elfenbeinzähne aufblitzen macht, zu der kleinen Rosmarie aufsieht, die über ihm auf einer Mauer steht und sich einen Blütenzweig über den Kopf zieht. Sie muß es immer wieder sehen. Wenn er das Lächeln für jemand anders gehabt hätte ... ja ...

Und in immer neuer Bitterkeit dreht und wendet sie ihr jetziges Leben herum, ein müßiges Genußleben mit auf das allergeringste Maß beschränkten Pflichten. Daß das keine Befriedigung gewähren kann, weiß sie nicht. Denn leben nicht andere noch rauschender, noch glänzender und amüsieren sich offenbar trefflich dabei?

Ihrem verlorenen Kinde hatte sie nicht nachgeweint. O nein, als die schlimmsten Tage vorüber waren und die lockende Freiheit sich zeigte, da hatte sie in der Tiefe ihres Herzens nur aufgejubelt. Es mochte wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein, daß sie ihren Zustand als werdende Mutter so quälend und beängstigend empfand, vielleicht hätte sie einmal die Geburt eines lebensfähigen Kindes mit ihrem eigenen Leben bezahlen müssen. Das war aber nun vergessen.

Jetzt warf sie sich weinend und wimmernd herum: »Mein Sohn, mein Kind! Wenn ich es hätte, müßte ich mir dann eine solche Nichtachtung gefallen lassen? Daß man über mich hinwegsieht, als wäre ich gar nicht da, die wichtigsten Dinge beschließt und mir nachher allergnädigst mitteilt, daß ich mich damit abzufinden habe. Aber das ist Rosmaries Einfluß. Sie ist wieder Herr geworden über den schwachen Vater. Die Heuchlerin! Wie wird sie jetzt triumphieren. Von ihrer Untat ist wohl gar keine Rede mehr. Sie hat sich hinausgelogen, und mit solchem Erfolg, daß es nun wohl heißen wird, sie, die unglückliche und beraubte Mutter habe das alles erfunden!«

Mit unsäglicher Bitterkeit wühlen ihre Gedanken darin.

Und schön soll Rosmarie geworden sein! Die arme Fürstin muß sich schon die glänzenden Siege vorstellen, die Rosmarie erleben wird. Sie kennt ja die Welt. Wenn der Thorsteiner Prinzgemahl geworden ist und auf einem der Braunecker Schlösser lebt, so wird seine Ruinenvergangenheit nur mehr ein Gesprächsthema für Stiftsdamen und männliche und weibliche Klatschbasen werden. Die »Welt« wird sich nicht daran kehren. Wird auf seine Feste gehen, seines Schwiegervaters köstliche Weine trinken, ein wenig medisieren und im übrigen der schönen Frau den Hof machen.

Alles, was sie selbst besitzt, ist plötzlich wertlos geworden, wie ein armes Stückchen Glas neben einem Diamanten.

Und das allerbitterste ist: Rosmarie hat den Diamanten. Ach, der unerträgliche Triumph, den sie jetzt verstehen wird, auszustrahlen!

Die Fürstin hat sich im Leben nicht so todunglücklich gefühlt.

Und ja – sie hat wohl Grund dazu.

Der Fürst war in Harros Zimmer gegangen.

»Ich muß dich um etwas bitten. Du mußt womöglich heute noch abreisen.«

»Heute – Vater?«

»Rosmarie muß sich auch darein finden. Ja, ich hätte euch gerne noch ein paar schöne Tage gegönnt, aber so ist das Leben, – es macht jeden Tag ein anderes Gesicht. Ich habe eine nicht gerade angenehme Szene mit der Fürstin gehabt, und ich halte es für besser für das zukünftige Verhältnis, daß sie dich erst begrüßt, wenn sie in anderer Stimmung ist. Ich denke dabei an dich, Harro. Und wäre es nicht am besten, du gingest nach Thorstein und beschleunigtest den Bau?«

»Du wolltest mir Rosmarie schon bald geben?«

»Ich habe nicht an eine lange Wartezeit gedacht.«

»Du vertraust sie mir an – ich weiß ja, wie sie geschont werden muß – ich verspreche dir.«

»Nicht so stürmisch, es ist noch nicht alles spruchreif. Ich will, daß das Kind in die Ruhe kommt. Und ich meine, im Hinblick darauf sollte auch Rosmarie es verstehen, daß du gehst.

Ich habe mir gedacht, du gehst jetzt in die Villa Riposa, frühstückst mit Rosmarie und bleibst bei ihr, ich will sagen bis elf Uhr, und verabschiedest dich dann gleich von ihr. Glaube mir, es ist alles wohl überlegt.«

»Lieber Vater, wenn du mich doch dir danken ließest!«

»Harro, du weißt, wie du allein mir danken kannst. Und wohin gehst du?«

»Nach Rom, um dort abzubrechen, und dann sofort nach dem Thorstein. Ich wünsche mir sechs Arme, zwei Köpfe, – ich kenne ja Rosmaries Wünsche, und nun ich für sie arbeite!«

»Harro, mach deine Sache gut bei Rosmarie.« –

Harro trägt seinen Blütenzweig, und ehe er fortgeht, muß er noch einen Blick in den Spiegel werfen, wobei er rot wird. Die paar Silberhaare an den Schläfen machen ihm wenig. Alt fühlt er sich nicht, und wie er die Treppe hinunterspringt mit seinem Blütenzweig, ist's ihm, als sei er seit seinem zweiundzwanzigsten Jahre, wo er zugleich Vater und Heimat verlor, nicht mehr so jung gewesen.

Rosmarie kommt ihm entgegen bis zu dem Palmengang, welch eine liebliche Röte liegt auf ihrem Angesicht.

»Und du bist allein – ohne Vater und Mama?«

»Die Fürstin habe ich noch nicht gesehen, sie muß wohl erst mit mir versöhnt werden, das heißt mit meiner neuen Würde. Und ich darf mit dir frühstücken.«

Nicht einmal ihre Lippen berührt er, die schönen feingeschwungenen Lippen, die sich so gleich geblieben sind. Und nun kann Rosmarie Hausfrau spielen und ihm wieder wie in früheren Tagen Tee bereiten und seinem Blütenzweig ihre Wartung zukommen lassen. Eine verklärte Feierlichkeit liegt auf ihnen, und kaum wagt eines das andere anzusehen, als fürchteten sie sich vor dem Überschwang der Gefühle. Und die feinen Formen, in denen sie sich beide ihr Lebtag bewegt haben, geben ihrem Beisammensein eine vornehme Würde und Ruhe. Sie sprechen auch nur von Vergangenem. Auf der Gegenwart liegt ja noch ein morgenweicher Flaum, und die Zukunft ist ein so wunderbares Goldland. Darf man es denn glauben!

Ist es denn möglich, daß ihre kühnsten Traume wahr werden könnten! Ach, alles ist noch so unwahrscheinlich, so unmöglich selig für ihr leidgewohntes Herz!

Und nun stehen sie auf der kleinen Loggia und sehen in den blauen Morgen hinaus. Ein leiser Morgenwind rauscht in den Palmen, und fern liegt ein so unsäglich blauer Schein dazwischen, ein Stück auf den Boden gefallener Himmel, – das Meer. Wie die Rosen duften und dort die Veilchenbänke.

»Nun kommt der Frühling, Rosmarie.«

Es sind ja nur so kurze arme Worte, aber welch ein tiefer Sinn liegt jetzt in allem, an diesem Morgen, wo die Welt so neu ist, als wäre heut ein Schöpfungstag. War der Himmel je so blau, und kann das ein irdisches Meer sein?

Da nimmt er sanft ihre Hand, und leise, schüchtern legt sie den Kopf an seine Schulter, beinahe, wie sie es als Kind getan. Und ein seliges Schweigen.

Als flögen kleine Engel im holden Reigen um sie, als sängen Nachtigallen von allen Zweigen, als wäre zum ersten Male in diese Welt die holde Liebe herabgestiegen.

Es tönt ein Schritt, Harro fährt zusammen, ach, die Paradieseszeit vergeht, und schon klopft das alte Leben an ihre Türe.

»Rosmarie, wir müssen scheiden heut, nur für eine kurze Weile. Ich muß dir dein Haus, das schönste im ganzen Land, bauen, Liebste. Dein Vater wünscht, daß ich heute gehe. Ich habe ihm so unsäglich viel zu danken. Wir müssen gehorchen. Nicht erbleichen, Liebste! Sind wir je so hoffnungsvoll auseinander gegangen. Sei stark, Seele. – Hast du je zu hoffen gewagt, was uns gestern beschert wurde? Nun trag dein Glück in festen Händen, Liebste! Jetzt nicht trauern!«

Rosmarie lehnt wortlos an seiner Brust.

»Sieh auf, Holdseligste, kannst du jetzt nicht dein ganzes Herz zusammennehmen!«

Oh, die lieben, lieben Worte, sie hat sie auf ihr Herz herabtauen lassen wollen. Nun flüstert sie:

»Harro, ich will gar nicht, daß du jetzt hier bleibst. Und ich danke es dem Vater tausendmal, daß er dich jetzt fortschickt. Und all das – das Häßliche ganz allein auf sich nimmt. Und ich habe Mut, Harro. – Und alle meine Kerzen brennen.«

Und Harro beugt sich herab und küßt zum erstenmal ihre reine weiße Stirne. Sie ist ihm so heilig in ihrer erst gestern erwachten Jungfräulichkeit. Und seine Schonung zeigt, daß er ihrer wert ist. Noch bebt sie ja wie ein schwaches Schilfrohr in seinem Arm, es ist noch Frühling, allererster Frühling in ihrem kaum dem Tod entrissenen Herzen, und der Sommer mit seiner Strahlenglut ist noch ferne.

Und so scheiden sie. In Harros Herzen schlagen alle Lerchen zusammen, und ein Glanz und eine Weichheit ist in seinen Augen, wie er durch den strahlenden Morgen geht an jenem ersten Schöpfungstag. –

Fürst und Fürstin speisen in bedrückendem Schweigen in ihrem hohen, sonndurchstrahlten Hotelzimmer. Der Fürst macht auch nicht den geringsten Versuch, das Morgengespräch zu wiederholen. Die Fürstin will nicht beginnen, zum ersten Male fürchtet sie sich ein wenig vor ihm, und das tut ihr ganz außerordentlich gut.

Endlich erhebt sich der Fürst: »Ich werde jetzt nach Rosmarie sehen, Harro ist abgereist, und ich denke, wir werden ihn erst in Brauneck wiedersehen.«

Die Fürstin sagt fast unterwürfig: »Ich werde mitgehen.« »Um so besser.«

Und die beiden gehen den kurzen Weg, in das Gäßchen hinein kann man doch nicht fahren.

Rosmarie kommt ihnen entgegen mit blühenden Wangen, wie zarte Kletterrosen, die nach innen hold erröten. Der Fürst ist sehr erstaunt, das hat er nicht erwartet nach dem Abschied heute morgen. Sie küßt ihrer Mutter, die ganz blaß geworden ist, die Hand: »Mama, ich danke dir, daß du kamst. Ach, wie hast du so Schlimmes von mir denken müssen!«

Die Fürstin erwidert: »Du gibst also noch nichts zu und willst meine eigenen Augen nun ins Gesicht Lügen strafen!«

»Ich meine, wir lassen diese Erörterung,« warf der Fürst nervös ein.

»Lieber Vater, es muß doch gesagt sein. Mama hat das Recht, es zu erwarten. Ich kann freilich auch jetzt nicht mich zu etwas bekennen, was ich nicht getan habe. Aber daß Mama sonst allen Grund hatte, mit mir unzufrieden zu sein ... O Mama, ich habe darum gelitten, sehr.«

»Ich bitte dich, Charlotte, laß das genug sein,« rief der Fürst mit so gequälter Stimme, daß selbst die Fürstin nun sich mit einem stummen Achselzucken begnügte.

So wurde denn zur großen Erleichterung des Fürsten vorderhand die Geschichte begraben, es ahnte ihm allerdings, daß sie wohl noch einmal umgehen würde.

Am Nachmittag ließ er sogar die beiden Damen allein, während er seine Post erledigte. Von dem großen Ereignis des gestrigen Tages war nur in jener Andeutung die Rede gewesen.

Die Fürstin saß in Rosmaries Korbstuhl, sie sah aus, als ob sie des Runzelmittels der Pariserin bedürfte. Man sah ihr den anstrengenden Berliner Winter mit Diners und Soireen, das ganze aufreibende Dasein einer Mondaine an. Die beständige Jagd nach dem Vergnügen, die, wenn man sie mit der nötigen Inbrunst betreibt, zur allerhärtesten Arbeit wird. Sie klagt auch beweglich.

»Berlin war mir über. Dein Vater ist ja so riesig exklusiv, wie es jetzt gar nicht mehr Mode ist, und da trifft man immer die gleichen Menschen. Und schließlich mögt ihr euch in Brauneck als noch so große Herren fühlen, was sind wir denn in Berlin, wo jeder Amerikaner-Eisenbahnaktienmensch es uns zuvor tun kann! Du solltest sehen, wie die leben! Nicht einmal ein Auto habe ich und muß mich mit den heiligen Gäulen behelfen, die ewig geschont werden müssen. Wenn ich denke, was dein Vater an seine alten Geisterburgen vergeudet! Wir können doch auch nur in einer wohnen. In Weitersberg kracht jeder Stuhl, wenn man sich darauf setzt, und in die Gobelins sind die Motten gekommen. Ich wollte die Gobelins in Berlin haben; es hätte in der Zeitung gestanden. Sie sollen ja jetzt einen fabelhaften Wert haben. Aber nein – in Weitersberg müssen sie bleiben.«

»Liebe Mama, sie werden wohl nirgends so gut hinpassen, sie sind ja für die Wände gewebt worden.«

»Nun, daß du in allem deinem Vater recht gibst, weiß ich ja, und ich denke, ihr werdet dort wohnen wollen.«

Es ist das erstemal, daß sie die Zukunft erwähnt. Rosmarie wird dunkelrot: »Nein, Mama, daran haben wir nie gedacht.«

Die Fürstin richtet sich steil in die Höhe: »Doch nicht in der Ruine, das kann dein Ernst nicht sein!«

»Nein, aber in dem neuen Haus, das Harro baut.«

»Ein Haus, nun ja, er kann es ja mit deinem Gelde ausbauen!«

»Oh, es ist ganz recht, wie es ist. Es wird sehr schön, du wirst erstaunt sein. Harro hat so viel selbst gemacht. Es wird noch lange nicht ganz fertig sein. Der Festsaal oben.«

»Ein Festsaal!«

»Und noch viel anderes Schöne. Harro arbeitet doch seit Jahren daran.«

Rosmarie erschrak. Hatte sie nicht schon zu viel gesagt? Das Gesicht ihrer Mutter veränderte sich fast erschreckend. Rote Flecken sprangen auf unter ihren dunkel umränderten Augen, in die ein unstetes Flackern kam, das Rosmarie immer als Vorboten von schlimmen Szenen kannte. Aber diesmal ging noch das Wetter an Rosmarie vorüber. Ganz unvermittelt brach die Fürstin in die bittersten Klagen aus über ihr eigenes Leben. Wenn Frauen zu klagen anfangen, pflegt die Logik in unerreichbare Gefilde zu entfliehen. So erweckte die Vorstellung von dem schönen Haus Thorstein die Erinnerung an irgend welche gesellschaftliche Brüskierung, die die Fürstin erlebt zu haben glaubte. Und damit war eine bunte Pyramide umgestoßen.

Rosmarie mußte mit Erstaunen hören, welch leidensvolles Dasein ihre Mutter führe. Wie sie sich nun vor Berlin ekele, vor der preußischen Steifheit und Langeweile, und vor dem Geisterschloß Brauneck fürchte. Rosmarie müsse selbst zugeben, daß sie Grund dazu habe! Aber um Gottes willen nicht davon reden, sonst würde die Sache schlimmer, und keine Kammerfrau der Welt bliebe trotz noch so hohen Lohnes bei ihr. Ob Rosmarie nicht selbst zugeben müsse, daß es wahrhaft entsetzlich sei, sein Leben täglich unter so vielen toten, gemalten Augen zubringen zu müssen und nie für voll angesehen zu werden und das beständig zu fühlen bekommen, daß noch kein Sohn da sei.

Natürlich nur bis jetzt. Sie sei überzeugt, wenn man ihr das letztemal nicht mit Verordnungen und Verboten das Leben vergällt hätte, so wäre alles gut geworden. Allein diese altmodischen Ärzte, die man in Brauneck konserviere, wie alles andere, bis sie abgestanden geworden, seien schuld daran. Niemals würde sie sich denen wieder ausliefern lassen. Auch über die ganze Zeit Brauneck nicht wieder betreten, wo sich Türen, Menschen, Bilder gegen sie verschworen hätten.

»Ja, das haben sie, Rosmarie, und du kannst nichts dagegen sagen.«

Und Rosmarie schlang ihre Arme um ihre heftig schluchzende Mutter.

»Arme Mama!« flüstert sie und streicht ihr über die zuckenden Achseln und hört die immer wieder ausbrechenden Klagen und Anklagen mit solch zarter Teilnahme an, unter der ein sanftes Mitleiden liegt für die tiefe Zerrissenheit, die all diesen Worten zugrunde liegt. Sie ist ja so reich. Alle ihre Kerzen der Liebe und des Erbarmens brennen.

Und seltsam, mehr als seltsam, der Fürst findet seine beiden Damen in einer ihm ganz wunderbaren sanften Stimmung vor.

Noch immer darf er das große Ereignis nicht berühren, Rosmaries Augen warnen ihn davor. Aber welche Wohltat, daß sich der Eiswind vom heutigen Morgen gelegt hat.


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