Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Zwölftes Kapitel: Die Freunde.

Die Fürstin gähnte heute besonders ausdrucksvoll und verzweifelt über ihrem Roman. Der Unterhaltungsstoff pflegte an den Abenden auf dem Lande überraschend schnell zu versiegen. In der Stadt, ja da wäre man heute in die Oper gefahren, oder noch lieber in den Zirkus, oder man hätte selbst Gäste. In Brauneck nahmen die Abende leicht etwas Bleiernes an.

Die Fürstin erhob sich plötzlich. Den Roman konnte sie eigentlich auch im Bett lesen, und schlief sie darüber ein, so war sein Zweck aufs beste erfüllt. Wenn nicht jedes Gastbett besetzt ist, so ist so ein altes Schloß ein unsagbar melancholischer Aufenthalt an einem trüben Herbsttage.

»Ich will morgen früh reiten.« Der Fürst öffnete ihr höflich bedauernd die Türe.

»Schon so früh?«

»Du weißt ja, wie es in Berlin wird. Man muß Vorrat schlafen.«

Der Fürst stand noch an der Tür, bis die glänzende Erscheinung verschwunden war. Dann knipste er sofort eigenhändig alles Licht aus und steuerte im Dunkeln nach der Tür und in sein eigenes Zimmer. Es sah wie eine Flucht aus.

»Das neue Zeug,« murmelte er, »man kommt sich ganz von Möbelhändlers Gnaden vor. Ein Glück wenigstens, daß man die Wände stehen lassen muß.«

Die Sommerstube leuchtet auf, er zündet sich eine Zigarette an. Da liegt auf seinem Schreibtisch ein rotes Heft, ein grünes Band ist darum gebunden, darin steckt ein blutroter Ahornzweig. Er lachte behaglich auf: Rosmaries Geheimnisse. – Es tat ihm wohl, daß er der einzige Empfänger war. Freilich, Harro hatte nur nicht gewollt. Aber an das dachte er nicht mehr. Ein goldenes Band unter dem grünen! Diese kleinen Damen! Etwas ganz Wertvolles muß für sie in dem Schulheft stecken! Und es ergreift ihn eine leichte Besorgnis, was er wohl alles findet. Diese Freundschaft mit dem langen Thorsteiner – dreizehn Jahre war sie jetzt alt ... Himmel, schon dreizehn. Man vergaß es immer wieder über dem Kindergesicht ... Manche jungen Damen fangen da schon mit Gefühlen an. Hatte er nicht als Fünfzehnjähriger der dreizehnjährigen Forstmeisterstochter über die Mauer hinüber die von der Tafel gesparten Bonbons in einer aus seinem schönsten Kronenbriefpapier gedrehten Tüte hinüber geworfen! Wenn er nun genötigt wäre, nach diesen Enthüllungen, der Freundschaft mit dem langen Thorsteiner ein mehr oder weniger sanftes Ende zu bereiten. – Sehr unangenehm das – aber immerhin besser. – Nun, wir wollen sehen ...

Die Freunde – das war der Titel. Sorgfältig geschrieben mit klarer Steilschrift und eingerahmt von einem Kranz aufs zierlichste und reinste aufgeklebter Gräschen und Mooszweige. »Das klingt zärtlich ... die Freunde ...«

»Es gibt ein Geheimnis. Nicht alle Leute wissen es. Manche sagen ›Lügen‹, manche lachen, manche grauen sich. Es gibt Leute im Schlosse, die auf ganz leichten Füßen gehen und keinen Schatten werfen. Aber man muß schon ganz klug und groß sein, wenn man das merkt. Denn die Freunde sind wie andere Menschen, nur schöner und freundlicher. Aber dann wollen die Leute immer nichts gesehen haben, und das Kind lügt. Oder sie sagen: Gespenster. Gespenster sind aber schreckliche tote Leute, die längst schon starr und weiß in ihren Särgen liegen und die Böses getan haben und darum nicht ruhig schlafen können, bis sie der liebe Gott wieder aufweckt. Ach, wie müßte man sich vor denen fürchten! Wenn man nur daran denkt, so graut es einem, daß man nicht sich über den Prinzessinnengang traut, wenn es dämmert und die Bilder Augen machen. So sind die Freunde nicht. Die Freunde sieht man nicht immer, auch wenn sie da sind, aber man fühlt sie. Dann ist alles auf einmal viel schöner, der Himmel ist blauer und ein Sonnenstrahl auf einem goldenen Rahmen, das macht einen so froh, daß man es nicht sagen kann. Und alle Menschen muß man lieber haben, und mit den ganz langweiligen hat man Mitleid, weil sie ja doch nichts dafür können, daß sie die Augen nicht haben. Wenn man die Freunde nicht hätte, wäre man ein böses und hartnäckiges Kind. Wenn man immer zu einem sagt: ›Lügen‹ und ›du Armes‹, da wachsen einem böse Gedanken, Brennesseln und Stechranken wachsen einem. Und es sollen einem doch Lilien und Rosen und kleine Waldveilchen wachsen. Zwei von denen, die auf leichten Füßen gehen, liebe ich am meisten. Es ist der Schönste und Sie. Wenn der Schönste da ist, muß ich immer lachen, und ich werde froh und möchte tanzen, dann sagen sie: ›Was hat die Kleine? Heute ist sie ganz lustig und ein wenig närrisch.‹ Sie wissen eben nicht, wie einem die Freude im Herzen lachen kann. Wenn Sie da ist, weine ich manchmal. Und es ist, als hätte ich in der Nacht geschlafen und da wäre die Himmelstüre aufgegangen und ein Hauch daraus gekommen über mich. Der Schönste hat einen grünsilbernen Rock und Bänder und Kettchen und Spangen. Er hat lange dunkle Haare, die sich unten ein wenig locken und über der Stirn auseinandergehen. Er sieht dem griechischen Eros im blauen Zimmer ähnlich, nur hat er ein kleines Bärtchen. Er hat ein hölzernes, angemaltes Vögelchen an einer Kette an seinem Halse hängen. Er hat auch eine Geige und ein Ding, das hinten ein rundes Bäuchlein hat. Mit all diesen Dingen macht er Musik. Wenn man sie nur hörte. Aber man hört sie nur, wenn man am Einschlafen ist und wenn Hochzeit in der Linde ist. Von ihm habe ich den Lilientanz gelernt. Von Ihr lerne ich vielleicht auch etwas. Aber es ist alles noch viel zu schwer für mich, weil ich doch noch klein bin. – Kann ich denn Mama wirklich lieben und sie nie ärgern und nie Schlimmes von ihr denken! Wenn Harro Sie sehen könnte, so würde er das schönste Bild der Welt malen. Aber Harro sieht Sie nicht, und man darf auch nicht mit ihm von Ihr reden, auch nicht von dem Schönsten, es ist verboten. Darum schreibe ich in das Geheimbuch alles, was ich weiß von den Freunden. Als ich so klein war, daß ich noch in dem gelben Gitterbett mit der Rosendecke schlafen konnte, habe ich Sie zuerst gesehen. Ich lag in meinem Bett, und es war schon ein wenig Tag und die Farben fingen schon an zu tanzen, wie sie es morgens tun, wenn man aufwacht. An meinem Bett stand ein grünseidener Schirm, er kam dann fort, weil Fräulein Braun ein Loch hineingebrannt hatte. Nach der Wand sah ich immer morgens, weil die Farben auf ihr am nettesten tanzten. Mit einem Male war die spanische Wand weg – fort. Da war eine finstere Halle mit dicken plumpen Säulen. Die Wände waren grünschwarz mit Steinen, die heraushingen. Ein kleines gelbes Licht war da und ein böses rotes Licht. An der vorderen Säule stand Sie. Sie war ganz weiß und ihre Haare waren offen und fielen über ihre Schultern bis zu den Knien. Sie hat das schönste Gesicht. Ach, niemand sieht nur ein wenig so aus, daß ich Harro sagen könnte: so ist Sie! Ihre Haare sind dunkler wie die meinen, und Harro trägt sie in seinem Ring von Gottes Willen. Er meinte, es seien die meinen und ich hätte sie ihm hineingetan. Sie ist eine Königin. Ich sah sie an, da fing ich an zu schreien. Es hingen ihr die Hände herunter und es war ein Schmerz dabei, daß sie da unten sein mußte, ein furchtbarer Schmerz. Da kam die Babette und holte mich und sagte, ich hätte geträumt, und es war die grüne Wand wieder da.

Einmal sah ich Sie auf dem Lindenstamm mit dem Schönsten, als es Mittag war und so heiß und still, und die Linde blühte. Manchmal ist Sie wohl in der Nacht bei mir gewesen, ich muß stark an Sie denken. Einmal war Sie böse mit mir. Als ich auf den Steinplatten lag. Da stand Sie einmal unten an meinem Bett, und da sah ich, daß Sie breite rote Streifen an ihren Armen hat. Die roten Streifen aber nicht, wie wir sie alle haben. Sie sehen nicht aus wie bei uns, mir und Papa. Es waren tiefe Ringe wie Narben.

Nun muß ich von Schloß Schweigen erzählen. Dahin ging ich mit Papa und Mama. Eigentlich sollte ich mit Harro gehen, und er hatte es mir versprochen. Sonst hält er immer seine Versprechungen, aber das hat er nicht gehalten. Vor dem Schloß Schweigen ist ein Brunnen, daraus müssen wir trinken, weil es der Feenbrunnen ist. Und weil Sie daraus getrunken hat. ›Gisela, Gisela,‹ rauscht das Brünnlein. Ach war ich erstaunt, als ich Ihren Namen hörte! Ihre Nähe fühlte ich, und nun kannte das Brünnlein Sie und wußte Ihren Namen. Papa trank daraus und ich aus dem gleichen Becher, und immer murmelt das Wasser ›Gisela, Gisela, Gisela‹. Da ging ich mit Papa in die große Pforte hinein. Da saß der Schönste auf dem Treppenplatze, wo es hinauf geht, unter dem kleinen Fenster, und hielt seine Geige vor sich und ließ die Beine hängen. Ich sah ihn an, aber er kannte mich nicht. Dann ging ich die Treppe hinauf und die Stufen knarrten, als wollten sie etwas sagen und könnten nicht. Als ich in die Zimmer hineinkam, da wußte ich, daß ich schon oft dagewesen war. Schon oft. Als noch die blauen Männlein über den Türen auf dem Gebälk saßen und an Stricken von der Decke hingen. Ganz leise mußte ich gehen, und es war mir schrecklich, daß Mama so laut war und sagte: ›Es riecht nach Geistern.‹ In den Stuben wußten viele Dinge von Ihr. Nicht alle. Aber der Spiegel in dem dunkeln Rahmen hatte Ihr Gesicht gesehen und wiedergegeben und vielleicht verzerrt er darum alle Gesichter jetzt, weil ihm keines mehr gefällt. Ich sollte Tee trinken, aber ich konnte nicht essen, es schlug mir das Herz. Da ging ich durch die Stuben – da war eine Tür offen, da sah ich Sie. Ich zitterte, daß ich mich an der Tür halten mußte. Es hing ein blaues Männlein von der Decke und hielt den Finger an die Lippen, als wollte es sagen: Schweige! Davon heißt ja das Schloß. Da stand ein großes Himmelbett, daran hingen die schönsten Vorhänge von sanft blauer Seide, die waren mit bunten Blumen bestickt. Auf dem Bette lag Sie und hatte eine gelbe seidene Decke über sich. Ihre langen goldenen Haare lagen auf den Kissen und fielen auf den Bettrand hinunter. Ihre Hände waren ganz weiß und fein wie die Blüten vom Waldklee und auch mit blauen Linien. An dem Handgelenk lief der rote Streifen, und man sah wohl, es waren schreckliche Narben. Sie lag ganz weiß und still da und Ihre Augen waren zu und Sie war wie ein Grabmal von Marmor und Gold. Ich dachte, Sie ist tot, da ist Sie gestorben. Sie war nicht allein. Es war da eine kleine freundliche alte Frau mit einem Spitzenhäubchen, das in die Stirne ging. Ein alter Herr mit weißem Haar, mit einer roten Narbe über der Stirne. Der alte Herr sah aus wie ein Herr Stiftsprediger, er hatte auch den weißen Kragen an und schwarze Strümpfe und Schnallenschuhe. Da gingen der Gisela wieder die Augen auf, und ich sah, daß Sie nicht tot war. Sie hob den Kopf ein klein wenig und sah nach dem Männlein hinauf und lächelte, als wenn Sie und es etwas miteinander hätten. Wenn man gesehen hat, wie Sie lächelte und zu dem hölzernen Männlein aufsah, das vergißt man im Leben nicht. Sie sah mich an und kannte mich nicht, wie mich auch der Schönste nicht gekannt hatte. Da schlug der Wind die Türe zu, und wie Papa die Türe wieder aufmachte, da war alles ganz verändert. Kein Männlein hing von der Decke, nur das Bett war noch da und der Spiegel, in dem sich der alte Herr Stiftsprediger gespiegelt hatte. Die Vorhänge waren grau geworden, die schönen Blumen verblichen. Die gelbseidene Decke war an den Rändern gefranst und die Wände nicht mehr weiß und braun.

Sehr oft muß ich denken, wie kam Sie, die doch eine Königin war, in die Halle mit den Säulen, und wer hat Ihr das Zeichen auf ihre feinen Arme gemacht? Warum saß der Schönste auf der Treppe und ließ die Beine hängen und war nicht bei Ihr? Wie kam Sie nach Schweigen? Warum habe ich Sie so oft in einem silbernen Kleid gesehen in Brauneck, das rauscht und flirrt und im Mondschein an ihr herunterfließt wie Wasser mit kleinen Wellen?« – – – Der Fürst schob das rote Heft von sich und schaute auf. Über ihm hing der schöne Sommerjüngling und wies mit seiner Sichel herunter auf den letzten fliehenden Streifen Mondschein auf dem Boden. An seinem Arme klirrte das goldene Armband, das ihm die junge Fürstin geschenkt.

»Lächerlicher kindischer Plunder,« murmelte er vor sich hin. – »Soll man die Sklavenkette auch noch sehen!« Er drückte auf das Schloß, das ging nur schwer, daß er mit seinen stählernen Reiterhänden daran zerren mußte. Es wich ein Glied, er konnte es abstreifen. Er öffnete eine kleine Kassette und warf das Armband achtlos hinein. An seinem kräftigen und doch feinen Gelenk, das so schön zu den schmalen festen Händen paßte, erschien, durch das Zerren in ein dunkles Rot getaucht, das alte Zeichen. Sollte das wirklich das Denkmal eines alten Unrechts, fast einer alten Schande sein! Es hatte immer als seltsam treubewahrtes Spiel der Natur gegolten, wie etwa die hängende Unterlippe der Habsburger. Keine Überlieferung war ihm zu Ohren gekommen, die versucht hatte, das alte Zeichen zu deuten.

»Ich muß morgen doch mit dem Thorsteiner sprechen. – Das blaue Männlein hat er mir doch aufgefunden. Ich muß ihn fragen, was er von diesen Dingen hält. Ob es wohl ererbte Erinnerungen gibt? Ich kann die Kleine und ihren Freund wohl ruhig den Winter über beisammen lassen. Es ist ja viel besser im Grunde für sie als Berlin und Charlotte, die sich gar nichts aus ihr macht!

O Wunderliches! Ich möchte dich immer mehr gewinnen. Ich danke dir für dein Geheimnis.«

Und er sah auf zu dem geheimnisvoll lächelnden Seelchen, um dessen Hände fein wie ein Hauch der rote Streifen lief, wie um die seinigen ...


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