Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Siebtes Kapitel: Rosmarie

Schloß und Städtchen haben das Galakleid angelegt. – Alle die kleinen Giebelhäuser, die so schön nebeneinander stehen, daß jedes dem nächsten ein wenig über die Schulter gucken kann, tragen ihren Schmuck, und wenn es nur ein Mooskranz mit einer weißblauen Papierschleife ist. Die ganze schöngewundene Straße entlang, vom Hohenstaufentorturm bis zur Reitbahn, steht eine Doppelreihe junger Fichten, die durch bunte Blumenketten verbunden sind. Die Herbstblumen, die festen Georginen, Sonnblumen und Astern lassen sich schon einiges gefallen. Es gibt sogar eine mit Tannengrün umwundene Ehrenpforte mit einem sehr wohlgemeinten Vers darauf. Die Tochter des Bürgermeisters memoriert laut und ängstlich an einem Gedicht. Mine in der Küche und der kleine Fritz können es längst auswendig, aber Fräulein Klara hat einen harten Kopf, und bei der dritten Strophe bleibt sie stets hängen.

»Die Bergstadt steht im Feierglanze,
Und ihre Wimpel wehn zu Tal ...«

beginnt sie wieder, während Mama ihr schon das festlich weiße Gewand überstreift. Im Schloß fliegen die Lakaien, heute scharlachrot mit Schnallenschuhen: an der Einfahrt in den Turnierhof hängen kostbare Gobelins, und die Waffenhalle, wo bei festlichen Gelegenheiten der Einzug stattfindet, steht offen. Wundervoll ist's für die Braunecker Kinder, da die Näschen hineinzustecken zu den unzähligen Karabinern, alten Schwertern, Degen und Panzern. Das Schönste von allem ist aber ein ausgestopfter Bär, der mit erhobenen Pranken dasteht. Den hat der Fürst einmal in Rußland geschossen, und die Braunecker Kleinen trauen ihm immer noch nicht so ganz, so gefährlich steht er da.

Überall sind Palmenkübel, hohe Vasen mit Rosenzweigen. Eine Atmosphäre der Erwartung liegt auf allem, denn heute kommt die junge Fürstin. Jedes hat irgend etwas zu erwarten oder zu besorgen. Es gibt so manche behaglichen Gewohnheiten, die vielleicht einer jungen Frau nicht ganz gefallen werden. Und wie wird es dem Prinzeßchen gehen, was wird es heute wohl anstellen? Die Nähstube ist durchaus nicht im Zweifel, daß sie irgend etwas verfehlen wird. Die Küche, wo die Männlichkeit das Übergewicht hat, hält dafür, daß es nun nichts mehr verschlage, was sie tue oder nicht, denn mit der ersten Violine sei es doch vorbei. Ob der Ruinengraf immer noch herumgehen werde und den Herrn spielen, ist eine noch aufregendere Frage. Und eben kommt der Thorsteiner über den Hof, als ob es sich von selbst verstehe, daß er bei allem dabei sei. Und elegant! Die Küche plattet sich die Nasen ab an den Fenstern, um ihn zu sehen.

Der Thorsteiner geht unbekümmert vorüber auf die Galerie und klopft am Säulenheim. Er muß das Kind zuvor sehen. Das ist so bitterlich enttäuscht worden. Es wollte doch auch zur Hochzeit. Eine Hochzeit muß doch etwas so Herrliches sein. Auf das man sich so lange freut, wo es Musik gibt und alle Leute froh und schön und festlich find. Und nun will sie Papa nicht dabei, nein, sie soll ruhig in Brauneck bleiben, bis Papa mit der neuen Mama kommt. Das feine Herz des Kindes fühlt, daß ihr Vater sie nicht dabei haben will, denn die neue Mama hat sie sehr freundlich eingeladen.

Und sie hat recht; der Fürst wird nervös bei dem Gedanken an die vielen Leute, die seine arme Kleine sehen werden, und wie ihre wunderlichen Reden von Mund zu Mund getragen würden. Und was sie Unpassendes tun könnte! Vom Schuheausziehen an bis zu den allerunmöglichsten Dingen ... Und Frau von Hardenstein hat nur trösten müssen.

Heute trägt Seelchen ihre Freudenschuhe, einen La France Rosenkranz und das von Harro gezeichnete silbergestickte Tüllkleid. Es ist immer noch kein richtiges silbernes Kleid, aber doch das nächste dazu. Und nun steht sie auf den Zehenspitzen, zupft ungeduldig an Harro herum ... »Sieh mich an ... wie gefall ich dir?« Harro wiegt bedenklich seinen Kopf, mehr als je ist er von seiner Unfähigkeit als Prinzessinnenerzieher überzeugt.

»Reichlich seltsam ist's, Harro,« klagt Frau von Hardenstein.

Das Kleidchen ist aus ägyptischen Tülltüchern gemacht, die Harro aufgetrieben hat, die mit dünngehämmerten Silberbändchen in einfachen Mustern durchzogen sind. Und er ist nun doch betreten über den Eindruck, den das Kind macht. Das Kleid betont noch das Geheimnisvolle, Feierlich-Zarte, das immer über dem Kinde schwebt.

»Ich bitte Sie, Harro,« flüstert ihm Frau von Hardenstein zu, »ein präraffaelitisches Engelchen; man kann es auf jeden Altar stellen. Und Sie wissen, wie wichtig der erste Eindruck ist!«

»Nun, dann ist es gerade gut, daß die Mutter das Kind zuerst sieht in einem Kleide, das seine Eigenart betont ... Übrigens verspreche ich Ihnen feierlich, daß ich mich nie mehr in Toilettenangelegenheiten mische.«

Und nun hört man einen fernen Kanonenschuß ... Es ist nichts mehr zu machen. Es ist eine weiße Lilienflamme auf einem Altar, das Seelchen, denkt Harro. Und wie sich das Silber an die feinen Glieder schmiegt, glatt und glänzend wie eine Schlangenhaut, und wie es sich in rhythmischem Fall bewegt. Und der rosa Kranz macht, daß es doch nicht tot ist, das Weiß und Silber ...

Fräulein Klara hat zwar richtig an der dritten Zeile eine kleine Kunstpause gemacht, aber die braunen schönen Augen der jungen Fürstin haben so heiter geglänzt, da hat sie doch weitergefunden. Die Pferde, die man vorher durch hochrufende Schulbuben auf ihre heutigen Pflichten dressiert hat, sind nur ein ganz klein wenig unruhig geworden. Fürst und Fürstin sind ausgestiegen und langsam über die Brücke, die über den tiefen Graben führt, gegangen.

An der Schloßpforte, wo die Gobelins hängen, steht ganz allein das Kind und sagt »Willkommen Mama und Papa«, wie Papa es gewünscht hat. Die befrackten Herren treten etwas zurück und die Fürstin sagt verlegen:

»Willst du mir einen Kuß geben?«

Die junge hübsche Frau mit den Braunaugen beugt sich zu dem Seelchen herab. Das hat ein Gefühl, daß es etwas Außerordentliches tun müsse und verspricht:

»Ich will so lieb sein, als ich immer kann.«

Und die Fürstin erhebt sich wieder, froh, daß ein unbehaglicher Moment vorüber ist, denn alle Augen sehen auf sie, noch mehr als vorher. Und nun darf Seelchen den Vater begrüßen, und dessen Augen leuchten auf bei ihrem Anblick, er nimmt sie an seine Hand, und zu dritt steigen sie die Treppe hinauf in das große Empfangszimmer.

Dort sind die Herrschaften aus den benachbarten Schlössern, die Honoratioren des Städtchens, die Patronatspfarrer versammelt, und jedermann stammelt ein paar passende Worte. Die junge Fürstin muß erwidern und lächeln und selbst ein paar Worte sprechen, denen man anmerkt, daß sie nicht immer an die richtige Adresse gelangen. Der Fürst läßt seine Kleine nicht von der Hand, als ob sie ihm entwischen oder sonst etwas Unpassendes tun könnte. Und es ruhen die Augen der Gäste fast ebensoviel auf ihr, wie auf der jungen Mutter. Niemals hat man das Kind, von dem doch so viel Gerede war, in der Nähe gesehen. Sie fuhr im Wagen vorbei mit ihren Begleiterinnen, oder ging im Park zu ihrer eingezäunten Spielecke. Und die dicke Frau von Statten flüstert ihrer Nachbarin zu: »Das hätte kein Mensch gedacht, daß die Braunecker so etwas Liebliches vermöchten. Haben Sie die Prinzeß Helen gekannt? Ich bitte Sie! Oder sehen Sie an den Wänden hinauf. Die Männer, ja, die sehen alle gut aus!« ...

Seelchen benimmt sich heute tadellos, sie beantwortet jede Frage sogar ziemlich richtig und weiß, daß sie vor den alten Damen und dem Herrn Stiftsprediger ein Knickschen machen muß. Der Fürst strahlt, eben hat er, etwas abseits von seinen Nachbarn und Standesgenossen den Thorsteiner entdeckt.

»Liebe Charlotte, nun muß ich dir unsern nächsten Nachbarn, den Grafen Thorstein vorstellen. – Was macht die edle Kunst, blüht und gedeiht sie? – Graf Thorstein wird ein großer Maler werden und unserem stillen Waldwinkel einen Glanz von Berühmtheit verleihen.«

Die junge Fürstin sieht mit entschiedenem Wohlgefallen an der hohen Gestalt des Nachbars hinauf. Sie wagt sogar einen kleinen Scherz: »Er überragt uns schon jetzt.« »Jetzt nicht, Durchlaucht,« sagt der Thorsteiner und beugt sich, um die junge Hand zu küssen. »Euer Durchlaucht untertänigster und dankbarster Nachbar. Schloß Brauneck hat mir sehr viel gegeben, wofür ich nicht dankbar genug sein kann.«

»Das klingt freundlich,« erwidert die junge Fürstin, »und Sie sind das ganze Jahr hier, da werden wir gute Nachbarschaft halten und viel von Ihnen sehen.«

Ihre Augen kehren immer wieder zu dem großen Mann Zurück. Die andern Herren sind zumeist älter. Ein junger Prinz und Vetter ist da, dem sein blaues Band gut zu seinem offenen frischen Jungengesicht steht. Und der spricht eifrig mit der Kleinen, da denkt sie, es wird eine angenehme Nachbarschaft ... Und nun verabschiedet sich alles, – ein Teil der Gäste wird zur Abendtafel wieder erscheinen. Die Fürstin hat ihren ersten Empfang überstanden.

Sie sinkt mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Diwan ... Der Fürst setzt sich lachend an ihre Seite.

»Nun ist's überstanden. Und nun, was sagst du zu der Kleinen? Wie sie aussieht, und keinen einzigen faux pas hat sie gemacht. Ich staune. Und runde Wängchen! Diese Frau von Hardenstein ist ein Juwel. Liebe Charlotte, vergiß ja nicht, heute ihr einige freundliche Worte zu sagen. Deine Freude darüber ... sie kann es erwarten ... Ja, wie du aussiehst, Kleine!«

»Schön, Papa.«

»Ei, wer hat dich so eitel gemacht?«

»Niemand hat's gesagt, aber ich habe es in Harros Augen gesehen.«

»Wer ist dieser Harro,« fragt Mama, »der so Bewunderung geblickt hat? der Herr Vetter?«

»Nein, der Thorsteiner, – der Kleinen ganz besonderer Freund.«

»Ach, der Maler, oder hast du nur gescherzt?«

»Nein, er ist Maler, und sein Bild von der Kleinen müssen wir noch vor dem Diner ansehen, wir müssen ihm doch auch etwas Freundliches darüber sagen.«

»Sonst noch mehr Pflichten?« schmollt die junge Frau.

»Nur die Pflicht, dich noch einmal schön zu machen, und ich hoffe, es wird ebenso Bewunderung geblickt werden, wie bei der Kleinen. Nun, Kleine, wollen wir der Mama ihr Zimmer zeigen. – Ich hoffe sehr, daß alles nach deinen Wünschen ist. Ein alter Bau, weißt du, es läßt sich nicht verleugnen.«

»Es kommt mir noch sehr labyrinthisch vor, Fried, – die Gänge, die Treppen und, oh, der Eingang! Ein bißchen nach dem Geist der Ahnfrau ... Weißt du gewiß, daß keine umgeht? Sie könnte am Ende mit mir unzufrieden sein.«

»O nein,« ruft Seelchen, »gewiß nicht.«

Aber ihr Vater schneidet schnell alles weitere ab und sagt: »Geh in die Sommerstube und warte dort auf mich, Kleine!« –

Als die Kleine fort war, drehte er sich um und fragte strahlend: »Nun, wie findest du sie?«

Die junge Frau denkt, daß nun schon sehr viel von dem Kinde die Rede gewesen und sagt mit einer hübschen kleinen Weisheitsmiene: »Es soll nicht gut sein, wenn man vor den Kindern über sie spricht. Es nimmt ihnen die Naivität.«

»Da ist bei unserer Kleinen nichts zu verderben, für sechs Kinder ist sie naiv ...«

Und er reichte seiner jungen Frau den Arm und führte sie in ihr neues Reich.

»O wie schön hast du das gemacht, Fried, wie lieb! Und gar keine Ahnen! Wie dank ich dir! Helen sagte, man könne sich bei euch nicht drehen und wenden, ohne daß einem ein paar Onkel und Tanten aus den verschiedensten Jahrhunderten zusähen ... Und sie hielte es darum an trüben Tagen oder im Winter gar nicht bei euch aus.«

»So ist Helen, am liebsten hätte sie ein Scheibenschießen nach den Tanten veranstaltet. Schrecklich pietätlos war sie, meinem Vater ein Schmerz.« »Sie hängt nur Landschaften auf ... und ihre Sammlung von Rassepferden.«

»Entsetzlich.«

Beide lachten ... »Und doch läßt man sich immer wieder malen,« sagte die junge Frau. »Ist dieser Thorsteiner kein moderner Maler, daß er zu sehr in Stimmung und Beleuchtung macht, und man mit grünem Haar und blauer Nase auf die Nachwelt kommt?«

Ihr helles Lachen klang durch die hohen Räume, der Fürst schlang seine Arme um sie. – –

Das Seelchen wartete in der Sommerstube sehr lange auf ihren Vater. Doch sie ist ein geduldiges Kind und hat viel zu überlegen. Ein sehr ängstlicher Gedanke ist unter der Schar, die sich ihr aufdrängt. Stiefmütter können ihre Stiefkinder ebenso lieb haben wie die rechten Mütter, Harro hat ihr erzählt von dem Maler Feuerbach und seiner Stiefmutter, und was sie alles für ihren Sohn tat, und welch schönes Denkmal er ihr in dem herrlichen Bild gesetzt. Stiefmütter wohl, aber Stieftöchter?

»Eine so nachdenkliche Kleine!«

Papa lacht, seine schönen Augen leuchten, das Kind sieht, daß irgend welche Veränderung mit ihm vorgegangen ist. Wie wenn er auf einmal ganz jung wäre, und ist vorher doch auch nicht alt gewesen. Er geht im Zimmer auf und ab, summt vor sich hin und vergißt sogar, sich eine Zigarette anzuzünden.

»Nun sind wir nicht mehr allein. Kleine. Die Mama! Lebendig wird es hier werden!«

Er summt vor sich hin und sieht hinaus in den verglühenden Abendhimmel. Und dann wendet er sich und sagt erstaunt:

»Ja, bist du denn noch da, Kleine? Ich hatte dich ganz vergessen.« Da fällt ihm ein, daß er etwas wollte – was war es doch? »Ach richtig, das Bild. Kleine, dein Bild, wo hängt es denn?«

»Dort steht es, es ist zugedeckt. Harro sagt, es soll noch nicht aufgehängt werden; man weiß ja noch gar nicht, ob es dir gefällt.« Das Kind zieht die Hülle hinweg und steht erwartungsvoll. Aber Papa sagt nichts. Er starrt das Bild an, als ob er das kleine Mädchen darauf gar nicht kennte.

»Das hat der Thorsteiner gemalt? Und das bist du, Kleine! Wo habe ich denn meine Augen gehabt!« Das Kind zieht sich einen Stuhl herbei, sie reißt sich ihren Rosenkranz vom Kopfe, sie schlingt die Hände um das Knie und wendet ihm ihr Köpfchen zu. So genau, wie sie das Bild kennt in jedem Strich. Sie kann es bis auf den Ausdruck darstellen. Und Papa sieht sie an und das Bild, aber er spricht kein Wort. Da ertönt der Gong. Der Fürst erhebt sich schnell.

»Wir müssen dir nun wirklich einen Namen suchen unter all deinen Namen ...«

»Ich habe doch schon einen, ich heiße doch Seelchen.«

»Das ist nur für die Leute, die dich lieben, du mußt doch einen Namen haben, den man auf deine Briefe setzen kann. Komm, wir gehen zu Mama und holen uns Rat.«

»Aber Papa, kennst du mich nicht viel besser als Mama, und siehst du mir nicht an, wie ich heiße?«

»Du warst so elend, als wir dich tauften, wir fürchteten, deine Mutter nähme dich mit, so haben wir dir die Namen deiner Paten gegeben.«

Er trat wieder vor das Bild. »Wenn wir dich Maria nennten oder nach deiner Mutter Rose ... oder beide Namen ... Was meinst du, ist es dir so recht ... Rosmarie, meine liebe Rosmarie?« – –

In dem großen Empfangssaal stehen die Gäste noch in Gruppen, die Herren mit der Zigarre, die Mokkatäßchen mit mehr oder weniger Geschick balancierend. Harro, der sich halb hinter einer Palmengruppe versteckt hat, liebäugelt mit seinem Spiegelbild, das ihm seinen neuen Frack zeigt. »Was tut man nicht einer jungen, hohen Dame zulieb! Noch ganz andere Dinge, als sich in ein Habit werfen, das nun einmal in unserer augenlosen Zeit das Festgewand der Männlichkeit vorstellt. Die Beine Fabrikschornsteine,« so redet sich Harro an, »die Arme, der Hals, alles ein Röhrensystem in weiß und schwarz, wohl Symbol unserer wirtschaftlichen Erhebung. Der Schwalbenschwanz hinten deutet an, daß wir am Manne am meisten den Lakaien verehren, mit dem wir das herrliche Gewand teilen. Die Brust ein Leichenstein, Krawatte ebenfalls weiß, bei groß und klein, dünn und dick das gleiche Schleifchen wie aus Blech ... So, o Mensch, mit deinem Palmenzweige stehst du an des Jahrhunderts Neige ...« Er fährt auf aus seiner Betrachtung, der Fürst steht vor ihm.

»Graf Thorstein, das Bild meiner Tochter hat mich überrascht ... Ich wollte, ich verstünde mehr davon, um Ihnen die richtigen Worte sagen zu können ...«

»Wenn es geworden ist, wie es ist, so ist es der Prinzessin selbst zu danken, die mir meine Aufgabe ungemein erleichtert hat.«

»Meine Tochter, ach, Sie sind viel zu bescheiden! Was könnte die Kleine dabei getan haben?«

»Sie kann still sitzen, ohne steif zu werden, jeden geistigen Ausdruck auf Wunsch festhalten. Sie hat auch einen fabelhaften Farbensinn und pflegt mit ihren Wahrnehmungen nicht hinter dem Berge zu halten.«

»Sie wird sich doch nicht erlauben ...«

»O gewiß, Durchlaucht – eine oft vernichtende Kritik. Dies ist zu blau, das Rot zu freudig, in dem Gelb lacht gar nichts. Zuerst ärgerte ich mich darüber, nun bin ich schon gewöhnt, die Kritik mit gebührender Demut hinzunehmen; es ist mein eigener Schaden, wenn ich's nicht tue!«

»Was Sie alles noch aus meiner Kleinen herauslesen, Graf Thorstein! ... Aber vielleicht wissen Sie doch mehr von ihr, als wir alle. Vielleicht hat mich darum ihr Bild so sehr überrascht, abgesehen von meiner Bewunderung! Ich muß es Ihnen sagen: es war mir, als sähe ich meine Kleine zum ersten Male. Und nun haben wir ihr auch einen Namen gegeben: Was halten Sie von Rosmarie? ...«

Die Fürstin steht in ihrem neuen entzückenden Boudoir. Ihr Morgenkleid ist ein Pariser Kunstwert aus Spitzen und Band, ihre schlanke Taille umschließt eine Goldkette. Eben hat sie eine befriedigende Überschau vor ihrem großen Spiegel gehalten. Und nun besinnt sie sich mit einem kleinen Seufzer auf ihre Pflichten. Eine gemalte Bonbonniere auf ihrem Tischchen hat sie daran erinnert. Sie drückt auf eine Birne neben der Chaiselongue und sagt zu dem wie aus einer Versenkung auftauchenden Schokoladebraunen:

»Die Prinzessin, ich lasse bitten.«

Irgend etwas ist mit der Kleinen nicht in Ordnung! Was es ist, weiß sie nicht. Mit einem gewissen klagenden oder mitleidigen Ton wird immer von ihr gesprochen. Sonderbar sieht sie ja aus, aber das kann von dem verrückten Kleidchen kommen, das sie anhatte. Nun, die werden wohl nehmen, was irgend eine verdrehte Schneiderin, die große Rechnung machen möchte, ihnen schickt. Eigentlich hat sie sich das Kind ganz anders vorgestellt, vielleicht würde es sogar einmal schön werden. Und dann war der hübsche junge Vetter, mit dem sie gestern sprach, vielleicht in wenigen Jahren schon bereit, die weitere Verantwortung zu übernehmen.

Da stand schon die Kleine an der Tür, mit dem freundlichsten Morgengesicht und zum Glück angezogen wie andere Kinder. Sie kam sehr freundlich herbei, umarmte ihre neue Mutter und küßte sie auf die Wange. Die Fürstin war ganz erstaunt über so viel Entgegenkommen. War's am Ende ein Schmeichelkätzchen! Sie schob ihr die Bonbonniere hin.

»Magst du das oder darfst du nicht, Rosmarie? – sie sind freilich auch gut, wenn man nicht darf.«

Aber das Kind ist sich keiner gegenteiligen Vorschrift bewußt, mit Bonbons ist sie überhaupt nicht verwöhnt worden. Und so lächelte sie vergnügt und fing an, mit spitzen Fingerchen herauszunehmen und die Herrlichkeiten zu probieren. Die junge Mama half auch bei dem Vergnügen, und so saßen sie sehr kameradschaftlich beieinander, Seelchen auf einem kleinen Tabouret, die Fürstin auf ihrer Chaiselongue gegenüber von einem schmalen langen, in die Tapete eingelassenen Spiegel.

»Und deine Frau von Hardenstein hast du wohl sehr gerne?«

»Sehr lieb habe ich sie. Sie kommt abends an mein Bett und sitzt ein wenig bei mir und dann sagt sie: Behüt Gott! Sie hat einen Sohn gehabt und der ist tot. An den denkt sie immer, wenn sie mir gute Nacht sagt. Und dann fährt sie über meine Decke, siehst du –, und dann ist's ihr gewiß, als ob sie ihm noch gute Nacht sage.«

Frau von Hardenstein wäre sicher sehr erstaunt gewesen, wenn sie das gehört hätte. Niemals hatte sie beim Gute-Nachtsagen von ihrem Sohn gesprochen, aber das Seelchen hatte doch herausgefühlt, daß dies Behüt Gott ein Liebesgruß war, einem andern Kinde nachgesandt. Die junge Fürstin sagte mit einem Praline in der Hand:

»Ist das nicht ein bißchen langweilig, ich meine, wenn immer ein Todesfall beklagt wird?«

Aber das versteht das Seelchen nicht und sieht ihre Mutter erstaunt an, daß diese fühlt, sie bewege sich auf schlüpfrigem Gebiet, und schnell weiterspricht:

»Und viel lernen mußt du nun auch bei deinem Herrn Präzeptor?«

»Er weiß eine solche Menge, Mama, von dem Miß Whart nie etwas gesagt hat. Miß Whart hat mir immer gesagt, die deutsche Geschichte wäre furchtbar langweilig, weil wir immer so viel Fürsten gehabt, die um das Land gestritten hätten, und man könne das doch nicht behalten. Und darum habe ich immer nur von Mary queen of Scots und den Kindern Edwards gehört. Aber der Herr Präzeptor weiß sogar von Griechen und Römern! Und alles lerne ich. Und wenn er sagt: Wissen Sie noch? so weiß ich es immer, und dann freut er sich, weil die Buben es gar nicht immer wissen. Und zuerst, wenn er kommt, ist er schnarrig wie eine Krähe und stöhnt und sagt: ›Nun wollen wir eben‹ – und dann wird er ganz lustig. Und wenn er geht, sagt er: ›Machen Sie so fort.‹« »Ei, da bist du ja außerordentlich brav. Meine Schwestern und ich haben unsern Herrn Doktor schwer geärgert. Dann standen ihm die Haare bolzgerade in die Höhe und mit einem Auge schielte er dann. Die Mäg, meine Schwester, sagte allemal, wenn es so recht langweilig war: ›Komm, wir machen ihm die Augen krumm.‹«

Aber das Seelchen sagt entschuldigend: »Die Buben ärgern den Herrn Präzeptor schon so sehr.«

»Ja gewiß, gewiß.« Die junge Frau fühlt, daß sie nicht sehr pädagogisch war.

»Und es ist schön, daß du so ein kleiner Tugendspiegel bist. Und nun erzähl mir von deinem langen Freund, dem Maler.«

»Hast du mein Bild schon gesehen? Es ist schön, aber er sagt, es fehle etwas. Er hat mich noch einmal gemalt, auf einem großen Bilde, das ist noch viel schöner. Aber das hätte Papa nicht so gefallen, und er sollte doch Freude daran haben. Und nun gefällt's Papa sehr gut und Harro nicht ganz, aber wie soll man es beiden recht machen?«

Und sie schüttelt weise das Köpfchen.

»Graf Thorstein kommt oft herüber, ich meine, seit er dich nicht mehr malt?«

»Gar nicht so oft, nur wenn er Zeit hat, und er hat nicht oft Zeit. Wenn ein Fest ist, kommt er immer. Wenn jetzt der große dicke Nebel kommt, ist das Haselnußfest, und wir gehen nach Schweigen. Willst du auch mit? Aber du mußt einen Wettermantel anziehen.«

»Nach Schloß Schweigen fahren wir jedenfalls –«

»Und es muß ein dicker Nebel sein.«

Die Fürstin lachte: »Ich sehe nicht ein, daß das nötig ist.«

»Das ist ausgemacht, weil es das Herbstfest ist. Und dann kommt doch die Sonne,« sagt das Seelchen, das ein felsenfestes Vertrauen hat, daß auch bei dem Wetter Harro es so einrichten wird, wie es am schönsten ist.

»Frau von Hardenstein geht auch mit.« »Als Trauerweide,« lacht die Fürstin. »Mein Geschmack sind Trauerweiden nicht.«

»Und Harro nimmt dich gewiß auch mit, wenn du ihn bittest.«

Die Fürstin erhebt sich und lächelt, wie schöne junge Frauen lächeln, die mit ihrem Spiegelbild zufrieden sind. »Nun, er wird nicht ganz hartherzig sein,« und sie ging an den Flügel, den sie öffnete. »Kannst du Walzer tanzen, Rosmarie?« Sie spielte einen der hübschen, halbsentimentalen Modewalzer mit guter Technik und wiegte sich dazu ein wenig in den Hüften. »Faß dein Kleidchen an und tanze, Rosmarie, so machten wir es, wenn wir keinen Partner hatten!« Das Kind lächelte, blieb aber stehen.

»Den Tanz kann ich nicht. Ich kann nur den Lilientanz, den kannst du aber nicht spielen, und den Finkentanz, der ist komisch, und den Abendfräuleintanz, – der gefällt Harro am besten. Da gehören Flügel dazu, und ich habe zu Harro schon gesagt, er soll sie mir machen. Aber er sagt, er könne nicht. Aber vielleicht will er mich auch nur überraschen. Und wenn du ihn sehr bittest, vielleicht macht er dir auch.«

Der Fürst hört schon von außen ein helles Gelächter, ein zweistimmiges ... Wie ihm der Klang wohl tut und das Herz erleichtert!

»Zu drollig ist die Kleine, hast du je von einem Finkentänzchen gehört?«

Die Fürstin lacht wieder, aber ihr Lachen klingt ein wenig anders wie vorher ...


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