Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Zweiundzwanzigstes Kapitel: Haus Thorstein.

Die Sonne meint es in diesem Jahre selbst für die Riviera gut. Wenn sich des Abends die seltsamen dunkelblauen Wolken hinter den Bergen häufen und des Nachts der Himmel Ströme vergießt, am andern Morgen blitzt wieder Sonnenschein auf den hüpfenden Wellen, und ein leuchtend grüner Schimmer liegt schon unter den Olivenwäldern. Im Garten der Villa Riposa fliegt ein Veilchenduft, und die Mandarinenbäume lassen ihre kleinen goldenen Früchte zu Hunderten fallen. Ganz wie es sich für einen verzauberten Garten gehört, hebt sie kein Mensch auf, so daß sie verfaulen. –

»Man darf überhaupt hier nur auf Meer und Landschaft sehen,« sagt der Fürst zu Harro auf einem der weiten Gänge, die sie nun miteinander machen. »Sieht man darauf, wie es die Leute betreiben, das beelendet einen zu sehr –«

Die beiden Herren sitzen auf einem Felsblock, der da unter dichtem Myrtengestrüpp in der Sonne liegt. Sie sehen weit hinunter auf die Meeresflut, die weiße Strandlinie und die herrlichen Bergformen in ihren wundervollen blauen Abstufungen.

»Blau, blauer, am blauesten!« ruft der Fürst. »Man wird sie jetzt ein wenig gewohnt, die blaue Welt. Man bringt von unserem lieben Deutschland das Vorurteil mit, daß die Welt grün sein müsse. Hier ist sie gelb und blau. Sehen Sie dort die blauen Bäume.«

»Oliven sind's, wie die sich an die Berghalden schmiegen und sie auskleiden. Diese Olivenwälder, – auch in sie muß man sich hineinsehen lernen. Diese zerrissenen Stämme, diese feinen, gedrehten, ineinander verbogenen Zweige. Jeder Baum eine Individualität. Am schönsten, wenn die Abendsonne hindurchscheint und die innersten Geheimnisse des Baumes offenbart. Denn der Baum bleibt immer durchsichtig, die feinen schmalen Blätter lassen jeden Lichtstrahl hindurch.«

So schön ist's da oben in der sonndurchglühten Luft unter dem Duft der tausend fremden Kräuter, mit dem Blick über die weite funkelnde Meeresfläche, deren ferne Ränder von da oben fast bedrohlich aussehen, als wollte sie hereinstürzen: die Höhe des Meeres.

Und irgend etwas muß des Fürsten Seele hineingezogen haben nach seinem noch tief verschneiten Brauneck.

»Ihr Haus soll ja fertig sein, Harro.«

»Nur im Rohbau, Durchlaucht. Es ist zu groß geworden, viel zu groß.«

»Der geringste Fehler. Bis wann kann es denn fertig werden?«

Harro lacht hell auf: »Niemals. Niemals wenigstens, solange ich lebe. Es wird immer noch etwas daran zu tun sein. Als ich zu bauen anfing, hatte ich gerade Geld, ich weiß nicht, was mich da geritten hat. – Sogar einen Festsaal hat das Haus. Man sieht darin nach Brauneck hinüber.

Einen Festsaal, das allernotwendigste für den Ruinengrafen! Aber man baut doch nicht nur für sich!«

»Sie haben recht, Sie haben tausendmal recht. Brauneck ist auch nicht an einem Tage entstanden.«

»Ich hatte Platz, auch viel Material, das noch zu brauchen war. Schöne alte Kapitäle, und die neuen sind darnach gemacht. Auch die neuen können sich getrost neben den alten sehen lassen. Auch habe ich daran den Meißel führen lernen.« »Harro, das ist nicht Ihr Ernst! Sie können doch unmöglich selbst Steine behauen haben!«

»Und ob. Alle meine Kapitäle habe ich selbst fertig gemacht. Manche vom rohen Block an, später nur noch die letzte Hand daran gelegt.«

»Aber ich begreife einfach nicht ...«

»Meine Liebe zieht mich ebenso zur Plastik wie zur Malerei, und da möchte ich von der Pike auf dienen. So konnte ich auf die einfachste Weise dazu kommen, mir auch Materialkenntnisse zu erwerben.

Es ist etwas Feines, vor so einem rohen Block stehen, in dem nun alles mögliche stecken kann, und dem Burschen zu Leibe gehen, daß er seine Seele herausgibt. Und manches lernt man nur so.«

»Gewiß, gewiß.« Aber den Fürsten ergreift doch ein aristokratischer Schauder, und er fragt etwas ängstlich: »Das machen Sie wohl in Ihrem neuen Atelier?«

»Das ist keine Atelierarbeit, das macht man im offenen Schuppen. Ich brauchte auch noch Hilfe von den Leuten. Einen sehr geschickten Italiener hatte ich – bis ich dem nachkam! – Nun könnt ich mein Brot finden.«

Dem Fürsten zieht es die Stirne kraus. Er macht ein Gesicht, als schlucke er eine sehr bittere Pille. Wer hereinkam, konnte den langen Schloßherren in seinem Hofe an den Steinen herumhämmern sehen. Endlich sagte er:

»Wäre es nicht besser, Sie konzentrierten sich auf eines – Ihre Malerei, die Ihnen doch schon manche Erfolge gebracht hat?«

»Ich sagte mir das auch, namentlich wenn mir einmal ein Meißel entglitt oder etwas zersprang. Schikanen gibt es dabei – Schikanen! Durchlaucht müssen aber einmal die Kapitäle an meinen Rundbogen ansehen. Ehe die Fensteröffnungen mit Brettern verschlagen wurden, war ich oft oben. Wie wunderschön sieht so ein Stück deutscher Heimat aus, grüner Wald, blauer Himmel mit ziehenden Wolken, Wiesengründe mit glitzernden Bächen, eingerahmt von dem grauen Steinwerk. Noch einmal so schön ist das gerahmte Bild, wärmer das Grün, blühender das Himmelsblau.

Und der Saal wird gemalt. Fresken! Das wird eine Farbenfreude geben! Die alten Thorsteiner sollen hindurchziehen ... Bilder hatten wir nicht viele, sie sind auch verbrannt. Aber was tut's. Mein Vater und seine Brüder, das gibt schon einen feinen Zug alter Thorsteiner. Ich reite auch mit!«

Diese Wendung des Gesprächs behagt dem Fürsten ein gutes Teil besser. Er klopft mit dem Stock an seine gelben Ledergamaschen:

»Köstlich, die Meeresbrise. Man fühlt sie hier oben viel mehr als am Strande. Wenn wir Rosmarie da oben hätten, das müßte sie noch schneller vorwärts bringen. Aber sagen Sie, Harro, Sie wohnen doch immer noch in der Ruine?«

»Sie ist abgerissen, es ging nicht anders. Ich wohne in meinem Atelier. Die Wohnung dort genügt mir vollständig. Das ist ja fertig. Später wird es mit dem Hause durch einen Gang verbunden. – Einen schönen Abschluß gewinnt der Hof dadurch, auch werde ich die warme Mauer zu allem möglichen Blumenzauber benützen. Der Gang wird heizbar und soll zugleich mit Pflanzen geschmückt als kleiner Wintergarten dienen.«

»Sehr guter Gedanke,« lobt der Fürst, den die Sache außerordentlich zu interessieren scheint. »Und die Einrichtung?«

»Unten die Schlaf-, oben die Wohnräume. Ganz oben über dem Festsaal die Küche. So macht man es jetzt, man wird nirgends von Gerüchen belästigt. Speiseaufzug, Zentralheizung und so weiter.«

»Harro, wir müssen uns verstecken mit unseren alten Kasten.«

»Mein alter Kasten tut mir noch immer weh, und ich gäbe alle Festsäle, Aufzüge, Empfangshallen darum, wenn ich ihn noch hätte.«

»Empfangshalle! Das gibt es auch! Harro, wollen Sie denn Majestät empfangen?« Der Fürst ist plötzlich in der glänzendsten Laune.

»Warum nicht, wenn Majestät gerade des Wegs zu kommen geruhen? Ich meine, was man zuerst an einem Hause sieht, macht den tiefsten Eindruck. Übrigens, es ist ja alles Zukunftsmusik, was ich da blase.

Wenn dieses Haus nun doch meine Lebensarbeit darstellt, so soll man auch sehen, wer oder was sein Erbauer war. Darum habe ich den Treppenaufgang zur Rotunde gestaltet. Es muß einem gleich ein Atem entgegenwehen von dem Geiste, der darin wohnen sollte.

Eine weiße, feierliche Rotunde, Licht von oben, wenig Gold, irgend etwas Grünes, ein Marmorbecken. Den Block dazu habe ich in Rom erworben, es wird meine nächste Arbeit sein.

Ich meine, ein klein wenig lebendiges Wasser gäbe einem solchen Raume eine köstliche Frische und ein liebliches Leben, wenn er auch sonst verlassen ist. Die vorhandenen Wände möchte ich am liebsten mit Goldmosaikfeldern haben. Teuer, leider teuer! Aber von ewiger Dauer. Die Zeichnungen dazu habe ich schon gemacht. Drollig, daß ich mit diesem Raum beginne, ehe ich nur ein einziges Wohnzimmer habe. Aber ich lebe für mich ganz wohl und behaglich in meinem Atelier nebst Schlafzelle.«

»Die Goldmosaiken, das imponiert mir; und teuer! Lieber Harro, darauf kommt es wohl nicht mehr an, wenn es dauerhaft ist.«

»Darauf kommt es noch sehr an, Durchlaucht. Unsere Bauern haben ein Sprichwort: Geld macht nicht glücklich, nur muß man es zuvor haben.«

»Harro, ich habe Ihnen doch schon früher gesagt –«

Aber der Thorsteiner lachte nur. »Ich habe ein Glück, seit ich angefangen habe, das Geld, das ich verdiene, mit vollen Händen wieder fortzuwerfen! Das ist mir in den letzten Tagen widerfahren. Die amerikanischen jungen reichen Damen, die, wie man sagt, die nobelste Pürsch betreiben sollen, auf die Prinzen – und Grafenjagd gehen, sie sind morgens beim Frühstück von überwältigender Liebenswürdigkeit. Die wittern wohl, weil ich Graf und Maler bin, ein angeschossenes Wild, sie müssen sich leider ja mit derartigem begnügen. Nun, wie ich am Strande male, eine Felswand mit hängenden roten Geranien, kommt die Hübscheste auf mich zu und bietet mir Dollars an für meine Skizze. Was kann ich als höflicher Mann anderes tun, ich beende die Skizze rasch und überreiche sie ihr mit meinem besten, durch die Frühstücksunterhaltungen aufgefrischten Englisch. Die junge Dame macht die blauesten Augen, deren sie fähig ist, verlangt aber meinen Namen auf dem Bild. Vergeblich mache ich sie auf das H. T. aufmerksam, mit dem sich später ein echter Thorstein der bewundernden Nachwelt legitimieren wird. – Sie verlangt meinen ganzen gräflichen Namen. Nun, so kam ich von der Idee zurück, daß meine Kunst so viel gelte.

Am andern Tag kommt der Vater, ein Mr. Legington aus Milwaukee, ein sohlledertrockener, eisgrauer Herr, zu mir und fragt mich, ob ich ihm eine größere Arbeit machen wolle, und fragt nach der Adresse meines Bankiers. Im ersten Erstaunen nenne ich den, muß ihm aber gleich sagen, daß ich weder Zeit noch Stimmung zu einer größeren Arbeit hätte. Darauf lädt er mich zu einer Fahrt in seinem Auto ein, das dampfend und zitternd dastand.«

»Mir kommt niemals eine solche Benzinkutsche in meinen Umkreis,« ruft der Fürst.

»Ich würde es doch nicht verschwören, Durchlaucht. – Wir rasen dahin, es wirbeln die Staubwolken, die Häuser und Bäume machen Verbeugungen vor uns, sie kommen uns höflich entgegen und biegen sich wieder zurück. Ein breites Flußtal, in dem ein kleines Wasser ein sehr breites Bett in Windungen durchfließt. Die ersten rosigen Mandelbäume, ein großartiger Gebirgshintergrund. Auf einem vorspringenden Berge eine schwarze Geisterburg. Eine Stadt, die sich, zusammengewachsen wie eine einzige Hausanlage, mit steilen Gassen, wie Felsabstürze und überhängende Bögen, den Berg hinaufzieht. Als hätte der Berg die Stadt geboren! Vor der Stadt eine Brücke, ein hoher gotischer Bogen, so führt sie über den dunkelschäumenden Fluß. Aus der Brückenmitte, da wo der Bogen sich schließt, ergießt sich ein Silberstrahl Wasser auf den Strom hinunter. Dieser Silberstrahl, so wunderlich er gerade an der Stelle war – das war der Punkt auf dem i. Der Hintergrund, die Berge mit ihren Schneehäuptern, die Burg, die Stadt wie eine fünfaktige Tragödie. Die steile Brücke mit ihrem Silberstrahl über dem dunkeln ziehenden Wasser. Und zwischen Strom und Stadt auf finstern Felsen ein Trüppchen rosa Mandelbäume, wie holde junge Königskinder, die herausgetrippelt sind aus des Vaters finsterer Burg.

Wenn er nicht gar so trockenes Sohlleder gewesen wäre, ich hätte meinen Amerikaner umarmen mögen. Ich machte gleich eine Skizze, und als er merkte, wie ernst es mir war, ließ er, während wir angenehm aus einem Picknickkorb frühstückten, durch das Auto meine Malsachen holen. Das Wetter war beständig, die Misses, die auch mitkamen und zu stören wußten, wurden von dem Vater sehr höflich, aber bestimmt unschädlich gemacht.

Nun, heute bekomme ich ein Telegramm von meinem Bankier, – drei Vormittage hatte ich allerdings mit Hochdruck gemalt, – es seien zweitausend Mark für ein Bild Dolce Aqua bei ihm eingezahlt worden. Seither sehe ich überall Goldmosaiken.«

Der Fürst erhebt sich: »Harro, es ist aber doch nicht recht von Ihnen. Rosmarie wird todunglücklich sein, wenn ich ihr von dem Bilde erzähle, das nun nach Amerika geht. Meinen Sie, daß der Amerikaner mir das Bild überließe? Wissen Sie keinen Juden, – im Handeln wird der Amerikaner mir wohl über sein. – Ich brauche einen Juden!« –

»Aber Durchlaucht. Ich bin ja bereit, den ganzen Tag für die Prinzessin zu malen. Durchlaucht machen mich ganz unglücklich. Ich werde doch der Prinzessin ein Bild schenken dürfen?« »Aber die Goldmosaiken? Und nun wissen wir, was Ihnen ein Tag wert sein kann.«

»Das ist einmal und nicht wieder. Das wäre gerechnet wie jenes Büblein, das sagte: Mein Vater verdient im Tage hundert Mark. Aber nur einmal im Monat, die anderen Tage schafft er umsonst.«

»Sie haben das Dolce Aqua zu schön beschrieben,« klagte der Fürst, »und entweder: Rosmarie erfährt gar nichts davon, oder sie bekommt es. Harro, lassen Sie mit sich reden, wir gehen ja nun doch zurück.«

»Durchlaucht, nur wenn ich das Bild der Prinzessin schenken darf. Sonst gerät es nicht. Ich muß Freude an jedem Strich haben ...«

»Und für den Amerikaner?«

»Da dachte ich gar nicht daran, ich malte eben, aber jetzt müßte ich daran denken, das ist der Unterschied.«

»Schön eigensinnig sind wohl die Thorsteiner immer gewesen, Harro?«


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