Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Sechstes Kapitel: Der Lilientag.

Nun hat das Seelchen schon manchen wunderbaren Fischzug getan. Harro hat das Kind richtig eingeschätzt, es hat die Springfedern in sich, die nötig sind, um Überraschungen recht genießen zu können. Es ist das Fest der Schlehenblüten gewesen, das Maiblumenfest, und jedes hat seine eigenen Feinheiten mitgebracht. Der lange Thorsteiner geht wie auf Federn und reckt seinen braunlockigen Kopf unter dem alten Filzhütchen, daß die Holzarbeiter und Bauern, die ihm begegnen, anfangen, ihre Kappen vor ihm herunter zu ziehen; früher hatten sie ruhig auf seinen Gruß gewartet. Er erzählt dem aufhorchenden Seelchen:

»Wenn du einen angehenden Kapitalisten sehen willst, schau mich an. Wenn wir wollten, könnten Kaliban und ich jeden Tag Hühnerkoteletten mit Schlagsahne verzehren; oder im Heuwagen durchs Land spazieren fahren, wie das Mazzenbacher Büblein getan hätte, wenn es König geworden wäre. Ein schlaues Büblein, das wußte, was schön ist.«

Harro hat sein Bild verkauft. Nicht das Original, eine Kopie davon. Von dem Original sich zu trennen, wäre ihm als eine Profanation erschienen. Daß er den Kauf verweigerte, hat, ohne daß er es ahnte, den Preis hinaufgeschnellt. Denn der Amerikanermillionär muß den Ehrensaal haben, und da er Schweine schlachtet, paßt das Gemälde jedenfalls ausgezeichnet dazu, in seinem Hause in Chicago aufgehängt zu werden. Mrs. und Miß Vandouten werden sich ganz feudal vorkommen, wenn sie es ihren Besuchern weisen. Harro hat das Bild für den Amerikaner kopiert und mehr für die Kopie bekommen, als er für das Original ihm angeboten hatte. Auf der Kopie sind die Wappenschilder, die die goldenen Greifen und Pelikane halten, leer, und der Besitzer kann ja später, wenn seine Tochter ihren gestrandeten Grafen oder italienischen Principe geheiratet hat, eines hineinmalen lassen.

Aber der Thorsteiner strahlt nicht so sehr wegen der Scheine, die er auf die Bank getragen, er feiert eben auch die Feste mit, und Frau von Hartenstein entdeckt, daß es ein neues Talent gibt, von dem sie bisher nichts wußte, das, Feste zu feiern. Und das muß gänzlich verschüttet in dem Thorsteiner geschlummert haben, sie hat es wenigstens nie an ihm bemerkt. Sie selbst ist gar so viel vom Leben hin und her geworfen worden. Von ihrer Verheiratung an ist sie kreuz und quer durchs deutsche Vaterland gezogen. Sie hat ein kleines Grab in Dieuze und eins in Thorn. Sie weiß nicht mehr auswendig, wie oft der Möbelwagen vor der Türe stand und die Packer sich auf ihre Sachen stürzten.

»Ich söhne mich mit den Säulen aus, Harro,« sagt sie, »sie sind so anständig standfest und können nicht gerückt werden. Manche würde das sehr angreifen, mich beruhigt es. Ich habe schon gar zu viel hin und her gerückt, bis allemal meine Sachen wieder gestellt waren.

Wie das Kind gedeiht! Schon drei Wochen hat sie kein Wörtchen mehr von dem Schönsten gesagt. – Wer weiß, ob wir nicht doch das Kind durchbringen.«

Aber Harro empört sich sehr über diese Worte. – Wer denn noch daran zweifelte?

»Aber das kommt von eurer liebevollen und dankbaren Ansicht vom Jammertal. Als ob diese schöne Erde ein Strafplatz sei und alles Liebliche, Schöne und Gute, sobald es sich entfaltet, gleich daraus verpflanzt werden müsse auf eure Halleluja-Wiesen. Wenn ihr so nah bekannt seid mit der Gottheit, daß ihr derselben eine Ansicht vortragen dürft, so käme mir die anständigste die vor, daß man dankbar anerkennt, was für einen schönen Tummelplatz wir bekommen haben. Wo wir uns allerdings oft schlecht genug aufführen, wofür aber das Gelände nichts kann.«

»Seien Sie nicht frivol, Harro, und Sie tragen auch die Lilienstengel schief, von denen Sie mir doch gesagt haben, daß sie durchaus gerade getragen werden müßten.«

Harro ist mit Frau von Hardenstein im Empfangszimmer, es ist spät abends, das Seelchen schläft schon lange, und Harro erklärt seiner Freundin, wie Lilien behandelt werden müssen, wenn sie ihre volle Pracht entfalten sollen! Und Frau von Hardenstein schüttelt ziemlich bedenklich den Kopf über seine Vorbereitungen. –

Am zwanzigsten Juli scheint die Sonne so golden, wie es sich für den Tag gehört, und der Himmel ist schon am Morgen tiefblau. Das Seelchen hat schon am frühen Morgen auf ihrem Toilettentisch ihr schönstes weißes Kleid gefunden. Das bedeutet etwas. Ist heute vielleicht Lilientag? Als sie fertig ist, schlüpft sie hinaus auf den Lindenstamm, eine ehemalige Bastei, auf welche ihr Zimmer sich mit einer Flügeltür öffnet, und von der man in zwei grüne Täler sieht, denn sie bildet den vorspringendsten Punkt der Bergkuppe, um deren Fuß der Fluß sich legt. Grüne Waldberge begleiten den Wasserlauf, und gerade gegenüber dem Lindenstamm ist das heimliche Plätzchen, wo die alten Buchen bis zum Uferrand herabsteigen und liebende Arme über das grüngoldene Wasser breiten. Das Flüßchen selbst hält hier in seinem Laufe ein wenig an, als ob es nicht weiter möchte, hohe Schilfstauden umgeben das andere Ufer. Der Platz heißt das Grafenbad, und es steigen jetzt noch alte Steinstufen hinein in die lockende Tiefe.

Und heute blüht die Linde, die sich mit ihrem mächtigen Stamm an das Mauerwerk der Bastei lehnt und ihre Wurzeln in einem kleinen Erdvorsprung hat, ihre Krone aber über dem Lindenstamm ausbreitet. So wohnt man da oben in Wipfeln, denn auch von der Nordseite umgeben die Bastei zwölf riesige Tannen, auch sie schauen nur mit den Wipfeln herein, und die Zweige der zwölften berühren schon den roten Turm, der als ehrenfester Wächter herabsieht auf die Steinplatten des Lindenstamms. Dieser selbst ist so groß, daß ein Berliner Mietshaus mit sechs Zimmern sehr bequem darauf Platz hätte, und man kann auf ihm in Sonne und Schatten wohnen. Der Efeu treibt überall um die Bekrönung seine Ranken und streckt Zweige durch die winzigsten Mauerluken.

Seelchen, festlich angetan, eilt nach ihrer Schnur, deren Ende hinabreicht an den Fuß der Bastei, tief unter die Wurzeln der Linde in einen heimlichen Winkel des Parks.

»Oh, die Schnur ist schwer! Es hängt etwas daran, – ja, es guckt schon über die Mauer.«

Ein weißes Kästchen, an dem hängt ein Rosenkranz. »Frau von Hardenstein, kommen Sie! So sehen Sie doch!« Nun zuerst den Kranz lösen und ihn aufsetzen. In den Spiegel braucht man dabei nicht zu sehen, denn die Kränze sitzen in den offenen Goldhaaren immer, wie sie sollen.

Und nun das Kästchen auf! Auf weißem Seidenpolster ein paar goldene Schuhe! Und was für eine Form haben sie! Wie angegossen sitzen sie an den feinen Füßen, und auf den Zehen stehen kann man darin, als ob man barfuß wäre. Seelchen tanzt mit ihren goldenen Schuhen und ihrem Rosenkranz auf den alten Steinplatten unter der Linde.

»Das sind meine Freudenschuhe! Immer will ich sie anziehen, wenn ich froh bin. Und wenn ich sie anziehe, ist ein Fest!«

»Und es ist auch heute ein Fest, es ist Ihr Geburtstag, Prinzeßchen, und Sie müssen sich gratulieren lassen, und es gibt noch viel zu sehen ...«

»Horst du, alte Linde, was heute ist? Mein Geburtstag und ein Festtag. Und du bist auch am allerschönsten heut.«

Denn die Linde blüht auf ihrer Nordseite.

»Sieh meine goldenen Schuhe! Tausend Jahre hast du keine goldenen Schuhe mehr gesehen! Wirf mir ein Büschelchen herunter, einen Tropfen Honig, Linde, Herzelinde!«

Endlich läßt sie sich fortziehen in das Empfangszimmer –. Da stehen im Halbkreis die Lilien in alten einfachen mattglänzenden Zinnbechern. Seelchen atmet beklommen. »Ist das mein Geburtstag?«

Frau von Hardenstein findet, daß Harros Blumenstilleben fast ängstlich feierlich aussieht, und daß nicht einmal das weiße Gabentischchen in der Mitte die Sache bessert. Das Kind betrachtet seine Geschenke, dann nimmt es eins nach dem andern von den hübschen Dingen hinweg und trägt sie in die Ecke auf den blauen Diwan. Dann kauert sie sich auf den Boden in ihrem Lilienhalbkreis. Einen Augenblick zieht sie die goldenen Schuhe aus und stellt sie auf das nun leere weiße Tischchen.

»Das ist Harros Geschenk.«

Dann zieht sie sie wieder an. »Ein wunderliches Kind,« denkt Frau von Hardenstein, »und Harro hat es mit seinem Blumenzauber wieder getroffen! O Kind, wenn man dir einmal deinen langen Freund nimmt! Kommen Sie nun mit mir herunter, Seelchen, im Hof ist auch noch etwas zu sehen. Der Duft ist fast zu stark.«

»Ach liebe, beste Frau von Hardenstein, darf ich denn nicht ein wenig allein bleiben, bei meinen Lilien? Ich rühre sie nicht an, ich weiß ja, daß man's nicht darf. Ein klein wenig? Ich tue alles, was ich soll, nachher!« »Gut, ich gehe über den Lindenstamm in den Park den Rosenweg hinunter und in den Hof. Dort kommen Sie hin, nicht wahr?«

Sie geht, und Seelchen ist allein. Nun steht sie in ihrem Blumenring vor dem großen Bild ihrer Mutter und flüstert: »Siehst du mich, Mutter?« Eine Pause, als ob sie auf Antwort warte. Ganz still ist's, nur der Sommerwind bläht ein weniges die langen weißen Vorhänge auf, und durch die Läden schießt die Sonne schmale goldene Pfeile.

»Mutter,« flüstert das Seelchen noch einmal – dann seufzt sie leise. »Ach, sie schläft so fest, oder ist so fern. So schön muß es sein, dort, wo sie ist, daß sie nicht ein wenig mehr hersehen mag zu ihrem Seelchen, das doch seinen Lilientag feiert.«

»Sie machen wohl Musik bei dir, die Lilien? Jede hat einen Ton und den singt sie.« Ob man wohl darnach tanzen könnte! Aber schön langsam muß es gehen, ich liebe sie nicht, die schnellen Tänze! Und wenn man so froh ist, wie im Leben nicht, so muß man doch tanzen!

Sie faßt die Enden ihrer langen Haare, daß das feine Goldgespinst sich ausbreitet wie ein Schleier. Zuerst bewegt sie nur ein wenig das rosengeschmückte Köpfchen. Dann hebt sie das feine Füßchen. Nun schwebt sie langsam im Lilienkreis herum. Sie wendet sich und neigt sich.

Da geht die Türe auf, und dort steht Harro mit einem großen Rosenstrauße in der Hand. Sie nickt ihm lächelnd zu und dreht sich langsam im Kreise, und ihr feiner Körper ist wie eine weiße Flamme in dem dünnen Kleidchen. Harro steht unbeweglich und seine Augen trinken. Da lacht sie ihr feines klingendes Lachen. »Der Lilientanz, Harro. – So klingen sie auf der Himmelswiese und darnach tanze ich in meinen goldenen Schuhen!«

Harro ist, als rühre ihn zwischen den Schulterblättern etwas kühl an.

»Komm, Seelchen, Frau von Hardenstein wartet auf dich, der Duft ist doch zu stark hier.«

Und im Hofe ist noch etwas zu sehen. Da steht der braune glänzende Pony, den Tante Helen gesandt hat. Seelchen streichelt das Tier beglückt, aber um es besteigen zu können, müßte sie sich von ihrem Rosenkranz und den goldenen Schuhen trennen. Und so begnügt sie sich für heute damit, ihm ein Stück Zucker zu geben und es zu streicheln. Auf dem Lindenstamm wird zu Mittag gegessen im köstlichen Lindenschatten.

»Prinzeßchen, haben Sie sich auch für alles bedankt, und Harro, wie sind Sie zu goldenen Schuhen gekommen?«

»Harro, ich danke dir, es sind meine Freudenschuhe, immer werde ich sie tragen, wenn ich froh bin. Wer hat dir denn die Schuhe für mich gegeben? War es ein Männlein im Walde, oder eine Nebelfrau, oder hast du sie am Kinderbrunnen gefunden?«

»Falsch geraten.«

Und Harro erzählt über dem Nachtisch von köstlichen Erdbeeren und Sahne, an dem sie nun angelangt sind:

»Als ich in letzter Woche in München war, da sah ich in einem Gäßchen ein Schild an einem buckligen Häuschen, Johann Nepomuk Wurmhaber, Kunstschuster. In dem Fenster stand seltsames Schuhwerk, Schnabelschuhe, ellenlange, breite geschlitzte Latschen aus farbigem Leder, Spangenschuhe mit hohen Absätzen. – Da ging ich hinein, da war ein kleines feuerrotes Männchen, so buckelig wie sein Haus. Das schnarrte: ›Mein Herr, Sie können in jedem Jahrhundert bedient werden. Der Herr ist Künstler.‹ Nun, das mußte mich schon freuen, das war mir noch nie passiert, man hatte mich immer bis jetzt für einen Offizier in Zivil gehalten. Ich sagte, ich möchte lieber im gegenwärtigen Jahrhundert bleiben. Haben Sie goldene Schuhe? Nun staunte er aber doch ein wenig, faßte sich jedoch sofort.

›Meine Schuhe sind Kunstschuhe. Sie werden also nicht über ein Holz geschlagen, sondern nach der Persönlichkeit gebaut.‹ ›Da kann geholfen werden‹ sage ich und präsentiere ihm meine Wachsmodelle, eins für den rechten, eins für den linken. Die habe ich mir doch mit vieler Mühe gemacht. Du bist ja so freundlich gewesen und hast so oft deine Schuhe ausgezogen.«

Nun wird Frau von Hardenstein ernstlich böse. »Lieber Harro,« sagt sie scharf, »ich fürchte, jede Ermahnung von meiner Seite wird nichts nützen, wenn Sie die Prinzessin in ihren Unarten so bestärken wollen. Gestern hat sie bei dem Geschichtsunterricht des Herrn Präzeptors die Schuhe unter dem Tisch ausgezogen. Ich bin dafür, die goldenen Schuhe werden konfisziert, wenn das noch einmal vorkommt.«

Beide Gescholtenen ducken ihre Köpfe, Harro beugt sich über seine Erdbeeren, das Seelchen, das dunkelrot geworden ist, verschwindet fast hinter seiner Serviette. Sie ist sehr schuldbewußt, denn auch der eine der Goldenen tanzt nur noch auf den Zehen. Frau von Hardenstein sieht aber zum Glück nicht unter den Tisch, und Harro erzählt weiter.

»Herr Wurmhaber freut sich nun sehr über die Modelle, und als er hört, daß er die behalten darf, verspricht er richtiges stiftvergoldetes Leder zu beschaffen durch einen Freund, der kostbare Büchereinbände macht, und sagt, ich solle die Form angeben, ich möchte mich aber in seine Sammlung begeben. Die ist in einem Hinterstübchen, das in ein Gärtchen geht, man sieht sogar ein brunnentiefes Stückchen Himmel. Da stehen Gipsabgüsse von Füßen. Die Füße der tanzenden Grazien von Canova sind da, und der Fuß des Bogenspanners und des griechischen Dornausziehers. Deine Füßchen stellt er neben den linken einer griechischen Tänzerin. ›Und nun, mein Herr,‹ sagt er in hohlem Grabeston, ›die Schreckenskammer!‹ Nun zieht er einen Vorhang auf, und da gibt es schreckliche Dinge. ›Mein Herr! ohne alle Mühe zusammengebracht. Hier in der Gasse und Nebenhöfen! Das ist von zu hohem Absatz, dies kommt von Schuhen, die vorn in der Mitte spitz sind – es ist eine Armee von Häßlichkeiten ... Und nun wollen wir eine Form suchen, die all diese Unglücksfälle vermeidet.‹ Diese Form, behauptet er, sei ihm beim Anblick der Schuhe eines Würzburger Bischofs auf einem Grabmal aufgegangen. Ich weiß nicht, ob ich ihm den Bischof so ganz glauben kann, und Frau von Hardenstein, der Mann hat nichts für die Schuhe genommen, absolut nichts, wenn er die Modelle behalten dürfte für seine Sammlung. Und die Schuhe sind gut.«

»Verzeihen Sie, sie sind höchst absonderlich, und für die Festschuhe mag es gehen, aber diese formlosen Dinge!«

»Ich bitte Sie, Frau Mutter, die haben doch schon die Form der Füße angenommen, sie sind sehr schön und gut.«

Seelchen rief jammernd: »Ich will keine andern mehr, ich will nicht mit meinen Füßen in die Schreckenskammer kommen.«

Harro schlägt vor, wenn Seelchen dafür verspräche, daß sie nie, nie unter dem Tisch die Schuhe ausziehe, dann könnte man ihr doch vielleicht den Willen tun.

Frau von Hardenstein seufzt: »Harro, als Prinzessinnenerzieher sind Sie die allerungeeignetste Persönlichkeit, die ich mir denken kann, und das Unheil, das Sie anrichten werden – – –«

Etwas beladen von der Ungnade der Frau Mutter geht Harro zu seiner Studie auf der Römerwiese. Gegen Abend soll er zum kühlen Brunnen kommen, wohin das Seelchen mit Frau von Hardenstein fahren wird. Dort gibt es Erdbeeren in Menge, und das Kind hat ein feines Weidenkörbchen bei sich, schön mit Weinlaub ausgelegt, und darin will es Erdbeeren sammeln für Harro, wenn er kommt. Und nun nimmt sie der Schatten auf, und der kühle Atem des Waldes weht ihnen entgegen. Der Wagen hält und fährt wieder zurück, denn sie wollen den Heimweg zu Fuß machen. Die hohe Gestalt der Dame in ihrem schwarzen Kleid, und das Kind mit seinen goldenen Schuhen, die es auf vieles Bitten hat anbehalten dürfen, schreiten über die moosigen Waldwege unter den hohen Eichen hin.

Es ist ein uralter Eichenhain, der seit vielen Jahren schon überständig ist, aber immer geschont wird um der alten Prachtgestalten willen. Es ist hier nicht einer unter ihnen, den nicht der Blitz gestreift hätte, die Äste winden sich wie Schlangen, in den hohlen Kronen haust der Specht. Zu ihren Füßen haben sich Erdbeerfamilien angesiedelt und nicken hohe Farnwedel. Wie ein beseeltes, silbernes Band gleitet die Ringelnatter über den Moosboden, ein zierliches Reh schreckt auf, das zwischen den mächtigen Wurzelhäuten geruht hat. Gurru, Gurru rufen die Waldtauben einander und ein kleines Brünnlein erfüllt mit seiner einfachen Melodie die Einsamkeit mit lieblichem Leben.

Da ist ein Tisch und eine Bank, gerade dort, wo sich der Hain gegen eine sanftgesenkte Waldwiese öffnet. Nun darf das Kind Erdbeeren suchen, und sie geht eifrig hin und her zwischen den Waldriesen, deren Leben ihre Väter und Großväter geschaut. Ihr Mund steht keinen Augenblick still, sie muß mit allem sprechen, was ihr begegnet. Mit dem kleinen Fröschchen, dem sie sagt, daß es die schönsten Goldaugen habe, und mit den blassen hohen Glockenblumen, die sie küßt und fragt: »Gehörst du auch zu meinem Geburtstag, weil du so dastehst vor des Wurzelweibchens Haus?«

Und da kommt Harro, vor Freude verschüttet sie fast ihr Körbchen. Und so schöne, reife, dunkelrote Beeren sind darin, groß wie kleine Kirschen. Und nun gehen sie noch über die Wiese, wo die vielen Federnelken nicken und glührote Weidenröschen stehen, hoch über des Seelchens Kopf. Wie die Sonne glüht auf dem roten Blumenfeld, und wie die Musikanten schrillen!

»Wir setzen uns ein wenig an den Rain, Harro, dort hören wir, wie das Brünnlein mit sich selbst schwatzt.«

Harro streckt sich der Länge lang ins Gras mit einem Seufzer des Behagens. Das Kind sitzt zwischen hohem nickendem Riedgras neben seinem Korb und spießt eifrig Erdbeeren auf feine Grasstengel. Harro muß den Mund aufmachen, er bekommt die zierlich aufgespießten Beeren hineingesteckt und braucht sich nicht zu rühren.

»Harro, wenn ich deine Frau wäre, so würde ich dir immer Erdbeeren suchen und dir in den Mund stecken.«

Harro ist ein wenig schläfrig, er ist durch die Sonnenglut gegangen und hat vor seiner Studie auch immer in das grellste Licht sehen müssen. Er brummt nur: »Prinzessinnen haben nicht in Ruinen Platz. Wohin mit den Equipagen und den Dienern?«

»Ich brauche doch keine, Kaliban ist da und ich geh mit dir zu Fuß.«

»Durch den Sonnenbrand auf deinen goldenen Schuhen?«

»Nun sollst du einmal gar nichts antworten. Wenn du etwas sagen willst, – sieh, da hab ich eine Erdbeere, die stecke ich dir hinein.«

»Rede los, Seelchen, nimm's aber nicht übel, wenn ich ein bißchen einnicke, seit vier heute morgen steige ich herum und war schon sehr fleißig, und dein Stimmchen hat eine so feine Begleitung in dem Brunnen dort ...«

»Einmal bin ich deine Frau, Harro.«

Er will etwas sagen, bekommt aber sofort eine Erdbeere in den Mund.

»Können wir denn nicht so tun? Dann bin ich groß, und habe ein Silberkleid und du hast einen Saal, in dem du malen kannst. Man kann darin Sonne und Schatten machen, wie man will. Und ich sitze bei dir, wenn du malst, und bin mäuschenstill, und du malst das schönste Bild. Und Kaliban kocht das Essen und ich die süße Speise. Und abends gehen wir auf die Römerwiese und dann kommt die Nacht. Und die Welt schläft ein und es kommt der Mond und sieht, wie sie daliegt und schläft. Dann fährt der liebe Gott übers Land und sieht die Menschen an, wie sie ihre Herzen herausgelegt haben, denn bei Nacht können sie die nicht hüten, und sieht, was sie darin haben. Und wenn er zur Ruine kommt und sieht unsere Herzen, so sagt er: ›Ich muß ihm auf sein Herz einen goldenen Tropfen geben aus dem Himmelsbrunnen und einen Tropfen auf seine Augen, daß er das schönste Bild malen kann.‹ – Dann klagt mein Herz, ach was geb ich nur dem Harro dafür, daß er mir die Lilien auf meinen Geburtstag gestellt hat im Kreis, daß jedermann sehen kann, es ist ein Fest, daß das Seelchen da ist und ist keine Betrübnis dabei! Aber nun meinst du, ich sage dir, was mir der liebe Gott für dich gibt, aber ich will auch ein Geheimnis haben ... nein ... aber wenn es da ist ...«

Da winkt Frau von Hardenstein. – Harro ist heute so verträumt, daß Frau von Hardenstein ihn neckt, er sei von seinem Schläfchen dort am Rain noch gar nicht aufgewacht und gestattet ihm eine Mückenvertreibungszigarre, damit er wieder zu sich kommt. Derweil erinnert sich das Kind plötzlich, daß sie Vaters Brief immer noch nicht zu Ende gelesen hat, er ist heute so lang und sonderbar. So liest sie denn eifrig, während Harro eine sehr nachdenkliche Zigarre raucht.

»Nun, Prinzeßchen, gute Nachrichten?«

»Ja, und Papa freut sich. Es wäre aber jetzt gar nicht mehr so nötig gewesen.«

Harro sieht sie an und sagt halb mechanisch: »Was wäre nicht so nötig gewesen?«

»Ach, die neue Mutter. Ich habe ja Euch!«


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