Grimmelshausen
Der keusche Joseph
Grimmelshausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der erste Vorschlag / den frommen Joseph in die Grub zu werffen / ward beliebt / und als ein rechtmässige Verfahrung und kluge Erfindung gelobt; Zugleich auch dem Ruben / Jud æ / Simeone und Zabulon aufgetragen / solch Urthel zu vollziehen; Weilen aber ihr Ayd auch in sich hielte / Josephs kostbarlichen Rock / der schier die gröste Ursach / und zwar der Anfang ihrer Feindschafft gewesen / mit Blut zu besprengen; Haben sie ihm denselben ausgezogen / aus Zorn zimlich zerrissen / und in dem Blut eines jungen Zigenböckleins / so sie zu dem End geschlachtet / herum gesudelt; Indessen nun diese ihre Rach am Rock übten / wie die Hund an den Steinen zu thun pflegen / wann sie den / so sie damit geworffen / nicht beschädigen mögen / führten jene vier den Joseph zu der Gruben / und liessen ihn mit Seilern / ohne seine Beschädigung / hinunter; Ruben aber war bey sich selbst bedacht / ihme / ohne seiner Brüder wissen / noch selbige Nacht wieder heraus zu helffen und seinem Vatter heim zu bringen.

Er danckte GOtt heimlich in seinem Hertzen / daß er ihm solchen Einfall verliehen / und Gnad gegeben / daß ihm seine Brüder gefolgt hätten; Derselbe Tag dunckte ihn länger zu seyn / als sonst zween / weil ihn so hertzlich verlangt / sein Vorhaben ins Werck zu setzen: Er gieng eintzig hinweg / mit Vorwand / ein bessere Waid zu suchen / aber sein Verlangen war eintzig die finstere Nacht: In welcher er die Vorhabende Errettung seines Brudern ins Werk setzen möchte;

Nach seinem Abschied kamen unversehens etliche verirrte Ismaeliter / so Kauffmannschafft halber aus Arabia in Egypten zogen / zu der Herd / keiner andern Ursachen halber / als wieder nach dem rechten Weg zu fragen; Denselben verkaufften sie / aus Rath Jud æ / ihren Bruder Joseph umb dreissig silberne Pfenning in ewige Dienstbarkeit / weil sie darvor hielten / es wäre besser vor sie / der jenige würde selbsten ein Sclav / dessen Sclaven zu werden sie besorgten; Jedoch mit diesen austrücklichen Beding und Vorbehalt / daß sie ihn / so weit müglich / aus dem Land führen: Und alsdann an den fernsten Orten der Erden wieder verhandeln möchten; Nephtalin / so ein schneller Fußgänger war / zeigte ihnen wieder den rechten Weg / sie waren aber kaum etlichen Meilen fort kommen / da kame die Brüder Josephs alle eine Reu an / als sie nemlich bedachten / was vor ein schlimmes Stück sie ihrem Bruder erwiesen hatten.

Rubens verdrüßlicher Tag striche mit hin vorbey / und die erwünschte Nacht herzu; Da er dann nicht versaumt hatte / einen mittelmässigen Tzinar=Baum oder Platanum abzuhauen / und mit Stümlung dessen Aesten: oder wo ihm die Natur keine gegeben / mit eingeschlagenen Nägeln / gleich einer Laiter / zum steigen bequem zu machen; Damit verfügte er sich zu der Wolff= oder Leoparden=Gruben / dem jenigen wieder heraus zu helffen / den er kurtz zuvor selbst hinein zu setzen gemüssigt worden; Er legte sich zur Gruben auf die Erd nider / und schrie hinein: Joseph / liebster Bruder! Ihme antwortet aber nur der betrügliche Wiederhall / mit eben den Worten / die er in dessen Abgrund geschrien hatte; Ruben ruffte nochmals dieselbige Wort / mit einer viel kräfftigern Stimme: Echo aber thät dergleichen: Ruben schrie von aller Macht / und was er erschreyen konte / Bruder: schläffst du? Darauf ward er auch gefragt / ob er schlaffe; Er wiederholet solch Geschrey zu vielen malen; Echo aber unterließ nicht / ihme eben so unverdrüßlich von Josephs wegen zu antworten / als offt er seinethalben so beweglich fragte. Der Zorn und die Lieb seynd zwar zwo widerwärtige; jedoch einsfalls einige: und so beschaffene Gemühts=Bewegungen / sonderlich / wann eins von beyden viel zu hefftig ist / daß sie den Menschen gantz aus sich selbst bringen/ und dessen Verstand also verfinstern / daß er endlich nicht mehr weiß / was er thut; Also geschahe dem redlichen Ruben damals auch / er wurde bey der Gruben so bestürtzt / daß er nicht mehr wuste / wie er dran war; Er wuste nicht / ob Joseph oder dessen Geist mit ihm redet / weil er so willige Antwort empfieng / und sich doch nicht darein richten kunte / zumalen an nichts wenigers / als an den natürlichen Widerschall gedachte; Stehet also noch darum zu zancken / ob ihm damals ein Antwort kein Antwort; Oder kein Antwort / ein Antwort gewesen sey? Zum letzten schrie er: Ach Bruder! sag mir / (gleichsam als ob die Todte redeten /) bist du todt? Das / was er förchte / und ihn wieder antworte / nicht zu hören begehrte / fasseten seine Ohren am allerersten / nemlich das letzte Wort: Ach / sagte er / bist du todt! Ach warum bin ich dann nicht vor dich gestorben? Von der Qual / die sein Hertz damals berührt / von dem Heulen / das er dannenhero anfieng / und biß an den anbrechenden Tag triebe; Nicht weniger von dem jämmerlichen Hertzens=Schmertzen / den er dieselbe gantze Nacht übertragen / kan ich der Ursachen wegen nichts schreiben / weil sich mein eigene mitleidenliche Threnen mit der Dinten meiner elenden Feder vermischen: Was mein schwaches Vermögen hiervon zu schreiben vornehme / zu lesen undüchtig machen: Und also den Frevel meines Beginnens straffen würde! Ja er / der ehrliche Ruben / wurde endlich so ohngehalten / daß er / wegen der Unschuld Josephs / den er todt zu seyn schätzte / wo wol wider GOtt und den gütigen Himmel / die solchen unschuldigen Tod verhängt / als wider seine Brüder murrete / auch von allen nicht beym besten redete; Er verfluchte Sonn / Mond / Stern und alle Garben / und kame in solcher Weiß zu seinen Brüdern / als ihnen eben die Morgenröthe einen neuen Tag verkündigte.

O ihr Mörder! Ihr Schelmen und Dieb / schrie er auf / welcher höllische Geist hat euch gerathen / euren unschuldigen Bruder umbzubringen? O ihr Ehr= und Gottes=vergessene Schänder des gantzen Stammes der redlichen Hebr æer / welcher Verstossene Engel zeucht euch durch diese That nach sich in den Abgrund des ewigen Feuers? Was ists doch vor ein Bestia / oder viel mehr vor ein Teufel / der so verwegen gewesen ist / auch nur in Sinn zu nehmen / an der Unschuld selbsten ein solche Mordthat zu begehen? Ach! du gerechte Sonn! Hast du diesen schröcklichen Mord gestern zugesehen / und wilst heut die Mörder dannoch wieder bescheinen? Ach Mond! Hier fielen ihm Judas und Levi / auch Issaschar und andere mehr in die Red / und sagten: Hör Bruder / was fangst du vor ein Jammer an? Wir haben den Joseph mit dem Leben lassen darvon kommen;

Ruben aber verstunde / sie hätten ihm das Leben genommen / dann er war ganz nicht bey sich selbst; Ach! sagt er / was habt ihr gethan? Was sein Traum böses bedeutet von den Garben / habt ihr euch zur höchsten Schand erfüllt; Was er ihm aber guts verheissen / dessen / samt seines unschuldigen Lebens / habt ihr ihn beraubt / wie andere Schelmen.

Als er aber endlich verstunde / daß er noch lebte / ihme auch / zur Bestättigung dessen / von seinen Brüdern das aus ihm erlöste Geld vorgewiesen wurde; spiehe er aufs Geld / und sagte / ihr habt übel gethan / daß ihr den unschuldigen verkaufft habt / aber zu geschehene Sachen soll man das beste reden: Besser verkaufft / als ermord; GOtt wird den Joseph nicht verlassen / und ich versichere euch / daß / wann schon alle lebendige Creaturen diese eure Schalckheit verschweigen / daß doch endlich die Stein reden / und eure Verbrechen an Tag bringen werden; Wie trösten wir aber indessen unsern alten Vatter? Und wie leinen wir den Argwohn ab / mit welchem er und die gantze erbare Welt uns belegen wird? Sagen wir die Warheit / so kriegen wir einen ungnädigen Vatter; und setzen ihn / wegen seines Sohns Dienstbarkeit / in ewigen Kummer; Sagen wir dann den Joseph todt / so reden wir wie die Lügner / machen uns des Mords verdächtig / und bringen gleichwol den Vatter in das gröste Hertzenleid; Darum rath jeder / was zu thun sey?

Erst damal wünschte ein jeder von Hertzen / daß Joseph von ihnen ohnbeleidigt: und noch vorhanden wäre / oder daß sie den gestrigen Tag Rubens Rede behertzigt hätten; Aber vergeblich. Sie bereueten zwar ihre That / und fiengen an zu weinen / wie die Weiber; Damit war aber weder ihrem Vatter / noch dem Joseph / noch ihnen selbst geholffen; Ruben war am besten getröst / und bey sich selber / weil er unschuldig / und den jenigen noch lebendig wuste / dessen vermeinten Tod er kurtz zuvor betauret. Und sein Hertz die gantze Nacht über genugsam ausgeleert hatte; Ja / er war gegen seinen Brüdern gleichsam frölich zu schätzen / weil sein Gewissen sein eigen Unschuld bezeugte.

Endlich hielten sie davor / es wäre besser gelogen / und den Vatter / wegen Josephs Tod / in ein kurtzes Leidwesen / als die Warheit gesagt / und ihn seiner Dienstbarkeit halber in ein ewige Sorg: (welche härter zu ertragen / als die Dinstbarkeit selber /) sich selbsten aber in ein immerwehrende Schand gesetzt; Es seye / sagten sie / wol ehe einem Vatter ein lieber Sohn gestorben / er seye darum nicht gleich hernach gefahren / sondern das Leid hätte nach und nach mit der Zeit aufgehöret. Krafft dieses Schlusses / hielten sie vors beste / den Vatter zu bereden / Joseph wäre von den wilden Thieren zerrissen worden; Sie zerfleischten zu solchem End / in Mangel anderer Instrumenten / mit ihren Schäferstäben dem unschuldigen köstlichen Pferd / worauf Joseph zu ihnen kommen / seine hindere Schenckel / als wanns die Wölf so zugerichtet hätten / damit derselbige stumme Zeuge ihre Lügen=Gedicht desto glaubwürdiger machen solt; Gegen der Nacht führten sie es ohnfern an ihres Vattern Wohnung / und liessens seine Begierd zur Krippen / seinem Stall zutreiben / um ihren Vatter die erste Post von Josephs Untergang zu bringen; Den Tag hernach folgten Issaschar und Zabulon mit dem blutigen Rock / welchen sie selbst aus Neid zerrissen helffen / und die That auf die unschuldige Thier legten; Was Gestalt aber Jacob diese Pottschafft angehört / ist müglicher zu gedencken als zu schreiben! Ach! sagte er / ihr betrügliche Träum / ihr falsche omina; Und du verlogene Astrologia! Warum habt ihr mich zum Lügner gemacht? Ist diß die Herrlichkeit / die ihr meinem Sohn versprochen? Ach Joseph! du hast zwar Herrlichkeit genug im Schoß Abrah æ / aber an statt / daß ich und deine Brüder dich ehren / und / unserer gehabten Hoffnung nach / sich deines Glücks erfreuen hätten sollen; Sihe / so müssen wir deinen frühzeitigen / und zwar sehr erbärmlichen Tod beweinen! Er truckte den weiland schönen / nunmehr aber zerrissenen Rock / welcher vom Blut noch bundter worden war / an seine Brust / und küste / an statt seines Sohns / das anklebende Ziegenblut so inniglich / als wann es von seinem eignen Geblüt da gewest wäre; Ach! sagte er zu selbigem Rock / du hast mich erfreut / als dich Joseph trug / nunmehr aber bringst du mir eben so grossen Schmertzen / weil wir beyde seiner beraubt seyn müssen; Also wurde Jacob mit seines liebsten Sohns Rock betrogen / weil er hiebevor seinen Vatter auch mit seines liebsten Sohns Rock betrogen hatte; Wir wollen aber vor dißmal den alten Jacob in seiner Traurigkeit lassen / und hören / wie es dem frommen Joseph unter den Ismaeliten gangen.

Dieselbe Caravan oder reisende Gesellschaft war kaum den Verkäuffern aus dem Gesicht / als sie anfienge von des erkaufften Schönheit zu reden / und sich zu verwundern / daß dem Käuffer / um einen so schlechten Preiß / ein solcher hoher Werth zugestanden wäre; Jeder Vornehmste wolte den Joseph entweder allein / oder doch seinen gewissen Theil an ihm haben; Etliche wolten ihn dem Käuffer vierfach bezahlen / er aber gönnete ihn gar keinen / sondern wolte ihn / als sein erkaufftes Gut / allein behalten; Also / daß sich diese Gesellschaft nicht allein Josephs wegen entzweyet / sondern entdreyet / oder wol gar entvieret; Dann die übrige / und zwar der mehrere Theil sagten / der Käuffer hätte ihn nicht mit sich / wie andere seine Wahr / zur Caravan gebracht / er hätte ihn auch nicht auf einem offenen Marckt / oder wo sonst eine Niderlag der Handelschafft seye; sondern / als die gantze Gesellschafft verirrt gewest / erkaufft; Gleich wie nun ein jede Caravan in aller Gefahr vor einen Mann zu stehen pflege / und jeder / der sich dabey befinde / auf allen widrigen Fall bey gemeinem Unglück ein eigen Unheil gewärtig seyn müste / Also wäre auch billich / daß die gantze Gesellschafft an dem jenigen Glück / so ihnen die Götter ohnversehens beschert / theil hätten; Wie? sagten sie ferner / wann wir / an statt der Verkäuffer / in unserer Verirrung Räuber antroffen / die uns selbst angepackt und verkaufft hätten; Würde uns alsdann der Käuffer errettet / und uns den erlittenen Schaden wieder ersetzt haben? Wir seynd alle so wol als der Käuffer den verdrüßlichen Irrweg umgangen / gerad / als wann wir darzu verbannet und verhext worden wären; Warum soll er dann allein den Nutzen / um seiner kahlen ausgelegten 30. Lari wegen / davon haben / und besitzen / was sonst mit 300. Tumain nicht zu bezahlen ist? In Summa / die Kerl wurden gantz schwürig untereinander; Es wäre auch zum Blutvergiessen kommen / wofern sie nicht die Gegenwart einer grossen Schaar Räuber / so die Caravan wolte angreiffen / einig gemacht hätte / um sich zu forderist gegen dieselbe tapffer zu wehren / damit sie selbst nicht zu Sclaven würden; Als sie aber sahen / daß der Räuber wol zehen gegen ihrer einen waren / schetzten sie sich verlohren / und liessen ihren Muht samt den Waffen sincken.

In solcher Angst schrie ein listiger / und vieler Sprachen kündiger Elamit / das ist / ein Persianer / Musai genannt / (welcher / wegen seines geschwinden Kopfs und anderer Wissenschafften halber / gleichsamb vor ein Wunder der Welt gehalten: ja eben so verschmitzt / als Joseph schön geschezt worden /) man solte geschwind dem Erkaufften das Königlich Kleid / so sie / dem Pharao zu verehren / bey sich hätten / anziehen / auch ihne auf das beste gezierte Pferd setzen / und im übrigen niemand kein Wort reden / so verhoffe er zu verschaffen / daß die gantze Caravan / ohne Verlust eines eintzigen Haars / davon kommen solte; Ihm wurde stracks gefolgt / auch dem Joseph ein Cron aufgesetzt / und vergülte Bogen und Pfeil in die Händ gegeben / (welche Kleinodia die Kauffleut / so wol als das obgemeldt Königlich Kleid / dem Pharao verehren wolten /) nicht zwar / daß jemand in solcher Eil gewust hätte / was es abgeben solte / sondern darum / dieweil des Elamiten Klugheit der gantzen Gesellschafft genug bekant war;

Derselbe rennet den Räubern in dessen Sporenstreichs entgegen / und schrie überlaut / O ihr Menschenkinder! der grosse GOtt Apollo / welcher die Sonn und das Feuer regiert / ist in menschlicher Gestalt bey uns zugegen / und lasst euch ankündigen / daß er euch würdige seine himmlische Gestalt zu sehen; Und von ihm zu begehren / was etwan ins künftig jeder gern haben möchte; Befihlet auch ernstlich / ihr solt alsobalden zu ihm kommen;

Dieses war den Räuberischen Barbaren ein seltzamer Gruß / sie fragten sonst so wenig nach den Göttern / als begierig sie waren gute Beuten zu machen / und musten sich doch gleichwol vor dessen Gegenwart entsetzen / welcher / wie sie beredt waren / kurtz zuvor Sodoma und Gomorra mit Stumpff und Still verbrand hätte; Ihre räuberische Gewissen erwachten / sie hupfften zuruck / und scheueten sich zu erscheinen; Hingegen verfolgte der listige Elamit seine Pottschafft / und trang auf ihre Erscheinung um so viel desto mehr / um wie viel er vermerckte / daß sie forchtsamer wurden; Erzehlende / daß Apollo die gantze bey sich habende Gesellschafft zu lauter Stummen gemacht / weil sie ihn nicht der Gebühr nach begrüst hatten / mit einem Wort / er wuste sich so artlich zu stellen / und brachte es so weit / daß diese aberglaubige Leut ihn wieder an seinen Apollinen (von welchem sie Glück hofften und Unglück besorgten) zuruck schickten / ihme zu vermelden / daß die Vornehmste aus ihnen kommen würden / ihm seine heilige Schuchsohlen zu küssen / wann er solches nur vergönnen wolte.


 << zurück weiter >>