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Hundertundfünfundsiebzigstes Capitel.
Von der Sonderbarkeit und den Wundern der Welt.

Plinius erzählt uns, daß einige Menschen Hundsköpfe haben, welche mit Gebell reden und in Thierfelle gekleidet sind. Darunter sind aber die Priester zu verstehen, welche alle mit Thierfellen bekleidet seyn sollen, d. h. mit strenger Buße, um Andern ein gutes Beispiel zu geben. So sind in Indien gewisse Leute, die nur ein Auge über der Nase mitten auf der Stirn haben und das Fleisch der Thiere essen. Darunter werden aber die Menschen gemeint, die nur das eine Auge der Vernunft besitzen, welches sie auf der Stirn tragen, aber nicht freien Willen haben. So sind in Lybien gewisse Frauenzimmer, die keinen Kopf, aber Maul und Augen auf der Brust haben. Diese Weiber aber bedeuten die Menschen, welche demüthig Gehorsam mit der Brust leisten wollen, aber kein leichtfertiges Herz haben und Alles, was sie äußerlich thun wollen, vorher wohl und klüglich in ihrem Herzen bedenken. Im Morgenlande, nahe am irdischen Paradiese, wohnen Leute, die gar nichts essen und einen so kleinen Mund haben, daß sie durch einen Strohhalm trinken; sie leben aber vom Geruche des Obstes und der Blumen, und sterben plötzlich an einem übeln Geruche. Diese Menschen nun bezeichnen die Klosterleute, die vorzüglich im Essen und Trinken mäßig seyn sollen, d. h. einen kleinen Mund haben, um mit einem Strohhalm, d. h. mit Besonnenheit Essen und Trinken zu sich zu nehmen. Solche Leute sollen aber vom Geruch der Früchte und Pflanzen, d. h. geistig von guten Lehren und Tugenden leben, und so andern Menschen ein Muster in Keuschheit, Sparsamkeit und den andern Tugenden zu leben geben. Sie sterben aber an einem üblen Geruche, d. h. an plötzlicher Sündhaftigkeit, denn sobald Jemand eine Sünde begangen hat, stirbt der Mensch unserem Heilande, Christo Jesu. Allda sind auch Menschen ohne Nase mit einem vollen und runden Gesicht, die, was sie sehen, Alles für gut halten. Das sind aber die Thoren, denen die Spürnase des Unterscheidungsvermögens abgeht, so daß ihnen Alles, was sie sehen und thun, gut zu seyn dünkt. Es giebt aber auch Leute, welche eine so lange Nase und Unterlippe haben, daß sie, wenn sie schlafen, das ganze Gesicht damit zudecken. Diese bedeuten die gerechten Leute, die nach unten, d. h. nach der Welt zu die Lippe der Ueberlegung gar groß haben, indem sie die Eitelkeit der Welt, den Neid und die Lügenhaftigkeit derselben betrachten, jedoch mit der Lippe der Wachsamkeit ihr ganzes Gesicht beschirmen, d. h. ihren ganzen Lebenswandel durch lebendiges Nachdenken, auf daß er nicht in Sündhaftigkeit einschlafe. In Scythien giebt es Leute, welche so lange und so große Ohren haben, daß sie mit ihnen ihren ganzen Körper zudecken können. Darunter sind die zu verstehen, welche gern das Wort Gottes hören, durch welches sie ihren Leib und ihre Seele vor Sünden behüten können. Es giebt auch Andere daselbst, welche wie die Thiere einherlaufen. Das sind diejenigen, welche weder Gott noch seine Heiligen in Ehren halten, sondern wie das unvernünftige Vieh von Sünden zu Sünden schreiten; gegen welches Petrus sagt: wollet nicht seyn wie das Pferd und das Maulthier, in welchem nicht ist u. s. w. Ebenso sind auch Leute allda mit Hörnern, kleinen Nasen und Bocksbeinen. Das sind die Hochmüthigen, welche überall die Hörner des Hochmuths zeigen, zu ihrem persönlichen Heil die Spürnase der Besonnenheit sehr klein, im Rennen nach der Wollust die Beine eines Bockes haben. Denn die Ziege ist sehr schnell im Laufen und geschickt zum Klettern: dieß wende auf die Hoffährtigen an. In Aethiopien giebt es Leute, welche zwar nur ein Bein haben, allein von so großer Schnelligkeit sind, daß sie die wilden Thiere im Laufen jagen. Das sind die Leute, welche nur das eine Bein der Vollkommenheit gegen Gott und ihren Nächsten haben, d. h. das Bein der Liebe. Diese laufen schnell dem Himmelreich zu. In Indien wohnen die Pygmäer, die nur zwei Ellen lang sind, auf Böcken reiten und mit den Kranichen fechten. Darunter hat man die zu verstehen, welche klein sind, ein langes Leben zwar gut begonnen, aber nicht darin ausgehalten haben, und nicht mannhaft gegen die Kraniche, d. h. der Laster Schmutz ankämpfen. Es befinden sich in Indien auch einige Leute, welche sechs Hände haben, nackt und behaart sind und sich an einem Strome aufhalten. Die Menschen mit den sechs Händen, bedeuten aber die Eifrigen, welche arbeiten, auf daß sie das ewige Leben erringen, wie Petrus sagt: meine Seele ist immer in meinen Händen. Unter den nackten Menschen muß man sich die der Tugend beraubten Sünder denken, welche am Strome dieser Welt wohnen. Dort wohnen auch Menschen, die an den Händen sechs Finger und an den Füßen sechs Zehen haben, sieben Tage lang sich vor jedem Flecke der Sünde hüten und den siebenten Tag feiern und heilig halten. Man findet daselbst auch Weiber mit Bärten, die bis auf die Brust gehen, deren Kopf aber ganz kahl ist. Das sind die gerechten Menschen, welche die gerade Straße der Lehre der Kirche beobachten, und sich weder durch Liebe noch Haß davon abbringen lassen. In Antiochien sind auch Leute mit vier Augen: das sind die, welche Gott, die Welt, den Teufel und das Fleisch fürchten. Ein Auge richten sie auf Gott hin, um recht zu leben und wie sie ihm gefallen sollen, das zweite auf die Welt, wie sie dieselbe fliehen müssen, das dritte auf den Teufel, wie sie ihm Widerstand leisten können, das vierte auf das Fleisch, wie sie es kreuzigen sollen. In Europa leben irgendwo schöne Leute, die aber den Kopf, Hals und Schnabel von Kranichen haben. Das sind die Richter, welche wie der Kranich einen langen Hals haben sollen, damit sie eher in ihrem Herzen klüglich überlegen, als sie das Urtheil aus der Zunge haben, und wären alle Richter so, hätten wir nicht so viele schlechte Urtheilssprüche.


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