Paul Grabein
In der Philister Land
Paul Grabein

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XVI.

»Demnach erscheint der Wurmfortsatz ebenso wie z. B. die Schilddrüse in der Tat als eines jener rudimentären, verkümmerten, absolut zwecklosen Organe, die für den menschlichen Körper, anstatt nützlich zu sein, im Gegenteil eine Quelle schwerer Schädigung bilden. Das eine dieser Organe bringt oft die lebensgefährliche Blinddarmentzündung hervor, das andere die Kropfbildung, und in Verbindung damit den Kretinismus.«

Diese Belehrung gab Hellmrich den Schülern der Oberprima, wo er heute den plötzlich erkrankten Professor Höff in der Anatomiestunde zu vertreten hatte. Dieser Unterrichtszweig war auf höhere Veranlassung neuerdings versuchsweise in den Lehrplan der Anstalt aufgenommen worden, sehr gegen den Wunsch des Direktors, der darin eine bedenkliche Gefährdung der Schüler in sittlicher wie religiöser Beziehung erblickte und ihn zudem nicht in Einklang mit den humanistisch-idealistischen Zwecken des Gymnasiums fand.

»Gestatten Sie, Herr Doktor, dass ich mir eine Frage erlaube?« fragte nach einer kurzen Pause einer der Schüler, während Hellmrich die Kreidezeichnung an der Tafel auswischte. Er stand dabei der Klasse abgewandt; so konnte er nicht sehen, wie der Frager einen Moment vorher mit seinem Nachbar leise getuschelt hatte, während ein Grinsen ihre Gesichter überflog.

»Gewiss, fragen Sie nur immer, wenn Sie sich nicht ganz im Klaren sind. Das freut mich sogar,« erwiderte Hellmrich, sich nach dem Primaner Grossmann, dem Frager, umdrehend. Dieser druckste eine Weile herum, als ob es ihm nicht ganz leicht werde, mit der Sprache herauszukommen, während ihn die ganze Klasse mit gespannter Erwartung anstarrte. Dann aber brachte er doch seine Interpellation glücklich zu stande:

»Wenn es solche absolut zwecklosen, ja geradezu gefährlichen, schädlichen Organe gibt, so steht das doch aber eigentlich in einem direkten Gegensatz zu der Lehre der Teleologie, wonach jede Einrichtung hier auf Erden einem höheren göttlichen Zweck dient und zur Erzielung einer harmonischen Weltordnung unumgänglich nötig ist.«

Hellmrich horchte überrascht auf; zugleich bemerkte er aber auch, wie der Nachbar des Sprechenden nur mühsam ein schadenfrohes Lachen verbarg, und wie auch noch mehrere andere Schüler grinsend sich anblickten und dann die Köpfe versteckten. Es ging jene geheime Bewegung durch die Klasse, wie sie einer Schulsensation voranzugehen pflegt. Aha! Man wollte ihn hier also anscheinend zum Besten haben oder aufs Glatteis locken. Aber nur ruhig geblieben. Diese Herrchen sollten sich in ihm irren!

»Wie kommen Sie darauf, Grossmann?« fragte Hellmrich daher zunächst kurz und streng. Der junge Mensch wurde bei dem scharfen Ton und dem festen Blick des Lehrers nun doch etwas verlegen und erklärte ziemlich schüchtern:

»Wir haben das gerade in der Religionsstunde gehabt, und da dachte ich – es kam mir das gerade so in den Kopf.«

In der Tat hatte eben erst in der letzten Stunde der Direktor mit Aufwand seines ganzen orthodoxen Fanatismus den Schülern eingepaukt, dass selbst das geringste Staubkörnchen einem bestimmten nützlichen Zwecke im Schöpfungsplan diene und von Gott wohlweise gerade an seinen Platz gestellt worden sei, wo es unentbehrlich sei und durch kein anderes ersetzt werden könne, wie schwer, ja unmöglich es auch häufig sei, das gleich immer einzusehen.

Hellmrich schwankte einen Augenblick, was er tun sollte – den übermütigen Interpellanten in schneidiger Weise kurz abfertigen oder auf das heikle Thema wirklich eingehen? Das erstere wäre jedenfalls das Bequemere gewesen, aber dann hätten die Bengel da glauben können, er hätte sich nicht anders aus diesem Widerspruch herauszuhelfen gewusst oder hätte es vielleicht nicht gewagt. Denn der Religionslehrer, der ihnen diese theologische Maxime mit aller seiner wuchtigen Autorität beigebracht und schliesslich sicherlich als ein unanfechtbares Dogma hingestellt hatte, war ja kein Geringerer als der Herr Direktor selbst. Und der Schulmonarch war ebenso sehr gefürchtet wie gehasst wegen seiner unerbittlichen Strenge, ja oft jähzornig aufbrausenden, fast brutalen Art, mit der er jede Auflehnung gegen seine Gebote ahndete. Den Schülern konnte es natürlich auch nicht entgehen, dass die meisten der Lehrer in einer sehr dienstbeflissenen, fast ängstlichen Weise dem Willen des Allgewaltigen nachkamen und selten eine feste, eigene Meinung ihm gegenüber zu vertreten wagten. So mochte es denn die Herren Primaner jetzt heimlich doppelt kitzeln, einmal zu sehen, wie sich wohl der junge Kandidat – sonst ja ein ganz beliebter, schneidiger Herr – den öffentlich proklamierten Lehrsätzen des Direx gegenüber verhalten würde.

Hellmrich fühlte das alles wohl heraus, und eine innere Stimme warnte ihn, klug zu sein und sich hier nicht durch knabenhaften Übermut auf gefährlichen Boden locken zu lassen. Aber noch viel stärker sprach etwas anderes in ihm: Wie? Sollte er hier vor den Augen dieser Jungen feige zurückweichen und wie die andern Kollegen vorsichtig und unterwürfig vor dem gefürchteten Schultyrannen zu Kreuze kriechen? Nein, alles empörte sich in ihm dagegen. Umsomehr, wenn er daran dachte, wie wenig ihn damals der Direktor bei der Mimicry-Affaire vor den Schülern geschont hatte. Aber ein viel Höheres noch drängte ihn zum Sprechen. Es zuckte ihm in jeder Fiber, sich gegen die Lehren dieses gewalttätigen Zeloten zu erheben, der auch diese jungen Gemüter bereits in starre, dogmatische Schranken zwingen und die hehre Wahrheit der wissenschaftlichen Forschung als Blendwerk hinstellen wollte. Und laut weg über die vorsichtig mahnende Stimme in seiner Brust tönte ihm plötzlich ein markig-kraftvolles Wort, das er sich einst voll glühender Begeisterung als junger Student selbst als stolzes Leitwort gekürt und den Schülern dieser Anstalt mahnend zugerufen hatte: »Die Wahrheit erforschen und sie frei bekennen, unbekümmert um alle Folgen, das sei unsere Losung!« Ja, bei Gott, er wollte jetzt, wo es darauf ankam, kein Feigling sein. Die Wahrheit über alles! – Und so sprach er, die hell aufleuchtenden Blicke durchdringend auf den Frager richtend:

»Ich weiss zwar sehr wohl, lieber Grossmann, aus welchem Motiv heraus Sie fragen, – und Sie haben gerade keinen Grund, sehr stolz auf diese Ihre Gesinnung zu sein« – der lange Primaner wurde puterrot und blickte verwirrt vor sich hin – »aber dennoch will ich Ihre Frage so beantworten, als ob sie ernst gemeint wäre. Es sind doch vielleicht hier einige, die wirklich infolge meiner Worte vorhin von inneren Bedenken befallen worden sind. Für die spreche ich jetzt hier« und er liess seine Blicke nun über die Schüler hinstreichen, die mit hochgespanntem Interesse und wirklichem Respekt auf den jungen Lehrer sahen, der ihnen mal wieder mit seiner feinen, aber sehr wirksamen Abkanzlung des Mitschülers mächtig imponiert hatte. – »Wenn Ihnen das, was mir hier eben entgegengehalten wurde, in der Religionsstunde gelehrt worden ist, so hat man Ihnen damit doch nur die persönliche Auffassung einiger Theologen vorgetragen, die sich nachher weitere kirchliche Kreise und Autoritäten zu eigen gemacht haben. Aber das sind doch keineswegs göttlich offenbarte Glaubenswahrheiten, die ein jeder als guter Christ zu glauben verpflichtet wäre. Die moderne Wissenschaft hat jedenfalls mit den unwiderleglichen Resultaten ihrer Forschungen, die auf klar wahrnehmbaren, untrüglichen Beobachtungen beruhen, bewiesen, dass in der Welt sehr viel Dinge und Einrichtungen vorhanden sind, die absolut nichts weniger als gut und nützlich sind, sodass im Ernste wohl nicht von der vollkommensten aller Welten gesprochen werden kann. Ich will Ihnen das nicht im einzelnen nachweisen. Es mögen Ihnen aber die beiden von mir eben erwähnten Beispiele zum Beweise genügen. Im übrigen aber brauchen wir natürlich, auch wenn man nicht in jedem einzelnen Falle eine direkte Offenbarung der göttlichen Weisheit und Vorsehung erblicken will, doch keineswegs an deren Walten zu zweifeln. Trotz aller wissenschaftlichen Feststellungen bleibt sehr wohl die Tatsache einer göttlichen Weltordnung bestehen, nur muss man sich eben vorstellen, dass Gott der Welt, wie ja auch dem Menschen, einen gewissen Spielraum zur Betätigung der ihr verliehenen selbstschöpferischen Naturkräfte eingeräumt hat. Sie sehen also, dass sich auch dieser anscheinende Konflikt schliesslich bei einer besonnenen Betrachtung befriedigend lösen lässt.«

So schloss Hellmrich seine Aufklärung und glaubte damit noch ein übriges getan zu haben. Er hatte ja durchaus, was gar nicht seines Amtes war, den religiösen Standpunkt verteidigt und nur die Vernunftwidrigkeiten einer gar nicht in die Schule gehörenden Orthodoxie zurückgewiesen, die sich dem Unterricht auf vielen Gebieten geradezu als hinderlich und feindselig erwies.

Trotzdem aber ging Hellmrich an diesem Tage ziemlich erregt aus der Schule nach Haus. Die Sache ging ihm doch sehr im Kopf herum; denn wieder einmal war ihm ja heute in empfindlichster Weise der verhasste Einfluss des Schulleiters zum Bewusstsein gebracht worden, und nun hatte er sich hinreissen lassen, etwas zu tun, was ihn in den schärfsten Gegensatz zu dem Lehrprogramm, ja zu der persönlichen Autorität des Direktors gebracht hatte. Seit jenem ersten Konflikt mit Direktor Höpfner hatte Hellmrich es im Interesse seiner Zukunft tunlichst vermieden, sich im Unterricht überhaupt auf die Erörterung von Fragen einzulassen, die ihn in ähnliche Schwierigkeiten hätten bringen können. Aber dieses ängstliche Ansichdenken, das plötzliche Abbrechen an Punkten, wo er sich gern ausgesprochen hätte, das direkte Verschweigen der Wahrheit – es war ihm im Laufe der Zeit immer unleidlicher geworden, es hatte ihm die Lust zu seinem Beruf völlig verdorben.

Nur mit äusserster Selbstüberwindung hatte er übrigens trotz alledem einen abermaligen ernsteren Zusammenstoss mit dem Direktor vermieden – von den kleinen Schurigeleien, die er stillschweigend über sich ergehen liess, ja ganz zu schweigen. Denn wiederholentlich hatte Direktor Höpfner bei einer Versammlung des Lehrerkollegiums seinen religiösen Standpunkt entwickelt und die Herren ausdrücklich dazu ermahnt, ihm zur Seite zu stehen bei dem grossen Werke, in unserer schlimmen Zeit der Glaubenslosigkeit und Unsittlichkeit in der heranwachsenden Jugend wieder echte Frömmigkeit gross zu ziehen. Daran könnte und müsste aber ein jeder der Herren an seinem Teil mitarbeiten. Nicht etwa bloss die Religionsstunde sei dazu da, nein, auch in jeder anderen Stunde böte sich die Gelegenheit, in passender Anknüpfung hinzuweisen auf das Wirken der göttlichen Allmacht. Die Schüler müssten eben merken, dass sie auf Schritt und Tritt sich dem Walten der Gottheit gegenüber sähen, dass auch im Kleinsten und Unscheinbarsten sich schliesslich der erhabene Gottesgedanke dem gläubigen Menschen offenbare. So möchten doch die Herren jede Unterrichtsstunde für verloren erachten, wo sie nicht wenigstens einmal den Gottesgedanken in den Schülern gekräftigt hätten. Nur auf diese Weise wäre das hohe Ziel zu erreichen, in dessen Dienst sich doch ernste, christliche Männer, denen der Staat die Erziehung seiner Jugend anvertraut habe, in allererster Linie stellen müssten. – Hellmrich hatte diesen Sermon jedesmal mit aufsteigendem heissen Ingrimm angehört: Die wissenschaftliche Wahrheit zu knebeln, die diensteifrigen Knechte fanatischer Pfaffen zu spielen, das mutete man ihnen zu, Männern der Wissenschaft, die doch einst bei ihrem Doktoreid gelobt hatten, die Wahrheit frei zu erforschen und zu bekennen! Legte denn keiner von ihnen flammenden Protest dagegen ein? Aber nein! Alle die älteren Kollegen, Professoren und Oberlehrer, schwiegen still. Man hörte wortlos die Ausführungen des Vorgesetzten an. Man dachte sich wohl sein Teil dabei, aber man schwieg respektschuldigst. Da konnte er als der Jüngste natürlich nicht so anmassend sein, ihren Wortführer zu machen. So hatte denn auch Hellmrich jedesmal stillschweigend dagesessen; aber von Mal zu Mal schwoll sein Grimm gegen den verhassten Frömmler, dem er untergeben war.

Es war am Tag nach der Anatomiestunde. Hellmrich wollte sich eben im Garderobenraum neben dem Konferenzzimmer die Hände waschen, um nach Hause zu gehen – er war heute vormittag schon um elf Uhr mit seinen Stunden fertig – als der Kastellan an die Tür klopfte und eintretend mit seinem üblichen, verbindlich-devoten Lächeln eine Empfehlung vom Herrn Direktor ausrichtete, und der Herr Doktor möchten doch gleich einmal zum Herrn Direktor aufs Amtszimmer kommen. Aha, da würde es wieder einmal etwas setzen! Hellmrich kannte diese Citationen schon zur Genüge. Aber warum diesmal? Natürlich, sein gestriger Exkurs in der Oberprima hätte ja mehr als hinreichend Anlass zu einem hochnotpeinlichen Verhör geboten, aber wie sollte der Direktor von diesem Vorkommnis etwas wissen?

Einige Minuten später trat Hellmrich bei dem Schulleiter ein, ihn mit einer kurzen Verneigung stumm begrüssend. Bei seinem Anblick erhob sich der Direktor mit einer an ihm ungewohnten Behendigkeit und fuhr ihn sofort aufs schärfste an:

»Ppp, da sind Sie ja! – Sagen Sie, was soll das? Lejen Sie's auf ein Renkontre mit mir an? Wollen Sie mir die Autorität systematisch abjraben? Oder was sonst? Ich bin ja nun nachjerade von Ihnen schon manches jewöhnt, aber das setzt doch allem die Krone auf! Ich möchte ja beinahe an Ihrer jesunden Überlegung zweifeln.«

Hellmrich stieg eine heisse Röte ins Gesicht. Das war ihm zu viel! Zitternd vor Entrüstung über diesen Empfang wehrte er sich gegen eine solche unerhörte Behandlung:

»Herr Direktor, ich weiss noch nicht, was Sie mir zur Last legen. Aber, was es auch sei, ich muss ebenso dringlich wie höflich bitten, sich eines anderen Tones mir gegenüber zu bedienen. Sie sprechen nicht zu einem Schüler, Herr Direktor!«

»Ppp!« Wütend fauchte Direktor Höpfner ihm ins Gesicht; doch dann besann er sich darauf, dass er in der Tat zu weit gegangen war.

»Sie – Sie wissen nicht, was ich meine? Ausjezeichnet! Also scheinen solche skandalöse Dinge wie jestern bei Ihnen ja tagtäglich, wohl in jeder Stunde vorzukommen! Wie? – Was?«

»Ich muss bitten, Herr Direktor, mir deutlich sagen zu wollen, um was es sich handelt,« bestand Hellmrich kühl auf seinem Wunsch; er wusste ja, dass er den Direktor damit am meisten reizte. In der Tat schossen nun aus den grau-grünen Augen des Schultyrannen die giftigsten Blitze zu ihm hinüber. Doch musste er ihm schliesslich den Willen tun.

»Gut, so will ich Ihrem Jedächtnis nachhelfen! Sie haben jestern in der Oberprima vor den Schülern grundlegenden religiösen Lehren widersprochen, die ich persönlich der Klasse vorjetragen habe; Sie haben meine Person, die Autorität meines Lehramtes, des Leiters der Anstalt, damit auf unerhörte, unkollegiale, jeder Subordination jeradezu hohnsprechende Art geschädigt, Sie haben den jungen Menschen Zweifel in die Seele jeimpft, ihnen am Heiligsten was sie haben, an den Grundlagen ihres christlichen Glaubens jerüttelt! Ja, Herr, das haben Sie getan! Mit kaltem Blut, mit voller Überlegung! – Oder soll ich etwa, zu Ihrem eigensten Besten annehmen, dass Sie in einer Anwandlung jeistiger Trübung jehandelt haben?«

Hellmrich wurde bleich.

»Das alles, Herr Direktor, was Sie mir da eben vorwerfen, das habe ich nicht getan!« rief er im Innersten erregt. »Aber gestatten Sie mir vor allem eine Frage: Aus welcher Quelle schöpfen Sie Ihre Kenntnis, woher wissen Sie das?«

»Ppp! Das jehört ja gar nicht zur Sache!« schnitt ihm der Direktor von oben herab das Wort ab. »Erst verantworten Sie sich jefälligst auf meine Anklagen, – wenn Sie wirklich noch die Stirn dazu haben sollten!«

Wieder diese unverschämte Schulmeisterei! Das peitschte Hellmrich das Blut in die Schläfe. Und dann ein Argwohn: Es ging in der Schule – auch den Lehrern nicht unbekannt – ein Gerücht umher, dass der Direktor ein regelrechtes Spioniersystem eingerichtet, in allen Klassen unter den Schülern eine Vertrauensperson habe, die er direkt oder durch einen Mittelsmann darüber aushorche, was etwa irgendwie Ungehöriges in der Klasse passiere. So wurden wenigstens gewisse überraschende Entdeckungen des direktorlichen Polizisten von den Schülern erklärt. Sollte nun etwa gar – Hellmrich schwindelte es ordentlich bei dem Gedanken – dieser Spionage- und Überwachungsdienst durch Schüler auch auf die Lehrer ausgedehnt werden?!

»Herr Direktor, ich ersuche dringend um Mitteilung, durch wen Sie von dem Vorfall wissen,« forderte Hellmrich. Seine Stimme zitterte heftig vor Erregung. »Ich müsste sonst annehmen, dass Ihr Wissen aus einer Quelle stammt, die es unter meiner Würde erscheinen lassen würde, überhaupt ein Wort auf diese Anschuldigung zu erwidern!«

»Herr, ich lasse mir keine Erklärungen abpressen! – Verstehen Sie?« herrschte ihn der Direktor, in dem der gefürchtete Jähzorn losbrach, hochrot im Gesicht, an. »Aber jetzt verlange ich von Ihnen Aufklärung. Was soll das eben hier heissen?« Und drohend trat er einen Schritt auf Hellmrich zu.

»Das soll heissen,« erklärte mit schneidender Stimme Hellmrich, und er fühlte, wie ihm die Zornader dick auf der Stirn aufquoll, »dass ich es verschmähe, auf Anschuldigungen zu erwidern, die durch einen Spion aus dem Schülerkreis Ihnen zugetragen worden sind.«

»Was? Sind Sie von Sinnen? Wollen Sie sich denn um Kopf und Kragen reden?« Mit ganz blau gewordenen Lippen schrie es der Wutbebende, der aussah, als könne ihn jeden Augenblick der Schlag rühren. Aber Hellmrich war nun alles gleich geworden. Er musste jetzt reden, mochte da kommen, was wollte.

»Und wenn es mir wirklich Kopf und Kragen kostete – aber Gott sei Dank geht ja Ihre Macht nicht ganz so weit – ich kann nicht länger diesen Zustand entwürdigender geistiger Unterdrückung ertragen, den Sie in Ihrer Anstalt bei Schülern wie Lehrern herbeigeführt haben –«

»Herrr!« Aber ehe der völlig fassungslose Schulleiter noch andere Worte gefunden hatte, schleuderte ihm Hellmrich seine Anklagen weiter ins Gesicht:

»Jawohl, eine geistige Unterdrückung, die jede Arbeitsfreude lähmt; ein Verleugnen der Wahrheit, das jedem überzeugungstreuen Menschen zum Ekel werden muss! Und mir ist es mehr als zum Ekel geworden! Selbst verachten müsste ich mich, wenn ich noch länger zu diesem unwürdigen Treiben meine Beihilfe, wenn auch nur notgedrungen –«

Der kirschrot im Gesicht gewordene Direktor rang, fast erstickend, nach Luft. Seine Hände fuchtelten wild in der Luft herum, und die Rechte nach der Tür streckend, stiess er hervor: »Genug – geh'n Sie!«

»Jawohl, ich gehe,« erwiderte Hellmrich, sich zum Ausgang wendend, »ich wäre auch ohnedies gegangen. Denn ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen.« Und ohne Gruss ging er aus dem Zimmer.



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