Paul Grabein
In der Philister Land
Paul Grabein

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XIV.

Hellmrich kam eben vom Nachmittagsunterricht nach Haus. Es war erst halb fünf, jedoch bei dem trüben Novembertag war es fast schon ganz finster, als er oben vor seiner Flurtür stand und aufschliessen wollte. Aber kaum hatte er den Schlüssel ins Loch gesteckt, als auch schon die Tür aufging. Erstaunt blickte er auf und sah sich im Licht der Lampe plötzlich seiner Mutter gegenüber, die ihn offenbar hier schon erwartet hatte und ihm nun ängstlich zuflüsterte:

»Ach, Karl, da drinnen in Deinem Zimmer wartet schon seit einer halben Stunde eine fremde Frau, die Dich sprechen will, in dringendster Angelegenheit, aber absolut nicht sagen wollte, was es sei. Als ich ihr sagte, Du seiest fort und kämst erst gegen halb fünf wieder, erklärte sie, dann müsste sie hier warten – hoffentlich sei es dann aber nicht schon zu spät. Die Frau ist so merkwürdig. Sie läuft da drinnen immer ganz aufgeregt im Zimmer auf und ab – mir ist ganz unheimlich zu Mut geworden. Ich fürchte, sie ist nicht richtig im Kopf. Gott sei Dank, dass Du da bist. Ich habe mich gar nicht 'neingetraut, ihr Licht zu bringen,«

Schnell nahm Hellmrich der Mutter die Lampe aus der Hand und ging in sein Zimmer hinein. Als er eintrat, fand er gleich in der Nähe der Tür die Fremde, die offenbar sein Kommen schon gehört hatte, eine kleine, ärmlich angezogene Frau mit welkem, jetzt sehr aufgeregtem Gesicht, die nun unbeholfen vor ihm dienerte.

»Verzeihen Sie man vielmals, dass ich hier eingedrungen bin bei Sie, Herr Doktor. Aberst ich musste Ihnen absolut sprechen. Es jeht vielleicht um Leben und Dot!« rief sie ihm mit gedämpfter Stimme zu.

»Aber um Gotteswillen, was ist denn? Um wen handelt es sich denn?« Hellmrich setzte, nun selber erschrocken, klirrend die Lampe auf den Tisch.

»Kennen Se eenen Herrn Doktor Rittner – Heinz Rittner? Der wohnt nemlich seit drei Wochen bei mich als Schamberjarnist,« erklärte die Fremde.

»Rittner? Hier in Berlin! Aber was ist mit ihm?« Hellmrich rief es in höchster Bestürzung und plötzlich aufsteigender Angst aus.

»Ick jloobe, mit den passiert wat! Dadrum bin ick ja jrade zu Ihnen jeloofen. Sehn Se, der Herr Doktor Rittner wohnt bei mich schon seit drei Wochen. So 'nen bisken finstern Eindruck hat er ja jleich auf mir von vornherein jemacht. Aber det is von Dag zu Dag schlimmer jeworden. Woll deswegen, weil det mit die Stellung, wejenst der er nach Berlin jekommen is, Essig jewesen is. Er is denn jeden Dag, von Morgen bis Abend, rumjeloofen, und hat sich wat anners jesucht, aberst nischt jefunden. Et muss woll man mau mit seine Pinke stehn; det heest, bezahlt hat er mir bisjetzt ja pinktlich. Aberst unsereens is ja helle, wo det man schonst so lange vermieten dut, und ick merk' det doch, wenn een Jardrobenstick nach's annre uff's Leihamt jeht. Seit vorjestern hat er ooch den Winterpalletoh verkloppt, und wo nu heut' morjen der Brief aus Breslau jekommen is, uff den er immer jelauert hat wie uff 'nen letzten Rettungsanker, da is er janz zusammenjeklappt. Da looft er nu janz verstört 'rum. – Ick hörte ihn schonst den janzen Dag in seine Sachen kramen, det heest, in so 'ne Kiste mit Biecher, Fotojrafien und Briefe, die er uff sein Spinde zu stehen jehabt hat. Und als ick heut' mittag mal bei ihm rinjejangen bin un jefragt habe, ob er denn jarnischt zu sich nehmen wolle, da hat er mir janz verständnislos anjekuckt. Er sass jrade an Disch und schrieb, un in'n Ofen, det könnt' ick noch janz jenau an die Asche davor erkennen, hatte er seine Briefe un Bilder aus de Kiste verbrannt, die leer daneben uff de Erde stand. Na, da wusst ick ja, wat de Jlocke jeschlagen hatte, un denn machte ick mir absichtlich so janz unauffällig bei ihn an'n Disch zu schaffen und fragte, ob ick ihn woll von mein Middag wat anbieten könnte – Beffsteck un Bratkartoffeln – dabei schult' ick aberst feste uff seine Briefe, un da lag een Kuvert mit Ihre jeehrte Adresse; die annern die jingen alle nach ausserhalb, nach Breslau an Herrn Polizeirat Rittner, an Frau Ottilie Rittner un sonst noch an annere Adressen, die ick nich behalten habe, aber alle durch die Bank ausserhalbsche. Bloss Sie waren in Berlin, un da hab' ick mir jleich Ihre werte Adresse jemerkt.«

»Na, essen wollt' er ja denn nich. Nee, meent er, er wolle nachher ins Restorang essen jehen. Da verzog ick mir denn wieder. Aberst an de Dhiere, da hat er mir noch eenmal zurückjerufen. Frau Tippert, sagt er, ick fiehl mir heut' nich janz wohl un wer mir heute abend janz frieh in't Bette lejen. Lassen Se mir man morjen ordentlich ausschlafen; un wenn ick in de Nacht 'nen bisken unruhig bin, dann haben Se man keene Angst. Mir fehlt weiter nischt, aber ick hab' 'nen bissken Fieber. Ick jloobe, ick krieg 'ne mächtige Infulenza. So hat er jesagt. Na, scheen, Herr Doktor, hab' ick jesagt, det wird ja nicht so schlimm wer'n. Det hat jeder heitzedage bei det Hundewetter. Drinken Se man vor't Schlafenjehen een paar feste Jrocks. Da hat er mir anjekuckt mit seine jrossen, dunklen Oogen un denn laut losjelacht – aberst det klang orntlich jraulich! – Ja, ja, det wird helfen! hat er jesagt. Na, denn atjöh, Frau Tippert.«

»Sehn' Se. So hab' ick mir nischt anmerken lassen. Aberst kaum, det er denn um halber viere wejjejangen is un hat alle seine Briefe mitjenommen, da bin ick losjeprescht un hab' herjemacht. Ick dachte mich so, wenn Sie kommen dhäten un mit ihm redt'n, vielleicht, det Se ihm de Selbstmordjedanken aus'n Kopp reden könnten. Un ick möchte de Wirtschaft mit sowat doch ooch nich in's Haus haben! Aberst Zeit wird et nu! Denn er kann ja jeden Oogenblick wieder retur kommen.«

Hellmrich hatte mit fieberhafter Ungeduld den Bericht mitangehört. Nun rief er aufgeregt:

»Wo wohnen Sie?«

»In de Eichendorffstrasse 87.«

»Kommen Sie sofort! Wir nehmen eine Droschke. Einen Augenblick nur.« Und er lief auf den Flur hinaus, wo er die noch immer geängstigte Mutter in der Nähe der Tür fand.

»Wie, Karl, Du willst gleich wieder weg? Ohne einen Bissen Mittag?«

»Nicht anders möglich, Mutter! Es handelt sich hier um das Schlimmste. Vielleicht kann ich einem Unglücklichen noch das Leben retten! Verzeih', aber ich habe jetzt keine Zeit zu näheren Erklärungen. Alles nachher! Kommen Sie, Frau Tippert.«

Und er eilte hinaus, gefolgt von der kleinen Frau, die mit Mühe dem die Treppen in ungeduldigen Sätzen Hinabstürmenden nachfolgte. –

Gott sei Dank, als sie in Frau Tipperts Wohnung angelangt waren, war es noch nicht zu spät. Rittner war noch gar nicht heimgekommen. Schnell besprachen sie das Nötige: Hellmrich wollte in Rittners Zimmer warten. Die Wirtin sollte diesem bei seiner Rückkehr nichts von dem Besuch verraten, sondern ihn ahnungslos eintreten lassen. Alles übrige hoffte dann Hellmrich schon durch seine persönliche Zusprache zu erreichen.

So wartete denn Hellmrich in Rittners Stube, einem jener schablonenmässig möblierten Chambregarnistenlogis des Nordens, wie sie für die Aufnahme mässig begüterter Studierender oder junger Kaufleute eingerichtet sind. Mit einem eigenartigen, beklommenen Gefühl sah sich Hellmrich im Schein der Lampe in dem wenig anheimelnden Raum um nach eigenem Besitz Rittners. Aber er sah so gut wie nichts. Nur ein paar Handschuhe, Zigarettenspitzen und einen Stock – er kannte ihn noch aus Jena her – und richtig, da in der Ecke neben dem Ofen stand noch die Kiste, von der die Wirtin erzählt hatte! Er trat hinzu. Nur einige wenige Bücher lagen noch darin, medizinische Schriften, bloss broschiert, schon stark zerflederte Exemplare, für die der Antiquar doch nichts mehr gegeben hätte. Das war die ganze armselige Habe des Verlorenen!

Im innersten Herzen ergriffen, setzte sich Hellmrich auf den Stuhl am Fenster. Er wandte den Blick aus dem öden Raum weg, in dem nichts an das freundliche, behagliche Hausen eines sesshaften Bewohners erinnerte und starrte in die Dunkelheit draussen hinaus. Es hatte inzwischen auch noch zu regnen angefangen, und laut klatschend fielen die schweren Tropfen auf das Blech vorm Fenster: Eine traurige, monotone Musik; sie passte zu dieser ganzen Situation.

Fast eine Stunde mochte Hellmrich gewartet haben, zuletzt immer aufgeregter, eine Beute des fürchterlichen Gedankens, dass Rittner vielleicht überhaupt nicht mehr wiederkommen, dass er die Verzweiflungstat ausserhalb des Hauses vollziehen würde.

Da endlich hörte er draussen einen Schlüssel in der Entreetür klirren – in atemloser Erwartung lauschte Hellmrich – richtig, nun näherten sich Schritte, langsame, müde Schritte – warum auch so eilen? Zu dem, was geschehen sollte, kam man immer noch früh genug! – Dann klinkte es an der Tür: Hellmrich pochte das Herz bis an den Hals hinauf, und nun trat ein Mann ins Zimmer: Heinz!

Hellmrich mochte es laut aufgeschrieen haben, als er die schlaffe, in sich zusammengesunkene Gestalt sah und das abgemagerte, finstere Gesicht erkannte, das mit einem hoffnungslosen, stumpfen Blick so müde, zum Sterben müde, ins Zimmer starrte: Da bin ich zum letzten Male! Nur eine Weile noch – Gottlob – dann ist alles zu Ende.

»Heinz!«

Der Angerufene, der im ersten Augenblick die fremde Gestalt da hinten in der dunklen Fensterecke gar nicht bemerkt hatte, fuhr in heftigem Erschrecken zusammen. Was war das? Wo kam diese bekannte Stimme, dieser vertraute Anruf her, hier in dieses weltvergessene Gemach?

Da stand Hellmrich, mit drei Sprüngen herbeigeeilt, im Licht der Lampe vor ihm: »Heinz, mein lieber, lieber alter Heinz!« Und er konnte nicht anders: Von seinen Gefühlen überwältigt, riss er den alten Gefährten in seine Arme und presste ihn an seine tief erschütterte Brust. »Gott sei Dank, dass ich noch zur rechten Zeit gekommen!«

Rittner war im ersten Augenblick fassungslos. Er verstand noch immer nicht, wie denn das möglich sei – was denn das alles sollte! Aber dann kam es über ihn: An der Schwelle des Todes hatte sich plötzlich im letzten Augenblick eine Hand in barmherziger Freundschaft liebevoll nach ihm ausgestreckt; er stand nicht mehr einsam, von aller Welt verlassen da mit dem erstarrenden Gefühl: Kein Hahn kräht ja danach, ob Du morgen noch bist oder nicht! – Ihm war zu Mute wie einem zum Tode Verurteilten, der mit zusammengebissenen Zähnen, von der Welt innerlich schon losgerissen, die Blicke nur starr vor sich hingerichtet, in krampfhaftem Zusammenraffen zur Richtstätte geht und dem vor dem Schafott im letzten Moment noch die Begnadigung verkündet wird. Da wanken die Kniee, und die Reaktion auf die unnatürliche, furchtbare Willensanspannung lässt den eben noch mannhaft Aufgerichteten, zum Tode Bereiten nun plötzlich hilflos zusammenbrechen.

So ging es Rittner. Er lag in Hellmrichs Armen, mit zuckendem Herzen, auf's tiefste erschüttert und keines Wortes mächtig. Und Hellmrich klopfte ihm nur wieder und immer wieder zärtlich auf die Schulter, wie ein Vater ein kummervolles Kind tröstet: »Heinz, mein guter, alter Heinz! Fass' Dich doch nur – es wird ja alles noch mal wieder gut!«

Dann sassen sie sich gegenüber, und Rittner erzählte seine Schicksale seit jenem unseligen Sonntag im Sommer vor zwei Jahren. Er war damals nach Greifswald gegangen – das Gerücht hatte also Recht gehabt. Seine Eltern hatte er jedoch in dem Glauben gelassen, dass er noch in Jena sei, weil sie beim Erfahren der Wahrheit ihre Hand von ihm abgezogen hätten. Seine alte Wirtin in Jena hatte den Briefverkehr mit ihnen vermittelt. Aber als sie einmal – es war vor Jahresfrist – krank gewesen sei, da hatte die Post eine Geldsendung seines Vaters als unbestellbar zurückgeschickt, der Adressat sei schon seit langem verzogen nach unbekannt. Da war es denn aus gewesen mit denen zu Hause; denn die Geduld des Vaters, der schon seit Jahren auf's schwerste unter dem Bummelleben des Sohnes litt, war nun erschöpft.

Seitdem hatte eine furchtbare Leidenszeit für Rittner begonnen. Zunächst hatte er noch auf Pump ein Semester sich so kümmerlich in Greifswald durchgequält, gleichzeitig krampfhaft arbeitend: Nun wollte er den Eltern zeigen, dass er aus eigener Kraft noch etwas leisten und sein Ziel doch noch erreichen könne. Aber es war ihm unmöglich gemacht worden. Gerade jetzt, wo die Energie wieder bei ihm aufgerüttelt war, schlugen ihm seine früheren und neuerlichen Schulden über dem Kopf zusammen. So hatte er von Greifswald spurlos verschwinden müssen.

Er hatte zunächst Zuflucht bei einem Greifswalder Freund gefunden, der nach Aufgabe seines Studiums auf seinem Gute in Pommern sass und ihn zu sich eingeladen hatte, mit noch ein paar anderen ehemaligen Studiengenossen. Da war denn ein weiteres halbes Jahr dahingebraust. Ein Tag wie der andere: Tolle Gelage, Kartenspiel oder Jagd von früh bis spät! Schliesslich hatte aber doch den leichtsinnigen Gastgeber bei der Jahresabrechnung ein gelinder Schrecken erfasst, und Rittner, dem dieses wüste Treiben, dieses Leben auf Kosten eines anderen, schon lange im Innersten ekelhaft war, hatte alsbald seinen Koffer gepackt. Auf ein Inserat hin, worin ein »renommiertes Berliner Heilinstitut einen Mediziner (ev. auch nicht approbiert) zur Hilfsleistung gegen mässige Ansprüche« suchte, war er nach Berlin gekommen mit etwa sechzig Mark, dem Rest seines letzten Spielgewinnes.

Das war nun vor drei Wochen gewesen. Aber bitter hatte er sich enttäuscht gesehen. Das »renommierte Heilinstitut« stellte sich als eine Kurpfuscherbude schlimmster Art heraus, die von Rittner strafbare Dienste verlangte. Da hatte er natürlich auf der Stelle den Leuten den Rücken gewandt. Nun sass er da in Berlin, mit seinen paar Mark, die beim Stellensuchen und Inserieren in acht bis zehn Tagen völlig aufgebraucht waren. Da hatte er denn nach und nach allen seinen Besitz verkaufen oder versetzen müssen. Aber auch das umsonst! Nirgends fand sich etwas für ihn. Was sollte man auch mit dem verbummelten Studenten anfangen, der nichts gelernt hatte und nichts vom Geschäft verstand? In seiner Verzweiflung hatte er schliesslich noch einmal einen Brief an den Vater gerichtet, mit der letzten Bitte, ihm noch einmal 200 Mark zu schicken. Ein ihm vom Stammtisch in Greifswald bekannt gewordener Kapitän wollte ihn nämlich aus Gutmütigkeit eventuell als Schiffsarzt auf einem seiner Segelschiffe nach Brasilien kostenlos mit hinübernehmen, und dort hoffte er sich irgendwo im Inlande auch ohne Staatsexamen eine ärztliche Praxis gründen zu können.

Voll bangen, aufreibenden Hoffens und Harrens waren so drei Tage verstrichen; dann war heute Morgen ein Brief des Vaters gekommen, der aber nur drei Zeilen enthielt: Nach all' den zahllosen schlimmen Erfahrungen gebe er auf diesen neuesten Vorwand seines Sohnes, sich nur wieder Geld zu erschwindeln, nichts mehr und er verlange jetzt zum letzten Male, endlich seine Ruhe zu haben! Da war denn die letzte Hoffnung zertrümmert worden. Es blieb jetzt nur noch ein Weg für ihn – und nun war Hellmrich gekommen, wie – wie vom Himmel gesandt! Aber wie war das nur möglich gewesen? Wie hatte er denn wissen können –?

»Das alles nachher!« Hellmrich ergriff mit ernstem, vorwurfsvollem Blick die Rechte Rittners: »Jetzt sag' mir erst eins, Heinz! Warum kamst Du in Deiner Not nicht zu mir? Habe ich Dir's nicht beim Weggehen von Jena gelobt, dass Du mir allezeit wie ein Freund und Bruder sein sollst?«

Rittner barg seine Stirn in der Hand, und stockend kamen seine Worte hervor: »Ja, damals, Karl! Da trugen wir noch dasselbe Band, da war ich noch kein – Ehrloser! Wusste ich denn, ob Du überhaupt den Ausgestossenen noch kennen würdest?« Seine Stimme zitterte und klang heiser vor innerer Erregung.

Hellmrich aber sprang auf und legte ihm fest die Hände auf die Schultern. »Heinz, wie wenig kennst Du mich doch! Was kümmert mich ein Konventsbeschluss, von dem mein Herz nichts weiss! In meinen Augen bist Du nach wie vor ein Mann von Ehre, und das will ich vor aller Welt vertreten, so wahr ich hier vor Dir stehe.«

Rittner brachte keinen Laut heraus, aber tränenden Auges presste er in heiss überquellendem Dank Hellmrichs Hände. Doch dieser setzte sich nun zu Rittner aufs Sofa: »Nun, mein guter, alter Heinz, aber kein Wort mehr vom Vergangenen, sondern jetzt mit frischem Mut vorwärts in die Zukunft! Und was ich kann, will ich Dir von Herzen gern dazu helfen. Deine Idee mit Brasilien scheint mir nicht schlecht. Darüber wollen wir mal gleich ernsthaft reden, und die nötigen Mittel dazu« – er dachte an seine Ersparnisse für eine Jena-Reise – »denke ich Dir verschaffen zu können –«

»Wie Du willst? Du könntest? –« Neu erwachende Lebenshoffnung klang aus Rittners bebender Stimme, und er sprang von seinem Sitz mit leuchtenden Augen empor.

»Ja, Heinz. Aber nun mal Ruhe, mein Junge! Wir wollen doch vernünftig miteinander reden. Also setz' Dich wieder hübsch her, und dann müssen wir vor allen Dingen erst mal eine verständige materielle Unterlage für unsere Verhandlungen schaffen – He, Frau Tippert!« –

Verwundert blickte Rittner auf. »Woher kennst Du denn meine Wirtin so genau?«

Aber Hellmrich lächelte nur und befahl der schnell herbeigeeilten Wirtin, die nun selber wieder ganz vergnüglich schmunzelte: »Bitte, schaffen Sie uns doch schnell mal was Ordentliches zu essen und zu trinken. Aber, bitte, recht fix, das ist die Hauptsache.«

»Scheenecken, scheenecken, Herr Doktor! Wird allens schleinijst besorjt wer'n!« Und knicksend eilte sie davon.

Hellmrich aber vertiefte sich nun eingehend in Rittners Plan, die alte Heimat zu verlassen, und drüben, wo schon so manche verunglückte Existenz sich wieder aufgerichtet hat, ein neues, erfolgreiches Leben zu beginnen.



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