Paul Grabein
In der Philister Land
Paul Grabein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

Simmert pfiff fröhlich eine Walzermelodie vor sich hin. Bald trat er vor den Spiegel über der Waschtoilette, sich den Schnurrbart noch kecker aufzubürsten oder dem selbst-geknüpften Plastron noch gefälligere, lose Falten zu geben; bald suchte er aus dem Handschuhkasten noch ein Paar schönere hellfarbene Glacés heraus, als die er sich eben zurecht gelegt; bald zupfte er die Gardenie im Knopfloch des tadellos sitzenden Gehrocks noch sorgfältiger zurecht. Er war strahlend, froh, so glücklich – er hätte die ganze Welt umarmen können! Der schwere Stein, der ihm seit so lange auf dem Herzen lag, er war heute glücklich weggewälzt – ah, nun gab es wieder ein freies, langes Aufatmen, und nun war ihm der Weg nach Glanz und Ehre wieder offen – und nach dem Glück, einem süss berauschenden, wonnevollen Glück! Da, eben hatte es ihm gewinkt mit rosigem, zierlichem Finger. Und er führte wieder und immer wieder das zartfarbene, fein duftende Blättchen Briefpapier vor sein Gesicht, um geschlossenen Auges den ihn wonnig umschmeichelnden Duft einzusaugen und sich die verführerische Mädchengestalt vorzustellen, die dieser Hauch stets umwob.

Donnerwetter! Wenn er das noch vor drei Stunden hätte ahnen können, als er schwer bedrückten Herzens zu jener Unterredung bei seiner Mutter eingetreten war, von der ja alles abhing. Aber, mochte kommen, was da wollte, er musste endlich einmal sprechen und alles aufbieten, seinen Willen durchzusetzen!

Und nun war alles viel leichter von statten gegangen, als er je zu hoffen gewagt hatte. Weiss Gott, seine alte Dame war doch eigentlich unberechenbar. Damals, bei der Geschichte mit der Ilse, die furchtbare Aufregung! Da wurde er mit aller Gewalt zu Lotte hingetrieben, und heute?

Na ja, es hatte ja zwar auch langen Redens und eines tüchtigen Komödiespielens bedurft! Er hatte ihr ja ordentlich was vorgeklönt: Ob sie, seine leibhaftige Mutter, ihn denn mit Gewalt zeitlebens unglücklich machen wollte, ob er denn wegen einer verblendeten Jugendschwärmerei, wegen einer regelrechten Kinderei, nun wirklich für alle Ewigkeit an ein Wesen gekettet sein sollte, das ihn nicht verstehen und befriedigen könne? Sie würden ja alle beide nur kreuzunglücklich werden. Er flehe sie an, lieber jetzt noch ein Ende machen zu dürfen, als später. In ihrer Hand läge sein Schicksal, sein ganzes Lebensglück! Sie möge doch ihr einziges Kind nicht einer Jugendtorheit wegen hartherzig zu Grunde richten – kurz, sie möge in die Aufhebung seiner Verlobung mit Charlotte einwilligen. Natürlich hatte Simmert aber verschwiegen, dass die Person Melitta Drenckens dabei im Spiele war.

Frau Simmert hatte sich zwar zuerst, anscheinend höchst betroffen, dagegen gesträubt; aber in Wahrheit überraschte sie dieses Verlangen ihres Sohnes gar nicht. Seit dem letzten ernsten Konflikt mit Charlotte wusste sie ja nur zu gut, dass die beiden jungen Leute im Grunde durchaus nicht zusammen passten. Nur, weil Rolf damals im schweren Unrecht war und infolgedessen ein Bruch ihren Namen mit kompromittiert hätte, hatte sie auf einer Versöhnung bestanden. Aber anders jetzt. Ihr Sohn hatte sich seit fast Jahresfrist – so weit sie es beurteilen konnte – tadellos geführt und sich seiner Braut gegenüber korrekt benommen. Wenn also jetzt, in ruhiger, klarer Überlegung, nur im beiderseitigen Interesse, still, ohne jedes Aufsehen, die Verlobung zurückging, so konnte das auf Rolf und ihr Haus keine ernsten Schatten werfen. Er hatte ganz recht, lieber jetzt einen kurzen Schmerz, als ein verpfuschtes Leben, als eine gezwungene Ehe, die weder Gott noch Menschen wohlgefällig war. Dazu kam dann noch – und nicht an letzter Stelle – dass Frau Simmert selber von Lotte nicht viel hielt und ihr jenes unehrerbietige Benehmen damals in ihrem Hause trotz ihrer Abbitte nie hatte verzeihen können. Und so hatte Rolf denn, nach ernsten Ermahnungen, die Genehmigung der Mutter erhalten, den befreienden Schritt zu tun.

Ah! Das war ein Augenblick gewesen! Simmert wäre seiner »alten Dame« am liebsten um den Hals gefallen, so überglücklich machte ihn das Gefühl, die so lange schon verhassten Fesseln plötzlich von sich gleiten sehen. Aber dieser ungewöhnliche, freudige Zärtlichkeitsausbruch wäre der Mutter am Ende doch etwas unpassend und verdächtig vorgekommen; so setzte denn statt dessen Simmert eine durchaus würdige Leichenbittermiene auf, murmelte etwas von dem letzten schweren Schritt, der ihm noch zu tun übrig bliebe – er meinte den Absagebrief an Charlotte Gerting – und zog sich dann mit gemessenem Schritt zurück. Aber draussen wurde sein Gang eilig, und sein Gesicht wurde strahlend, wie es jetzt noch war. Jetzt nur schnell hinüber in sein Zimmer, dass die Nachricht an Melitta noch zurecht kam!

Eilends hatte er ein paar Zeilen aufs Papier geworfen: Ob das gnädige Fräulein ihm gestatte, sie zur heutigen Czardas-Probe bei Frau Professor Rickling gegen fünf abzuholen? Und ein Postskriptum noch – aphoristisch, nur ihr verständlich: »Der Wille hat sich stärker gezeigt als Schicksalszwang. – Interessiert es, näheres darüber zu hören, so dürfte man vielleicht schon ein Viertelstündchen eher eintreffen, zwecks gehorsamster Erstattung eines Referats?«

Dieses Schreiben hatte Simmert persönlich hinuntergebracht und einem Dienstmann übergeben, der ihm die Antwort darauf sofort überbringen sollte. Eine halbe Stunde erregten Harrens, dann war das duftige, grüne Briefchen in seiner Hand gewesen.

»Meinen herzlichen Glückwunsch dem Sieger, der einem nunmehr beinahe ›imponieren‹ (!?) könnte. Man ist jedenfalls nicht prinzipiell hiergegen abgeneigt und wird mit Interesse das eingehende ›Referat‹ entgegennehmen. Da es draussen trocken und mild ist, könnte man vielleicht zu Fuss nach Sigmundshof zu Ricklings pilgern? Man darf daher gern noch ein paar Minuten eher kommen.

A bientôt

Ihre

M. D.«

Simmert jubelte innerlich auf: Nun durfte er hoffen! Zwischen den Zeilen da, die so ganz ihre, ihn reizende Eigenart spiegelten, las er Gutes genug für sich heraus. Freilich – natürlich –! sie konnte sich öffentlich ihm noch nicht geben – in derselben Minute, wo die andere verabschiedet wurde. Man würde eine angemessene Anstandsfrist abwarten müssen, sowohl Melittas wie seiner Mutter wegen, welche die Triebfeder seines Handelns ja nicht ahnen durfte. Aber, was hinderte sie, sich inzwischen schon immer heimlich anzugehören? Nichts! Melitta, wie er sie kannte, wie er unter heissem Herzklopfen wünschte und hoffte, würde sich nun, wo er ihr gezeigt hatte, welch' Opfer er für sie bringen konnte, nicht in backfischmässiger Prüderie dagegen ängstlich sträuben, ihm jetzt schon insgeheim ihr Herz zu schenken.

Ach, wie wunderbar reizvoll, wie prickelnd musste aber gerade so ein heimliches Herzens-Verhältnis mit einem Mädchen aus der ersten Gesellschaft sein! Er malte es sich mit glühender Phantasie aus: Wie er sie sehen würde unter den anderen, umschwärmt, umworben wie stets, wenn dann aus ihrem schönen, hochmütigen Gesicht lächelnd ihn plötzlich ein heimliches, heisses Aufleuchten der Augen vertraut grüssen würde, oder in einem unbewachten Moment ein Druck der wunderbar weichen Hand, deren Berührung ihn schon jetzt jedesmal erschauern liess. Und gar zu denken, dass er diesen feinen, stolzen Mund, diese sich so gern verächtlich kräuselnden Lippen heimlich küssen würde – er, als Herr und Herrscher dieses entzückenden, verführerischen Geschöpfes, das seinetwegen auf alle andern Bewerber verzichtete – ah, ganz toll konnte ihn der Gedanke machen!

Hätte er sie nur erst so weit! Er lechzte ja schon seit Wochen nach dem ersten atemraubenden Kuss, der seinen verzehrenden, wild-leidenschaftlichen Durst nach ihrer Person endlich, endlich stillen sollte. Ob er wohl heute schon –? Heute? Wo er eben erst sich aus den Banden Lottes frei machen wollte? Der Gedanke war ja toll, unverschämt – aber wozu war er Rolf Simmert, dessen Glück bei den Weibern ja sprichwörtlich war! Und schliesslich, unter Melittas kaltem, abwehrendem Äusseren – darauf schwor er! – glühte ja doch auch menschliches Empfinden, das treibende Begehren eines temperamentvollen Weibes nach der Liebe und den Liebkosungen des Mannes. Also nur keck, keine falsche Schüchternheit! Ein dreistes Drauflosgehen, wenn man es nur geschickt anzufangen versteht, ist den Weibern noch immer lieber als ein schwächliches Anschmachten aus der Ferne! Der Weg führte sie ja am Tiergarten vorbei – wenn man da mal einen Seitenweg einschlug, durch die stillen, verschwiegenen Anlagen – ach, was! Es sollte, es musste ihm einfach gelingen. Sein musste heut' noch dieser wonnige, hochmütige Mund werden, oder er verdiente nicht, ein Mann zu sein! Und er drückte mit leidenschaftlicher Gebärde inzwischen immer ihren duftenden Brief an seine Lippen.

Dann ein Blick nach der Uhr: Gott sei Dank, nur noch zehn Minuten, dann war es Zeit zum Aufbrechen; dann ging es dem Glück entgegen!

Doch halt, was sollte das Pochen da eben? Zum Teufel, wer will was von ihm, gerade jetzt? Er ist einfach für niemanden zu sprechen!

Aber er ging doch zur Tür. Das Hausmädchen reichte ihm einen Brief hin, der eben angekommen war. Ein ungeduldiger Blick auf seine Adresse und seine Stirn runzelte sich: Der übliche Brief aus Jena! Lotte schrieb ja meist täglich, denn er hatte bisher ja noch immer ihr gegenüber notgedrungen die Rolle des guten, braven Bräutigams gespielt. Na, Gott sei Dank, dass dieser widerwärtige Schwindel nun ein Ende hatte!

Mechanisch griffen seine Finger zu, um den Brief zu öffnen; aber da stutzte er: Nein! Wozu das noch? Es konnte ihm doch höchstens die Stimmung verderben. Fiel ihm ja aber gar nicht ein! Und ärgerlich, dass ihm gerade jetzt in seine rosigste Laune überhaupt dieses unbequeme Erinnerungszeichen hineingeflogen kam, warf er trotzig das Schreiben auf den Tisch.

Eine Weile ging er überlegend im Zimmer auf und ab. Ob er sich etwa gleich hinsetzte und in aller Eile ein paar Zeilen an Lotte hinwarf? »Ich hab' eingesehen, wir beide passen nicht zusammen. Warum sollen wir uns aber zeitlebens unglücklich machen? Also, dann lieber noch bei Zeiten Schluss! Wir wollen uns alle überflüssigen Worte sparen: Leb' wohl und nimm's nicht allzu schwer – Du wirst bei Deiner Jugend das bald überwinden und schon noch 'nen andern, den richtigen Mann für Dich finden!« – Kurz und bündig, es war vielleicht so am besten! Es wären wenigstens seine ehrlichen Gedanken gewesen, die er jetzt im Augenblick hatte. Wozu erst lange sentimentale Redensarten, die ihm doch nicht von Herzen kamen und die Sache auch nicht besser machten?!

Einen Moment war er fast entschlossen und wollte schon zur Feder greifen: Dann hatte er's wenigstens hinter sich und konnte schon als ein ganz Freier zu Melitta gehen. Aber halt, das ging doch nicht! Im Interesse einer recht glatten Abwicklung der Affaire musste er einen feinen, diplomatischen, nach allen Richtungen gedeckten Rückzug antreten. Zu solchem gewichtigen Akt hatte er jetzt aber weder Zeit noch Lust. Morgen – da sollte die Geschichte in aller Ruhe und Gründlichkeit erledigt werden! Da wollte er Charlotte mit einem wohlüberlegten, traurig-ernst gestimmten langen Brief den Ring zurückschicken.

Ach so, den Ring! Richtig, den durfte er ja – um Himmelswillen! – heut' schon nicht mehr aufhaben, wenn er zu Melitta ging. Schnell zog er den Goldreif vom Finger und legte ihn mit dem Brief zusammen in ein Fach seines Schreibtisches. Ohne ein Gefühl innerer Bewegung schloss er dann den Schub zu; vielmehr griff er alsbald nach der Uhr: Na, Gott sei Dank, endlich so weit, dass er gehen konnte.

Mit einem freudigen Zittern der Erwartung fuhr er in seinen schon zurecht gelegten Gehpelz und eilends griff er nach Cylinder und Stock: En avant – mit frischem, frohem Mut! Nun ging's dem Glück entgegen!



 << zurück weiter >>