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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Gretli wird überrascht im Nebel und hat einen sonnigen Tag

Seine Ahnung hatte Gretli nicht betrogen: richtig sollte Hans mit ihm zu Gevatter stehen bei Hans Uli. Ob er es mit dem Gevattersmann abgekartet, ob der reine sogenannte Zufall gewaltet oder Hans Uli spekulative Philosophie getrieben, wissen wir nicht. Hans hatte zugesagt, wußte jedenfalls, wer mit ihm zu Gevatter stehen sollte, und hatte längst eine Art von Galgenfreude an Benz' grämlichem Wesen, der tief im Herzen sich ingrimmig ärgerte, aber mit Worten gab sich keiner von ihnen kund.

Am Samstag kam Hanse ehemaliger Hauptmann, der jetzt, der Tüfel weiß, was geworden, wer weiß, ob er nicht gar seine Füße an der eidgenössischen Kriegskasse wärmte, anhergefahren. Da war große Freude im Hunghafen, das heißt bei Hans. Der Herr sagte Hans, er müsse ihn begleiten; in Stuckisloch hätten sie diesen Abend eine wichtige Zusammenkunft, wo es allweg lustig hergehen werde, da dürfe er nicht fehlen. Natürlich war das Hans angeholfen, eine schöne Aussicht eröffnet auf eine flotte Hudelte; doch sagte er: es sei lätz, er müsse morgen zu Gevatter stehen. »Das irrt dich nicht, geht eins mit dem andern«, antwortete der Herr. »Kannst dann am Kindbettimahl um so besser den Nachdurst löschen.« Der Hauptmann blieb über Mittag da, fütterte gut, tränkte tapfer und schwatzte, daß die Schwarten krachten, zudem noch grimmiglich. Die Konservativen schienen aus faulem Schlummer erwachen zu wollen, sie schienen sich zu rühren; hie und da wollte man gehört haben, sie hätten einen Gux ausgelassen, behauptete sogar, er hätte ihn selbst gehört. Darüber tat der Hauptmann schrecklich, verfluchte sich hoch und hart, die hörten mit Umtrieben nicht auf, bis sie alle an Ohren und Nase geschlitzt seien oder geringelt wie die Schweine; das könne man nicht dulden, daß die Landsverräter und Schelme so mausig sich machten. Benz meinte bescheidentlich, sie würden doch wohl auch das Recht haben, zu einer Sache was zu sagen, seien sie doch hier daheim und zahlten an der Sache.

Potz Himmelblau und Schwefelgelb, wie brach da der Herr los, was das für eine Gesinnung sei und was für Redensarten und wie es Benz wohl komme, daß er dieses hier höre und nicht an einem öffentlichen Orte oder gar in Bern; sonst könnte es ihm übel ergehen. Man sollte sich doch einmal schämen, so altväterisch und dumm zu reden von Daheimsein und Zahlen; wer die rechte Gesinnung habe, sei der rechte Mann, sei ein Bruder, sei er daheim, wo er wolle, und habe er Geld oder keins; man mache jetzt eine Nation aus, und die Besten täten befehlen, hießen sie, wie sie wollten, und seien sie seinethalben zu Bethlehem daheim oder zu Methusalem. Man solle ihm nicht mehr von Fremden reden, die seien unsere Engel gewesen, hätten uns aus der Blindheit gezogen, zur Freiheit verholfen, an sie müßten wir uns halten, ihnen eine Heimat geben, bis die Welt ihnen zuteil geworden. Wir hätten Ursache, stolz darauf zu sein, daß wir sie hätten.

So ging's lange, und zum Grauen von Benz half Hans. Das düechte ihn strengs, daß wir auf die Fremden stolz sein, ihnen so gleichsam die Füße lecken sollten und gar zu einer Heimat verhelfen, wer weiß, ob nicht zuletzt noch jedem so ein Heimat wie zum Beispiel den Hunghafen schenken sollten. Halblaut meinte Benz, es düeche ihn, es wären genug Leute im Lande, für das zu essen, was wir hätten, dazu brauchten die Fremden nicht zu helfen, und daß sie viel anders geholfen, sei ihm nicht bekannt geworden. Wohl, erst jetzt ging das grobe Geschütz los. Für die rechten Leute gebe es Platz und Sachen genug, wenn man einmal mit den schlechten abfahre, wie man längst gesollt. »Gringe ab und zum Land aus mit den Freiheitsfeinden und Vaterlandsverrätern, dann gibt es Platz zum Auslesen im Lande und Sachen genug, und auf mit dem Generalgalgen und dran mit jedem, der einen Gux ausläßt oder eine unzufriedene Miene macht, dann erst wird die Freiheit Wurzel kriegen und fest sein!« So donnerte der Herr, machte Augen dazu wie Pflugsräder und gurgelte den Wein hinunter, als habe er da unten ein Mühlerad im Gang zu halten, daß Benz das Maul zuging und er froh war, mit dem Leben davonzukommen für einstweilen.

Endlich fuhren die Helden ab, dem Vaterland obzuliegen. Am Abend kam Hunghans heim und vernahm mit großem Ärger, was geschehen und daß Hans nicht daheim sei, sondern mit seinem alten Hauptmann davongefahren. Er rief Benz und wollte wissen, was für Bescheid Hans hinterlassen und wann er wiederkomme. Benz sagte, beim Abfahren sei er nicht gewesen, beim Essen hätten sie ihn zornig gemacht, da habe er für gut gefunden, sich nicht mehr zu zeigen. Reden, wie die geführt, möge er nicht hören und nicht mit sich umgehen lassen, als sei er ume so d'r Gottswille im Lande und noch am Leben. Vater Hans war darüber ebenfalls nicht erbauet, rief den Knecht, der eingespannt hatte, frug, ob Hans keinen Bescheid hinterlassen; der wußte auch von keinem, und niemand wußte was.

Da brach der Alte zum erstenmal aus vor Benz. So könne es nicht länger gehen, da müsse es eine Änderung geben, er habe nicht im Sinn, in seinem Alter noch mit Schanden auf die Gasse zu kommen. Eine Hudlete hänge an der andern, und am Ende gehe über ihn alles aus, am Ende müßten die zahlen, welche Geld hätten oder jemanden, der für sie bezahle. Aber dem wolle er einen Nagel stecken ein für allemal. D'r Narr wolle er nicht länger machen, er merke wohl, wie man es mit ihm habe; wenn einmal das Geld weg wäre, könnte er sein, wo er wollte, und mit der Freundschaft wäre es aus und nichts als Verdruß in allen Ecken. Ein Müsterchen von Hans nach dem andern müsse er vernehmen, und er merke wohl, daß er noch nicht den Zehnten wisse. Was das jetzt gemacht sei, fortzufahren, nicht zu sagen, wann er wiederkomme. Morgen müsse er ja Götti sein, und erscheine er nicht, so gebe es ein Gered im ganzen Lande, es wisse kein Mensch, was alles ersinnet würde. So bringe es Hans am Ende dahin, daß kein Hund ihn mehr ansehe, das habe er dann von der Politik, und wenn er des Vaters Hof verhudelt, was er dann vom Vaterland habe, und was ein solcher Hudel dem Vaterland helfe, als daß derselbe es auch noch verhudelte, wenn er könnte?

Hans hatte an selbem Tag Bitteres erfahren. Er hatte bei einem Müller Geld erheben wollen und erfahren, daß der Sohn namens des Vaters es bereits eingezogen. An einem andern Orte hatte er Tuch gekauft für einen Rock, und als er zahlen wollte, sagte man ihm, er solle es nur lassen, man wolle dann einen Konto für alles machen; sein Sohn hätte auch was da genommen und gesagt, man solle gelegentlich nur den Konto senden. Endlich hatte ihn seine Freundin, die Wirtin bei der »Hintern Tugend«, nebenaus genommen und gesagt: »Hör, Amtsrichter, ich habe was vernommen; wenn du mir nicht so lieb wärest, ich sagte es dir nicht. Halte ein Auge auf deinen jüngern Sohn; der tut dir nicht gut, entweder ist er ein Narr oder sonst aus dem Hüsli. Wenn nur das Halbe wahr ist von dem, was man sagt, so wäre es mir mehr als d's Halb z'viel. Der verklopfet Geld, als wenn ihr daheim die Neutaler in den Kornkästen hättet. Er soll Schulden, viel Schulden haben und andern Lumpen Bürg sein; kurz, Amtsrichter, es soll Zeit sein, daß du der Mähre zum Auge siehst. Ich sage es dir nicht gerne, aber du könntest mich dauren, wenn dir die Augen zu spät aufgingen, denn am Ende: wer muß ausessen, was die Kinder einbrocken, als die Eltern?«

Mit dem hinter den Ohren kam er heim und fand die neue Geschichte; da ging dem Kratten der Boden aus. Es ist sehr merkwürdig, wie so oft in einen Tag eine Masse von Verdruß sich zusammendrängt, wie selten ein Unglück alleine kömmt, sondern eins nach dem andern, als ob aus jeder Weltgegend sie auf einen Haufen zusammengewischt werden sollten. Das ist eben der Nachdruck, welchen der liebe Gott seinen väterlichen Führungen gibt, damit der bessere Geist zum Durchbruch komme.

Als spät am Abend Hans noch nicht heim war, sagte der Vater zu Benz: »Mach dich z'weg, und wenn er morgens um sechs Uhr nicht heim ist, so gehst du.« Benz meinte, es sei ihm doch wider die Hand. Vielleicht sei Hans auf einem andern Wege geradewegs dorthin gegangen, dann hätte er, Benz, das Auslachen bar, und sein Lebtag würde ihm vorgeworfen, wie er habe zu Gevatter stehen wollen und nicht können. Besser wäre es, man schickte einen Knecht. »Das wird dir nicht Ernst sein«, sagte der Vater. »Was würde dein Götti sagen, wenn wir einen Knecht sendeten, um mit seiner Tochter zu Gevatter zu stehen?« »Welcher Götti?« frug Benz, denn bekanntlich hat jeder Junge zwei. »Weißt nicht, daß Gretli auf der Ankenballe Gotte ist?« sagte der Amtsrichter. »Hans muß allweg hieherkommen zuerst, denn wie er fort ist, darf er nicht Gevatter stehn, denn er hat die Polismütze auf und den Offizierüberrock an, und kömmt er heim, so behält man ihn hier. Mach, daß du zu rechter Zeit dort bist, die Sachen, um mitzunehmen, sind z'weg, und wenn du das Fuhrwerk nehmen willst, so kannst meinethalb, aber wenn du läufst, so frierst du weniger.«

Benz vergaß Maul und Nase offen über der Kunde, daß Gretli mit Hans Gotte sein sollte; das hatte er nicht gewußt, das hatte ihm niemand gesagt, das freute ihn anfangs; aber plötzlich kam es ihm verdächtig vor, als eine abgekartete Sache, wo Gretli mit im Spiel sei, hintendrein er jetzt nur Lückenbüßer. Für solch falsche Täsche sei ein Knecht mehr als gut genug, schien ihm; eine lange, lange Nase würde der wohl anstehen. Es schien ihm da eine Verschwörung, Hans und Gretli zusammenzubringen und ihn beiseitezulassen. Er wußte, wie sehr Hanse Ansprüche und Aussichten gesunken waren, wie nötig er Geld und eine Frau hatte; beides war in Gretli vereinigt, besser konnte es Hans nie mehr machen, während er früher glänzendere Aussichten zu haben schien, von wegen beim Heiraten zieht der Ruf noch immer auf der Waage, und wo einer einen schlechten Namen sich gemacht hat, da giltet dieses bei einem rechten Mädchen mehr, als hätte er den ganzen Hof verloren. Denn im Verhältnis dessen, was das Mädchen wert ist, giltet bei ihm der gute oder schlechte Name des Burschen, den es heiraten will. Ob nun Gretli auf der Meitschistufe stehe, wo ein Hans noch gut genug ist, daran dachte Benz nicht; er dachte wie Liebhaber, wenn sie weit vom Meitschi sind, gerne das Schlimmste und fürchtete, besonders wenn eine gewisse Entfremdung eingetreten, gerne das Ärgste. Benz hatte es mit Gretli nicht ganz wie jener Schulmeister mit seinem Meitschi, der mit ihm die Abrede getroffen, wenn in einer gewissen Reihe von Jahren keins von ihnen eine bessere Partie machen könne, sie in Gottes Namen miteinander vorliebnehmen wollten. Die hatten eine ziemlich richtige Waage gehabt. Besseres lief keinem von ihnen an, vor kurzem hielten sie Hochzeit.

Benz war ein Bursche, der nicht viel Wesen machte, aber ein feiner Bursche mit unendlich empfindlicherem Ehrgefühl, als der Herr Hauptmann eins hatte. Er hatte alsbald gemerkt, was auf der Ankenballe die Glocke geschlagen, daß man dort Gretli nicht in ein Wespennest setzen, den Gang der Dinge einstweilen abwarten wolle. Und er wollte da nicht ändern, er war zu stolz, etwas erzwingen zu wollen, er wollte die Entwicklung seiner Lage abwarten, er dachte immer, Vater oder Bruder würden heiraten wollen, dann könnte er reden, seine Lage klarmachen. Aber daß Hans ihm hinter Gretli wolle, daran hatte er nicht gedacht. Er meinte, Gretli bleibe ihm sicher als wie hinter einem Gitter. Wenn er sich daheim nicht einlasse, die Finger im G'hürsch nicht verbrenne, allfällig sein Muttergut rette, so finde er sein Gretli immer noch. Er baute auf die alte Liebe und die erprobte Rechtschaffenheit auf der Ankenballe. An eins bloß durfte er nicht denken, oder wenn er daran dachte, so ward er rot, das war die Grännete. Da hatte er sich als ein wahres Kalb betragen; wie er so tun konnte, begriff er rein nicht mehr. Es kam ihm allemal in die Füße und in den Kopf, wenn ihm der Gedanke daran ung'sinnet auftauchte wie ein G'spenst, das sich nicht bannen lassen will, es brannte ihn oben die Scham, daß er so ein Esel sein konnte, es juckten unten ihm die Füße, auf die Ankenballe zu laufen und laut zu bekennen, er sei ein Esel und fürchte, er werde einer bleiben. Er begriff Ankenbenz immer besser, daß er mit dem Treiben der Leute, wie sie zur Stunde obenan waren, und mit der ganzen Partei nichts zu tun haben mochte; er wußte am allerbesten, wer sie waren und wohin sie führten. An der Gränneten hatte er davon noch keine Ahnung, aber Erfahrung bringt Wissenschaft.

Jetzt schien ihm der Stand der Dinge plötzlich anders. Während er den Maulaffen gespielt, habe Hans den Held gemacht und zugegriffen und zu der Schelmerei alle geholfen und vielleicht sogar Gretli. Anfangs glaubte er es fest, aber eine Viertelstunde nachher schon nicht mehr fest und jede Viertelstunde weniger. Und wie der Verdacht abnahm, nahm der Wunsch zu, Hans möchte nicht heimkommen, und der Entschluß, wenn möglich hinzugehen, um zu erfahren, wie falsch oder wie treu Gretli sei und ob da was Abgekartetes sei oder ein Zufall. Daß Hans das Vermögen vertun, sein Meitschi ihm abstehlen sollte, das dünkte ihn strengs – ein Bruder dem andern. Doch was Besseres soll man erwarten von Menschen ohne Glauben und nur aufs Wohlleben dressiert? Aber es schien auch der Vater mitzuhelfen, er wußte ja, wer Gotte war, und das g'mühte Benz sehr. Er hätte doch vom Vater erwarten sollen, daß er ihm nicht solchen Lohn gebe für seine Aufsicht und Arbeit. Denn daß was geschafft wurde im Hunghafen und nicht alles zuschanden ging, war das nicht ihm zu verdanken?

Ob Benz recht hatte oder nicht, wollen wir nicht ermitteln. Sehr merkwürdig ist es übrigens, wie lieblos, ja grausam Eltern, die auf einen Plan, eine Spekulation versessen sind, gegen Kinder sein können und oft gegen die besten und obendrein noch von ihnen fordern, daß sie nicht muxen, allerwilligst sich darein ergeben wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt.

Jedenfalls war Vater Hans sehr aufgeregt, konnte nicht zur Ruhe kommen, stund ums Haus herum, horchte nach allen Winden, ob niemand heimkomme, und kam jemand, so war es ein Kiltbub. Die hatten es schlimm selbe Nacht und streuten zur Rache das Gerücht aus, der Amtsrichter habe keine Ruhe mehr im Bette, laufe ganze Nächte herum, der müß was Gröbliches auf dem Gewissen haben. Das war es aber nicht, was Hans so unstet ums Haus trieb; aber er hatte, wie man zu sagen pflegt, voll bis obenaus, mochte nicht warten, bis er den Kratten leeren konnte, dafür aber mußte Sohn Hans da sein. Es war auch Angst dabei, wie weit es gekommen, denn da er in einem Tage soviel vernommen, was mußte nicht alles noch zu vernehmen sein! Diese Angst ließ ihn vergessen, daß zu einer solchen Kapitelten und Auseinandersetzeten der Zustand, in welchem Hauptmann Hans gewöhnlich heimkam, eben nicht der geeignetste sein möchte.

Aber Hans kam nicht heim. Früh wollte der Vater Benz wecken, aber er kam zu spät; der war schon auf und machte sich z'weg, denn Benz hatte eben nicht viel geschlafen, nicht weil er nach Hans blangete, sondern weil er hoffte, er komme nicht, und auf das Schwinden der Nacht harrte, um fort zu sein, wenn Hans allfällig noch am Morgen heimkommen sollte. Aber es zeigte sich kein Hans, und Benz ging ab.

Es war ein Wintertag, in dunkelgrauen Nebel war die Erde gehüllt wie in grobes Packtuch. Benz machte aber keine Betrachtungen über den Nebel, weder naturkundige noch moralische noch metaphysische, sondern er schritt darin fort, und zwar auf einem Nebenwege, um jedenfalls Hans nicht zu begegnen. Er pressierte nicht mit Laufen, denn er war zeitlich auf dem Wege und begehrte nicht, gar zu früh anzulangen und bei den Kindbettileuten einzusitzen, als hätte ihn der Hunger getrieben. Er studierte seine Lage und dachte, was wohl Gretli für ein Gesicht machen werde, wenn es ihn sehe und nicht den Hans, und was er für ein Gesicht darauf machen wolle und ob er kupen wolle und allfällig wie lange oder ob er gleich ein freundlich Gesicht machen solle, wenn Gretli auch keines mache, oder doch dann, wenn es Freude erzeige, wenn es ihn sehe. Es meint mancher Professor, nur er liege schweren Studien ob, und sieht mit Verachtung auf ung'studierte Leute, auf Baurenbursche sieht er gar nicht. Du armer Professor, ernster und schwerer studiertest du sicher nie als Benz aus dem Hunghafen selben Morgens im Nebel.

Indessen bekennen wir gerne und laut, teils um unser Leben zu retten, teils um nicht total in Unglanz zu kommen in der Welt, wo die Professoren so dichte stehn wie Hühnerdarm an altem, schattigem Gemäuer, daß wir den tiefsten Respekt haben vor tiefem Studium und professerlicher Gelehrsamkeit, können uns jedoch nicht enthalten, die Bemerkung zu machen, daß wir kaum in einem Stande hochmütigere, dümmere, ja beschränktere Menschen angetroffen als unter den Professoren. Unter den Frau Professorinnen gibt es recht liebenswürdige.

Bauersleute nehmen Bemerkungen über den Baurenstand recht gutmütig auf wie gebildete Christen, die zum Heil und Frommen anzuwenden wissen, was zum Heil und Frommen gesagt wurde. Redet man aber einmal was von Professoren, gleich spuckt so ein klein Professörchen auf wie ein Feuerteufel, tut, als hätte man Gott gelästert und sei aller Bildung, aller Kultur bar, ein Reaktionär von der ersten Sorte, obgleich man vielleicht einmal Griechisch getrieben ein wenig und an den Wissenschaften gerochen ein wenig. Nun, wir nehmen ihm das nicht übel; wo einer sich für eine Majestät hält, namentlich ein Professor, da wittert er auch Majestätsverbrecher und verhängt Strafen gegen den Hochverrat, und trotzdem bekennen wir offen, daß wir der Überzeugung leben: wenn mehr Gras wachsen und es weniger sogenannte Wissenschaft geben würde, so hätten wir bessere Milch und gesundere Naturen.

Nun, aus seinen Studien ward Benz aufgeschreckt, wie es selten einem Professor zuteil wird. »Wo muß es aus sein?« sprach jemand hinter ihm. Erschrocken fuhr er zusammen, und hinter ihm stund Gretli. »Vielleicht gehen wir den gleichen Weg«, antwortete Benz, »aber auf dem hätte ich dich nicht erwartet.« »Und deswegen gingest du ihn, um mir nicht zu begegnen und mit mir zu laufen? Da nimmt es mich nur wunder, daß du dich nicht schämst, mit mir zu Gevatter zu stehen, und die Sache angenommen oder nicht einen Knecht gesandt hast«, sagte Gretli. »He, du wirst wohl wissen, wer eigentlich zu Gevatter stehen sollte und daß ich nichts abzusagen hatte«, erwiderte Benz. »Was wollte ich wissenl« sagte Gretli, »Hans Uli lief fort und sagte mir nichts. Da kam das Gered auf, Hans werde Götti sein; nun mit Schein bist du's?«

»Aber warum gingst diesen Weg und fuhrest nicht?« frug Benz. »Das will ich dir schon sagen«, antwortete Gretli. »Ich wollte mit Hans nicht zusammentreffen und auch nicht mit ihm fahren, ich hasse ihn je länger, je mehr; ich müßte mich ja schämen, mit solchem Uflat, ich sage es gradeaus, wenn er schon dein Bruder ist, in einem Fuhrwerk zu sitzen. Am Abend will mich der Vater abholen, da er ohnehin etwas zu verrichten hat; darum ließ ich mich nicht führen, weil er das Fuhrwerk braucht. Hätte ich gewußt, daß du Götti seiest, hätte ich mir den Umweg ersparen können.« »So«, sagte Benz, »du scheust dich also nicht, mit mir zu gehen?« Gretli gab einen scharfen Blick zur Antwort, und Benz fuhr fort: »Hans ist der Götti, und ich schlottere bloß für ihn. Gestern kam einer von denen Millionsketzern und lockte ihn fort an eine Versammlung, und heute war er noch nicht heim und hatte nichts gesagt, ob er heimkomme oder ob es jemand für ihn verrichten solle. Der Vater war über Mittag nicht daheim und war sehr böse über Hans, daß er so fortgegangen. Es ist gut, kam er nicht heim; ich glaube, sie hätten einander in die Finger genommen, so böse war der Vater, und der Bruder ästimiert niemanden mehr, weder im Himmel noch auf Erden; es ist mir leid, daß ich es sagen muß, vielleicht sollte ich nicht, vielleicht daß du es zürnst.«

Da stund Gretli still und sagte: »Hör, Benz, wenn du mir das vor Leuten gesagt, so hättest böse Worte bekommen oder einen Klapf, so hart, als ich ihn aufgebracht. Schäme dich, mir so zu kommen, das steht dir grundschlecht an. Du hast mir nichts vorzuhalten, aber Benz, denk a d'Grännete! Wahr ist's: Hans strich mir seit einiger Zeit nach, aber hast je gehört, daß ich ihm ein gut Wort gegeben oder je drei Schritte mit ihm gegangen sei? Es war mir genug zuwider, wenn ich ihn antraf, aber ich hatte ihm Weg und Steg nicht zu verbieten. Und jetzt schweig mir von dem, oder ich kehre wieder um, und du kannst dir eine Gotte suchen, wo du willst. Wenn du klagen willst, so klage über euch; da hast Grunds genug.« »Ja«, sagte Benz, »so ist's. Aber was vermag ich mich dessen und muß es doch entgelten, alles geht über mich aus, und doch kann ich daran nichts machen, und jetzt obendrein tust du noch wüst mit mir. Es ist, als ob ich gar kein Wörtchen zu keiner Sach mehr sagen sollte.« »Das ist g'stürmt«, antwortete Gretli. »Red meinethalben, was du willst, aber mir komm nicht mit unbegründeten Sachen, wo man nicht annehmen kann; so einen wie Hans lasse ich mir nicht vorhalten.«

»Ja«, sagte Benz, »wüst tut er, aber so wüst, wie er tut, ist er eigentlich denn doch nicht, er hat daneben noch ein gutes Herz, darum kann ich ihn nicht hassen, von wegen er duret mich. Lue, wenn einmal einer in dem Korps ist, so ist er nicht mehr Meister, er ist nicht mehr sein selbst, er muß mithalten, mitmachen, nicht wie es ihn gut dünkt, sondern wie die andern vormachen, da ist kein Pardon. Hans war oft daheim, dachte nicht daran, fortzugehen, da kam einer und ließ nicht nach, bis er ihn weggelockt; nun, war er einmal dabei, tat er wie die andern und konnte oft zahlen für die andern. Gegen mich war er nicht bös. Wenn ich muckelte oder aufredete, so sagte er: ›Benz, sei kein Tropf, sie zwängen, und ändern kannst du nichts, es kömmt einmal von selbst anders; mach mit, brauch, was du magst, daneben laß Kohli walten!‹ Er gab mir besonders in der letzten Zeit mehr gute Worte als ich ihm, das machte mich aber nur böser gegen die Bande, welche ihn am Bändel hatte. Da war nichts als Hauptmann hinten, Hauptmann vornen, ein G'schleck ohn Ende; es muß einer ein Narr werden, wenn man so an ihn setzt, wie man an Hans setzte. Du glaubst aber auch nicht, was das für eine Bande ist voll Nichtsnutzigkeit; wenn mir einer sagte, sie täten den Tüfel anbeten, ich glaubte es auf my armi Türi. Da ist, wenn sie beisammen sind, nichts als G'spött über die Religion, Großtun mit schlechten Sachen. Wessen ehrlich Leut sich schämen, dessen rühmen sie sich, karten ung'schämt schlechte Stücke ab, wie sie das Recht verdrehen, diesen, jenen, der ihnen das Vertrauen geschenkt, so recht vaterländisch hineinsprengen und beschummeln könnten. Ich dachte manchmal bei mir, bei einer Räuberbande wäre noch ein heilig Sein gegen das. Mir stellte es den Verstand, wenn ich dabeiwar. Aber Hans konnte es nicht einsehen und begreifen, daß diese Bande es mit ihm nicht besser meine als mit allen andern, es war ihm wie angetan oder als wenn er ein Brett vor dem Kopf hätte. Ich habe manchmal an Götti Benz gedacht, wie er so recht hatte, und konnte nicht begreifen, wie mein Vater dabeisein mochte, wenn er alles wüßte, und was die für Grundsätze hätten, es ist e Grus!«

»Ist's wahr, dein Bruder sei voll Schulden wie ein Hund voll Flöh?« frug Gretli. »Ich habe Ursache, es zu glauben«, sagte Benz. »Tief darin ist er, aber er weiß kaum selbst, wie tief. Er ist in Gemeindssachen und allerlei sonst, und ich mag seit langem nicht vermerken, daß er schreibt und d'Sach gehörig aufmacht. Da wird es strub genug aussehen, und wenn es einmal an ein Erlesen geht, will ich lieber nicht dabeisein, und das wird wohl einmal sein müssen. Mir sagen die Leute nicht viel, begreiflich, aber vorgestern frug mich einer, was wohl Ankenbenz gegen uns hätte. Er habe im Gemeindrat aufgeredet, so könne man es länger nicht gehen lassen oder so wolle er nicht dabeisein. Es heig e kei Gattig, wie man im Rückstand sei mit den Rechnungen, in keiner Kasse sei Geld, und hinter der Gemeinde liegen die Titel nicht, welche hinter ihr liegen sollten. Er hätte niemanden vernamset, aber es hätten es doch alle gewußt, auf wen es hauptsächlich gehe, und es hätte die Leute wüst düecht, daß er so auf Hans haue, und niemand habe ihm viel darauf gehalten. Ich sagte nicht viel darauf, aber recht ist recht, und wenn dein Vater zufahren würde, so wäre es mir recht, so wüßte man endlich einmal, woran man wäre.«

Es wisse nichts davon, sagte Gretli, der Vater rede nicht mit ihnen über solche Sachen; das gehe die Weiber nichts an, sage er. Was sie wüßten, täten sie von andern Leuten vernehmen, aber es sei lange niemand bei ihnen oben gewesen. Daneben sei es möglich, der Vater sei gar ein Exakter, und es sollte ihm alles gehen, wie es vor alters Uebig gewesen und Recht. Er solle ihm deswegen nicht zürnen, er habe es sicher nicht aus Feindschaft getan; das könne es Benz versichern, daß er ihm lieb sei und er es gewiß gut mit ihm meine. »Brauchst dich deswegen nicht zu versprechen«, sagte Benz. »Ich habe ihm nur Ursache zu danken, wenn er die Sache abtreibt. Einmal muß es doch an Tag, und je eher es geschieht, desto weniger übel geht es. Dann gehen dem Vater die Augen auch ganz auf, und wer weiß, ob er dann das neue G'hudel nicht auch satt kriegt und umkehrt und es wieder mit denen hält, wo ehemals seine Freunde waren und wo es ihm und uns allen anders gut ging, als es jetzt geht.«

Wie die Wege zusammenschrumpfen und die Zeit von dannen fliegt, wenn man so in Liebesgesprächen wandelt, das weiß jeder, der jemals in Liebesgesprächen gewandelt und dabei weder Hunger noch Durst gehabt hat. Vielleicht daß eine junge, zarte Seele obige Gespräche nicht für Liebesgespräche gelten lassen will, weil keine Seufzer der Liebe, keine Achs und Ohs, keine Aufblicke nach oben, keine Schläge aufs Herz, nichts von herrlichen Augen und lieblichem Munde vorkommen. Aber zarte Seelen sind gewöhnlich sehr unerfahrene Seelen und wissen nicht, daß es bei Liebesgesprächen hell nichts auf die Worte ankömmt, sondern auf die Liebe, aus der die Worte kommen. Es hat mancher Halunk Liebesgespräche geführt, o so schön und süß, daß man sie wie den besten Grasanke hätte aufs Brot streichen können, und es war kein Funke von Liebe darin, während obige Gespräche aus ganz grusamem Gutmeinen kamen.

Und während den Gesprächen schwoll dieses Gutmeinen an wie die Emme bei mächtigem Regen oder beim Föhn, wenn der Schnee schmilzt, und leuchtete zuletzt aus den Augen, daß man hätte Scheiter daran anzünden können, nicht bloß Späne oder Schwefelhölzer. Es war recht gut, daß das Läuten des zweiten Zeichens ertönte, welches im Nebel erklang wunderbar, als sei der Nebel ein klingender geworden und beginne zu klingen und zu läuten in seinem grauen Schoße; sonst, wenn das innere Feuer so zugenommen, so hätten zuletzt nicht bloß die dürren Zaunstecken, sondern selbst die grünen Bäume am Wege in Brand geraten können. Sie mußten pressieren, wenn sie bei anständiger Zeit ankommen wollten, und langten endlich am Orte ihrer Bestimmung an, so eben recht, daß sie noch ein Kaffee zu sich nehmen konnten.

Hans Uli und seine Frau, eine von dem Schlage, wie man ihn gerne hat für Pächtersfrauen und die später oft zu Bäurinnen geraten, fühlten sich geehrt, daß die erbetenen Gevattersleute selbst kamen und sich nicht vertreten ließen. Es war ein Mädchen, welches getauft werden sollte, und die andere Gotte war die Bäurin im G'schwätz, eine lustige Frau im besten Alter, das heißt, wo man nicht zu sagen braucht, wie alt man sei, weil die Haare es zu verstehen geben, die man auf dem Lande nicht hinter eine Perücke verbergen kann, und wo man je länger, je weniger ein Blatt vors Maul zu nehmen braucht, weil man hinter den Worten nichts Apartes mehr sucht wie bei einem jungen Meitschi, wo man auf die Worte paßt wie die Katze auf die Maus, um zu erfahren, wie gerne es einen Mann hätte und welchen am liebsten.

Hans Uli tat verwundert, den Benz zu sehen und nicht den Hans, die Bäurin im G'schwätz meinte dagegen, allem an sei das nicht der Lätze, sondern der Gotte gerade der Rechte, daß er ihr nicht rechter sein könnte; auch sie hätte nichts wider ihn, wenn er schon eine mitgebracht, sobald er andern ehrlichen Leuten auch noch ein Wort gönne und verstünde, was sie redeten. Es war eine stattliche Gevatterschaft, wie sie jedem Kinde wohl ansteht und in fremden Kirchen Aufsehen erregt, wo die Mädchen lange, lange Hälse machen, länger als die Giritzen, um zu sehen, was die Gotte anhabe und was für Knöpfe der Götti an seinem Rocke und was für Mienen er mache und wie er ihnen überhaupt gefalle. Der Pfarrer predigte schön, wie es sie dünkte, zwar wohl laut, daß er sicher die Fenster erschüttert hätte, wenn sie nicht daran gewohnt gewesen wären. Aber das hätte nichts gemacht, denn die Bäurin im G'schwätz sagte: So eine Predig höre sie gerne alle zwei oder drei Jahre, es putze nichts besser die Ohren als so eine. Es dünke sie immer, sie höre nachher d's Halb besser; es mahne sie so an eine bravi Kemirußete, wenn sie nur nicht so lang gewesen wäre.

Es war kalt, die Kirche ziemlich leer, von den Wärmmitteln, Mäntel, Schals, Wärmpfanne, Schleupfe usw. weiß man auf dem Lande noch wenig; es ist daher sicher keinem Menschen zu verargen, wenn er eine lange, lange Predig, wo man über anderthalb Stunden in der kalten Kirche ausharren muß, nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens zählt. Nun, der Pfarrer kann sich erwärmen, ja sogar in gelinden Schweiß bringen, wenn er in der Kanzel auf- und niederfährt wie ein Eichhorn an seinem Gitter. Aber was würde er zu seinen Zuhörern sagen, wenn die in ihren Stühlen auch so auf- und niederfahren und den Schweiß suchen wollten? Die müssen stillesitzen, sollen sich nicht rühren, frieren begreiflich erbärmlich. Das ist denn doch wirklich nicht recht, sondern ein Vorrecht, wenn, während alle erbärmlich frieren, nur ein einziger angenehm warm hat, und wer ein Menschenfreund sein will und kein Aristokrat ist oder gar ein Ratsherr, sollte Verstand haben, es kürzer machen und nicht vergessen, daß die Folter abgeschafft ist, und das halten wir wirklich für eine Folter und noch dazu für eine sehr ungesunde: anderthalb Stunden lang in der Kirche sitzen und frieren zu müssen jämmerlich.

Jedoch möchten wir dringlichst bitten, aus dieser Bemerkung nicht den Schluß zu drehen: das sei eine unchristliche Bemerkung, mit Schein seien wir nicht großer Liebhaber von Gottes Wort; wären wir's, könnten wir um desselben willen Frost und Schnee ausstehen nicht bloß stunden-, sondern tagelang. Exküse, gegen diese Folgerung möchten wir Einwendungen machen: erstlich bemerken, daß uns denn doch ein beträchtlicher Unterschied zu sein scheint zwischen einer langen Predig und Gottes Wort, und zweitens, daß in dem Maße eine Predig Gottes Wort sich zu näheren scheint, als die Zuhörer in derselben sich erwärmen und nicht erkälten, und daß lange Predigten, besonders im Winter, sehr oft nichts sind als ein langes Geschnader, weil der Prediger zu besonnenem Nachdenken die Zuhörer nicht wert geachtet und den Mangel an Gedanken durch die Menge der Worte zu ersetzen meint.

Nun, diesmal hatte diese lange Predigt das Wohltätige, daß sie Stoff gab zu allerlei Bemerkungen und Anekdoten, mit welchen man sich die langwierige Fröhlichkeit zwischen der Predigt und dem Essen verkürzte. Die Bäurin im G'schwätz hatte ein gut Gedächtnis und einen gesalbeten Mund, und mit diesen Dingen vermag man viel zu verrichten. Sie b'richtete, wie ihre Mutter immer von einem Pfarrer geredet, der auch so lang gepredigt, daß man es nicht habe erwarten mögen. Einmal, an einem Bettag, habe er den ganzen Morgen voll gepredigt, daß es den Leuten ganz blöd ums Herz geworden und alle gedacht, wenn er um Gotteswillen doch nur schwiege. Da habe er gepredigt, gerade als ging's ans Ende, daß viele halblaut gesagt: »Gottlob, jetzt ist's aus.« Aber statt »Amen« habe er gesagt, jetzt wollten sie eine Pause machen und sich stärken; wer was bei sich habe, solle es machen wie er, nachher wolle man wieder fortfahren. Darauf sei er abgesessen, habe ein groß Stück Brot hervorgezogen und zu essen angefangen. Nun, als er fertig war, brauchte er auch nicht fortzufahren. Die Zuhörer waren ausgerissen bis an den Sigrist. »Herr Pfarrer, habt nicht Müh!« sagte dieser, »ich denke, wir gehen auch heim und nehmen was Warmes. Die Leute sind zufrieden und schenken uns das andere. Es täte sie nur schläfern, es ist so heiß.«

»Hielt er den andern Teil nicht nachher?« frug Gretli. »Weiß selb nicht«, sagte die Bäurin, »die Mutter sagte nichts davon. Da machte es ein alter Herr, er soll noch nicht lange gestorben sein, zu Brastigen anders. Der hatte einen Vikari und sollte eigentlich nicht mehr predigen, aber er tat es grusam gerne, und der Vikari war grusam geschickt, aber wenn jemand anders seine Sache machte, so zürnte er es nicht. Der ließ den alten Herren an einem Bettagnachmittag predigen. Die Leute wußten, wie lang der Herr mache. Als sie ihn kommen sahen von weitem, der Kirchweg ist lang, stob alles Hals über Kopf davon. Als der Herr zur Kirche kam, stund der Sigrist vor derselben und sagte: ›Herr Pfarrer, es ist mir leid, ich weiß nicht, was das ist, aber die Kirche ist leer, kein Mensch ist darin, es muß da ein Irrtum sein.‹ Der Herr traute dem Sigrist nicht, es ist auch nicht allen zu trauen, ging selbst in die Kirche, aber der Sigrist hatte recht. Der Herr schüttelte stark den Kopf und ging heim. Am Freitag war ein Kind zu taufen, was der alte Herr wieder verrichten sollte. Der Vikari war ausgeflogen, die Leute redeten ihm nach, er verdiene seinen Lohn am liebsten mit den Beinen. Als der alte Herr getauft hatte, sagte er, da er am Sonntag seine Predigt nicht habe halten können, so wolle er sie jetzt den Anwesenden halten, und die Kindbettileute samt zwei Kindbetterinnen mußten zwei Stunden lang die Predigt hören.«

»Nun«, sagte die Bäurin im G'schwätz, »es war auch lang genug, aber am Bettag ist's doch nicht so kalt in der Kirche, als es heute war. Ich glaube bald, die Kindbettimannli stecken mit den Pfarreren unter der Decke. Je länger die Gevatterleute in der Kirche sein müssen, desto kürzer können sie im Wirtshaus sein, und wenn es so kalt ist wie heute, ist ihnen der Hals zugefroren, daß sie längs Stück nicht schlucken können, so sparen sie mit einer langen Predig, weiß Gott, wie manche Maß. Als ich meine Füße nicht mehr fühlte und es mich schlotterte wie einen armen Sünder, da war ich fast reuig, daß ich nicht unsere Magd sandte; die wäre so grusam gerne gekommen und wäre anderhalb Tage lang in der Kirche gehocket, wenn sie dafür einen halben Tag an einer Kindstaufe hätte sein können und warten auf gut Schick. Dir wäre es übel gegangen, Meitschi«, sagte sie zu Gretli, »es hätte nicht müssen zu machen sein, sonst hätte sie dir den Götti abgestochen. Oh, wir haben schon so oft gelacht ihretwegen, aber sie achtet sich dessen nicht. Sie ist wüst, hat ein Gesicht wie ein Krautkuchen und ist arm, den Lohn braucht sie immer vor; sieht ein Bub sie an, so kramet sie ihm oder zahlt ihm Wein, und alles will nichts helfen; es ist längs Stück nichts mehr mit ihr anzufangen und redet manchmal Sachen, daß man ihr abputzen müßte, wenn man vor Lachen könnte. Letzthin sagte sie: man sage, es werde dem Menschen alles geordnet, was er erleben müsse, und wen man heiraten solle, der werde einem auch geordnet. Aber sie sag's, einen wolle sie; sei ihr keiner g'ordnet, so nehme sie einen Ung'ordneten.«

So ging die Zeit ziemlich kurzweilig um, bis endlich die Wirtin kam und ankündigte, daß man bald werde essen können; aber vorliebnehmen müßten sie. Sie könne nicht aufwarten, wie es jetzt an vielen Orten der Brauch sei, mit G'flügel und andern guten Sachen, sie müßten sich begnügen mit Schaffleisch. Mit Tauben und Hähneli hätten sie sich nie stark abgegeben und jetzt, seit die Erdöpfel fehlen, gar nicht. Sie hätten den größten Teil des Gefichts abgeschafft. Es komme einem freilich unkommod, aber der Mann habe es nicht anders getan, und im Grund habe er recht; die Hauptsache sei, daß die Menschen zu essen hätten, und wenn man die Sache rechne, so gebe das teure Hühner und Tauben. »He ja«, sagte die Bäurin im G'schwätz, »großer Profit ist an dem Zeug nicht, aber man ist sich dessen gewohnt; es gibt noch manchen Kreuzer so nebenbei, den niemand achtet, und daneben muß man nicht meinen, daß man so päpstlich sein müsse und alles machen, was den Männern durch den Kopf fährt. Es ist eine eine dumme Frau, wenn der Mann d's Halbe merkt, was sie macht. Meiner meinte auch, ich sollte die halben Hühner abschaffen, wir hätten immer noch d's Halb z'viel. Aber sie reuten mich, es waren alles g'reisete Hühner und mir lieb. Ich widerredete ihm nicht, aber ich dachte, es werde keine Sünde sein, sie am Leben zu lassen, bloß z'töten sei verboten; ich ließ daher immer nur die Halbe laufen, die andern ließ ich drinnen. Das merkte er nicht und war zufrieden dabei, und wir gingen dabei auch nicht zugrund.«

»Das könnten wir nicht machen«, sagte Gretli lachend. »Unser Vater weiß immer alles, was geht, wenn er schon tut, als achte er sich nicht. Die Mutter hat schon manchmal gesagt, sie wisse es nicht, wie andere Weiber es machen, daß ihnen so viel hinterrucks angehe; einmal sie möchte sich nicht unterstehen, das Geringste hinter Vaters Rücken zu machen, von wegen er ist b'sunderbar e Merkige und e G'scheite.« »Narrheit!« sagte die Bäurin im G'schwätz. »Meiner ist auch kein Löhl, er hat eine feine Nase und wird wohl so merkig sein als dein Alter, aber er ist halt nicht mehr als ume e Ma. Der Unterschied ist der, ich bin dümmer als deine Mutter: sie macht's und sagt nichts, ich mach's und sage es, doch gewiß nur, wenn ich eine gute Stunde von meinem weg bin.« »Und wenn er es vernähme, täte er nicht wüst?« frug die Wirtin. »Wahrscheinlich, aber dann täte ich die Bibel nehmen und ihm unter die Nase halten 1. Petri 3, 7 und ihm sagen: ›Schmöck, Möff!‹« antwortete die Bäurin. »Wie heißt es denn da?« frug die Wirtin lachend. »So ganz genau kann ich es nicht sagen«, antwortete die Bäurin, »allweg ist der Sinn: ›Ihr Männer, habt Verstand mit den Weibern und gebet ihnen als den Gescheutern die Ehre!‹« »Es wird kaum ganz so heißen«, meinte Benz. »Allweg wird es nicht viel fehlen«, sagte die Bäurin, »und wenn es nicht ganz so heißt, so sollte es doch so heißen, denn so ist es doch.«

Da wurde die Unterhaltung, die gelehrt zu werden drohte, abgebrochen, dieweil das Essen anging. Dieses bot nichts Merkwürdiges dar; wie die Wirtin bemerkt, wurde nur Schaffleisch aufgetragen, kein Geflügel, wenn man nicht etwa Speck und Schinken dazu zählen will nach dem bekannten Exempel des Ratsherren von Biel, der sich beklagte, wie teuer bei ihnen das Geflügel sei, seine Köchin habe letztlich fünfzehn Batzen für ein Gitzi bezahlen müssen.

Zeitlich erschien Ankebenz mit der Bemerkung, er habe pressiert, es werde kalt, er möchte zeitlich heim. Er machte große Augen, als er den jungen Benz sah, aber es war ihm nicht unrecht. Er behandelte denselben sehr freundlich, so daß es diesem recht wohl ums Herz ward, überhaupt allen war er eine freundliche Erscheinung, besonders nahm ihn die Bäurin im G'schwätz in Beschlag, fing ihre Späße über das frühere Thema, dem Betrügen der Männer, wieder an und freute sich, den zu sehen, der von keinem Weibe zu betrügen sei, er werde wohl der rarste Vogel sein unter der Sonne und so weit der Himmel blau sei. So ging's, daß Benz sich länger aufhielt, als er willens gewesen, und kaum Zeit zu einem vertrauten Wort mit Hans Uli fand. Benz sagte er, er wollte ihm das Reiten anbieten, wenn er nicht ein so eng Schlittchen hätte, daß zur Not zwei darauf Platz hätten, geschweige drei. Dagegen solle er bald hinaufkommen, er hätte mit ihm zu reden.

Als sie fort waren, ereignete sich eine Seltenheit: man rupfte nichts an den Abgefahrenen auf, fand nur zu rühmen; ja, die Bäurin meinte sogar: »Hör, Junge, wenn das Meitschi dich will, so fahr ab und mach nit lang; das ist nicht eins von denen, wo um zwölfi noch auf dem Märit stehn, weil sie nicht Kauf gefunden. Ich habe auch zwei Meitschi, nicht die leidesten, aparti erleidet sind sie mir nicht, aber wenn du ordentlich getan, hätte ich dir vielleicht gesagt, du sollest einmal zu uns kommen. Es nimmt mich so satt wunder, an einem zu probieren, wie es mit dem andern ginge, wenn es eine Frau würde, aber jetzt will ich nichts sagen als: Mach nit d'r Narr, wart nit bis morn, wenn d' die hüt ha chast! Das müssen reiche Leute sein, meine Meitschi sind auch nit blutt, allweg bekommt jedes einen Sommerstrumpf und einen Winterstrumpf für abz'wechsle und es Imi oder was dürr Schnitz für e erste Hunger, aber da gibt's wohl noch es Bälli Anke und es Schnefeli Brot, und was schickt sich da besser als e Löffel voll Hung zu Brot und Anke?«


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