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Zweites Kapitel

Vom politischen Leben und wie eine Frau einen Ratsherrn macht und wer ihr hilft

Damals war noch die Zeit der Wahlmänner, das heißt, auf hundert Einwohner gab es einen Wahlmann; ein geringer Zensus und das dreißigste Jahr waren zur Wählbarkeit erforderlich. Sie wurden in den Gemeinden gewählt, traten dann amtsbezirksweise zusammen. Sie wurden auf zweierlei Weise gewählt, je nachdem kein politisches Leben oder je nachdem politisches Leben war. Vor allem müssen wir erklären, was wir unter politischem Leben verstehen. Politisches Leben ist nicht die Liebe zum Vaterlande, ist nicht die Begeisterung für dasselbe in Lebensgefahren, ist nicht das freiwillige Opfern von Hab und Gut auf dem Altar desselben, ist nicht das Erhalten seiner schönen Einrichtungen, nicht die Pietät gegen der Väter Errungenschaften, ihren festen Glauben, ihre einfachen Sitten, ihren Fleiß und ihre verständige Zucht, die sie gegen sich übten und zu der sie auch ihre Kinder erzogen. Politisches Leben heißt man das Leben in der Politik, das Vergessen alles andern ob der Politik, das Gefangengenommenwerden von der Politik. Politik ist nun aber nicht das Vaterland, Politik ist nicht die Gemeinde, Politik ist nicht die Familie, Politik bezieht sich weder auf die Seele noch auf Gott, hat überhaupt mit der Religion gar nichts zu tun. Ja, öfters hat es sogar den Anschein, als wenn das politische Leben das religiöse, das religiöse das politische ausschließe. Denn man sieht Menschen in der Politik leben, denen jede Religion wie Schwefel unter der Nase ist, und hinwiederum haben religiöse Menschen, Menschen, welche ihre Kinder, Gemeinde und Vaterland so lieben, daß sie ihr Leben geben könnten für dieselben, es geradeso mit der Politik. Was ist Politik? Im breitesten Sinne und objektiv genommen, ist es das äußere Verhältnis der Länder, der Stände, der Menschen zueinander, subjektiv bedeutet es die Ansichten des einzelnen über diese Verhältnisse.

In guten Zeiten, und wenn es christlich geht, so gut es hier auf diesem Erdboden möglich ist, wo weder Selbst- noch Genußsucht vorherrschen, jeder dem andern das Seine gönnt und ein Genügen hat an dem, was Gott ihm beschert, wo überhaupt das Verhältnis zu Gott das eigentliche Leben des Menschen ist, da gibt es wenig oder keine Politik im gemeinen Leben und in der Praxis des Menschen, der nicht zu der Besorgung der allgemeinen Verhältnisse angestellt ist, ungefähr wie Millionen mit den Eisenbahnen fahren, während wenige sich mit ihnen abgeben und ihre Ordnung besorgen und festhalten. In der Theorie befaßt man sich freilich beständig damit, und die Gelehrten fahren im ganzen Gebiete derselben beständig zu Acker und säen ihre Gedanken aus, fast wie der Bauer auf seinem Hofe, beide wegen gleichem: der Freude und des Brotes wegen. Werden aber die Verhältnisse in Frage gestellt, ob sie recht oder unrecht seien, entstehen darüber verschiedene Ansichten, entstehen Parteien, da entsteht die Politik, an welcher wir jetzt so übel leben. Je eifriger die Parteien werden, je mehr sie sich über die in Frage gestellten Verhältnisse erhitzen, alles Heil in ihre Lösung setzen, desto lebhafter und umfassender wird das politische Leben. Diese Verhältnisse können nun auf natürliche oder auf künstliche Weise in Frage gestellt werden, sehr oft gibt es dabei, wie es in der Anschauungslehre heißt, Naturkunstprodukte. Lebt jemand, einzelne oder Stände, nicht mehr christlich, beeinträchtigt einer die andern, wird er lästig, der Gesamtheit schädlich, so stört er die Verhältnisse, stellt in Frage, ob man sie dulden oder sie verändern solle, stellt in Frage einzelnes oder alles, bildet aus dem einzelnen heraus eine Lebensfrage, und je nach dem Entscheid der Lebensfragen stellt er neue auf oder macht Revolutionen. Es gibt aber auch künstliche Politik, ungefähr so, wie sie der Teufel im Paradiese mit der Eva trieb. Der war der erste künstliche Politiker, er störte das Verhältnis zwischen Gott und Menschen dadurch, daß er der Eva vorspiegelte, es sei nicht das rechte, sondern es sollte ganz anders sein, sie und Gott sollten auf den Dupf gleich sein, sie antrieb, dieses Verhältnis zu ändern, sich zuzueignen, was ihr Gott unrechtmäßig vorenthalten, zu revolutionieren und in den Apfel zu beißen.

Seither hat es immer solche gegeben, welche dieses Handwerk trieben, künstliche Politik machten zwischen Eltern und Kindern, Meisterleuten und Dienstboten, zwischen Gemeindegenossen und ganzen Ständen. Wo also Politik im Leben ist oder sogenanntes politisches Leben, da ist auch ein Krankheitsstoff, ein natürlicher oder ein künstlicher, der ausgeschieden werden soll. Politisches Leben ist eine Art von Krankheitszustand, welcher überwunden werden muß, eine Gärung, welche das Ungesunde ausscheiden, wiederum Ruhe und Frieden ins Leben bringen soll. Wer meint, in einem Volke müsse ein beständig reges politisches Leben sein, das sei der rechte Normalzustand, der täuscht sich übel, so übel wie der, welcher wähnte, der Mensch müsse beständig im Fieber liegen. Nun gibt es aber gegenwärtig ganze Banden, welche das verruchte Handwerk treiben, die Menschen fortdauernd in politischen Fiebern wüst krank zu erhalten. Kaum ist eine politische Frage, sogenannte Lebensfrage, welche das gesamte Volksleben ergriffen und aufgerüttelt hatte bis auf den Grund, glücklich überwunden, und es will die Ruhe kommen, das Volk sich erholen, paff, werfen sie eine neue auf, einen neuen Zankapfel ins Volk, das Fieber ist wieder da, es schlöttert alles wieder, in wilden Krämpfen klappern alle Zähne. Wie Rückfälle immer gefährlicher sind, in abgeschwächten Körpern die Krämpfe verzehrender und greulicher (im abgeschwächten Römischen Reiche wüteten die politischen Fragen ganz anders als in der gesunden Republik, bis endlich das abgeschwächte Reich zerfiel, weil es die Krankheit nicht mehr überwinden konnte), so wird bei jeder verfluchten Lebensfrage das politische Leben immer verzehrender und revolutionärer. Die Krankheit wird innerlicher, gefährlicher, alle gesunde Kraft immer schwächer und matter, bis endlich der Zustand da ist, den die Banden wollen, das Volk matt zum Tode und willig, alle Ketten zu tragen, mit denen man es bindet, wenn es nur endlich ruhen, verschnaufen kann. Umsonst schreit man dem Volke zu, sich doch nicht fort und fort aufrütteln, in politische Fieber bringen zu lassen, doch einmal endlich die ungesunden Elemente auszuscheiden, ein christliches Leben zu führen zum Heil seiner Seele und seiner Kinder und nicht das kranke politische zu des Teufels Freude, seiner Seele Untergang, seiner Kinder Elend. Das Volk wird betäubt durch die Höllenknechte, welche mit ihren Brandfackeln herumfahren und ihre Füriowörter brüllen: »Aristokraten, Pfaffen, Reaktion, Reaktion!« Es fährt z'weg, meint, es müsse sich seines Leibes, seines Lebens wehren, zerfleischt die eigenen Glieder, schlägt die besten Freunde tot. Das ist das politische Leben, eine wüste Cholera, über welche niemand Macht hat als Gott alleine, der da kommen und gehen heißt, was er gutfindet zum Heil der Sünder.

Nach Küchliwyl war diese Cholera noch nicht gekommen, man fühlte sich behaglich, vertrauete einander die Sache an. Das Gemeindewesen war ziemlich geordnet, die Vorgesetzten brave Männer, sauber übers Nierenstück, und zwar nicht bloß politisch, wo es gar zu relativ angewendet wird, sondern christlich und ökonomisch. Es geschah oft, daß die Versammlung, welche die Wahlmänner zu machen hatte, aus wenigern Wählern bestund, als sie Wahlmänner zu wählen hatte, daß zum Beispiel siebenzehn Wähler dreißig Wahlmänner machten. Ja, es geschah, daß in noch viel größern Gemeinden eine einzige Familie die Mehrzahl der Wähler bildete, so daß, wie billig übrigens, die Mehrzahl der Wahlmänner aus einer Familie genommen waren. Zu Wahlmännern wählte man gewöhnlich die Vorgesetzten, meist die achtbarsten Männer in der Gemeinde. Wenn einer ausgelassen ward, so geschah es entweder, weil man ihn vergessen, er hatte es dann sehr ungern, oder aber, weil er an früheren Wahlversammlungen nicht gekommen war ohne andern Grund, als weil er nicht einen Tag versäumen wollte.

Lisi kochete eines Abends, hatte alle Hände voll zu tun nebenbei, denn alles war noch auf dem Felde mit Erdäpfelgraben und Säen beschäftigt. Es war sehr unwillig, es hatte vor dem Hause Milch verschüttet und wischte sie auf, damit die Heimkommenden sie nicht bemerkten. Es hatte so oft mit den Mägden ausgekehrt, ob sie denn nicht Achtung geben könnten und ein G'sau machen müßten, daß es dachte, wenn sie den Schaden sähen, würden sie lachen und sagen: »Aha, d'Mutter kann auch schütten, sie weiß jetzt, wie es einem gehen kann.« Lisi hatte keine Schuld. Hühner und Katzen, welche hungerig waren und von Lisi sich vergessen glaubten, waren ihm unter die Füße gelaufen, als es mit der Milch aus dem Keller kam.

»Guten Abend geb Euch Gott!« ertönte es hinter Lisi. »Bald hättest mich erschreckt«, sagte es zu dem Polizeidiener, welchem die Stimme gehörte. »Seh, putz mir da aus!« sagte Lisi, »kannst dann mit uns zu Nacht essen. Es will mir heute nichts rücken, es ist, als sei ich verhexet.« »Ja, das will ich schon«, sagte der Polizeidiener, »sollte eigentlich noch in den Haselgraben hinauf, aber wenn ich schon gehe, so kömmt doch niemand.« »Was ist, was sollst?« frug Lisi aus der Küchentüre den mit dem Besen fechtenden Polizeidiener. »Sie sollen morgen zusammen, Wahlmänner zu machen, da hat mir der Statthalter befohlen, noch extra zu bieten den Häusern nach. Es sei eine rechte Schande für die ganze Gemeinde, wenn da abgelesen werde, es seien nur ein Dutzend oder zwanzig dagewesen. Aber ich weiß wohl, es nützt nichts, sie sagen mir allenthalben, sie wollten es vertrauen, und wie man es mache, sei es ihnen recht. Hergegen soll ich Benz extra befehlen, er solle kommen. Die Manne wollen nachen zusammen, es sei was Wichtiges da, das behandelt sein müsse, und Hunghans hat mir abgesagt zu kommen. Er müsse notwendig ins Schloß, der Präsident sei fort, und hier werde es schon gehen ohne ihn.« »Von wem sagt man, daß er Ratsherr werde?« frug Lisi. »Oh, es wollen die meisten auf Hunghans los«, sagte der Polizeier, »das sei ein fester Mann und verstehe sich auf d'Sach. Es hatten viele auch an Benz gedacht, der gefiele ihnen noch besser; wenn er auch weniger rede, so sinne er desto mehr und nehme es besser von Grund auf. Aber da hieß es, er würde es nicht annehmen, auf keinen Fall, da solle man nur nicht Mühe haben.« »Warum, sagten sie, würde Benz es nicht annehmen?« frug Lisi. »Benz habe keine Buben, die ihm daheim die Sache machen könnten, sagten sie und dann noch etwas, aber selb will ich lieber nicht sagen«, antwortete der Polizeier. »Selb wär mir kurios, einen g'wunderig zu machen und dann zu schweigen. Seh, gib füre enanderenah!« »Nu, wenn Ihr's g'hebt ha wollt, meinetwegen, an mir sollt Ihr es dann nicht zürnen: Benz habe eine gar zu resolute Frau, die würde ihm schön den Marsch machen, wenn er es annehmen würde, die hielte ihm den Ratsherren unter die Nase, bis er genug dran g'schmöckt hätte. Hanse Frau hergegen sei sich öppe nit viel z'achte.«

Erst lachte Lisi und sagte, es hätte nicht geglaubt, daß die Leute es so gut kennten, sie hätten es getroffen. Als Lisi aber auch das Urteil über Hanse Frau hörte, wurde es bitterlich böse. Da sehe man, wie es die Leute hätten. Wenn man nicht den ganzen Tag tue wie der helle Teufel, so meinten die Leute, es sei sich einem nicht viel zu achten, sie könnten einem Stöcke auf der Nase spalten. »Hanse Frau ist eine arme, die töt es, wenn Hans noch an Rat muß, er ist bereits fast nie mehr daheim, und die Buben machen, was sie wollen.« »Ja, das sind ungereimte Säble«, sagte der Polizeier, »die Leute erzählen von allem Wunder.« »Was?« frug Lisi hastiger als klug und trat unter die Türe, so daß der Polizeier erschrak und dachte, er könnte gefehlt haben, und antwortete: »Oh, aparti nüt, wie so die jungi Burscht ist.« Lisi merkte natürlich alsbald den Fehler, ward gelassen, und so wurde auch des Polizeiers Zunge wieder geläufig. Er erzählte, wie sie wüst täten mit Saufen und Spielen und, besonders Hans der Jüngere, vermessene gottlose Reden führten. Letzthin hätte er an einer Fuhrung auf greuliche Weise die Speisen geschändet und Braten und Salat an den Wänden herumgetrieben; sollen sonst noch nicht sauber sein, besonders der jüngere. Der meint, es sei ihm alles erlaubt und alles schön, was er tue. »Aber sagen ihm dann die Leute nichts?« frug Lisi. »Was wollten sie!« sagte der Polizeier, »es hülfe doch nichts, sie machten sich nur unwert. Der Amtsrichter ist ein vornehmer Mann, der einem viel nützen und viel schaden kann; die Buben haben alles Recht bei ihm; was sie ihm sagen, das glaubt er, und der Mutter achten sie sich nichts. Hans hat schon manchmal gesagt, daß es die Leute fast erschüttet hat, er wollte, das Kähr hörte bald auf.«

Lisi wurde krebsrot, doch sagte es nichts darauf als: »So.«

»Hör«, sagte es bald darauf, »kannst du das Maul halten und nichts verraten, wenn es dir was einträgt?« »Bhüt is ja, Frau«, sagte der Polizeier, »und gut, solange Ihr wollt, und wäre es bis zum Jüngsten Tage, wo es unser Herrgott jedem auftut. Wenn ich alles sagen wollte, was ich weiß, es würde noch manchen kurios düeche, ja und das würd's.« »Nun, so höre, da hast ein Gulden, und machst du die Sache gut, so mußt noch zwei haben.« »O Frau, das mangelt sich ja nicht. Euch zu Gefallen täte ich noch manches umsonst. Aber wenn Ihr es wollt gehebt haben, so sollt Ihr schönen Dank haben. Das Geld kömmt mir grausam kommod, Ihr glaubt es nicht.« »So höre: Wenn dich die Leute fragen, um wen es gehe, so sage, es sei Hunghans auf der Trommel gewesen, aber wie man bestimmt wisse, nehme er es nicht an, oder dann wolle er mit allem andern nichts mehr zu tun haben, und selb wäre auch lätz. Jetzt sinne man an Niggis Peter. Es sei ein guter Mann, habe nichts zu versäumen, sei sonst wenig zu gebrauchen, und Hans könne ihm immer befehlen, wie er stimmen solle. Er hätte noch grausam viel darauf und werde sich eine Ehre daraus machen, der Sache nachzulaufen und der Gemeinde und dem Bezirk zu nützen, wie er könne und möge.«

Der Polizeier hatte vor sich niedergesehen, da erhob er sein Angesicht und sagte: »Frau, das ist my Seel nit dumm. Aber wenn es mir nur nicht auskömmt, daß ich die Sache ausgestreut, von wegen Hans zürnt's, von wegen er wär's doch gerne. Er ist seit einiger Zeit ein andrer, so ehrsüchtig, man glaubt's nicht.« »Bah!« sagte Lisi, »du sagst hier etwas, sagst dort etwas, sagst, du hättest einen Ton gehört, du wissest nicht mehr recht, von wem, es düech dich, dort oder dort in einem Wirtshause, könntest es aber nicht mehr recht sagen, von wegen du kämest des Tags zu gar viel Leuten. Zähl darauf, es geht nicht manchen Tag, das Gerücht kömmt dir vorume und wieder vor die Ohren, daß du dann bestimmter schon sagen kannst, von wem du es hast. Sieh, so werden im Tage hundert Lügen ausgestreut, man weiß nicht, woher sie kommen und von wem, den Urheber vernimmt man nie, sie durchlaufen ihre Zeit, dann vergehen sie wieder. Geschieht dies so oft jemand z'Bösem, wird es doch wohl erlaubt sein, jemand z'Gutem etwas unter die Leute zu bringen.« »Einmal ich habe nichts darwider«, sagte der Polizeier. »D'Sach scheint mir gut in die Augen, und es ist möglich, daß es geht; auf meine Treu, die Leute wissen so nicht, was sie machen sollen, da werde ich alle Augenblicke gefragt: auf wen geht es los? oder einer sagt: ich gehe nicht, ich weiß doch nicht, wenn ich meine Stimme geben soll, daß die Leute noch danken, wenn man ihnen sagen kann, um wen es gehe und wem sie stimmen sollen. Auf meine Treu, so ist's.« Man kann aus diesen Worten abnehmen, wie friedlich man in Küchliwyl lebte, wie unbehaftet von politischem Fieber.

Als Benz mit seinen Leuten vom Acker kam, verrichtete der Polizeier seinen Auftrag und machte Benz sehr unwillig. Es sei gerade, als ob man meine, er alleine hätte nichts zu tun. Die einen liefen ihrem Profit nach, andere blieben kaltblütig daheim, er alleine solle alles austrappen und auf dem Platze sein. Wenn es andern erlaubt sei, zu machen, was ihnen beliebe, so denke er, werde er wohl das gleiche Recht haben. Mit den dringlichsten Vorstellungen brachte der Polizeier Benz nicht weiter als zu den Worten: er verspreche nichts, er wolle morgen sehen, ob er komme oder nicht, und jetzt solle er ihm schweigen mit dem Gestürm, er wolle ruhig essen.

Während dem Essen frug Benz den Polizeier, ob er nichts gehört habe, auf wen man loswolle. Da ergriff den Polizeier ein kühner Geist, er begann seine Rolle: an Hunghanse habe man gedacht, aber weil er es nicht annehmen wolle, sei man, soviel er habe merken mögen, Sinns auf Niggis Peterli los. Benz war verwundert sowohl über die Weigerung von Hunghans, als daß man ebenfalls an Niggis Peterli gedacht. Der Polizeier meinte: so habe er es gehört, geträumt habe er es nicht, doch wisse er es nicht bestimmt, er könnte nicht einmal sagen, wo er es gehört, die Tage seien lang, und er komme in gar manch Haus. Benz sagte, er habe nichts dagegen, d'Sach sei recht, er könne auch helfen, wenn die andern so wollten. So hatte der Polizeier einen guten Grund, und als er aus dem Hause ging und dankte, blinzte er Lisi; Lisi aber tat, als sehe es es nicht.

Am folgenden Morgen brummte Benz sehr und wollte nicht ins Tal hinunter. Es sei eine Sünde, sagte er, einen solchen Tag zu versäumen, und zwar wegen Sachen, welche ohne ihn auch gingen. Lisi dagegen strengte an. »Wenn alle so dächten, so ging's ja gar nicht«, sagte es. »Du bist wunderlich«, sagte Benz, »bläsest kalt und warm aus einem Munde. Hunghans soll daheim bleiben. Mich schickst du fort.« »Alles mit Unterschied!« sagte Lisi. »Was sein muß und Pflicht ist, das zu tun ist recht, da sollst das Beispiel geben. Aber wo es einer machen kann, wie er will, und tun kann, wie es ihn freut, da soll er Nutzen und Schaden ansehen und ob es jemand z'lieb oder z'leid sei. Es wäre mir eben auch nicht recht, wenn du nichts zu bedeuten hättest und niemand meinte, man hätte dich nötig und könne es ganz gut machen ohne dich und seiest nur für mich da, wie ein Mämmi für ein Kind oder ein schönes Hausgerät hinter Glas.«

Nun, Benz ging, half Wahlmänner machen, wie gewohnt halb mehr Wahlmänner, als sie Wähler waren, und die Gewohnten wie üblich, und allgemein war das Gerede, zum Ratsherren mache man Niggis Peter, Hunghans wolle nicht. Woher die Rede kam, frug keiner, es hieß immer: »Es heißt, man wolle auf Niggis Peter los.« »Wir hülfen dich machen, es wäre nichts als billig und recht, du gingest auch einmal«, sagten einige zu Benz. »Das wäre das Dümmste, welches ihr machen könntet«, sagte Benz. »Es kann nicht jeder alles machen, es muß jeder auch zu sich selbsten sehen. Ich habe keine Buben, welche mir daheim die Sache machen. Es könnte jeder von euch besser gehen als ich. Daneben, wenn man einen dann in Gemeindesachen, welche alle Tage verwickelter werden, ruhig ließe, so wäre man fast noch leichter Ratsherr, dabei über alle Verantwortlichkeit hinaus. Macht man was Krummes in Gemeindssachen, so muß man erstlich gutmachen, zweitens es obendrein noch all sein Lebtag hören, während so ein Ratsherr erkennen kann, was er will, es kräht kein Hahn darnach; je dümmer es ist, eine desto größere Ehre macht sich mancher daraus.« »Benz hat recht. Benz hat uf my armi Türi recht«, hieß es von allen Seiten.

Ans Wahlort hatte man etwas mehr als eine Stunde weit, die meisten Wahlmänner machten es sich in der Regel zur Pflicht, hinzugehen. Doch pressierte niemand, so allgemach trappete man zusammen, keinem Menschen war angst, er komme zu spät; ob er der letzte sei, war jedem gleichgültig, der erste wäre aber niemand gerne gewesen. Wie die Mannschaft sich mehrte, fragte hier einer, fragte dort einer: »Was hat man im Sinne, auf wen geht's?« Dann antwortete einer, er habe noch nichts gehört, und ein anderer sagte, es sei ihm, er hätte einen Ton von Niggis Peterli gehört, weil Hunghans nicht annehmen wolle. Das sei lätz, indessen sei ihm der andere auch recht, lautete zumeist die Antwort. Hunghans war früh voraus, hatte Geschäfte im Schlosse, wir glauben gar, es war eine kleine amtsgerichtliche Sitzung.

Als man endlich anlangte am Wahlorte, mischten sich die Wahlmänner der verschiedenen Gemeinden. Einige redeten verblümte Worte von der Wahl, die meisten von was ganz anderem. Es frug wohl einer, ob es denn gewiß sei, Hunghans nehme nicht an, es sollte doch noch einer mit ihm reden, auf daß man der Sache sicher sei. Doch gab es auch einzelne Haufen, welche ziemlich abgesondert stunden; in denselben sah man herrscheligeres Wesen und herrscheligere Kleidung. Es war das neue Patriziat, welches sich als Erbe des alten gebärdete. Sie nannten sich damals Liberale, Weiße, sagten jedem wüst, welcher ihnen zu widersprechen wagte, und wurden schwarz vor Galle, wenn ihre Meinung nicht durchging. Sie nannten sich aufgeklärt, gebildet, der übrigen Welt weit voran, indessen konnten sie kaum einen lesbaren Brief schreiben; wollten sie einmal einen Zeitungsartikel machen, hielten sie vierzehn Tage Sitzung und erkannten am Ende, Schweigen sei der Weisheit Anfang.

Diese Erkenntnis dauerte aber nur, solange sie nüchtern waren; waren sie das nicht mehr, und das geschah allemal, wenn sie zum Wein kamen, dann adieu Aufklärung und Bildung; wo am wüstesten getan, am rohsten geflucht und gezankt wurde, da waren unsere Hudliger und unsere Blastiger. Sie traktierten alle andern als dumme Teufeln und nahmen an, daß man nur zu Hudlige und zu Blastige würdige Ratsherren finde, und betrachteten und behandelten, wer diese Ansicht in Zweifel zog und ihre Ansprüche nicht ganz gegründet fand, als Hochverräter und Majestätsverbrecher, als verfluchte Aristokraten. Was sie eigentlich unter Aristokraten verstunden, wissen wir nicht, sondern bloß das, daß es ärgere Zwänggrinde und Vorrechtler, welche das Wasser nur auf ihre Mühle wollten, nicht gab, so weit die Sonne scheinet und der Himmel blau ist, als die Hudliger und vornehmlich die Blastiger. Diese wollten daher immer was Besonders für sich, machten sich dadurch bei den andern zu ihnen eingeteilten Gemeinden nicht beliebt, drangen daher selten mit ihren Vorschlägen durch. Sie waren es, welche etwas genauer mit einer politischen Partei zusammenhingen und von daher Befehle erhielten, zum Beispiel zu gewissen Wahlen als politischen Demonstrationen.

Auch diesmal führten sie Großes im Schilde und hatten die Karten gemischt, daß sie meinten, es fehle nicht. Hudliger und Blastiger hatten diesmal ihre Stimmen vereinigt, waren sicher, daß ihr Kandidat im ersten Wahlgange wenigstens die meisten Stimmen, wenn nicht das absolute Mehr erhielt, und rechneten dann darauf, daß eine Menge verzettelter Stimmen in den andern Wahlgängen dem zufallen würden, der im ersten Wahlgang die meisten hatte. Allerdings geschah das oft, teils um den Handel zu verkürzen, teils aus dem natürlichen Zuge, der bereits bestehenden Mehrheit sich anzuschließen. Sie sahen daher mit ziemlich verächtlichen Mienen auf die armen Erdenkinder in elben, halbleinenen Kutten. Hier und da ließ sich einer herab, gnädig zu fragen: »Wen habt ihr?« Und wenn er einen Namen gehört, sagte er: »So!«, drehte sich dann ab mit hochmütigem Schmunzeln, welches sagen sollte: »Du armer Tropf, mit einem solchen denkt ihr zu kommen und meint, mit ihm zu fahren!«

Es gab ein langes Harren, die Majestäten wollten nicht vom Schlosse herunter, und ohne sie war nichts anzufangen. Die einen drehten sich dem Wirtshause zu und stärkten sich mit einem oder zwei halben Schoppen oder einem Teller Suppe. Andere stunden mit unerschütterlichem Gleichmute an der Sonne, sagten wohl: »Es geht lang, daneben werden sie kommen, sobald sie können, ist der Tag doch versäumt.« Endlich kamen sie daher, die Majestäten, hatten aber links und rechts zu grüßen, die Hände zu schütteln, und schwer ging's zu, ehe sie in der Kirche waren.

»Hör doch neuis!« sagte einer zu Hunghans und trat mit ihm nebenaus. »Warum willst du nicht annehmen? Es ist lätz«, sagte der Mann. »Wer sagt, ich wolle nicht annehmen? Ich habe gut, mich zu wehren«, fuhr Hans einlenkend fort, »es wird doch hoffentlich niemand dran sinnen, mich zu wählen. Es dünkt mich, ich tue genug für das allgemeine Beste; alles einem aufzuladen, ist nicht recht, es kann ein anderer auch schmöcken, was man für einen Nutzen davon hat.«

Da wurden sie unterbrochen, der erstere ging und sagte allenthalben, es sei richtig, Hans nehme nicht an, er sei fry taube worde, als er ihm davon angefangen. Man müsse es ihm nicht zuleide tun, er hätt's nicht verdient um die Gemeinde. Er hulf mit Niggis Peterli fortfahren, der hätte noch gar nichts getan für das Allgemeine, und er glaube, er mache sich noch eine Ehre daraus. Der gute Mann nahm Worte für bare Münze, verstund sich hell nichts auf die Gesichtszüge und den Klang der Stimme.

Hunghans war voll Zorn, den er nicht auslassen, sondern verwerchen mußte. Er hätte sich begreiflich erst geweigert, die Stelle anzunehmen, und schrecklich getan und sie doch gerne gehabt und endlich angenommen unter vielem Gerede von Opfern fürs Vaterland. In seinem Kreise, das heißt unter den Majestäten im Schlosse, hatte man die Wahl als ausgemacht angenommen. »Du mußt mit uns nach Bern«, hatten sie gesagt, »es düechte uns schon lange, du solltest bei uns sein. Daheim geht es dir ja gleich, hast jung gearbeitet, gut haben magst jetzt wohl erleiden, am Ende bist doch auch kein Hund.« Als er gesagt, er dürfe nicht, seine Frau täte viel zu wüst, hatten sie sehr gelacht. »Dem wirst du dich doch nicht viel achten«, hatten sie gesagt, »ehe sie wieder böse wird, muß sie doch einmal zufrieden werden. Die Weiber müssen immer was haben, worüber sie balgen können, man ist dumm, wenn man sich dessen achtet. Zähl darauf, es ist ihr recht, wenn du ihr vom Hause wegkömmst, es paßt ihr dann niemand auf, wie manchmal des Tages sie Kaffee macht.« Er hatte nicht viel dagegen gesagt, im Herzen war es ihm recht, im Herzen betrachtete er sich bereits als Großrat. Da hörte er unerwartet unmittelbar vor der Wahl, er werde es nicht annehmen. Wer sagte dieses, was sollte er vor der Wahl darauf antworten? Unser gute Hans war zwar Amtsrichter, aber in der Diplomatie hatte er es noch nicht so weit gebracht, in solchen schweren Verhältnissen so aus dem Stegereif sich gehörig zu fassen und sie recht zu bestehen. Er machte ein schrecklich böses Gesicht und studierte, was machen. Aber es ging ihm wie einem jungen Vikar, der am Sonntag predigen soll und für kein Lieb einen Text zu finden weiß, aus dem er eine Predigt zu machen wüßte.

In der Kirche, wo die Wahl vorging, herrschte diesen Augenblick das regste Leben; es wurde das Bureau gewählt. Da wendete jede Gemeinde sehr an, jemand der Ihrigen hineinzubringen, damit der aufpassen könne, daß nicht was Lätzes gehe, denn so durchaus trauete man sich doch nicht, besonders waren eben die Hudliger und Blastiger im Verdacht, sie täten, was sie könnten, wenn sie Gelegenheit dazu fänden. Hunghans war Stimmzähler geworden, was er ungern hatte, aber er kam zu spät in die Kirche, um es zu verwehren. Was sollte er nun mit seinem Gesichte anfangen, und wie sollte er die Gedanken beisammenbehalten? Er verzählte sich auch richtig beim Ausgeben der Wahlzettel, es waren mehr eingelaufen als ausgegeben, es mußte wiederum von vornen angefangen werden. Diesmal war es recht. Er mußte Zettel ablesen, mußte die andern Stimmzähler ablesen hören, mußte hören, wie sein Name sehr spärlich vorkam, der Name von Niggis Peterli viel häufiger, wie der Kandidat der Hudliger und Blastiger, ein halbbatziger Hauptmann und ein Stück von Rechtsgelehrtem, eine Masse von Stimmen machte, daß er das absolute Mehr zu erreichen schien, und bei allem dem ward er von allen in der Kirche gesehen, alle hörten mehr oder weniger seine Stimme, und so viel wußte er, daß er unbefangen sein, ihm niemand was anmerken sollte. Zudem durch sein Amt gebunden, konnte er mit niemanden reden, mußte den Zorn verwerchen, daß sicher auch seine Kollegen ihm nicht treu gewesen, daß wahrscheinlich der Regierer und der Präsident den halbbatzigen Hauptmann, der keine bäuerlichen Interessen hatte, aus biegsamerem Holze war, lieber sahen als ihn.

Indessen das absolute Mehr hatte der halbbatzige Hauptmann nicht, es mußte noch einmal gewählet werden zwischen den vier, welche die meisten Stimmen hatten. Unter diesen der letzte war Hans. Er durfte nicht sagen, man solle nicht Mühe haben mit ihm, er nehme es doch nicht an. Er wäre ausgelacht worden. Die einen hätten gesagt: »Habe nicht Kummer, du hast nichts zu fürchten!«, die andern hätten geglaubt, er schlage es nur deswegen aus, weil er so wenig Stimmen gemacht, namentlich riskierte er dies bei seinen Herren Kollegen. Er mußte also gute Miene machen, mußte suchen, es beim Zettelausteilen bis zu Späßen und lachendem Gesichte zu bringen. Aber wie das eigentlich zugegangen war, begriff er nicht, der Verstand stund ihm stille. So viel ward ihm klar, daß von seiner eigenen Gemeinde aus auf Niggis Peterli losgesteuert wurde; aber von wem kam das Geschwätz, er nehme nicht an?

Die Hudliger und die Blastiger machten kühne Gesichter, und gar mancher unter ihnen nahm auf den Sieg hin einen tapfern Schluck, kamen hoch die Köpfe wieder in die Kirche, das Ergebnis des Wahlganges zu vernehmen. »Ihr ehrenden Wahlmänner«, sagte der Präsident, »hört: Zettel wurden soviel ausgeteilt, damit ist das absolute Mehr das, nun haben Stimmen erhalten, mithin hat keiner das absolute Mehr, wir müssen somit noch einmal wählen. Der mit den wenigsten Stimmen« – es war Hunghans – »fällt aus, es bleiben somit in der Wahl die und die.«

Hui, wie die Gesichter der Hudliger und Blastiger lang wurden, die untere Lippe übers Kinn hinunterhing, ihre Schritte trotzig durch die Kirche hallten! Ihr Hauptmann war nicht nur nicht erwählt, sondern hatte sechs Stimmen weniger erhalten als im ersten Wahlgang, und klar lag es auf der Hand, daß des ausfallenden Hunghanse Stimmen alle auf Niggis Peterli übergehen mußten. Da wurde mancher Fluch über die Donners Knuble und Bauernlümmel zwischen den Zähnen zerdrückt – in der Kirche durften selbst die Blastiger ihre sonstigen Kraftwörter so recht nicht auslassen – und zornige Blicke nach den Küchliwylern gesandt, welche in vergnüglicher Laune lachende Gesichter machten und sichtlich wohl lebten am Zorn der Hudliger und Blastiger. Auch Hunghans hatte es gewohlet, daß sein Name nicht mehr zum Ablesen kam und die Halbschoppenherren nicht so mir nichts, dir nichts siegten, sondern wenigstens schweren Stand hatten, aber verdammt gerne hätte er doch gewußt, wer ihn so ung'sinnet aus der Wahl bugsiert, so ungefähr konnte das doch nicht wohl geschehen sein. Es ging ihm im Leibe herum wie ein Wurmpulver. Hätte er eine andere Frau, dachte er, könnte es von dieser kommen, weil sie es so ungern hätte, wenn er was wäre, und es ihm nicht gönne, wenn er einmal einen Tag aus dem Kommet käme und ab dem Angstkarren. Aber der komme nichts in Sinn, als zu kähren oder zu pflännen oder ein Gesicht zu machen, womit man die Fliegen töten könne. Während er so dachte, ging abermal ein Wahlgang vorbei, abermal ward nichts entschieden; einer fiel aus, und abermal hatte der halbbatzige Hauptmann weniger Stimmen gehabt als zuerst, und mit Niggis Peterli mußte er ausschwingen, wie man zu sagen pflegt. Man kann sich denken, was die Hudliger und die Blastiger für Augen machten, Augen wie Wintertrohlenbirnen, und wie sie durch die Kirche polterten, die Hudliger die Hüte hinten am Kopf, die Blastiger nebendran, und welchen großen Spaß alle andern in der Kirche an diesem gewaltigen Zorne hatten. Gar mancher fiel vom halbbatzigen Hauptmann ab und gab Niggis Peterli seine Stimme, nur um noch größere Freude zu haben an diesem großen Zorne. Politische Intoleranz und Parteisucht, das heißt politisches Leben, war eben Blastiger und Hudliger ausgenommen noch nicht in alle eingedrungen; regte sich was, war es persönliche Abneigung oder Dorfhaß.

Beim Ablesen der Zettel, wo das Lauter oder Leiser auf die Stimmzähler ankam, herrschte ungewöhnliche Stille und Spannung in der Kirche. Die Stimmen tönten wunderlich durcheinander, bald Niggis Peterli, bald der Hauptmann, bald da eine ganz laut, bald leise, je nach Sympathie oder Antipathie der Ablesenden. Klug konnte man nicht werden, wer obenauf gekommen. Mit offnen Mäulern saß alles da, als wenn gebratene Tauben hineinfliegen sollten. Aber im Bureau wollte es nicht vorwärts, da steckte man die Köpfe zusammen, selbst der Präsident setzte die Brille auf, was ungefähr ist, als wenn ein Feldherr den Säbel zieht. Man zählte die Stimmzettel wieder, man rechnete wieder, man war in großer Verlegenheit, wie Hühner in einem Garten, wenn sie das Loch nicht mehr finden, durch welches sie hineingekommen. Endlich trat der Präsident vor und sagte: »Ihr ehrete Wahlmänner, die Wahl ist ungültig, es sind mehr Zettel da, als ausgegeben worden. Man muß noch einmal dran hin, aber ich will ersucht haben, abzusitzen und sich stillezuhalten; wenn alles durcheinandergeht wie in einem Bienenkorb, der stoßen will, wer Tüfel wett da recht zähle!« Es war offenbar Hitze im Bureau, die verbreitete sich auch in der Kirche. Man wußte zwar nicht, welcher von beiden Kandidaten im Vorteil gestanden, aber jede Partei glaubte, was geschehen sei, sei ihr zu Hohn und Schimpf geschehen. Niggis Peterlis Partei hielt dafür, die andere Partei habe Vorteil getrieben mit den Zetteln. Des Hauptmanns Freunde meinten, im Bureau sei man ihm nicht günstig, namentlich Hunghans suche des Hauptmanns Wahl zu hintertreiben. Es gab so im Vorbeigehen allerlei Stichelreden, welche jedermann wohl verstund, aus denen man aber nichts machen konnte, in welcher Redweise auf dem Lande eine große Kunstfertigkeit verbreitet ist. Mit Vor- und Umsicht wurden die Zettel wieder verteilt. Die Stimmzähler drehten jeden, den sie ausgaben, dreimal ringsum, aus Furcht, es möchten etwa zwei zusammenkleben, und ahnungsvoll und zornesmutig saß die ganze Versammlung da und schaute männiglich, absonderlich dem Bureau, auf die Finger, insoweit nämlich solches aus der Ferne möglich war.

Diesmal ging es rascher, bald kam der Präsident und rief: »Ihr ehrete Wahlmänner! Zettel wurden ausgeteilt und kamen ein soviel, absolutes Mehr also soviel, davon erhielten Herr Hauptmann soviel, Niggis Peter soviel, somit ist Niggis Peter zum Großrat erwählt. Wenn mir recht ist, so ist er da, er soll sich gleich über die Annahm erklären, ob er die Wahl annehmen wolle oder nicht.«

Fast ging es Niggis Peterli an die Beine. Seine Nachbarn hatten schon lange ihren Spaß mit ihm gehabt. Die Wahl kam ihm eigentlich fast wie vom Himmel herab. Niggis Peterli hatte zwar schon oft in seinen vertrauten Stunden bei sich selbst gedacht: es nehme ihn doch wunder, warum die Welt nicht an ihn denke, sondern geradeso täte, als sei er nicht auf der Welt. Er hätte so gute Weile, vermöchte es, und öppe was ein anderer, könnte er auch, das werde kein so großes Hexenwerk sein, sonst würden die und jene nicht dabeisein, und doch hätte man ihn noch zu gar nichts gemacht, nicht einmal zum Chorrichter. Dann hatte er wiederum gedacht: he nun, wenn sie es könnten ohne ihn, so könnte er es auch ohne sie. Hatte sich in edle Ergebung eingehüllt und gedacht, es werde schon vielen gegangen sein wie ihm, von wegen die Uv'rschamte nehme man immer vorab, deretwegen gehe es auch so, wie es gehe, und wie es immer gegangen, werde es auch gehen in alle Ewigkeit. Er hatte vor dem Wahltag wohl hie und da ein Sticheln gehört, er solle für eine schwarze Kutte sorgen, er habe das eben rechte Maß zum Ratsherrn. Aber er hatte es als Spott betrachtet und empfindlich erwidert. Als er gleich im ersten Wahlgang seinen Namen hörte, meinte er wieder, es sei Spott; als aber sein Name immer öfter kam, als seine Nachbarn ihn anstießen und sagten: »Hörst, es giltet Ernst, heute gibt es was aus dir; was sagt deine Frau, wenn sie heute nacht bei einem Ratsherrn schlafen muß?«, da ward es Peterli allgemach, als ob er den Leib voll Flöhe hätte, es biß ihn allenthalben, er rutschte hin, er rutschte her, er sagte: »Will man den Narren mit mir machen, oder was soll das zu bedeuten haben?« Das kam so plötzlich über ihn und unerwartet wie der Hagel in die Halme, daß er voll Angst und Atem ward, daß er der tusig Gottswille anhielt, man solle ihn doch nicht zuschanden machen, absetzen von ihm; wie er doch die Sache verstehen solle? Wenn er schon früher was gewesen wäre, daß er Verstand von der Sache gefaßt hätte, so wäre es noch eins, aber so auf einmal Ratsherr, das hätte eine Nase, man solle doch denken und Verstand brauchen.

Nun zog sich die Wahl in die Länge bis ins vierte Skrutinium und das zweimal doppelt, und niemand meinte, er sei bezahlt dafür, um rasch zu machen; derweilen hatten Angst und Blast in Niggis Peterli Zeit, sich zu setzen, der Atem stellte sich wieder ein, die hohe Würde trat wie ein schöner Stern vor sein inneres Auge: »Sackerli, Sackerli!« dachte er, »was sagt mys Fraueli, wenn ihm ein Ratsherr heimkömmt? He nun so dann, in Gottes Namen, es geht oft lange, aber Geduld überwindet Kürbsbrei, und am Ende kömmt den Leuten der Verstand doch!« Er fühlte wirklich viel Wonne im Leibe, und wenn auch die Wahl noch fehlen konnte, so dachte er: »He nun, wenn heute nicht, so doch das nächstemal. Und viel g'macht ist's, so nahe zu kommen gleich das erstemal, es ist allweg eine Ehre. Man kann daraus abnehmen, wie es das nächstemal gehen wird.« Als es das viertemal schief ging, ward er sehr ungeduldig und sagte: er sehe schon, wo das hinausmüsse.

Da kam also der Präsident mit der Aufforderung, Niggis Peter solle sich erklären, ob er die Wahl wolle angenommen haben oder nicht. Und jetzt sollte Peterli auftreten, sich öffentlich erklären, so gleichsam eine Rede halten! Da war's ihm doch wirklich, als hingen ihm die sämtlichen Wahlmänner am Halse, er erstickte fast und war wie angenagelt. Neben ihm sagte alles: »Uf, uf, Peter, red, sag zu, wollest dich bedanken und angenommen haben!«, und auf der andern Seite machte die andere Partei boshafte lange Hälse, und hie und da hörte man eine fürwitzige Stimme fragen: »Wo ist der neu Ratsherr, möchte den auch sehen, er soll reden!« Der Präsident, der Wahl gar nicht günstig, rief auch mit seiner harten Stimme: »Seh, wo ist er? Ist er nicht in der Kirche, so rufe man ihn! Es wird ihm doch nicht etwa übel geworden sein?« Da ward Peterli in die Höhe geschoben, man sah ihn endlich überall, denn groß war er eben nicht, er sagte: »Ih danke fürs Zutraue, danebe han ih nüt z'danke. Ih will's mache, so gut ih cha, wie öppe en angere o. Es isch eine e Schelm, wenn er meh v'rspricht, als er halte cha.« Das war die erste Rede, welche Peterli fallen ließ; wir fragen: kann einer bündiger reden? Und doch ward vielfach die Nase gerümpft und Spott getrieben, und selbst der Präsident konnte sich nicht enthalten zu sagen: »He nun so dann, so wird man Ursache haben, dem Vaterland Glück zu wünschen; die ehrenden Wahlmänner werden wohl gewußt haben, was sie machten, als sie diese Wahl trafen. He nun so dann, in Gottes Namen! Da die Geschäfte beendigt sind, hebe ich die Versammlung auf, wünsche guten Appetit und glückliche Heimkunft.« Wer etwa glauben sollte, eine solche Präsidentenrede sei unmöglich, dem stehen schriftliche Präsidialerlasse an in ihrer Abwesenheit Gewählte zu Diensten.

Nun polterte es zur Kirche aus mit den Hüten hinten und neben. Die Hudliger und Blastiger waren ganz Zorn; wenn man mit einem brennenden Schwefelholz in ihre Nähe gekommen wäre, sie hätten gebrannt hellauf, noch ganz anders als der Ligerzer Wein. Die Sieger hatten eine ruhigere Haltung, einen bedächtigern Schritt, die Siegesfreude zuckte nur hier und da in den Mundwinkeln fast unmerklich. »Wart mir doch«, sagte zu Ankenbenz der Hunghans, »bis wir fertig sind!« Derselbe hatte als Stimmzähler noch die Protokolle zu unterschreiben.

Wählen macht durstig. Ankenbenz traf im Wirtshaus Blastiger an; er hätte einen Batzen gegeben, wenn er nicht unter sie geraten wäre. Er kannte die Blastiger und wußte, wie groblecht ihre Bildung war und wie unverdaulich, wie schlecht sie schmeckte, besonders an einer Weinsauce. Wir wollen nun nicht die Sticheleien und Anzüglichkeiten anführen, welche die Blastiger losließen, nicht einmal die Trotzlieder, welche sie losbrüllten, wir wollen bloß sagen, daß Ankenbenz die größte Mühe hatte, an sich zu halten. Er schwieg zu allen indirekten Trümpfen, gab bloß Bescheid, wenn er angeredet ward, er ließ nichts auf sich liegen, aber er trümpfte nicht höher, sondern blieb in seinen gemessenen Schranken. So hielt er sie wie mit einem Schild vom Leibe, aber er begriff von neuem, daß eine Herrnkutte den Herrn nicht mache, daß die Aufklärung, welche bloß im Lästern und Fluchen besteht, sehr stinkend sei, daß in diesem neuen Herrentum nichts sei als unausstehliche Anmaßung, ein heilloser Übermut, welcher weder an menschliche noch göttliche Gesetze sich kehrt, sobald er seinen Vorteil sieht in etwas, sobald er Lust hat zu etwas und die Aussicht, es straflos zu vollbringen. Er dachte bei sich, was man ihm geben müßte, wenn er Tag für Tag in solcher Gesellschaft sein müßte, was aus jemand werden müßte, wenn er Tag für Tag in solcher Gesellschaft wäre, wie einer beschaffen sein müsse, um Wohlbehagen an einer solchen himmeltürkischen Gesellschaft zu finden. Er dachte bei sich, wenn Hunghans sich in solcher Gesellschaft aufhalten sollte fast alle Tage und bis spät in die Nacht, so habe dessen Frau Kummer nicht ohne Grund.

Als das Bureau endlich im Wirtshause aufmarschierte, stimmte dasselbe mit den Blastigern und ärgerte sich schrecklich über die Wahl. »Schicke man doch ebenso mähr einen Kühgring hinein als einen solchen!« Er tausche diesen einen nicht an zehn andere, sagte endlich Ankenbenz, nütze er nicht viel, so schade er auch nicht viel. Er wisse dagegen andere, welche dem Lande zum größten Schaden wären und allem aufböten, um dasselbe auf alle Wege zu verderben, Religion und Ordnung verachteten und stark dran machten, das ganze Land in eine Bettlerkneipe zu verwandeln. Ankenbenz sagte das absichtlich, es waren mit dem Bureau Ohren hineingekommen, welche dieses hören sollten. Unangefochten hätte er es wohl nicht gesagt, aber angegriffen wehrt man sich, mit was man kann. Hunghans wurde es nicht wohl dabei, es war ihm, als sei er zwischen Türe und Angel; er sagte Benz, er komme jetzt mit, wenn es ihm recht sei. Nun rief's: »Amtsrichter!« von allen Seiten, und alle Haken wurden ausgesetzt, ihn festzuangeln. Benz sagte: »Mach, was du willst, aber ich will fort; meinetwegen schinier dich nicht, ich finde den Weg alleine.«

Aber diesmal blieb Hans fest und ging. Er wollte mit Benz ein Wort im Vertrauen reden, er wollte vernehmen, wie so ung'sinnet die Wahl von Niggis Peterli sich gemacht und woher das Gerede gekommen, daß er nicht annehmen werde. Benz konnte ihm darüber keine Auskunft geben. »Ich weiß nicht, wer es mir zuerst gesagt«, sagte Benz, »ich glaube, der Polizeier, doch weiß ich es nicht. Du weißt, wie das geht, man hat Wichtigeres im Kopfe zu behalten. Als man die Wahlmänner gemacht, sprach alles davon, ich dachte, es sei eine ausgemachte Sache. Wenn du mehr daheim gewesen, so hättest du davon hören müssen. Ich hätte dich auch gefragt, aber ich sah dich nicht, und d'Sach kam mir ganz glaublich vor.« »Warum?« frug Hunghans. »He, weil es mir gerade auch so gewesen wäre«, antwortete Benz. »Daneben ist's mir leid, wenn es nicht so war und du es jetzt ungerne hast.« »Was denkst!« sagte Hans, »auf keinen Fall hätte ich angenommen. Aber da mich niemand daheim gefragt, so habe ich auch nicht gesagt, ich würde es nicht annehmen; darum wundert mich, woher die Rede gekommen.« »Weiß es wahrhaftig nicht«, antwortete Benz. »Ich glaubte es, ich dachte, es sei dir wie mir.« »Warum hättest denn du nicht angenommen«, frug Hans, »und warum machte man nicht dich, sondern den dummen Peter? Selb begreife ich nicht, ich dächte, sie hätten doch eher an dich gedacht als an den Lappi.«

»Warum an mich denken? Da muß doch jeder vernünftige Mensch einsehen, daß ich daheim bleiben muß und daß ich von solchen Dingen nichts verstehe. Ich lese ja kaum eine Zeitung, und wenn ich meine und der Gemeinde Sache b'sorgen mag, bin ich mehr als wohl zufrieden. Du bist zwar nicht gleich z'weg wie ich, du hast erwachsene Buben, aber es wäre manchmal den Erwachsenen der Vater so nötig als den Kleinen«, antwortete Benz. »So«, sagte Hans, »was ist mit meinen Buben, was ist dir nicht recht an ihnen?« »Aparti nichts«, sagte Benz. »Aber nit für ungut, ich bin Benze der Götti, und du weißt, was schon öppe geredt worden ist. Buben sind immer Buben; wenn sie wissen, daß man ihnen nicht nachsieht, so werden sie gleichgültig, und wenn sie den Vater nicht beständig fühlen, tun sie gern, was ihnen wohlgefällt, machen gerne mit den Knechten gemeine Sache oder vertreiben die besten, und je weniger sie taugen, desto leichter kömmt der Hochmut, und je weniger sie arbeiten, desto mehr brauchen sie Geld, desto brutaler werden sie.« »Du wirst doch nicht meinen, ich sehe nicht zu meiner Sache?« frug Hans. »Die Buben wissen, daß ich immer weiß, was geht. Oder weißt was Schlechtes von ihnen, so sag's! Es ist nichts gemacht, so hintenrum auf die Stauden zu schlagen.«

»Nit für ungut«, sagte Benz, »ich will dich ja nicht böse machen und nicht der böse Geist sein, der aufweiset. Es sind deine Buben. Aber weil ich Götti bin, so will ich dir nichts Schlechtes von deinen Buben sagen, denn ich weiß nichts, aber sonst, was mich düecht. Es düecht mich, sie seien in der Kleidung wohl herrschelig. Ich meine das nicht wegem Kosten, aber wie die Kleidung, so gewöhnlich auch der Kopf. Mit der Arbeit weiß ich nicht, wie es ist. Aber ich ging am Morgen schon vorbei bei deinem Hause, sah die Knechte und sie nicht, dagegen auch schon im Wirtshause, wo mich düechte, es sei unnötig und zu der Zeit sollten sie längst im Bette sein. Das Wirtshaushöckeln tut nicht gut, ist ein Krebsschaden im Lande. In der Kirche dagegen habe ich Hans lange nicht mehr gesehen, Benz jeweilen noch wohl. Seit Hans Leutnant geworden, scheint er zu glauben, ein Leutnant habe niemand mehr nötig in Zeit und Ewigkeit, er sei alleine Meister im Himmel und auf Erden. Daneben wüßte ich nichts Schlechtes, aber was nicht ist, kann werden. Du weißt, es nimmt alles einen geringen Anfang, das Gute und das Böse.«

Hans stachen diese Worte, von einem andern als Benz hätte er sie nicht angenommen. Aber vom Taufwasser an waren sie so verbrüdert, daß sie sich manches sagten, was man sonst bloß im Halse behält. Daher schwieg Hans nicht und tat auch nicht böse, sondern sagte: »Sieh, du auf deinem Berge oben kennst den Weltlauf nicht und weiß nicht, was hürmehi üblich und brüchlich ist. Es ist nicht immer die gleiche Zeit, es ändert, und da kann man sich nicht so g'stabelig machen, man muß süferli nache, me ma welle oder nit. Es ist nicht mehr die Zeit, wo zwischen Herr und Bauer ein gesetzlicher Unterschied ist, wir sind einer so gut als der andere, es gibt keine Sklaven und Landvögte mehr, es kann ein jeder daherkommen, wie es ihm gefällt und wie er es vermag. Um sich zu Tod zu arbeiten, ist man nicht auf der Welt; unsere Väter wußten nicht, was leben ist. Mit dem Kirchengehn kann es jeder halten, wie er will, je nachdem er die Ansicht hat, es trage was ab oder nicht. Junge Leute kann man nicht immer daheim haben, sie lieben die Gesellschaft und müssen auch wissen, was geht in der Welt. Das lernt man daheim nicht, man ist gar so grobänisch erzogen worden, man wußte es auch nicht besser. Öppere muß Leutnant sein, das kann man nicht den Herren alleine überlassen, sie hätten das Volk und alles zusammen bald wieder verraten. Hans hat Freude dran, d'Muntur steht ihm gut, und man muß jungen Leuten Freude lassen. Öppe bravs ist's nicht, wenn er keinen Mut hat und es gibt nichts aus ihm. Er kann da lernen sich benehmen und mit den Leuten umgehen, von wegen man weiß nicht, was einem begegnen kann in der Welt, es geht manchmal gar g'späßig. He nun, er kann doch etwas Französisch; es käme mir auch kommod, wenn mein Vater etwas an mich gewendet und mich ins Weltsche hingere getan. Ich hätte noch Appetit dazu gehabt, und wegem Kopf hätte es mir auch keinen Kummer gemacht. Wenn ich da für den Präsident einstehen muß und es kommen da Schreiben aus dem Weltsche füre und ich sowenig daran machen kann als unsere Katze, oder gar ein weltscher Landjäger oder Schelm kömmt, wo nit Dütsch cha, da stahn ih an, u was de mache? Am Schreiber übergeben und sagen: ›Luegit Ihr, ih verstah mih nit druf‹, selb isch doch neue o ne Schang, u de weiß me nit emal, isch d'r Schryber e Spitzbub oder isch er ufrichtig, es git's se hürmehi gar mänger Gattig. Nein, sieh, Benz, es geht nicht mehr, wie es gegangen, wo der Großätti noch gelebt hat, und darein mußt dich schicken, von wegen zwängen daran kannst du doch nichts. Und kurzweiliger geht es doch, man ist nicht mehr so dumm, weiß auch, was leben ist und was die Welt ist und was geht darin; es ist mehr Bildig, man ist aufgeklärter, und kein Kind meint mehr, es müsse alles glauben, was der Pfarrer und der Schulmeister ihm sagen.«

Benz hörte diese lange Rede mit seltsamen Gefühlen, sie tat ihm weh, er sah, daß Hanse und seine Wege auseinandergingen. Er sagte aber bloß: »Ich wollte, ich wäre der Großätti, so gescheit, als er gewesen, und es ginge mir nicht schlimmer. Bin auch nicht der Meinung, daß man dem Weltgeist untertan sein solle, sondern Gottes Geist. Will lieber Gott glauben und denen, welche mir sein Wort lauter und aufrichtig auslegen, als den verfötzelten fremden Zeitungsschreibern und versoffenen Agenten und Müsterlern. Von wegen an jemanden muß der Mensch glauben und etwas haben, auf das er sein Vertrauen setzt. Großätti saß daheim und las Bücher, berichtete daheim der Familie, was gut war; er war gebildeter als die, welche in den Wirtshäusern sitzen und die Zeitungen lesen, wo alle Tage ein ander Gestürm darin ist, welches man vergessen hat, wenn man darüberweg ist. An Großätti hatte die ganze Familie Freude, wenn er oben am Tisch saß, und jetzt hat an manchem Orte die ganze Familie Angst über den Vater, der obenan im Wirtshaus sitzt. Was für Bildung und Aufklärung ins Land gekommen, das haben heute wieder die Blastiger und die Hudliger gezeigt, welche Herren vorstellen wollten und taten, wie die gröbsten Lümmel, so daß Knechte sich dessen geschämt. Unser Herrgott wolle mich und mein Haus vor solcher Bildung und Aufklärung bewahren, und ich denke, Hans, wenn unsere Großväter, welche es so weit gebracht und welche so geachtet waren weitumher, daß man noch jetzt von ihnen spricht, uns hörten, sie wären meiner Meinung und nicht der deinen.«

»Das dünkte mich nichts anderes«, sagte Hans, »sie wußten es nicht besser, und alt ist alt, und der Pflug geht nicht immer im gleichen Loche, wie Großätti und Ätti ihn geführt; du führst ihn selbst nicht mehr so. Daneben alles im alten, Benz! Es hat ein Mensch seinen Kopf; da muß man jeden machen lassen nach seinem Kopf, es ist nicht mehr der alte Zwang. Daneben kömmt es darauf an, wie es herauskömmt und einen Austrag nimmt; das ist die Hauptsache, da erzeigt es sich am besten, wer recht hat.« »Allweg«, sagte Benz, »und wie ich hoffe, zu rechter Zeit, wo umkehren gut ist und der Wagen noch nicht über Bord.« »Was ich sagen wollte«, sagte Hans, »suche mir doch zu vernehmen, woher der Lärm gekommen, ich werde nicht annehmen und daß man Niggis Babi wählen solle.« »Will fragen«, sagte Benz.

Aber Benz und Hans vernahmen nichts. Der Polizeier war klug, er sagte, er habe es gehört von diesem, von jenem; dieser, jener sagten, sie hätten es ebenfalls gehört und nicht ersinnet; so kamen sie immer rundum, und das Ende erfaßten sie nicht, denn die Zeitfolge des Hörens und Sagens ließ sich natürlich nicht ausmitteln. Es ging wie bei Tausenden von Gerüchten: man vernimmt nie, wie sie entstanden oder woher sie kamen, es ist wirklich, als ob sie von selbst kommen, entweder aus der Luft oder aus dem Boden.

Hunghanse Frau fehlte leider die gehörige Feinheit; sie hätte, als Hans heimkam, entweder tun sollen, als wüßte sie von allem nichts, oder aber hätte sie ihm um den Hals fallen und schrecklich grusam küssen oder sonst danken sollen für die freudige Überraschung, daß er ihr z'Lieb und z'Ehr den Ratsherrn ausgeschlagen. Aber Hanse Frau war zu verkümmert, um nicht zu sagen zu verbittert, um sich zu solchen Demonstrationen, wozu ein freier Mut gehört und ein unbeschwert Herz, zu erheben. Hanse Frau ließ merken, daß sie um die Wahl wußte, ließ eine gewisse Schadenfreude blicken, rühmte sogar Niggis Peterli und sagte: sie hätte selbst keinen Bessern gewußt; hier versäume der nichts, und drinnen werde man, wenn er einmal eine schwarze Kutte anhabe, noch meinen, was man an ihm hätte. Sie hätte gehört, gerade solche, welche immer Gix nachsagten, wenn ein anderer Gax vorsage, habe man dort am liebsten. Hans nahm dies seiner Frau sehr übel, obgleich ungerechterweise. Er war selbst schuld, wenn ihr sein Ausschlagen verdächtig vorkam, wenn sie mehr an eine Flemmete dachte oder jedenfalls annahm, es sei nicht ihr z'Lieb und z'Ehr geschehen. Und ist einmal Mißstimmung da, so wird nie das Bessere, sondern immer das Schlimmste als richtig angenommen. Es ist sehr traurig, daß dem innigen, wunderbaren Zusammenhang zwischen Körper und Gemüt selten gehörig Rechnung getragen wird. Wie Gram und Kummer die Kraft knicken, den Leib verzehren, so macht hinwiederum ein sterbender, kränklicher Leib das Herz grämlich, versäuert das Gemüt, bringt Nebel vor die Seele. Es ist da eine unglückliche, ununterbrochene Wechselwirkung, welche das Instrument zerrütten, die Auflösung herbeibringen muß.

Wer über die mißratene Wahl am bösten wurde, war Hans, der Leutnant. Dieser wußte, wie Ratsherrensöhne die Lieblinge in den Garnisonen waren und wie beleckt und wie beehrt und wie sie so zu Ehr und Ansehen kamen ung'sinnet. Beides hatte Hans gar übel nötig, da er ein grober Klotz war und schwer zu modeln und zu dressieren. Von Natur war er auch, was man einst von einem andern Leutnant sagte: eine gute Kuh auf dem Markt, da man ihr allenthalben das Kalb greife, aber als Ratsherrensohn wäre er auf einmal ein ganz anderer geworden.

Er tat, als sei er eigentlich ein Blastiger. Die Leute nahmen ein Ärgernis daran und sagten, an des Leutnants Benehmen sehe man, daß Hunghans doch gerne Ratsherr geworden, aber man hätte ihn zwängen sollen, damit er einem auf allen Suppenbröckline vorhalten könnte, was er tue fürs Vaterland. Aber selb sei hier nicht der Brauch, d'r Narr z'mache mit den Leuten, das sei gut für in die Stadt, wo man nichts anderes zu tun hätte, als eben d'r Narr z'mache.

Benz hatte keine Ahnung, daß Lisi die Hände im Spiel gehabt. So froh er über den Ausgang war, so hätte er doch aufbegehrt, wenn er gewußt, daß seine Frau das Spiel angezettelt. Es war bei aller Natürlichkeit ein vermessen Stücklein, und wenn es auskam, gab es Verdruß, und der Vorwurf lag bar, auf der Ankenballe hätte man dem Hunghans die Ehre nicht gönnen mögen, sondern ihm das Bein vorgehalten. Lisi war klug. Benz sagte, er sei froh, daß es so gegangen, ohne daß er was daran gemacht, aber Lisi ließ sich durch diesen Beifall zu keiner Beichte verlocken. Es wußte, Benz hätte darob doch Verdruß, es wußte auch, daß, je weniger Leute um eine Sache wüßten, desto weniger komme sie aus. Wußte Benz nichts darum, war er um so unbefangener, und daß der Polizeier schweigen werde, dessen war es sicher, hätte er doch durch Plaudern sich selbsten am meisten gefährdet.

Benz konnte seine Unterredung mit Hans nicht vergessen, sie bemühte ihn sehr. Er sagte Lisi: »Erst jetzt sehe ich, daß mit Hans es nicht gut kömmt. Er ist angesteckt von der neuen Lehr, nach welcher jeder machen kann, was ihn gut dünkt, und kein Glauben mehr dabei ist. Ich hätte es nicht gedacht, daß es mit Hans so sei, aber was ist? Er wird meinen, das sei gescheit, und er müsse so gescheit sein als die andern, der Regierer und der Präsident. Aber auf den Glauben sind unsere Häuser gebaut, drum war in den Häusern der Segen. Nimmt man den Glauben weg, geht der Segen weg, dann kann man sehen, wie es kömmt. Wenn man sich achtet des Weltlaufes, so sieht man erst, was die sogenannten besten Häuser, welche in Ansehen und Wohlstand sind, macht und ihnen Bestand gibt: es ist Frömmigkeit, Ehrlichkeit, gute Zucht und Liebe untereinander. Solange die in einem Hause sind, muß es bös sein, wenn dasselbe z'nüte gehen soll; oder wenn schon Unglück kömmt, z'Bode macht dasselbe es nicht, es geht wie bei Hiob. Geht aber das alles aus dem Hause, kehrt Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens ein, geben die Eltern böses Beispiel, verlieren die Kinder den Respekt, dann hat's gefehlt, das Haus kömmt in Abgang, die Familie sinkt bis ins Elend. Das geht bei hochadeligen Häusern so und bei uns Bauern, denn Gottes Gesetze sind die gleichen für Große und Kleine, und was Gott sagt, giltst überall und immerdar, und wer wegen der Vornehmheit meint, ihn gehe es nicht mehr an, so was sei nur fürs gemeine Volk, der erfährt's, ehe es lange geht, was Vornehmheit ist ohne Gott und ohne Gottesfurcht. Das hat schon mancher König erfahren, wie weit er kömmt ohne Gott und wie es geht, wenn er dem Volke vorangeht in schlechtem Wandel, denn was dem Volk vor Gott verboten ist, das ist auch dem König verboten. ›Du sollst nicht ehebrechen‹ heißt es für den König so gut wie für den Tagelöhner, einer ist ein armer Sünder wie der andere und werden nur aus Gnaden selig um der Genugtuung Christi willen. Auf diesem Boden ist die wahre Gleichheit, und da hören die Vorrechte auf. Es ist aber lätz und trurig, daß die Herren, wo witzig sein sollten, das nicht so fassen und nicht merken, daß die meisten, welche aufs Land hinauskommen, um Ämter zu verwalten, keinen Glauben haben und so viele ein Leben führen, daß man sieht, sie halten nicht viel auf Gott und dem ewigen Leben. Sie graben sich selbst den Untergang, aber das Volk wird damit verderbt; die Dummen meinen, was so ein Herr sage, sei recht und schön, machen die Affen, wie Hans jetzt auch, und sehen nicht, wohin das führt. Es ist ein Unglück fürs Land, denn andere machen es wieder Hanse nach und so weiter, und so geht es, bis alle angesteckt sind bis zu unterst, du wirst es sehen. Als Israel mit den Töchtern der Moabiter zu huren anfing, welche das Volk Israel einluden zu den Schlachtopfern ihres Gottes, und das Volk aß und der Moabiter Gott anbetete, da ward des Herrn Zorn entzündet über Israel, und er sprach zu Moses: ›Nimm alle Obersten des Volkes und henke sie dem Herrn an die Sonne, auf daß der grimme Zorn des Herrn abgewendet werde von Israel!‹ Der liebe Gott ließ nicht umsonst für den Abfall des Volkes die Obersten strafen, er wird wohl gewußt haben, warum, wem die Töchter der Moabiter am besten gefielen und wer dem Volke voranging mit dem Beispiel.«

So sprach Benz, der Bauer auf der Ankenballe. Er war nicht gebildet, er war nicht aufgeklärt auf die neue Mode, sondern auf die alte, das heißt, er war bibelfest, kannte die Bibel, glaubte an die Bibel, sah mit den Augen der Bibel, wertete die Dinge nach dem Maßstabe der Bibel, hatte nebenbei Bücher gelesen und auch wiedergelesen, und weit und breit galt kein Mann für so klug und erfahren in allen guten Dingen als Benz. Selbst der Regierer gab ihm das Zeugnis, er sei ein gescheiter Bauer und möge ein braver Mann sein, nur sei eben schade, daß ihm doch die eigentliche Bildung fehle und von der rechten Aufklärung keine Spur an ihm zu finden sei; in Glaubenssachen sei er dumm wie ein Kind, er hätte es gar nicht geglaubt.


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