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Sechzehntes Kapitel

Lisi haushaltet im Hunghafen und Gritli wird begraben zu Küchliwyl

Schlafen konnte Lisi nicht, es mußte immer denken: »Jetzt holt der Herr sein wiedergefundenes Kind, jetzt kömmt Botschaft, es sei überstanden.« Und ob Lisi daran dachte, Gritli bringe sie selbst, es habe ja gesagt, sobald es könne, komme es hinauf, wissen wir nicht, aber sehr möglich wäre es. Vor Sonnenaufgang schon stund Lisi vor dem Hause, und alsbald war der junge Benz vor ihm mit verweinten Augen im betrübten Gesicht. Die Mutter sei gestorben, sagte er und schluchzte laut, und nur mit Unterbrechungen konnte er erzählen, wie freundlich sie gewesen, daß es alle z'brieggen getan, auch den Vater, nur den Bruder nicht; der habe alsbald die Türe in die Hand genommen und habe gesagt, er liebe das Pläre nicht. Aber man könne es ihm nicht übelnehmen, er sei trunken gewesen, es werde ihm schon noch anders kommen. Man habe die Mutter manchmal zu Bette bringen wollen, aber sie habe gesagt, es sei ihr so wohl, besser nützte nichts, da wollten sie doch noch beisammensein, es sei ja seit so langem das erstemal, und so solle es fürder sein, und während sie so sprach, wie es gehen müsse künftig, aber leiser und immer leiser, blieb unvermerkt der Atem aus; sie neigte das Haupt, als ob sie schlafen wollte, tat einige Male den Mund auf, und als wir hinzusprangen, war sie tot, ausgegangen wie ein Licht.

»Ich muß mich verexgüsieren, daß ich so früh komme, aber der Vater hieß mich, und Ihr sollet hinunterkommen so geschwind als möglich, es wäre ihm grusam anständig. Weibervolk haben wir keins im Hause, dem man etwas anvertrauen darf; von den Verwandten seid ihr die nächsten, und es gibt gar grusam viel zu laufen und B'scheid zu geben, daß man nicht weiß, wo wehren.« »Es ist mir z'wider«, sagte Lisi, »aber weil mich der Vater begehrt, so sage ich es nicht ab; wenn wir das Alte nicht hervorziehen, so denke ich, haben wir wohl im Frieden Platz in einem Hause.« »Ja, Base, kommt, ich halte Euch auch grusam an, b'sunderbar wegem Bruder; der scheut Euch und nimmt sich in acht, sonst tut er, daß wir uns zeitlebens schämen müssen.« »Zweifle«, sagte Lisi, »der ist von einer Sorte, welche sich vor nichts in acht nimmt, weder vor Lebendigen noch vor Toten. Aber komm herein, mußt was Warmes haben; komm dann gleich mit, wenn Benz nichts dawider hat!« Benz sträubte sich, doch nicht unwiderstehlich, ging endlich in die allgemeine Stube, wohin er den Weg wohl kannte.

Es war Haussitte auf der Ankenballe, daß, wenn es lebendig wurde im Hause, alsbald alles sich rührte, man nicht von einem Bett zum andern mußte, es nicht ging, wie es im Schneiderlied heißt: »Da kam die Frau Meisterin und zog uns by de Bene!« In kurzer Zeit war ohne Frau Meisterin alles auf den Beinen, und jeder marschierte dem Orte zu, wo er hingehörte. Gretli hatte in selber Nacht nicht viel geschlafen; wenn es einschlafen wollte, war es ihm immer, als zupfe ihm jemand am Dackbette und wolle sich ihm künden. Als es gegen Morgen einschlief, weckten ihns die ersten Worte, welche vor dem Hause gesprochen wurden. Rasch sprang es aus den Federn; wo der Oberst ist, muß auch sein Adjutant sein, und wenn eine Säumnis stattfand, wurde sie an Gretli gescholten, zum Exempel für die andern. Es hörte Nachricht und Abrede an seinem Fensterchen, lang säumte die Toilette nicht; es wußte ohne weiteres Kommando, was ihm oblag. Im Umsehen spretzelte das Feuer in der Küche, Wasser ward übergestellt, Milch aus dem Keller geholt, zum Sieden in die große Pfanne ebenfalls aufs Feuer gesetzt, alles fast in einem Atemzuge.

Derweilen war auch die Meisterjumpfere nachgekommen, stund an ihren Platz, und erst jetzt ging Gretli in die Stube und traf Benz, die Arme auf den Tisch gestützt, den Kopf in die Hände gelegt, schmerzlich weinend. Dieses Weinen war wundertätig, aller Groll aus Gretlis Herzen war weg; es längte Benz die Hand, sagte: »So, ist sie gestorben, die gute Gotte, wann und wie, mußte sie etwa noch leiden?« Nun erzählte Benz erst mühsam aus dem Weinen heraus, wie es gegangen und wie es ihm das Herz zerreiße, daß sie jetzt draus hätte müssen, wo es sich zum Bessern angelassen, und wie er nicht begreife, wie das jetzt gehen solle. Solange die Mutter gelebt, sei doch immer noch jemand dagewesen, der d'Sach zusammengehalten; jetzt gattere dann alles auseinander, man werde es schon erfahren. Daß diesen Jammer Gretli nicht unterbrach, sondern mitjammerte, ist begreiflich, das tat aber jemand anders. »Meitschi, können wir bald essen?« frug Lisi aus dem Stübli heraus. Wohl, da kriegte Gretli wieder Beine, ohne werweisen und noch dies und das hören wollen, war es verschwunden, und als die Mutter zum Gehen bereit war, war auch das Essen da; wo Lisi mal was angriff, da ging es vorwärts, und alle mußten mit, sie mochten wollen oder nicht.

»So lebet wohl«, sagte es, »habt Sorg zueinander, und wenn ich abends um acht Uhr nicht da bin, so schickt mir entgegen!« Der junge Benz meinte, sie solle unten bleiben, man hätte darauf gerechnet, aber Lisi blieb bei seinem Wort. Was ich des Tags helfen kann, will ich gerne tun, aber nachts will ich daheim sein. Es mag geben, was es will, so bin ich dann daheim und will in meinem Bette schlafen. Hab es letzthin erfahren, wie das Schlafen in fremden Betten ist, wo man des Morgens müder aufsteht, als man des Abends niedergegangen.«

Lisi hätte gerne die Sache von der Hand gewiesen, aber es würdigte das Vertrauen vom Amtsrichter, der ihm dadurch Gelegenheit gab, einen Blick in die Tiefen des Hauswesens zu tun; es betrachtete es als die erste Frucht des vergangenen Tages.

Es gibt viel zu sinnen und zu denken, wenn ein Glied einer bedeutenden Familie gestorben ist, besonders, daß ja niemand vergessen werde, ans Leichenbegleit zu laden, kein Verwandter bis in das siebenundsiebenzigste Glied, niemand, in dessen Familie man auch z'Lycht gewesen, kein Pate, so weit dieselben zu erreichen sind, kein Arbeiter des Hauses, kein G'husmann, kein Armer oder, je nach der Sitte, kein Bewohner des Dorfes. Durch eigene Boten wird stundenweit Bescheid gemacht, denn den Briefen traut man in so wichtigen Fällen nicht die gehörige Sicherheit zu und die gehörige Pünktlichkeit, und so ganz unrecht hat man nicht, und zwar auch seit die Post eidgenössisch ist. Hans war in der Verwandtschaft nicht sonders bewandert, das heißt, er war es früher, aber seit das politische Leben über ihn gekommen und die politischen Verhältnisse ihn gefesselt, war das Familienleben ihm in den Hintergrund getreten und die Familienverbindungen aus den Augen und somit auch aus dem Gedächtnis gekommen. Daher mußte in dieser Anordnung Lisi ihm vielfach aushelfen; beide Söhne waren nichts in diesem Punkt, besonders Hans nicht. Er futiere sich um die Verwandten und sehe sie am liebsten gar nicht, müsse er sie aber sehen, am liebsten von der hintern Seite, pflegte er zu sagen.

Dann mußte den herbeifliegenden Armen Bescheid gegeben werden, welche eine reiche Leiche weiter wittern als die Geier in Amerika einen gefallenen Hirschen, die hier und dort wirklich so gierig kommen, daß, wenn man sie machen ließe, sie der Leiche das Leintuch vom Leibe rissen, in das sie eingenäht worden. Nun sucht man sie freilich bis nach der Leiche zu vertädigen, aber man kann es nicht, sie lassen nicht ab; sie sagen in aller Unverschämtheit, sie kämen weither und hätten nicht Zeit wiederzukommen. Konnte man nichts von Kleidern geben, fand man sich mit einer andern Gabe ab. Das überließ Hans nun nicht gerne den Mägden von wegen den unsichern Fingern, und die Söhne hatten vom Wert und Zustand der Dinge keinen Verstand.

Lisi sah erstlich alsbald mit kundigem Auge, daß sie eigentlich kein Gesinde hatten, sondern ein bloßes Gesindel, unzuverlässige Menschen, die nirgends Wurzel schlugen. Es ist sehr merkwürdig, wie zuverlässige Menschen ein Haus verlassen, das unzuverlässig wird, zu wanken anfängt, von einem flüchtigen Luftgeist besessen wird. Es wird ihnen unheimlich darin, graulicht, sie laufen draus, und das flüchtige Gesindel zieht ein, wie an einen faulenden Baum außen die Spechte klopfen und inwendig die Würmer sich lustig machen. Die Mägde waren von dem luftigen Zeug, welches sich ringsum höchstens alle drei Jahre einmal wäscht, dagegen alle Nächte die Haare knebelt, daß sie kraus werden, oder wenigstens einige Graswürmer über die Stirne niederzappeln läßt, das es im Sommer zu anderhalb Strümpfen bringt, im Winter zu einem mehr, dagegen einige Mäntelchen aufpflanzet, daß man meint, was drunter wäre, und eine schöne Nadel dreinsteckt, einige unbezahlte Fürtücher glitzern läßt, durchsichtige Pantöffelchen oder schöne Tuchschuhe stundenweit durch Kot und Schnee zum Tanzen zaagget und bei jedem Krämerladen hintenum geht aus Furcht, schuldenhalb angebrüllt zu werden, dagegen an jedem Jungen klebenbleibt wie Fliegen an jedem Unflat und nach einigen Jahren strub wie Kuderbälli im Bettel läuft.

Die Knechte waren von ähnlicher Sorte. Die soliden wollten von dem jungen Hans sich nicht kujonieren lassen; der meinte, je strenger man ändere, dest besser fahre man, denn da habe man immer neue Besen, welche bekanntlich am besten seien, und füruse komme man ja nicht mehr; jage man um Mittag einen fort, so stellten bis am Abend ein Dutzend neue sich ein. Das sei gerade wie mit den Pföstlein: werde eines ausgeschrieben, so hätten am folgenden Tag bereits neunundneunzig Hungerleider sich dafür gemeldet. Hans begriff nicht, welches Kompliment er damit den obschwebenden Zuständen machte. Wenn sich diese Knechte am Sonntag zeigen wollten, mußten sie in jeder Woche waschen lassen, und wenn sie den Wascherlohn zahlen sollten, so mußten sie dem Meister oder der Meisterfrau nachspringen, um die paar Batzen einzuziehen.

Lisi begriff, daß mit solchem Gesindel man nicht versorget ist; indessen glaubte es doch, wenn Hans wüßte, was allenthalben für eine Zuversicht sei, er hätte es kaum auf den Pfosten berufen und ihm alle Schlüssel übergeben. In Gritlis Privathaushalt, den Schränken, wo seine Kleider, seine Wäsche waren, da herrschte eine Ordnung, daß Lisi bei sich dachte: »Nein, so d'Sach z'weg z'däsele, wäre mir nicht in Sinn gekommen, wüßte auch nicht, wo Zeit dazu hernehmen.« Desto strüber sah es dafür aus in der übrigen Haushaltung und je weiter von Gritlis Stübli, desto strüber. Da war's an manchem Orte wirklich, als ob es der Teufel mit Purzeln gewonnen hätte. Wie die Mägde die Bärte liebten, konnte man daraus abnehmen, wie sie dieselben pflanzten und wachsen ließen, wo sie nur konnten: in den ehernen Häfen in der Küche, in Ankenhäfen im Keller, im Spycher an allem, was bärtig werden konnte, und was keinen Bart kriegen konnte, war sonst lebig. Im Keller namentlich sah es aus, daß es Lisi fast übel ward und es sich kaum enthalten konnte, eine allgemeine Ausputzeten vorzunehmen, denn so dabeizusein, liebte es nicht. Indessen es nahm sie zusammen und wünschte bloß, daß in den ehernen Häfen gebartet würde, von wegen man werde viel kochen müssen, und die meisten Leute liebten die Sachen apart und gesondert, Bärte besonders und Sauerkraut besonders, Fleisch besonders und alte Räume besonders, es sei so kommoder, von dem zu nehmen, was man liebe.

Das war abermals wohl stark von Lisi geredet, es fühlte es selbst, aber sollte es einmal da einstehen, so hatte es auch die Ehre des Hauses zu wahren, und, sagte es, wenn es so alte Hauskäse gewesen wären, welche von Adam her im Hause gewesen, es hätte sich gehütet, so was zu sagen, sondern die Sache lieber selbst gemacht. Aber mit solchem Zeug müsse man reden, daß es es verstehe; wenn man einem Rhinozeros durchs Leder schießen wolle, müsse man auch ganz anders Pulvers brauchen, als wenn es nur einem Reh oder Schnepf gelte. Man kann sich denken, daß die Mägde mörderliche Gesichter machten, aber Lisi hatte etwas an sich, das, wenn es alle Regenten an sich trügen, manche Revolution unmöglich gemacht hätte. Zudem trösteten sie sich, das währe nur einige Tage, dann sei die Zeit da, wo die Mäuse so recht nach Herzenslust tanzen könnten.

Das peinlichste für Lisi war das Vorweisen der Leiche. Fast jedes Tschudi oder Tschaaggeli, jede Tschiegge oder Schlarpe sagte: Wenn es nichts mache, möchte es die Frau gerne sehen, es nehme es wunder, ob sie geändert habe. Dann noch alle Bemerkungen abzutun, das Rühmen und das Sticheln, welches diesen Leuten entfuhr, war eine strenge Sache für Lisi. Es ist eine eigene Wut solcher Menschen, Tote zu sehen und ihre Bemerkungen über sie auszulassen. Kein Gedanke, wie bald auch sie so daliegen werden, des Grabes harrend, und welch Gericht dann über sie ergehen werde, kömmt über sie.

Gritli hatte sich im Tode verklärt, nichts Grämliches, Gedrücktes war mehr in seinem Gesichte. Der Friede Gottes lag auf demselben, es war, als ob der ein wenig geöffnete Mund erzählen wolle von der Herrlichkeit, welche es jetzt von Angesicht zu Angesicht sehe. Wenn Lisi einen ruhigen Augenblick hatte, dann wohl, dann zog es ihns ins Stübchen. Mit leisem Schritte, als ob es eine Schlafende nicht wecken wollte, trat es zum Bette, hob das Tüchlein vom Gesichte und schaute es an mit liebendem Blick, konnte lange dastehen, voll Andacht ward sein Herz, und heilige Gedanken schwebten durch seine Seele über das jetzige Leben, über das ewige Leben, wie trüb das erste werden könne, wenn die Erde das Auge des Menschen getrübt, wie glücklich der sei, der das eine, das not tut, ergriffen noch zu rechter Zeit, und wie selig in der Ruhe das Gemüt sein müsse, das manches Jahr auf den Wellen gereizter Empfindungen unstet und ruhelos umhergetrieben wurde auf dem Meer des Lebens.

Ruhe, ein Wort von wunderbarem Klang, welchen aber nur der recht empfindet, der müde gewesen ist bis ins Mark hinein! Wie selig schläft der Schiffer auf sicherm Strande, wenn er, von wildem Sturme auf weitem Meere manchen Tag herumgetrieben, endlich in Todesmüdigkeit festes Land erreicht! Wie selig sitzt an flackerndem Feuer der Wanderer, der in hohem Schnee und harter Kälte lange, lange gewandert, in dessen Auge bereits der Schlaf des Todes saß, wenn er endlich am späten Abend ein wirtlich Obdach erreicht! Aber weit seliger ist, der, von den Strudeln des Gemütes gepeinigt, von den Wirbelwinden der Welt getrieben, von beiden befreit, zum Frieden im Gemüte auf sichern Lebenspfad gekommen, sich errungen hat den Frieden Gottes, vergleichbar dem klaren Sternenhimmel, in dem keine Winde der Welt wehen, der das Höchste auf Erden ist, darum billig auch Vorgeschmack der Seligkeit genannt wird; die Welt gibt ihn nicht, er ist die höchste Gabe aus der höchsten Hand. Wie unendlich seliger noch muß der sein, der wirklich ruht in Gott, in klarem, festem Wandel vor Gottes Angesicht Göttliches schafft, wie in klarem, festem Wandel um die Sonne die Planeten kreisen! Wenn Lisi so mit gefalteten Händen in sinnender Andacht die Hülle betrachtete, die ihm von seinem Gritli geblieben war noch für einige Stunden, so dachte es auch an das wunderbare Rätsel unseres Lebens, die unerforschte Verbindung von Leib und Seele und die ebenso unerforschliche Trennung, den Tod, und an den geschiedenen Teil, die Seele, an sein eigen Leben, seinen Tod, an den Augenblick, wo die entbundene Seele frei wird von den Schranken des Leibes, wie es ihr da sein werde: ob Bewußtlosigkeit erfolge oder ein neues Erwachen, andere Augen aufflammten, wenn die Leibesaugen im Tode brechen, und diese Augen weilten über dem Leichenhause, über den sogenannten Traurenden, die da trauren sollten, die Lebendigen begleiteten durchs Leben, die Lebendigen empfingen, wenn der Tod auch sie bringt ins Reich der Geister. So konnte Lisi sinnen und staunen, wenn es ruhige Augenblicke hatte, hörte Rufen nicht, fuhr erst hoch empor, wenn der vergeblich Rufende, seiner Stimme nachgekommen, vor ihm stund.

Es hatte geglaubt, wenn es den ersten Tag da unten sei und dann am Begräbnistage, so sei es genug. Aber als es am zweiten Morgen wiederkam, eigentlich nur um zu sehen, ob es wieder gehen könnte, sah es, daß es bleiben müßte. Da war nichts getan, was befohlen worden, da war ein Gekehr schon wieder, daß es ein Erbarmen war. Hier lag ein Hudel, dort ein Hemd, der Mist war nicht verlegt, die Schöpfe nicht gekehrt, in der Hofstatt stund hier eine Bänne, dort eine B'schüttbücke, in den Gartenwegen lagen Krautblätter und Abzeug usw. Lisi sah, daß immer ein Auge wach sein müsse und wegschaffen lasse fort und fort, dieweil es am Begräbnistage viel zu spät wäre. Vater Hans hatte sehr viel zu tun und das rechte Auge nicht mehr dazu. Sohn Hans kümmerte sich um nichts, nur Benz legte hier und dort Hand an ums Haus herum, aber im Hause wußte er sich nichts zu tun. Lisi wußte aber gar wohl, wie genau die Inspektion eines solchen Hauses ist, besonders am Begräbnistage, unendlich genauer als eine eidgenössische Militärinspektion, da macht jedes Kudermannli die berühmtesten Obersten zuschanden. Da trappen die des Leichengebetes Harrenden rings ums Haus herum und notieren sich jeden Fetzen, der am unrechten Orte liegt, jedes Hemd, jeden Strumpf, jedes Paar alte Hosen, welche sichtbar werden, sei es an einer Ofen- oder an irgendeiner andern Stange. Der ganze Haushalt mahnte Lisi an eine Uhr, die läuft, solange man sie in der Hand hält und schüttelt, aber alsbald stillesteht, sobald man sie ablegt; da geht dann freilich das Haushalten mühselig, und buchstäblich im Schweiße ihres Angesichts muß die Hausfrau ihr Brot essen.

Endlich war der Begräbnistag da. Lisi betete am Morgen inbrünstig, Gott möchte den Stunden Flügel geben, damit er bald vorüber sei, möge verhüten jedes Ärgernis, damit man ihn in freundlichem Andenken behalte und seiner sich nicht schämen müsse, sooft er einem ins Gedächtnis käme. Zwischen eilf und zwölf Uhr wurde begraben in Küchliwyl. Nach zehn Uhr mußte daher das übliche Leichengebet oder vielmehr Leichenrede im Hause angefangen werden, da man mit einer Leiche nahe an einer Stunde bis zum Kirchhofe zu gehen hatte. Früher schon kamen nach und nach Leute, die meisten wollten die Tote noch sehen, und nach der Leichenrede wurde noch expreß verkündet: wenn noch jemand die Selige sehen wolle, so solle er kommen, nachher werde man den Sarg vermachen. Es ist diese Sitte von doppelter Bedeutung: erstlich eine öffentliche Totenschau, zweitens ein Abschiednehmen vom Toten auf das Wiedersehen im ewigen Leben, wobei ältere Leute noch oft stille für sich ein Gebet oder einen Spruch hersagen.

Von allen Weltgegenden fast strömten über hundert Personen zusammen. An solchen Tagen kann man Heerschau halten über die Verwandtschaften, ob sie sich mehren oder mindern, über die Bekanntschaften, in welchen Regionen der Gesellschaft sie sich befinden. Die Leichenrede war anständig im ganzen, nur merkte man, daß der Redner ein Gesinnungsgenosse des Amtsrichters war, denn er beschäftigte sich rühmend fast mehr mit diesem als mit der Toten. Die Weiber gingen, weil ein Weib begraben wurde, an der Spitze des langen Zuges. Es war eine stattliche Schar meist älterer, äußerst ehrbar angezogener Weiber, selbst die Armen waren es. Ein Fremder hätte kaum glauben wollen, daß unter ihnen solche wären, welche betteln gingen oder durch die Gemeinde erhalten wurden. Der Zug der Männer war bunter gemischt; die neuen Sitten, die neuen Menschen wurden in demselben weit mehr sichtbar, es ging viel lebendiger zu, man hätte wenigen angesehen, daß sie an einem Trauerzuge seien.

Besonders zwei Männer machten sich merkbar durch ihr rücksichtloses Wesen; beide waren groß, waren daher desto sichtbarer, das waren die neuen Majestäten in Hanse Bezirk, der neue Regierer und der neue Präsident. Schnauz hatte weder der eine noch der andere, nicht daß es wenigstens dem einen an Willen dazu gefehlt, denn es geht von ihm die Rede, er habe sich alle Tage dreimal mit Seife gewaschen, alle Mittel versucht, einen Schnauz zu pflanzen, aber Hopfen und Malz sei verloren gewesen, eher wäre Hühnerdarm ganze Buschelen in seinem Gesichte gewachsen als ein Schnäuzchen auch noch so klein. Sie gehörten begreiflich der gleichen Partei an wie die frühern, waren jedoch von ganz anderm Holze. Keiner von ihnen war nur halb so gescheut wie der frühere Regieriger; der eine von ihnen war durchaus ungebildet und kenntnislos, die meisten Landjäger hätten mehr gewußt als er, daher auch jeder, der ihm entweder schmeichelte oder den er fürchten mußte, mit ihm machen konnte, was er wollte. Recht hin, Recht her! Beide waren äußerst gemeine Seelen, aber beide sehr übermütig oder hochmütig; bei dem einen stach jedoch mehr der Hochmut, bei dem andern die Eitelkeit vor. Der eine war reich, aber ob er es bleiben wird, wird zweifelhaft, der andere will reich werden, aber ob er es werden wird, weiß eben auch noch niemand. Beide liebten Speise und Trank und noch etwas, das man nicht nennen mag; der eine zahlte Wein, wenn es ihn ankam, bis jeder seine beste Kuh für einen Batzen gegeben hätte, der andere fand das Schmarotzen wohlfeiler und rationeller. Dem einen war der gemeinste Kerl recht, um ihm die Zeit verbrauchen zu helfen, ja zehnmal lieber als ein Hochmögender, vor dem er sich genieren müßte; der andere sah seinen Obern nicht an, wenn er einem noch Höhern am Zipfel hängen konnte. Dem einen machte es keine Regierung recht, es war keine, welche er schließlich nicht mit Herd z'Dreck verschießen wollte; dem andern war jede Regierung recht, bei der er Aussichten hatte und einstweilen bis an Bauch im Hafer stehen konnte. Beide konnten sehr hochfahrend tun, »vom Himmel hoch da komm ich her«; dem einen kam es aus einer aristokratischen oder despotischen Natur von Haus aus, dem andern aber stund dieses Wesen an wie einem Bedienten, der ung'sinnet zum Befehlen kömmt. Christlich waren beide nicht die Spur, aber der eine haßte Gott, weil er mehr sein wollte als alle andern und alleine befehlen. Um Gott zu plagen und ihm zu zeigen, daß auch noch jemand auf der Welt sei, der sich nicht kujonieren lasse, und zwar der Kührot, der Bauer auf Kalberochtigen, hielt er's mit dem Teufel und hätte gerne in dem Bunde mit diesem auch hier den Spruch angewandt, den er gegen alle Regierungen gebrauchte. Der andere gehörte unter die Neuungläubigen, welche, während sie so ungemessen und höhnisch alle Gläubigen verachten, dennoch in wirklich wunderbarer, unbeschreiblicher Demut dafür halten, wenn sie einmal gestorben seien, taugten sie wirklich zu nichts anderem, als erst von den Würmern gefressen, dann durch ihre Vermittlung zu D... zu werden. Das wird die Erhebung des Menschengeschlechtes auf seinen rechten Standpunkt bedeuten sollen, eine Errungenschaft der gegenwärtigen Generation, ein Grundrecht, welches die Nachwelt den Frankfurter und andern Professoren zu verdanken hat.

Diese beiden machten sich sehr bemerkbar. Der eine verwarf die Hände, der andere manövrierte mit dem Rücken, so daß hinten und vornen Komödie war, aber kein Schatten, daß man an der Bedeutung des Tages den allergeringsten Anteil nähme. Sie liefen wie zwei Fürsten unter ihrer Suite, welche aus Amtsrichtern, Suppleanten, Weibeln und vielleicht auch einigen Leutnants oder Hauptleuten bestund, plauderten und räsonierten, ungefähr wie wenn sie aus dem Amtsgericht nach dem Wirtshause steuerten oder von einem Augenschein kämen. Lisi hatte großen Ärger daran. Es fehlte nichts, sagte es zu seinem Gretli, als daß sie noch zu rauchen anfingen und mit Zigarren und Pfeifen bis in die Kirche kämen, wie es an einigen Orten der Brauch sein solle, daß man in den Kirchen tubake, daß es stinke darin ärger als in der schlechtesten Pinte. Ja, sagte eine alte Frau, es werde wohl noch dahin kommen, daß man darin wirte. He ja, sagte Lisi, möglich sei's, man wisse nicht mehr, was man noch erleben müsse.

Es war ein schöner Kirchhof, auf den Gritli zu ruhen kam, war auch gut gehalten, er sah nicht aus wie ein Hühnerhof oder eine verwahrloste Geißenweid. Man sah auf demselben manches kleine Denkmal, Rosensträuche, Trauerweiden, schwarze Stäbe mit Täfelchen oben, auf denen schöne Sprüche stunden, alles freundliche Zeichen eines liebevollen Gedenkens. Was sterblich und schwach war am Menschen, das ruht da unten im dunkeln Grabe, und jeden Groll und jedes Andenken an irgendeine Schwäche gibt der zum Grabe den Toten Geleitende mit ins Grab, daß es da unten bleibe begraben für immerdar, so daß es ans Licht nimmer wiederkommen soll. Die Zeichen auf dem Grabe aber, seien sie aus Eisen, Holz oder Stein, sollen bedeuten, daß man nie vergessen wolle, was sie Liebes und Gutes getan, daß in Ehre und Ansehen bleiben solle auf Erden, was sie vom Ebenbilde Gottes hervortreten, leuchten ließen unter den Menschen, um deswillen sie geliebt waren und Segen brachten unter den Menschen; Zeichen des Göttlichen in einer Seele, welches als ein Samkorn in andern Seelen auferstehen und sich verbreiten soll in allen, welche den Begrabenen gekannt und geliebt. So sollten diese Zeichen auf dem Kirchhofe nichts anders sein als Denkmäler des Göttlichen, welches in einer Gemeinde zutage getreten, als eine unerschöpfliche Schatzkammer der Erben der Gestorbenen, wo sie sich den Samen holen können, der dreißig- und sechzig- und hundertfältig Frucht trägt, und zwar eine Frucht, die ins ewige Leben wächst, der christliche Blumengarten einer christlichen Gemeinde.

Nun, an dieses dachten die Majestäten kaum, blieben auch ziemlich weit vom Grabe stehn. Nahe dem Grabe zu stehn, ist für alle ein Greuel, die keine Hoffnung haben wie die Heiden, sondern bloß Durst und andere Lust. Hans, dem Vater, sagen wir es zum Ruhme nach, daß er von der plauderenden Gesellschaft sich ferne hielt und sein Auge nicht trocken blieb. Wahrscheinlich ging es ihm, wie es vielen andern geht: erst am Grabe denken sie an vieles, woran sie früher nicht gedacht, und denken, gar vieles würde nicht mehr geschehen und vieles anders gehen, wenn die vergangenen Tage wieder neu würden, und dann würde am Ende derselben das Gewissen ihnen leichter sein.

Sobald das Gebet in der Kirche zu Ende war, machte sich Lisi so unbemerkt als möglich davon, um bei Hause die Aufsicht zu halten über die Dienerschaft, welche zu Hause blieb und dort traktiert ward, während die Begräbnismahlzeit im Wirtshause ausgerichtet wurde. Mit den drei bedeutsamsten Ereignissen im Menschenleben, Taufe (Geburt), Hochzeit und Begräbnis (Tod), verbindet der Mensch, wenn er es irgend vermag, festliche Mahlzeiten. Dieser Sitte, welche in verschiedenen Ausübungen auf dem ganzen Erdboden verbreitet ist, schiebt man mancherlei Deutung unter, die am Ende alle darauf hinauslaufen, daß ein Instinkt es dem Menschen sagt, diese drei seien die wichtigsten Zeitpunkte in seinem Dasein auf Erden. Niedrig, aber christlich genommen feiert sie der Mensch auch darum mit Essen und Trinken, diesen naturgemäßen, notwendigen, ja gemeinen menschlichen Verrichtungen, als Probe, ob er wohl imstande sei, diese alltägliche Verrichtung christlich zu verrichten, zur Ehre Gottes zu essen und zu trinken, die Welt zu gebrauchen, als gebrauche man sie nicht. Wer das kann, der wurde in der Taufe recht geweiht, dessen Hochzeit war ein Kommen des Reiches Gottes, dessen Tod die Verklärung zum ewigen Leben. So nahm's aber das Gesinde im Hunghafen noch nicht, sondern umgekehrt, als ob Essen und Trinken das Reich Gottes wären. Lisi hatte ihnen reich gerüstet, um Gritlis willen hätte es es nicht anders getan, aber sie hatten Lisi nicht erwartet, verließen sich auf die Abgelegenheit des Hauses, und wenn es sie nicht beim Tanzen antraf, so war nicht ihr Wille schuld daran, sondern Lisis guter Schritt und seine offene Hand, mit denen es Essen und Trinken gerüstet, womit sie noch nicht fertig waren.

Das Leichenmahl im Wirtshaus war nicht knapp zugeschnitten, sondern, wenn nicht dem Gelde, so doch dem Rufe des Hauses angemessen. Auch der Wein war gut, wenigstens sagten es die Herren. Ob über alle Tische weg die nämliche Sorte zu finden gewesen wäre, wissen wir nicht. Gedämpft wälzten sich Gespräche über alle Tische weg, laut knatterten die Worte am Herrentische. Hier war alsbald der sogenannte Zellerhandel auf dem Tapet und ward in zwei Abteilungen verhandelt. Die beiden Majestäten gaben Bericht über Stand und Natur des Handels. Der gewaltigere Herr schlug auf den Tisch und sagte, sie sollten es nur probieren, die Pfaffen und Aristokraten, die wolle er ringgeln, daß sie nach Gott schreien lernten. Es sei ihnen um die Religion sowenig zu tun als einer Kuh ums Tanzen, es sei nichts, als um die Regierung zu verdächtigen, ihr den Boden unter den Füßen wegzunehmen, dann zu revoluzen, die tusigs Donnere! »Wollen es machen wie die Zürcher im Straußenhandel«, sagte der andere, der Geschichtskundigere (denn wir zweifeln daran, ob der erstere etwas Näheres darum wußte, denn es war bald zehn Jahre seit jenem Handel, und so verflucht wyt hingere ging dessen Geschichtskenntnis kaum). »D'Zürcher putschten, ein Pfaff rief: ›Schüßit i Gotts Name!‹ Der hat sich seither gehenkt zum Zeichen, wie es ihm um die Religion war, und die Putschregierung ist längst zum Teufel gefahren. Jetzt wollen Patrizier und Pfaffen hier nachfahren, die Kühe. Aber Berner sind nicht Zürcher, Berner sind gescheiter, haben die feinere Nase. Hier sollen sie mit Glanz abfahren, die Reaktionäre; wen wir in die Finger kriegen, den wollen wir ringgeln, daß dem das Aufbegehren eine gute Weile vergeht.« Der erstere erzählte, was er für Maßregeln gegen die Pfaffen getroffen. Wenn einer mit einem Wörtchen nebenaus trappe, so hätte er ihn, und dann gnade Gott ihm! Er führte die Geistlichen namentlich auf, teilte Lob und Schimpf aus, klagte besonders über einen, das sei der verfluchtest von allen, aber mit dem H... könne er nichts machen, der sei wie ein alter Fuchs mit keiner Beize zu fangen. Wenn man sie nur mal hätte, strafen wolle man sie dann schon, bis ihnen das Liegen weh täte. Die müßten es doch früher oder später erfahren, was sie zur Sache zu sagen hätten und daß alles sie nicht einen Teufel angehe. Er erzählte, wie schrecklich geweibelt und getrieben würde, allem aufgeboten, daß es den Leuten die Haare zu Berge gestellt hätte, wenn er nicht die bestimmteste Versicherung gegeben, daneben sei d'Sach nichts; wenn die Regierig ihn machen lasse, so wolle er das ganze Pack mit Herd z'D... verschießen.

Unterdessen war manche Maß gewandert, flüssig waren die Gedanken geworden und ergossen sich über die Zunge zum Tor hinaus, man wußte nicht wie. Der gelehrtere der Herren sagte, auf höherer Kulturstufe angelangt, offen, er billige die Maßregel der Regierung mit diesem Professor nicht, sie sei viel zu doktrinär und langschwänzig, damit habe sie viel Lärm um nichts gemacht. Für die neue Zeit sei das Institut der Pfaffen längst veraltet, die solle man aussterben lassen bis an einen, um ihn später den Kindern zeigen zu können, damit die doch auch wüßten, wie die Pfaffen gewesen. Während das geschehe, müsse man für die Neuzeit Neues pflanzen, dem Zeitgeiste angepaßt: die Lehrer müßten herangebildet werden, daß sie das Lehramt allein übernehmen könnten, der Lehrerstand müsse an die Stelle des Priesterstandes geschoben werden. Da die Kirche sage, sie sei die Mutter der Schule, so sei also die Schule auch die natürliche Erbin der Kirche, ihres Ansehens und ihres Vermögens, und wie die Tochter nicht in den Kleidern der Mutter einhergehe, sondern zeitgemäß lebe, so werfe die Schule auch weg das Veraltete, was zum Zeitgeist sowenig passe als eine Faust auf das Auge. Nun sei die Hochschule bereits so eingerichtet, daß sie an Juristen und Ärzten einen tüchtigen Sauerteig zur neuen Bildung ins Volksleben liefere. Lasse man nun noch die Schullehrer bilden durch Männer, welche in den Geist der Zeit eingeweiht seien und das Ziel genau im Auge hätten, gegen welches die Menschheit zuzusteuren habe oder zugesteuert werden müsse, sie möge wollen oder nicht, so habe man den neuen Bau aufgeführt und könne an einem schönen Morgen den alten Bau getrost abreißen; es krähe nicht nur kein Mensch mehr darnach, sondern man wundere sich allgemein, daß es nicht schon früher geschehen. Stelle man einen tüchtigen Seminardirektor an, der auf der Höhe der Zeit steht, sie in allen Richtungen übersieht, »so schneidet der euch bei einigem Talent nicht nur alle zwei bis drei Jahre hundert Zöglinge zu, die, da sie nichts anders wissen, als was er ihnen gesagt, in blindem Glauben ihn anbeten, sondern er zieht auch den übrigen Lehrerstand an sich und regiert ihn mit einem Allmacht-Zepter, ich will nicht sagen, wie der General der Jesuiten seine Jesuiten, aber wie der Papst seine Priester.« Jetzt solle man denken, wie ganz anders man mit einem solchen Seminardirektor wirke, der den ganzen Unterricht und die ganze Leitung des Schulwesens unter sich habe, als so mit einem miserabeln Professorlein, wo vielleicht nur drei Studenten unter sich habe, welche noch von drei andern Professoren unterrichtet werden und ganz anders. »So kuriert man nicht bloß homöopathisch, daß einer nach tausend Jahren endlich lebendig gen Himmel fahren wird, noch ehe er was erlebt hat. Richtet man auf diese Weise einen tüchtigen Lehrerstand ab und öffnet ihm alle Wege zum Einfluß auf das Volk, so kommt man zur wahren Freiheit. Reaktion und Patrizier werden überflüssig, und das ganze Volk geigt auf einer Saite und pfeift auf einem Loche.«

»Etwa den Schulmeistern nach?« fuhr die andere Majestät auf. Ehe er das täte, hülfe er sie lieber samt und sonders mit Herd z'D... verschießen. Von solchen Fötzeln und Habenichtsen lasse er sich nicht befehlen, da wolle er lieber die Tauner an die Regierung oder die Schneider als die Schulmeister. Und wer weiß, was er noch alles gesagt hätte, wenn der andere ihn nicht unterbrochen und gebeten hätte, ihn nicht falsch zu verstehen. Er meine ja nicht, daß sie regieren sollten an der Regierung übers Land, sondern daß sie den Kindern eine Lehr beizubringen hätten, daß man die Pfaffen nicht mehr brauche, die großen Löhn erspare und nicht mehr geplagt werde mit dem G'stürm vom ewigen Leben und mit scheelen Augen, wenn man ein Meitschi ansehe. Ja, sagte der andere, so ein Pfaff könnte ihm lange reden und lange ansehen, es sei ihm all eins; indessen sei ihm lange keiner zu nahe gekommen, und käme ihm einer, so würde er ihm sagen, er solle ihm blasen, wo er schön sei. »Aber der Hagel, wenn nicht mehr gepredigt wird dem gemeinen Volk von Stehlen, Morden usw., wer ist zuletzt sicher, und wo soll man mit Schelmen und Mördern hin?«

»Ja«, sagte der andere, »das Gröbste können die Schullehrer auch sagen, was die Regierung noch nötig glaubt und mit den bürgerlichen Gesetzen übereinstimmt, nur den Rest tut man ins G'rümpelg'mach.« »Ja«, sagte der erste, »d'Sach wäre wohl gut, aber gebt acht, wenn die das Predigen in die Finger bekommen, wie die die Nase aufheben und wie die uns den Marsch werden machen wollen! Dann ist's so: was dem einen wohl erlaubt ist, das ist nicht allen erlaubt, da ist ein Unterschied, und der soll und muß bleiben, und die wissen ja schon jetzt längs Stück keinen Unterschied zu machen zwischen ihrer March und des Nachbars March, daß ich schon manchmal gesagt, wenn das so komme, so hülf ich sie alle mit Herd z'D... verschießen.«

Da ward das Gespräch sehr laut, es gab zwei Parteien, und der Schulmeister mischte sich auch ein. Dem alten Hans war nicht wohl bei der Sache, er fühlte die Verletzung des Anstandes wohl, wußte jedoch nichts an der Sache zu machen. Er drehte sich von diesem Tische weg, ging herum, nachsehend, ob männiglich seine Sache hätte, versäumte sich bei diesem, bei jenem, setzte sich zu Verwandten seiner Frau selig und erzählte ihnen von den letzten Tagen derselben und namentlich vom letzten, daß sie ganz gerührt wurden und sagten: er müsse denn doch nicht ganz der sein, für den man ihn habe verbrüllen wollen; wenn es nicht immer gegangen, wie es hätte sollen, so werde der Fehler wohl an beiden Orten gewesen sein. So gelang es Hans, von dem gebildeten Teil der Gesellschaft sich fernzuhalten, und im Eifer des Geredes ward er nicht einmal vermißt.

Nachdem jeder seine Sache brav gemacht, so daß es ihm wohl machte, aber nicht darüber, begann hier und da jemand mit dem Aufbrechen. Wenn nicht lachende Erben sind, werden die Schranken der Bescheidenheit selten überschritten, wo aber lachende Erben sind, geht es oft auch strub genug zu.

In einem solchen Fall machte einmal ein Fraueli, hinter dem man es nicht gesucht hätte, einen lustigen Witz. Es war eine Witfrau ohne Kinder, welche ihren Mann begraben lassen und mit welcher man gerne einen Spaß machte und welche auch gehörige Blößen dazu gab, besonders durch ihren Geiz bei einem Vermögen von wenigstens fünfzigtausend Talern. Nun, bei dieser Gelegenheit dachten die Leute Schadens einzukommen und daran werde das verlachete Kuderfraueli wenig machen können. Man setzte sich also bequem z'weg, und ans Fortgehen dachte man nicht. Gegen vier Uhr machte sich das Fraueli unvermerkt an den Wirt: »Jakob, tue noch Wein auf den Tisch, wo er nötig ist, darauf mach mir den Konto!« »Ja«, sagte der Wirt, »d'Sach ist noch nicht aus, die Leute sagten noch nichts von Fortgehen.« »Das können sie machen, wie sie wollen; bis jetzt zahl ich alles, das ist meine Sache, was sie dann später brauchen, das ist ihre Sache, das können sie zahlen.« Der Wirt tat also, sagte natürlich den Gästen nichts davon, sonst hätten die sich des Fernern bedankt, wären abmarschiert, und er hätte nichts mehr gebraucht. Die Gäste zechten lustig fort, lachten über das Verschwinden des geizigen Frauelis, das meine, wenn es ablaufe, müssen die andern es ebenfalls tun. »Mer wei emel noh eini näh«, war ihr Wahlspruch. Als sie spät Feierabend machten und fortwollten, sagte der Wirt, es sei ihm leid, aber er müsse ihnen noch eine Ürte machen, die Witfrau habe abgeschafft für alles bis um vier Uhr, wo sie adie gemacht; was seither gebraucht worden, müßte er von ihnen fordern. Was das für Gesichter gab, man denke! Aber was machen als abschaffen? Sie fluchten über das Fraueli und mußten doch über dasselbe lachen und kriegten eine Art Respekt vor ihm. Das sei ein schlimm Hagels Fraueli, sagten sie, das wäre manchem Mann nicht in Sinn gekommen, und redeten später sowenig als möglich davon.

So ging es hier nicht. Hans war auch kein Fraueli, mit dem man glaubte machen zu können, was man wollte. Als einmal einer ging, folgten einige, dann riß es Haufen nach wie bei einem Erdrutsch, wo auch alles rutscht, bis alle gute Erde runter ist und das Gestein bloßliegt. So war bald alles leer bis an den Tisch, an welchem die Majestäten saßen samt dem Generalstabe oder, wenn man lieber will, die moderne Welt. Hier landete auch Papa Hans und fand eine lustige Gesellschaft. Der Streit, wer in einer Republik die Vornehmsten seien und am meisten zu bedeuten hätten, ob Schulmeister oder Bauren (um Schreiber hatte es sich diesmal nicht gehandelt, da zufällig keine Vertreter dieses Standes da waren), war versurret, wie, wissen wir nicht; jetzt waren mehr Personalien und lustige Geschichten auf dem Tapet, und Hans der Sohn – Benz war längst heim – nicht der letzte, der was Lustiges wußte.

Papa Hans machte gute Miene zum bösen Spiel, doch mehr nicht. Man konnte ihm wohl ansehen, daß ihm die Lustbarkeit nicht ganz am rechten Ort war. Im sogenannten politischen Gewissen, was kein ander Gefühl mehr hat als für die rechte Farbe, war Hans das Gefühl für die öffentliche Meinung über Anständigkeit nicht ganz untergegangen.

»Seh, Amtsrichter, nit so ein andächtig Gesicht!« sagte die groblächtere Majestät, »oder denkst schon der zweiten nach?« »Selb nit«, antwortete der Amtsrichter, »das wäre nur zu früh.« »Warum?« sagte der andere. »In ein so großes Wesen hinein ist eine Frau kommod, besonders wenn man oft nicht daheim ist. Oder willst es an den Jungen lassen, wäre vielleicht das best, das Alter hätte er, und du wärest auch besser z'weg, wenn du nicht einen neuen Kratten zu tragen hättest, ein neuer ist manchmal noch schwerer als ein alter, und Weibervolk ist genug in der Welt.« »Es ist, denk, auch Zeit, daß wir aufbrechen«, sagte die andere Majestät, welche bemerkte, daß die Hälfte des Restes aufstund und selbst der Wirt die Türe suchte, weil ihnen dieser Tubak doch wohl stark vorkam.

»Amtsrichter, wenn wäre es Euch recht, in der nächsten Woche mit mir zu kommen nach Schläbrige? Ich möchte dort an Ort und Stelle; Ihr seid dort bekannt und könnt mir die beste Auskunft geben«, frug der zweite. Es sei ihm jeder Tag recht, antwortete Hans. Vielleicht komme er auch mit, antwortete die andere Majestät. Er sei nicht bald in einem Wirtshaus lieber als dort, und er möchte gerne vernehmen, ob man dort dem Pfaff nichts anhängen könne. Er wisse, er habe Büchlein bekommen durch die Post, und gnad ihm Gott, wenn er ihm eins austeile oder gar an einer Petition helfe. »Ja, wege Büchlene, unser Schulmeister teilt auch aus und die Landjäger. Sind das von den gleichen?« »Warum nicht gar! Jenes sind Pfaffenbüchlein, für das Volk aufzuhetzen, die andere sind Regierigsbüchlein und klopfe den Pfaffen auf die Finger und stopfen ihnen das Maul.« »Aber warum verbietet man nicht gleich die Büchlein?« »He«, ward geantwortet, »erstlich ist's, wie's ist: d's Bücherverbiete het e Nase, und läßt die Regierung die frei, so kann sie um so ruhiger alle andern frei lassen, und wenn du es wissen willst, es ist die beste Fuchsefalle, und wer sie abtrappet, den hat's, bigryfst? D's G'richt kann dann mit den Personen schon machen, was ihns gut dünkt, bigryfst?« »Jä so«, ward geantwortet. »Es ist gut, daß man solche hat, welche die Fallen zu richten wissen; nur zugefahren, bis man sie alle hat, die schwarze D...!« »Ja, und die, welche man nicht bekömmt, mit Herd z'Dreck verschosse!« bemerkte die erste Majestät. »Adie wohl!«


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