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Siebenzehntes Kapitel

Wie die Begräbnis austönt

Als alle abgefahren waren, sagte Hans zum Wirt: »Mach dann doch den Konto! Morgen oder, wenn ich morgen nicht Zeit habe, übermorgen werde ich kommen und abschaffen.« »Pressiert nicht«, sagte der Wirt, »danebe will ich ihn machen, kannst dann immer kommen, wenn du willst, du findest ihn dann allweg gemacht.«

Es ist ein Ehrenpunkt, solche Rechnungen alsbald zu berichtigen. Es gibt einen häßlichen Flecken, wenn es heißt, der oder jener ist seine letzte Kindbetti oder die Gräbd seiner Frau noch schuldig, und so was bleibt nicht verschwiegen. Es wäre gut, es würde mancher sehr vornehme Herr an unsern Bauern ein Exempel nehmen und sein Ehrgefühl an dem ihrigen schärfen. Ein rechter Bauer weiß nicht, was Ehrenschulden sind, aber er hält es für eine Schande, wenn er einen Arbeiter oder Handwerker unbezahlt aus dem Haus läßt, wenn er überhaupt jemand auf Bezahlung warten läßt. So ein Bauer hat viel mehr Ehrgefühl als ein englischer Gesandter, heiße er Peel oder anders! Bloß der unglücklichen Periode in der Berner Geschichte von 1846 bis 1850 war es vorbehalten, den Bauer so auf die Tröckene zu bringen, daß viele kein Geld zum Zahlen hatten. Da zogen die meisten vor, nichts machen zu lassen, als wozu die Not sie zwang; dabei aber wurden die Handwerker ebenfalls nicht reich.

Das eben fiel Hans beim Heimgehen schwer aufs Gemüt: wie zahlen? Er hatte das Geld, die Gräbd zu zahlen, nicht im Hause. Er konnte Korn verkaufen, aber lieber wäre er schuldig geblieben als dies machen. Das wäre ja den Leuten in die Augen gefallen, allenthalben hätte es geheißen: »Denk, Hunghans hat Korn verkaufen müssen, um die Gräbd zu zahlen, der muß wohl uff sy! In dem Hause war sonst immer Geld für manche Gräbd.« Er dachte ans Leihen, aber wo? Bei seinen sogenannten Freunden? Er hatte Beispiele, daß die Höhern sehr gerne bei den Niederern leihen, die Herren Präsidenten gerne die Beisitzer auspumpen, selbst die konservativen, aber was hilft pumpen, wo kein Wasser ist? Bürgen, um Geld aus einer Staatskasse zu kriegen, hätte er zu Hunderten erhalten; denn je mehr Hudeln es gibt, desto leichter ist es, Bürgen zu kriegen bei einer Staatskasse, die ebenfalls am Verhudeln ist, da findet sich noch echtes Mitgefühl. Indessen es lohnte sich doch kaum der Mühe, wegen höchstens hundert Talern einen solchen Spektakel anzustellen. So kommod wie einer seiner Kollegen hatte er es nicht. Er war nicht Hüttenmeister bei einer Käserei, er konnte nicht zu dem Ankenhändler gehen und sagen: »Sami, weißt, wie unser Akkord lautet: ›Blinzest du mir, so sehe ich dir durch die Finger‹? Hätte hundert Kronen nötig; gibst du sie mir, so wollen wir sie im Herbst verrechnen, daß es dein Schade nicht sein soll.« Depositogelder hatte er auch keine hinter sich. Er kam immer auf den Ankenbenz, er mochte Wegli einschlagen, welche er wollte. Dort war, wie er wohl wußte, immer etwas Geld, aber dorthin ging er eben höllisch ungern, denn er war das Frühere noch schuldig.

So kam er nach Hause und hatte noch keinen Rat gefunden. Es war schon ziemlich spät, Lisi saß vor dem Hause und erwartete mit großem Blangen seine Heimkunft, denn ohne sein Zepter gehörig abgegeben zu haben, wollte es nicht heimgehen. Das hätte doch afe kei Gattig, schon Feierabend habe es geläutet, es werde bald sieben sein, und noch sei keiner von den Hanse heim. Das werde an einer solchen Gräbd nicht bald erhört worden sein.

»Habe schier lange gemacht«, sagte Hans, »aber es schickte sich mir nicht fortzugehen, bis die andern auch fort wären, und sie heißen gehen, stund mir doch auch nicht an.« »Man kann nicht immer machen, wie man will«, sagte Lisi. »Ich dachte, ich wolle warten, bis du heimkömmst, um heimzugehen. D'Sach ist alle am Ort, und alles hat seine Sache gehabt, daß jedes es machen konnte. Daneben, ob sie zufrieden seien, habe ich nicht gefragt; zuviel fragen ist nicht immer gut, und wenn sie zu klagen haben, so dachte ich, sie könnten dir klagen, ich begehre es nicht zu wissen, und du könnest dann nachbessern, wenn du es gutfindest.« »Du wirst es schon gut gemacht haben«, antwortete Hans. »Aber ich weiß, wie es ist heutzutage und wie man d'Sach nie gut genug machen kann. Es wird geräumt sein müssen, ich sehe es wohl ein, und du wirst mir wohl müssen b'hülflich sein.«

»Los, was ich dir sagen wollte und warum ich dir eigentlich gewartet«, entgegnete Lisi »du hast viel Kosten mit der Frau gehabt, sonst viel Auslagen, wirst d'Sach gerne ins reine bringe wollen, und wenn du etwa dich nicht kommod kehren kannst, so sage es ungeniert. Ich glaube, Benz hat Geld, und wenn er hat, so weißt wohl, hast du auch.« »Das ist guter Bescheid, und es ist gerade, als ob du es mir angesehen, wo mich der Schuh drückt. Ein solch Anerbieten sagt man nicht ab. Zwar muß ich mich schämen, wieder zu nehmen, ehe ich das Alte wiedergegeben, aber wenn es geliehen sein muß, so will ich doch am liebsten Benz schuldig sein; es ist doch noch was anderes als fremden Leuten«, antwortete er. »Komm nur!« sagte Lisi, »wir nahmen ja auch schon bei dir.« »Ja«, sagte Hans mit einem Seufzer, »aber es ist lang dessen.« »Es kann sich wieder ändern«, sagte Lisi. »So komm oder schick nur; was du mangelst, kannst du haben, und jetzt gut Nacht!« Hans dankte sehr für Hülfe und alles Gute und wirklich von Herzen und bat, Lisi möchte ferner ein Auge auf seine Sache haben. Darüber gab Lisi uneinläßlichen Bescheid und eilte den Berg auf.

Hans war an einem der sogenannten Wendepunkte des Lebens oder so gleichsam an einem Punktum, welches Gott dem Menschen selbsten macht, um ihm den Verstand zu machen, hier einen neuen Satz anzufangen, und zwar mit einem großen Buchstaben, das heißt mit einem großen Entschluß. »Hans, was warest, Hans, was bist jetzt, Hans, jetzt was willst?« Das waren die natürlichen drei Teile der Predigt, welche er sich jetzt zu halten hatte. Auf einem einsamen Bänklein in stiller Abenddämmerung hätte er endlich zu sich sagen sollen: »So, Hans, geht das nicht mehr, als rechter Hausvater muß ich wieder einstehen, treulich mein Haus regieren, mit den Meinen Gott dienen. Anfangen will ich damit, daß ich von unnützem, nichtsnutzigem Zeug mein Haus säubere, und ist das gemacht und wieder Ordnung überall, dann wollen wir weitersehen.« Dann hätte er ins Besondere eingehen und namentlich die Kurmethode sich klarmachen sollen, welche am besten bei Hans anschlagen könnte. So verblendet war der Vater nicht an seinem Liebling, daß er nicht einsah, so könne dies nicht in Ewigkeit fortgehen, wenn es nicht einen üblen Austrag nehmen solle. Aber er tröstete sich bis jetzt mit dem torrechten, sündlichen Troste, der schon viele Eltern mit Jammer in die Grube gebracht: wenn der Verstand komme, werde es schon bessern. Jugend habe nicht Tugend; man habe viele Exempel, daß aus solchem Holz gerade die tüchtigsten Männer wüchsen. Jedenfalls werde er bessern, wenn er einmal heirate und eine rechte Frau bekäme, so eine sei besser als das Wallisbad. Darum ist dieser Trost so schlimm, erstlich weil er eine Billigung der Sünde ist, der Jugend das Vorrecht des Sündigens einräumt, zweitens weil er die Macht der Gewohnheit mißkennt und aus der Ausnahme die Regel macht. Ja, es haben sich schon viele geändert, selb ist wahr, aber wieviel mehr gingen zugrunde? Von denen spricht man nicht. Und war das Ändern immer ein Bessern? Das ist eine bedenkliche Frage. Wenn aus einem Verschwender ein Geizhund wird, aus einem frechen Sünder ein geheimer, aus einem Hoffartsnarr eine Schlampe und Schmutzgüggel, aus einer H... eine Betschwester, sind das Besserungen? Wir halten es durchaus nicht dafür; das sind nur Änderungen, und am einen nimmt der liebe Gott Ärgernis so gut als am andern.

Wir finden aber leider Vater Hans nicht auf einem einsamen Bänklein an der Arbeit mit ernsthaften Gedanken. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der Versucher, der überall ist, wo was Gutes guckt, das ihm nicht in Kram dient, es unmöglich gemacht hätte!

Der brüllende Löwe, der umhergeht und sucht, was er verschlinge, kam jedoch nicht in eigener Gestalt, dagegen kam eine Chaise angefahren, in welcher Sohn Hans saß samt seinem Hauptmann, der ihm z'Lieb und z'Ehr z'Gräbd gekommen war. Das war ein Kerl, der Hauptmann, ein Kerl voll Bart, voll Gesinnung, voll Himmeldonner, voll Bier und voll Wein und voll von vielen andern Dingen. Wenn er seine Feldzüge über Land machte und himmeldonnerte durchs Land, daß den Leuten das Herz im Leib verging und in den Säcken die Messer heiß wurden, der Stahl spretzelte, so hätte wirklich kein Mensch geglaubt, daß das ein oberkeitlicher Schreiber sei, der noch keine Pistole losgeschossen, mit keinem Eisen je zu tun gehabt als höchstens mit einer Gnippe. Er hatte es im Gebrauch, alle Jahre ein halbes Schweinchen zu kaufen, von demselben gnippete er soviel Fleisch als möglich klein, und zwar eigenhändig, denn er liebte die Bratwürste sehr und auch die Magenwürste. Das konnte er meisterlich, und auf diese Weise alle Jahre beim Schlachten beteiligt, hielt er sich für den schlachtenkundigsten Hauptmann in der eidgenössischen Armee, nicht bloß einen wahren Mordkerl, sondern einen eigentlichen Mordteufel. Von Natur war er ein Schreiber, angestellt in einem obrigkeitlichen Bureau, manöverierte stark nach einem obrigkeitlichen Posten, vor allem nach einem der Sekretariate, die mit wenig minder als tausend Talern bezahlt waren; kam er hier zu kurz, so war er entschlossen, auch mit einer Amtsschreiberei oder Amtsgerichtsschreiberei auf dem Lande vorliebzunehmen, das heißt mit einer von denen, welche das Doppelte von tausend Talern eintrügen. Der Grund, warum er ein Sekretariat dem fettern Posten vorzog, war ein doppelter. Erstlich betrachtete er eine schreiberliche Anstellung nur als vorübergehend, er hatte die Gewißheit einer Regierungsratstelle in der Tasche, zwar nicht schriftlich, aber moralisch. Seine Verdienste in seinem Bureau kennen wir nicht, er selbst schätzte sie gering. Es sei immer, als ob man ihm Feuer unter die Nase halte, wenn er das D... Bureau von weitem sehe; wenn er dreinmüsse, so mache er, daß er drauskomme sobald möglich, das D... Schreiben sei eine geisttötende Sache, besonders für jemand, der nun bald drei Jahre die Vorlesungen besucht habe.

Aber Duzbruder war er fast aller republikanischen Majestäten. Er war einer der fleißigsten Besucher der obrigkeitlichen Kneipen. Mit Saufen möge ihn nicht mancher, sagte er; er hätte die meisten schon heimbegleiten müssen, und wenn er wollte, so könnte er was verzählen, potz Himmeldonner! Mit dem Volke zu reden, wisse er, das wüßten er und andere. Er sei nicht umsonst alle Sonntage und zwischendurch, sooft es es erleiden möge, irgendwo auf dem Lande in einem Wirtshause und rede mit den Leuten. Da könne man die Leute nehmen, ihnen Verstand machen, wenn man es verstehe, bougre! Er wolle nicht viel sagen, aber in der Republik sei nicht mancher, der mehr gewirkt; wenigstens sechs Wahlen habe man ihm direkt zu verdanken, und was er damit gemacht, daß er alle Konservativen, Pfaffen und Aristokraten durch den Dreck gezogen und sie dann dem Volk in ihrem wahren Lichte gezeigt, ihm Haß und Mißtrauen gegen sie melchternweise eingegossen, das wisse niemand als er, und nicht einmal er vermöchte es recht zu schätzen und zu berechnen. Wenn es einem gehöre, an den gehörigen Platz zu kommen, sei er es, potz ...

Zweitens, sagte er, könnte er nicht mehr auf dem Lande leben, das sei eigentlich gar kein Leben dort, das sei gerade wie in Lappland, da sei Tag und doch kein Tag, scheine ja keine Sonne am Himmel. Er müsse in der Stadt leben wie der Fisch im Wasser. Er war auf den hintern Gitzimösern daheim und auf dem obern Hühnergrat auferzogen worden. Wenn er nicht sein Kaffeehaus, Theater und Gesellschaft hätte, er könnte nicht mehr existieren, er verreckte vor Langeweile, sagte er. Er hasse nichts mehr als saure Geißmilch, aber zehnmal lieber wolle er sein Lebtag saure Geißmilch saufen als sein Lebtag unter Leuten leben, die nicht wüßten, was leben sei, ohne Bildung, ja sogar ohne Aufklärung.

Wer ihn auf altväterische Weise beurteilt, hätte gesagt, das sei der heilloseste Stürmi, den er noch gehört; nichts, was er sage, habe einen gesunden Zusammenhang, ja, was er heute behauptet, das lege er morgen den Aristokraten in Mund und heiße es Volksverrat, und was er heute Volksverrat heiße, das preise er morgen als das Wahre und himmeldonnere jeden, der es nicht dafür halten wolle, in Fetzen und blase ihn zentnerweise über Land und Meer. Heute tat er dick mit dem Geld, als ob er bald ein Millionär sei und Ursache habe, zur Ordnung zu stehen, daß das Eigentum geschützt bleibe, und morgen lästerte er die Reichen und wollte die ver... Zaunstecken in den Boden schlagen, daß sie unten ausguckten in Amerika.

Wer moderne Bildung hat, weiß, daß man in der neuen Welt unter Konsequenz etwas ganz anders versteht als in der alten. Die alten Zöpfe meinten, um konsequent zu sein, müßten sie feste, bestimmte Grundsätze haben und zu diesen Grundsätzen müßten die Reden passen einen Tag wie den andern. Scheinbar sagen die neuen Lichter das gleiche, meinen aber gerade das Gegenteil. Sie reden viel von grundsätzlich und Grundsatz und wie treu sie ihm seien. Wenn man aber nach diesem Grundsatze gründlich forscht, so findet man allerdings einen, der heißt aber ungefähr so: »Stelle dich alleweil auf den Standpunkt, der dir am meisten Nutzen zu bringen scheint, von wo aus du deinen Feinden am meisten schaden zu können glaubst!« oder kurz gesagt: »Rede alleweil so, wie es dir am besten in Kram dienet, darin sei fest! Ob's nun heute so kömmt, morgen ganz anders, darum kümmere dich nicht, und wenn es dir die Leute vorhalten, so lache sie aus oder leugne es ab, je nachdem es für Kerls sind!«

Dieser Hauptmann war natürlich glücklich, wenn er einmal eine Einladung aufs Land bekam: erstlich konnte er gut leben, und es kostete ihn nichts, zweitens konnte er das System festigen, sich und seinen Freunden gut Wetter machen, drittens, und das war nicht das wenigste, konnte er, in die Stadt zurückgekehrt, renommieren mit seinem Einfluß, seinen Freundschaften auf dem Lande; jä, und das gab Gewicht, kannst du mir helfen, so helfe ich auch dir, hieß es begreiflich. Um einen Menschen, von dem man wenig oder nichts für sich zu erwarten hatte, warum sollte man sich um den kümmern? Das wäre ja dumm gewesen, den ließ man unbeachtet liegen oder stüpfte ihn ganz abseits, auch wenn er mit absonderlicher Tüchtigkeit für die Geschäfte begabt gewesen wäre. Man sieht, der Hauptmann nahm seine Hoffnungen nicht ganz aus der Luft, und unterdessen tat er, als wenn er schon alles hätte und alles wäre, nach was ihn gelüstete.

Hans erschrak, als er die beiden daherfahren sah; er wäre wirklich diesen Abend lieber alleine gewesen, er war müde an Leib und Seele. Indessen nahm er es als eine Ehre an, gab sich bestmöglichst mit dem Hauptmann ab, während Hans der Junge mit der Meisterjumpfere das Haus in Ordnung brachte und das Traktement bestellte. Der Amtsrichter führte den Hauptmann in die Ställe und in der Besitzung umher und sah da zu seiner eigenen Beschämung manches, was er nicht erwartet hatte, obschon er nicht ganz so nachlässig war wie einer seiner Kollegen, der jahrelang nicht im Spycher war und, als er einmal zufällig mit einem Müller hineinkam, alles lebendig fand. Er hatte sich so sehr mit Verbreitung des politischen Lebens abgegeben, daß am Ende selbst sein Korn sich regte, politisch wurde und Leben kriegte. Was tat nun der gute Mann? Er schloß den Spycher wiederum zu, ging davon und vergaß, was dahinten war. So freisinnig und duldsam ist der rechte Patriot unserer Tage, er pflanzet Leben, und wo Leben ist, da beschränkt er es nicht, sondern läßt in voller Freiheit Kohli walten. Nun, der Hauptmann, der weder auf den hintern Gitzimösern noch auf dem obern Hühnergrat mit Landwirtschaft besonders sich abgegeben hatte, sah nur auf das Große und Viele; die durchschimmernde Verwahrlosung bemerkte er nicht, sowenig als einem Vagabunden das Verkümmern in der Kleidung auffällt. Der Hauptmann sah großen Reichtum, rühmte sehr, sprach aber auch viel von seinen Vorsätzen, sein Vermögen in Land zu placieren. Es sei immer angenehm, eine eigene Besitzung zu haben, und was man auf seinem Gute pflanze, schmecke noch einmal so gut als das, was man kaufen müsse, sagte er. Hans war nicht der Meinung, er fand das Essen bei der »Hintern Tugend« immer viel besser als das Essen daheim, aber er machte den Diplomaten und nickte dem Hauptmann Beifall.

Als Hans glaubte, das Haus sei bereitet zu Aufnahme des Gastes, lenkte er ein, und jetzt ging das Politisieren an, aber großartig; es fing wohl bei einzelnen Persönlichkeiten an, aber dann dehnte es sich allmählich über die ganze Erde aus und ward zur Weltpolitik. Der Hauptmann redete vom allgemeinen Streben nach Freiheit und wie die Schweiz der Mittelpunkt dieses Strebens sei und alle Völker seiner Zeit sich solidarisch zu Erringung und Erhaltung der wahren Völkerfreiheit verbrüdern würden; die Häupter spannten bereits die Fäden über ganz Europa. In der Schweiz werde es zuerst losgehen gegen Jesuiten, Pfaffen, Aristokraten, und sei der Feuerteufel einmal angezündet, laufe er durch ganz Europa; wenn die Fürsten alle runter seien, würde Europa eine große Republik, wo es alle gut hätten und leben könnten wie die Prinzen. Denn alle Lasten würden aufgehoben, denn es würden die ungeheuren Güter der Fürsten und Pfaffen eingezogen und verteilt, alle Ausgaben für das Volk fielen weg. Man solle doch nur denken, was das für ungeheure Summen ausmache!

»Ja«, meinte Hans der Ältere, »davon aber werden wir Schweizer nichts kriegen; wir können d'Sach machen, und sie nehmen den Profit.« »Warum nicht gar!« sagte der Hauptmann, »wir wollen ihnen schon sagen, wie spät es ist. Dann denkt nur, was wir hier noch haben zum allgemeinen Gebrauch: Staatsdomänen, Stadtgüter. Ihr werdet hierherum wohl auch Wälder haben, die euch kommod kämen. Von den anderen Korporationen der Aristokraten und Pfaffen wollen wir nur nicht reden einstweilen. Dann denkt nur, was das für ein Vorteil ist, wenn alle Zölle wegfallen, man alles frei ein- und ausführen kann. Künftig kriegt man alles, was wir kaufen müssen, ums Halbe, namentlich die Kolonialwaren, und was wir ausführen, Käs, Holz und Vieh, verkaufen wir um so teurer, eben weil es zollfrei ist; denkt nur, was das für einen Apropos ausmacht! Der Baurenstand wird am meisten gewinnen, er wird gar nicht wissen, wie ihm ist, besonders wenn dann noch alle Tellen wegfallen, alle andern Lasten und er zum erstenmal so recht frei wird und mit seinen Sachen machen kann, was er will, und nicht, was ihm von oben herunter befohlen wird, und er nicht mehr alleine alles austrappen und aushalten muß. Es ist einmal Zeit, daß die Herren vor ihm knien und nicht er vor den Herren.«

In Aussicht dessen ließen die Glücklichen sich herrenwohl sein, schwärmten immer kühner in die Zukunft hinaus; es fehlte nicht viel, daß sie sich gegenseitig mit Kronen beschenkt, der Hauptmann gesagt hätte: »Die erste und größte für mich, dann für den Amtsrichter eine und für Hans eine und für alle guten Kameraden auch für jeden eine, und was übrigbleibt, nehme ich noch zu meiner.« Die guten Leute merkten nicht von ferne, daß sie Kommunisterei trieben, daß sie teilen wollten nicht mit allen, sondern bloß mit denen, welche mehr hatten als sie, daß sie beutepreis erklärten das Herrengut mit demselben Recht, mit welchem der Bettler beutepreis erklärt das Bauerngut. Nur ist in des Bettlers Kommunismus viel mehr Konsequenz als in solchem Herrenkommunismus. Der Bettler gönnt allen was, solche Herren aber nur sich etwas; der Bettler will alles teilen, solche Herren wollen den Reichern nehmen, unter sich alleine die Beute teilen, derweilen den Armen den Speck per Pfund um sechs Batzen verkaufen. Das sind auch Kommunisten, aber unsaubere.

Den beiden Hanse war es wirklich so ums Herz, und sie hätten wahrscheinlich die dumme, altväterische Konsequenz gehabt, in jeder Umgebung so zu reden; anders der Hauptmann. Der hätte unter Proletariern ganz anders gesprochen, als vollendeter Sozialist oder Kommunist, je nachdem Schulmeister dabeigewesen oder nicht. Wären Schulmeister dabeigewesen, so hätte er mehr das sozialistische Pferd geritten und ihnen, mit Augen winkend, zu verstehen gegeben, daß sie dieses neue Tausendjährige Reich als die Gescheutesten und Gebildetsten zu dirigieren, die Arbeit zu regulieren, das heißt den andern aufzusalzen, die Frucht der Arbeit in alle zu dividieren, das heißt den andern homöopathisch auszuteilen, für sich allopathisch, das heißt en gros in die Tasche zu stecken hätten und nach dem gleichen Maßstab oder Grundsatz auch die Genüsse. War er unter Proletariern von reinem Blute, so dozierte er den gröbsten Kommunismus ganz folgerichtig. Er dachte: »Ihr dummen Teufel, was ihr seid, erkennt nur den Kommunismus grundsätzlich bis auf die Strohsäcke herab und die Holzschuhe, mir wäre nichts lieber. Vorerst würde ich Teilungskommissär zu werden suchen; das ist ein Pfosten ungefähr wie Kriegszahlmeister in einem Kriege, sei es in einem eidgenössischen oder andern. Wer so einen kriegt, der muß ein Lümmel sein, wenn er am Ende nicht reden kann wie der Erzvater Jakob, der sagte: ›Als ich über den Jordan ging, hatte ich nichts als diesen Stab, jetzt bin ich zwei Heere geworden‹, oder mit andern Worten: ›Als ich ins Amt kam, war ich ein Lump, hatte in den Taschen nichts als Löcher, jetzt habe ich alle Säcke voll Dublonen und sonst noch viel.‹ Und wenn mal geteilt ist, so jage ich es den dummen Leuten doch noch ab, so oder anders, und wenn ich dann alles habe oder doch das meiste, mache ich mich über den Jordan, das heißt über den breiten Bach nach Amerika, ins Paradies der Spitzbuben, wo der am glücklichsten ist, der am besten über den Löffel balbieren kann.«

So kalkulierte unser Hauptmann und folgerichtig, so kalkulieren alle Kommunistenführer, welche Schreiber oder Schulmeister sind, höherer oder niederer Sorte. Sie sind die Jäger, die Meute ist das Volk, das muß für sie jagen; ist der Hase eingejagt, so fressen ihn die Jäger, und die Meute kriegt einige Bissen Brot, und ist sie damit nicht zufrieden, lernt sie die Hundspeitsche kennen. Das Volk konnte in der letzten Zeit Exempel sammeln in Frankreich, Baden und anderswo.

Nun, von solchen Ansichten guckte im Hunghafen auch nicht der kleinste Zipfel hervor, obgleich der Hauptmann am Versorgen der vierten Flasche war; aber er hatte seine gestuften Ansichten so los, daß er sich selber selten verirrte. Er erwarb sich großes Ansehen bei beiden Hanse. Der ältere meinte, der frühere Regierer sei gescheut gewesen und beredt, aber er glaube, der möge ihn noch. Er rede gar begreiflich und rede von Paris, als ob das im Schwellimätteli sei, und von Wien, als ob das bei Schönbühl liege. B'sunderbar weit umher sehe der und wisse, was allenthalben gehe; der müsse bereits z'nächst am Anrichtloch gestanden und z'unterst in Hafen geguckt haben. So alles auslegen, was gegangen und noch gehen werde, habe er nie gehört. Aber so müsse es sein, und so übel habe es ihm nicht gefallen, von wegen geradeso müsse man es machen, wenn es gut kommen solle. Der gute Hans wußte natürlich nicht, daß zu Zeit des früheren Regierers man das Dasein einer Propaganda und allen Zusammenhang der schweizerischen Radikalen mit den fremden Radikalen leugnete, in neuerer Zeit die Sprache änderte, mit der Völkersolidarität großtat und mit der Propaganda drohte und die geschlagene Armee derselben, die Flüchtlinge, zu benutzen beabsichtigte.

So lebten sie in gegenseitigem Wohlgefallen, bis der junge Hans, der unvermerkt eingeschlafen war, mit großem Gepolter vom Stuhle stürzte. Über Kindern und Betrunkenen wachet Gott. Er nahm keinen Schaden, es ward bloß nötig gefunden, zu Bette zu gehen. So ward dem Amtsrichter der ruhige Abend genommen und neues politisches Leben in ihm angeregt. Wenn es komme, wie der da sage, und der wisse was, dachte er, so sei ihm mehr als geholfen, alls Verlorne mehr als ersetzt und gutgemacht. So kam der Satz nicht zu Ende, sondern es ward ein Zwischensatz eingeschoben, welcher einen Nachsatz notwendig machte, so daß von keinem neuen Satz die Rede sein konnte.

Am folgenden Morgen konnte er nicht zur Ankenballe hinauf. Benz holte das Geld oben und erweckte nicht eben große Freude durch seine Erzählung von dem Besuch, denn Lisi hatte wirklich auf eine stille Zeit zur Einkehr gerechnet. Es sei eine böse Zeit, sagte es, sie mahne ihns an nichts besser als an ein Frühjahr, wo man meine, d'Sach sei den Erdflöhen, dem Reif entronnen; wenn dann plötzlich auf alles hinauf die Käfer anfingen sich zu rühren, da sei dann alles verloren, vor denen sei nichts sicher. Ja, und der gefalle ihm aparti nicht, sagte Benz, der sei auch einer von denen, welche meinen, die ganze Welt sei ein Lulli und sie expreß geordnet, um daran zu suggen, und alles, was sie erlängen mögen, sei ihnen geordnet im Himmel; auf Erden hätten sie niemanden zu respektieren, als wer ihnen zu etwas verhelfen könne, und nur so lange, als bis sie hätten, was sie wollten, darnach würfen sie ihn unter die Füße wie Tubakasche. »Als er jung war, wußten Vater und Mutter lange nicht, sollte er ein Schafbub oder ein Geißenbub werden; jetzt ist er Hauptmann, und weiß der Teufel, was noch alles, verdient ein Sündengeld und womit? Mit Fressen und Saufen und ist nicht einmal zufrieden dabei; es ist ihm schon alles zu wenig. Er weiß nichts, er ist von den Dümmsten einer, der meint, die Kühe brüteten die Kälber aus wie die Hühner d'Hüntschi, und meint doch, er werde Schultheiß oder Finanzminister oder Kaiser im Schlaraffenland. Dem Vater und Bruder hat er geschmeichelt und mich nicht über die Achsel angesehen; es nimmt mich wunder, daß er mir nicht sagte, ich solle ihm die Stiefel putzen, und doch wußte er wohl, daß ich so gut da daheim bin als Hans. Und das ist nur, weil er meinte, Hans habe was zur Sache zu sagen und ich nichts. Aber das Spiel könnte sich ändern, und wenn ich dem einen Knittel zwischen die Beine werfen kann, und sollte es ein hagenbuchenen sein, so werde ich es nicht sparen; es nimmt mich wunder, ob man schuldig ist zuzusehen, wie die Wolle geschoren, das Fell abgezogen und beides miteinander verhudelt wird.«

Nun begann Benz, gar bitterlich zu klagen über seine Lage, wie er da zusehen müsse mit gebundenen Händen, wie sie an den Bettelstab kämen, wenn es so fortgehe. Wenn das nicht ändere, so wollte er, er wäre bei der Mutter, so halte er es nicht aus. Er dinge z'Krieg oder mache sonst, daß er wegkomme, aber der Schande wolle er nicht zusehen.

Das arme Gretli bekam Krämpfe im Herz, schlich hinaus und weinte bitterlich. Ankenbenz hatte das Herz auch voll Mitleid, und zwar nicht bloß mit den Leuten, sondern auch mit dem schönen Vermögen, mit dem Hofe besonders. Ein rechter Haushalter hält nicht bloß das eigene Vermögen in Ehren, sondern jedes rechtmäßig erworbene Vermögen, und wie der Gerechte sich nicht bloß des eigenen Viehs erbarmet, sondern alles Viehs, welches mißhandelt wird, so hat es ein rechter Haushalter mit jedem Vermögen, welches vergeudet wird; es erbarmet ihn, absonderlich ein Hof, der abgeschleipft, das heißt schlecht behandelt wird. Den denkt sich der rechte Bauer als eine Art lebendigen Wesens, welches der Mißhandlung sich bewußt wird.

Lisi dagegen zeigte wenig Mitgefühl, brach das tiefere Eintreten übers Knie ab. »Wegem Vermögen«, sagte Lisi, »wollte ich nicht soviel sagen, das läßt sich am Ende gutmachen oder verschmerzen; es ist etwas anderes, das mir mehr Kummer macht, da ist einstweilen nichts zu machen, da heißt es: ›Hand weg!‹ Habe du nur Sorge zu dir, mach, was du kannst, fürs Weitere laß Gott sorgen!« »Ja, für mich sorgen ist bös, die andern nehmen alles vorab; wenn ich auch noch wegpacken wollte, wohl, die andern würden mir schön aufwarten, und es möcht's nicht ertragen, es ist für sie zuwenig.« »Es ist mir leid«, sagte Lisi, »daß du mich nicht besser verstehst, meinst, ich rede die gleiche Sprache wie schlechte Leute, meinst, ich meine, es sorge einer für sich, wenn er das Schlechtste den andern nachmacht, stiehlt, wenn sie stehlen, und braucht, wenn sie brauchen. Es ist mir leid, daß du mich nicht besser verstehst und ich es dir deutlicher dolmetschen muß. Benz, mache nicht, was sie, bete und arbeite, tue, was brav und recht ist, einem Baurensohn wohl ansteht, damit, es mag gehen in Gottes Namen, wie es will, es überall heißt: ›Uns dauert nur der Benz, der kann uns erbarmen, er vermag sich allem nichts, hatte bös dabei und muß sich dessen doch entgelten, es ist vor Gott und Menschen nicht recht!‹ Tue so, dann sorgst für dich. Es mag dann gehen, wie es will, dir geht's am Ende nicht bös, und dann heißt es: Ende gut, alles gut. Darum wahre dich und sorg für dich, aber wie es ich meine und nicht wie viele!«

Benz der Junge ging seufzend. »Frau«, sagte Benz der Ältere, »dem hast es wohl scharf gemacht, hat er dir kurzum was z'widerdienet?« »Nein«, sagte Lisi, »d's Gunträri, er gefällt mir besser als früher, ich glaube, der sei z'ernstem am Kehrumtürli. Aber ich weiß wohl, worauf er es abgespitzt hat; er möchte Gretli heiraten und es hinunternehmen, um die Haushaltung zu machen, und das tue ich nicht. Gretli wäre dumms genug und ging. Ich will aber das arme Meitschi nicht in dieses Wespennest lassen; was soll es da anders als serben und sterben, es hat zu dünne Haut für solche Dörnere. Es muß sich da unten ohne Gretli säubern und auf eine Seite gehen, und Benz muß zeigen, wer er ist. Kömmt er z'g'rechtem davon, wenn auch ohne viel Geld, so soll es ihm bei Gretli nicht schaden; zu einem guten Anfang können wir ihnen immer helfen. Wird er aber nicht Manns genug und läuft mit der Rotte Korah, so verdient er Gretli nicht und kann weitersehen, das ist meine Meinung!« Und Benz hatte nichts darwider.


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