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Neunzehntes Kapitel

Eine diplomatische Schützenfahrt

Einmal, im hohen Sommer war's, und durstig Wetter machte es dazu, fuhr Hans der Junge in auserwählter Gesellschaft über die Kantonsgrenze nach einem Städtchen hin, wo es in ordinäri Zeiten lustig hergeht, geschweige an einem Kantonalschießet.

Bei ihnen war zwar kein Direktor, aber ein noch höheres Haupt, das auffallende Ähnlichkeit mit einem Nagel- oder Hammerschmied hatte. Es war damals gerade etwas sehr Wichtiges unter dem Loch, wir wissen aber nicht mehr recht, ob eine Mißbilligung vom damaligen Präsidenten Cavaignac oder ein Zug in die Lombardei oder eine Gesandtschaft zur Ermutigung der Rebellen in China, und an selbem Schießet sollte diese Affäre verhandelt werden. Schießeten waren gewöhnlich der Ort diplomatischer Verhandlungen, weil man im großen Gewühl am unbemerktesten sich besprechen konnte. So sollte zum Beispiel auch an einem großen Schießet in Glarus etwas Entscheidendes beschlossen werden, was aber an der bekannten Dummheit des bernerischen Abgeordneten gescheitert sein soll. Wenigstens ließen die Glarner nach Bern sagen, ein andermal, wenn sie was wollten, sollten sie einen Witzigern senden. Die Berner schienen das hinter das Ohr geschrieben zu haben und schickten diesmal ihren schwarzbärtigen Hammerschmied, der ans Zertrümmern von Königreichen ging wie ein Ochse an einen Krieshaufen.

Etwas weiter als die östreichische Landwehr kam man am ersten Tage, doch muß man nicht vergessen, daß die östreichische Landwehr marschierte, die Herren aber kutschierten. Sie kamen vier Stunden weit, aber nicht in einem Atem, von wegen der Gerechte erbarmet sich seines Viehs und wendet dem Volk Verdienst zu, und wie kann das zweckmäßiger geschehen, als wenn man tapfer konsumiert, was dasselbe produziert? Endlich waren die vier Stunden vollbracht und glücklich gelandet in einer ansehnlichen Stadt, wo die Kapazitäten und Martialitäten des Landes wohnten. Oft waren in einer Person beide Richtungen repräsentiert, und zwar auf frappante Weise.

Der hohe Besuch war mit Spannung erwartet worden, bei jedem Schritt hatte man sich geäußert, man sei pressiert, man erwarte heute den berühmten Hammerschmied wegen Geschäften, daneben werde was gehen müssen, der könne es, auf den sei das Lied expreß gemacht: »Zieh, Hammerschmied, zieh und laß es tapfer laufen, zieh, Hammerschmied, zieh, du wirst ja nicht versaufen.« Traut wurden die Brüder empfangen und vorläufig mit dem Hammerschmied eine kleine Probe gemacht, darauf zur Betrachtung der Merkwürdigkeiten der Stadt geschritten, das heißt, man ging von einer Pinte zur andern und betrachtete von diesen Standpunkten aus die Natur und ihre Schönheiten.

Es war rührend, mit welcher Unermüdlichkeit sie sich derselben hingaben, bis am Ende alles sein Ende hat, der Hammerschmied sich in seiner edlen Einfachheit in der letzten Pinte der Länge nach auf einen Tisch legte und trotz allen Bitten und Ermahnungen, er solle doch seine hohe Stellung bedenken, es heiße wohl: wer sich selbst erniedrige, werde erhöhet werden, aber er sei ja schon so hoch oben, daß es einem fast gruse, und alles habe doch sein Maß, und was darüber aus, gehe über das Bohnenlied, wie man sage, erklärte: da sei er gerade am rechten Ort, wolle da bleiben, bis die Kuh einen Batzen gelte, und täten sie noch was sagen, so gehe er unter den Tisch; er glaube, es wäre ihm da noch ebenso wohl. Das hatten die diplomatischen Freunde etwas ungern, obschon sie nicht bloß sehr heimelig gewohnt, sondern ihre Haut unter verschiedenen Himmelsstrichen gehärtet war. In dieser Lage hatten auch die diplomatischen Unterhandlungen nicht besonders lebhaften Fortgang; man hoffte den folgenden Tag günstiger, an welchem man an den Ort der Bestimmung sich begeben wollte. Nun, nachgerade ward es dem Hammerschmied doch unbehaglich auf seinem Throne, wo man liegt und nicht wo man sitzt; er stieg herunter und suchte ein weicheres Lager, nachdem man die nötige Abrede getroffen und die gegenseitige Freundschaft noch einmal gehörig gesalbet und gebadet hatte.

Als sie ins Quartier gekommen, war ihres Hauptes erstes Wort: »Bin durstig zum Verrecken, laßt Wein kommen, aber vom besten; ich glaube, sie haben in dem ver... Nest nur Säusüdere, es ist mir, als ob ich den ganzen Tag keinen gehabt, und doch war er teuer genug, und fast an allen Orten haben uns die Hagle zahlen lassen!« »Es ist sonst umgekehrt der Brauch«, sagte einer mit dünnen Beinen kleinlaut. »Narr, weißt nit«, sagte der Hammerschmied, »was hier der oberste Staatsgrundsatz ist, vom ersten bis zum letzten? Der ist's: sich auf anderer Leute Kosten lustig zu machen, und darnach geht alles wie am Schnürli, Professor und Pfaff, Aristokrat und Patriot, schriftlich und mündlich, mit Saufen und mit Fressen, mit Weibervolk und mit Mannevolk.«

»Da sind sie keine Narre nit«, brüllte Hans, »und meinst, du kreuzeriges Federvieh, wir Berner fahren im Land herum dem Schmarotzen nach? Wir sind keine Tellerschlecker und keine ...sch-lecker; es hat beides die gleiche Kust, sie ist uns nicht anständig, man liebt sie nicht, sowenig als den Knoblauch und krepiertes Gitzifleisch. Den Hungerleidern muß man zeigen, wer wir sind; wenn es dich reut, so geh heim und plär's dem Müetti!«

»So recht, Hans«, bestätigten die andern, »du bist geng der Recht; aber was meinst, mögen wir's auch aushalten?« »O ja«, antwortete Hans, »für es Schützli hab ich noch, und wenn wir auch auskämen, so machte es mir nit Kummer; unserein bekömmt Geld, wo er will, mir hat noch niemand abgesagt, wenn ich welches wollte, was aber öppe nicht oft geschah.« »Das können nicht alle rühmen«, antwortete der erste mit verdrücktem Seufzen, »aber was nit ist, kann werden.« »Wie meinst?« fuhr Hans auf. Ja, was nit sei, könne werden, antwortete der erste. Nun sagten sie einander eine Weile wüst, wobei Hans begreiflich als reicher Baurensohn gegen dem angestellten Schreiber über in großem Vorteil stand und noch dazu von den andern tapfer verbeiständet wurde. So geht es aber oft, daß Macht und Mehrzahl auf der unrechten Seite sind. Ob Hans später an diese Disputation dachte, wissen wir nicht; Leute wie er haben zumeist gar kurze Gedächtniss', vergessen das meiste, woran sie sich stoßen sollten.

Am folgenden Morgen war prachtvolles Wetter, schön die Landschaft, durch welche man fuhr, schweigsam die Gesellschaft; schon eine halbe Stunde war man gefahren, da brach endlich der Hammerschmied mit einem gräßlichen Seufzer die Stille. »Donner, wie hab ich Durst!« rief er, »wenn nicht bald eine Kneipe kömmt, so gehe ich druf.« Nun, das geschah denn doch nicht; vor Durst umzukommen ist im Schweizerland die Gefahr nicht groß, und auf dem Bock hatten sie einen guten Tröster, der kannte auf dem ganzen Wege jede Gülle, in welcher ein Tropfen Nasses zu finden war. Doch diesmal ging's geschwinder als gestern, man mußte pressieren, um noch zum Schießen zu kommen; man setzte sich nicht fest, nahm's nur so gleichsam im Schnapp und war für diese Umstände ziemlich früh an Ort und Stelle. Sie waren nicht mit der Fahne ausgefahren, die eigentliche flatterte schon mehrere Tage von der sogenannten Fahnenburg, sie hatten daher auch keinen Gruß zu bringen, kriegten keinen Willkomm in aufgewärmten Worten, keinen angemachten Wein in silbernen Bechern, und doch brachte jeder seine Fahne mit, aber die blieb stecken im Kopfe eines jeden. Indessen fehlte es ihnen doch weder an Worten noch an Wein; gar gewaltig ging's an ein Händeschütteln und Grüßen, als sie erkannt wurden als berühmte vaterländische Notabilitäten, Eidgenossen und Schützenbrüder. Es wurde Bescheid getan und die gegenseitige Freude eingeschwemmt, daß man bei jedem Schritt Fußwasser riskierte.

Damit ging der Vormittag fast vorbei, man hatte nur noch Zeit, vor dem Mittagessen einige Schüsse in die Scheibe zu benggeln, fand aber den Wind ganz konträr und die Blendung schlecht; die Schüsse fuhren an der Scheibe herum, als ob sie sturm wären, wahrscheinlich ungefähr wie das Roß jenes Obersten, das die wunderlichsten Sprünge vor einem Regiment herum machte, nachdem der Oberst ein gutes Frühstück eingenommen hatte, so daß das Regiment lachte, absonderlich ein Gefreiter. Der Oberst sah es, sprengte voll Zorn auf ihn ein und frug: »Kerl, was lachst?« »Verzeiht, Herr Oberst, über Euer Pferd; ich glaube, es ist besoffen«, antwortete der Mann.

Im großen Eßplatz, wo man, je magerer man aß, desto fetter sprach, ging es schön zu, und heiße Reden wurden gehalten, daß die Oberländer Angst kriegten, es möchten alle Gletscher schmelzen und das Oberland futsch gehen. Es war, als ob unserem Herrgott alle seine Gewitter, seine Früh- und Spätregen nachgemacht werden sollten, aber viel schöner, denn es kam da alles durcheinander. Frühregen und Spätregen, Tau und Hagel, Donnerwetter und Riesel, Frost und Erdbeben; wenn man meinte, jetzt komme es recht von dem einen, so war man schon weit daneben bei einer ganz andern Sache. Es nahm uns oft wunder, wenn Napoleon und Friedrich, Luther und Zwingli so in einer Speishütte oder gegenüber solchen Rednern gesessen wären und die Gebärden und die Worte der redenden und manöverierenden Rednerlein gesehen und gehört hätten, was die für Gesichter gemacht und was die miteinander geredet hätten. Napoleon und Friedrich hätten wohl Prisen genommen, Zwingli gelacht, Luther aber wohl gedonnert, daß man es stundenweit gehört, wenn sie das Zeug vernommen und die Männlein, welche es von sich ließen, gesehen hätten. Jedenfalls hätte es keiner eine Stunde ausgehalten, geschweige tagelang; sie hätten alsbald den Zapfen ins Loch gebracht, daß das Reden vergangen wäre. Es kam den Rednern wohl, hatten es nicht alle Leute so, und gab es Leute mit kindischen Gemütern, welche Freude hatten am Puppenspiel bis ins hohe Alter und am allerliebsten horchten auf der Puppen kindisches, immer gleiches Getäsch, welches gewertet wurde, je nachdem die Leute von sich gaben stiller oder lauter eidgenössischen Beifall. Zwei- oder dreimal wurde dieser Beifall wirklich witzig, damals nämlich, als er zum mächtigen Zapfen für ein unangenehm Rednerloch sich gestaltete und immer gewaltiger dreinfuhr, sooft das Loch wieder aufgehen wollte.

Unsere Leute lebten grusam wohl an all den Worten, es tönte schön und kostete nichts. Hans sagte ungeniert, er sei oft in Bern in der Komödie gewesen, es hätte viel gekostet und ihm nicht d's Halb gefallen wie hier, und noch dazu seien das ganz andere Leute, die nehmten es aus sich selbst, jene hätten es auswendig gelernt gehabt. Der gute Hans, wie man sich doch täuschen kann! Woher jene Reden kamen und ob die Eidgenossen sie aus sich selbst genommen, weiß man jetzt; jeder Lausbub, Gamin oder Tourte, weltsch oder deutsch, kann es euch sagen, aber was sie gekostet und wie hoch sie die Eidgenossenschaft zu stehen gekommen, das kann kein Lausbub euch sagen, das geht trotz verbessertem Primarunterricht in alle Ewigkeit über den Verstand jedes Tourte hinaus. Wie sehr die Wunden noch bluten und schmerzen, welche durch jene eingegeisteten Reden veranlaßt wurden, zeigte sich noch jüngst, als man dieselben, die vernarbt schienen, mit dem fatalen, ätzenden E...ischen Balsam beschmieren wollte.

Unser Hammerschmied nahm weniger Notiz davon, er ließ es tapfer laufen. Er ward häufig angegangen, auch zu reden, er hätte es gekonnt so gut wie andere, er kam aus der rechten Schule und hatte den Brei aus der ersten Hand; aber er saß zu wohl und sah, es waren andere da, den Brei zu wärmen und zu rühren. Es hätte aber nichts bedurft als einen konservativen Dummkopf, der anständig, aber selbständig aus einem andern Loch gepfiffen, so würde unser Hammerschmied das Maul aufgetan und ihn jämmerlich zerklopft haben. Doch damals war kein Konservativer mehr Dummkopf genug, an solchen Tagen die Redefreiheit gebrauchen zu wollen; er dankte Gott, wenn man ihn ruhig schießen und es bei den bloßen obligaten Schimpfreden auf die Konservativen bewenden ließ.

Ein Brand am Morgen ist gefährlich, ungefähr wie ein Gewitter am Morgen, es gibt am Abend gerne noch ein stärkeres. Für selben Abend waren die diplomatischen Verhandlungen angesetzt, er sollte seine Mission erfüllen; es waren Eingeweihte, vielleicht Instruierte da, ein großer Wurf sollte geschehen. Nach dem Essen gegen Abend konnte man am besten verschwinden, wurde am wenigsten vermißt, aber fürs Verschwinden und alle Heimlichkeit war unser Hammerschmied untauglich geworden; er brüllte laut wie ein Auerochs in der Brunstzeit, wahrscheinlich aus den nämlichen Ursachen und nach den nämlichen Gegenständen. Wir müssen sagen, großen Anklang fand diese Melodie nicht. Die besten Brüder drückten sich so unbemerkt als möglich beiseite; hier und da fragte einer: »Wäre dem eine Handvoll ungebrannte buchene Asche nicht gesund oder ein Bad in einem braven Mistloch?«, ja, selbst unser Hans meinte: »Er tut doch wie ein Kalb, daß es keine Art und Gattig hat, man muß sich ja bald schämen!« Wer es begreift, wird finden, daß das ungeheuer viel gesagt war. Bei so bewandten Umständen war von diplomatischen Unterhandlungen nicht viel die Rede, wenigstens nicht vor unserem Hammerschmied. Wahrscheinlich war man da noch einige Klafter hinter dem Geiste der Zeit zurück und an Diplomaten nicht gewohnt, welche ihre geheimen Gedanken ausbrüllen wie Auerochsen in der Brunstzeit.

Nun, deswegen verging der Abend nicht desto weniger lustig, der beste Wein floß in Strömen, die alten, ausgepichten Weingurgeln tranken sich immer wieder nüchtern, die blöderen stunden nach einigen Stunden wieder von den Toten auf und kamen lechzend zu den Quellen geschlichen; die einen drückten sich weg, die andern drückten sich wieder her; der Morgenstern, als er kam, fand das Schlachtfeld noch nicht verlassen, sondern dasselbe besetzt von den ausgepichtesten Helden, ungefähr so vielen, als einst Schweizer die Schlacht von St. Jakob überlebt hatten.

Am folgenden Morgen nüchtern, erschienen die meisten mit bußfertigen Gesichtern und trübseligen Stimmungen. Unsere Leute wollten noch schießen vor der Abreise, aber es ging eine gute Weile, bis vor den Scheiben der Nebel weg war und die Stutzer fest liegen wollten in der Hand. Es taumelten zufällig einige Schüsse ans rechte Ort, nach dem Sprüchwort: Ungefähr trifft auch was; da ward der Jubel groß und die Stimmung um etwas aufgeklärter, gehobener.

Unser Hammerschmied indessen blieb einstweilen noch mürrisch und mißmutig, er konnte seine Leute nicht mehr zusammenkriegen, er mußte seine Mission als mißlungen betrachten und schimpfte weidlich über die Mehlsäcke, die da freisinnig sein wollten, aber alsbald Pech gäbten, sobald sie merkten, daß etwas Wichtiges im Werke sei, Sonntagspatrioten, die am Montag zu den Pfaffen liefen und beichteten, was sie am Sonntag gehört oder getan. Der gute Hammerschmied hatte keinen Begriff vom Ekel, den er erregt, dem Ärgernis, das er gegeben, und daß dieses alle verscheucht, welche noch eine Spur von Anständigkeitsgefühl besaßen. Er war vollständig überzeugt, einen tapfern, zeitgemäßen Wandel zu führen, daß besser nichts nütze, und, wenn ihm die Gabe des Gesangs gegeben gewesen wäre, er hätte kaum ein ander Lied geliebet als das bekannte schöne: »Ein Mann wie ich geht stets besoffen ein und aus!« Er war sehr mißmutig, trieb diesmal zu aller Verwunderung an der Abreise und schied mit entschiedener Verachtung von Leuten mit so unentschiedener Gesinnung. »Wenn Rütschele Hansli bei uns wäre«, meinte der Hammerschmied, als sie abfuhren, »er würde sagen: das Nest sei's nicht wert, daß man es mit Herd z'Dreck verschieße.«

Es machte warm, die Häupter waren schwer, es kam ein tiefer Schlaf, stille war's, langsam ging's; wer das Fuhrwerk von weitem gesehen, hätte geglaubt, es schleiche zur schwülen Mittagsstunde ein Leichenzug das Land hinauf oder eine gespensterige Kutsche zeige sich, Unwetter oder strenge Zeit bedeutend, wie solcher Kutschen fast an allen Orten sich künden sollen, Sünder bergend, die Unheil angestellt zu ihrer Zeit und es nicht gebüßt auf Erden. Die gespenstige Kutsche schlich im Leichenschritt das Land hinauf; plötzlich hielt sie stille, doch nicht in ödem Haine bei einsamem Grabe oder an eines Flusses steilen Ufern, sondern vor einem großen Hause, umgeben von Stallungen und anderen Gebäuden. Alsbald trappte von der einen Seite her mit schwerem Schritt eine Figur von großem Kaliber daher, und mit einer Serviette auf dem Arm und schwermütig gelocktem Haar zirpte eine Gestalt von minderem Kaliber die Treppe hinunter, und beide Gestalten stunden still, sahen sich verwundert an, schüttelten die Köpfe und waren nahe daran zu glauben, das Ding sei nicht richtig, obschon es Tag war und beide ordinär sonst sehr freisinnig und leicht freundlich, manche schreiben lichtfreundlich. Es war aber auch nicht zu wundern, denn in der Kutsche war es mäusestill, und auf dem Bock war kein Kutscher. Da indessen die Rosse natürliche Rosse waren, wagte es der Stallknecht, Hand an sie zu legen, und der Kellner, an den Schlag zu treten und zu rufen: »Beliebt es den Herren auszusteigen?« Ein Nachtwächter mit seinem Bierbaß wäre hier besser am Platze gewesen als ein Kellner mit dünner Stimme, denn der mußte dreimal fragen, auf deutsch, französisch, englisch, ehe sich einer der Herren nur streckte, geschweige dann aufwachte.

Glücklicherweise war soeben der Wirt erwacht, und der hatte eine Stimme, mit welcher er die alten Siebenschläfer hätte in die Luft sprengen können; der trat an den Wagen, kannte die Kundsame, war Duzbruder von den meisten, wie es denn auch eine Eigentümlichkeit dieser Regionen ist, daß sich alles duzt. Dieses Duzen ist ein ganz anders als das alte ländliche, das patriarchalische, es ist das neumodische, anarchische. Wohl, dieser Wirt donnerte sie wach, brachte sie auf die Beine und lachte sich fast krank, denn keiner wußte, wo er war, jeder träumte sich an einen andern Ort, und lange ging's, bis sie ihre Sinne vollständig beisammenhatten. Da ward viel gelacht, viel geflucht, kurz, eine große Lustbarkeit getrieben.

»Wo habt ihr den Kutscher?« hieß es. Und mit Staunen und mit Grauen ward vernommen, daß sie ohne Kutscher angekommen. Wir können nicht sagen, daß dieses große Angst, Bangen um das Schicksal des armen Teufels erregt, daß man nach ihm ausgesandt hätte. Man lachte darüber als über ein prächtig Reiseabenteuer, wie der Kerl die Nase aufgesperrt haben werde, als er vom Bock gekommen oder als er erwacht, und wenn der Kerl schon ein paar Löcher im Kopfe hätte, so täte es ihm nur recht geschehen, er wüßte ein andermal, ob er schlafen solle auf dem Bocke oder nicht. Ja, der schmächtige Schreiber schlug vor, ein Protokoll aufzunehmen und den Menschen verantwortlich zu machen und Schadenersatz zu fordern für allen Schaden, den sie durch seine Schuld hätten nehmen können. Und es war ihm Ernst damit, so Ernst als jenem, der in einer dem Richter eingegebenen Kostesnote einen Artikel hatte von zehntausend Gulden wegen Schaden und Folgen, welche sein Sohn erlitten, weil ihm sein Vater während dem Prozeß und weil ein Teil des Vermögens im Arrest lag, nicht die gehörige Erziehung hätte geben können. Doch die andern lachten ihn aus, freuten sich, wie der Kutscher daherkommen und was er sagen werde, tauten nach und nach ganz auf und waren glücklich, so ung'sinnet in einem so guten Hafen gelandet zu haben. Der Wirt wußte, woran man gut lebte, und sorgte dafür.

Es fanden sich nach und nach noch mehr Schützenbrüder ein, es ging munter und flott, und als man am lustigsten dran war, erschien der verlorengegangene Kutscher unter der Türe. Mit wütendem Gelächter, welches gar nicht aufhören wollte, wurde er begrüßt; er aber fuhr fast aus der Haut, und den Herren kam es wohl, hatte er seine Peitsche nicht zur Hand, unbedenklich hätte er sie gebraucht, als wären sie allzumal ungezogene Jungens. Endlich gelang es ihm, seinem Zorne Luft zu machen. Er bildete sich ein, die Herren hätten ihn von seinem Sitze herabgeworfen oder doch herabfallen sehen und mutwillig im Stich gelassen; das nehme er nicht so an, so was sei ihm nie begegnet, begehrte er auf. Das amüsierte die Herren sehr.

Der Hammerschmied sagte: er freue sich auf den Handel, er wolle es sonnenklar beweisen, daß der Kutscher sie böswillig im Stich gelassen; er solle zusehen, wie es ihm gehe, er müsse erschossen werden so gut als eine Schildwache, welche von ihrem Posten laufe. Nun begehrte der Kutscher schrecklich auf: das sei erlogen und erfunden, und wer so was sage, sei ein verlogener Schelm und Spitzbub. Flugs vermahnte der Hammerschmied und fragte den Kutscher, was er dazu sage, wenn er ihm beweise, wie alles zu- und hergegangen und wie er den Schelm an ihnen gemacht, ob er aber dann schlafsturm sei oder am heiterhellen Tage ein Nachtwandler, und erzählte aus dem Stegreif eine lange Geschichte, was der Kutscher alles gemacht und wie sie ihm zugesehen, daß der Kutscher das Maul offen vergaß und endlich ausrief: »Das ist gelogen, und zwar gestämpfelt.« (So werden im Kanton Bern seit einiger Zeit die Lügen geheißen, wo der Lügner mit Bewußtsein und unnachahmlicher Frechheit der Wahrheit geradezu ins Gesicht schlägt.) Es ward wiederum vermahnt und des Kutschers Bosheiten des weitern erzählt, so daß derselbe sprachlos wurde, sich als eine verzauberte Person vorkam und wirklich nicht mehr wußte, war er ein Narr, oder waren Narren die anderen, den anderen aber vor Lachen es fast übel ward.

Endlich machte der Wirt dem Spektakel ein Ende, indem er dem Kutscher Aufschluß gab, in welchem Zustande die Herren hier angekommen, daß man, wenn er nicht gewesen, Kanonen hätte kommen lassen müssen, um sie zu wecken. Aus den Geständnissen des Kutschers ergab es sich, daß es ihm ähnlich ergangen. Wie er vom Bock gekommen, wußte er nicht, und bis dato wurde es nicht aufgeklärt. Ihn weckte mit dem Peitschenstiel ein Fuhrmann, dem es seltsam vorkam, daß ein Kutscher da am Wege liege mit der Peitsche in der Hand, und ihn halbers für tot hielt. Der Kutscher fand sich auch lange nicht zurecht, stund da wie vom Himmel herab, bis ihm endlich der Fuhrmann sagte, wo er sei. Da erinnerte er sich, wie er dahin gekommen. Das konnte er nur der Bosheit seiner Herren zuschreiben, und das Laufen über eine Stunde weit in solcher Hitze war besonders für einen Kutscher nicht geeignet, seinen Zorn abzukühlen.

Diese Auflösung wurde von beiden Parteien als ganz natürlich vollkommen begriffen. Sie hatten zwei Nächte wenig geschlafen, zwei Tage viel und lang getrunken, am dritten einen tüchtigen Schluck, als ob es drei Wochen nie mehr gut wäre, auf die Reise genommen, und mit den Herren brüderlich hatte der Kutscher gelebt, daher der Schlaf als ein ganz natürlicher konstatiert wurde. Nur beim Kutscher blieb ein Wurm zurück wegen dem Betragen der Herren bei seinem Wiedererscheinen und ihrer frechen Lügnerei. Er lebt dato noch und erzählt oft, wie die hätten lügen können, akkurat als wie gestämpfelt.

Es hatten sich nach und nach noch mehr Freunde eingefunden und in großer Heiterkeit getafelt, bis man müde wurde vom Sitzen und zu kegeln beschloß. Das ging noch lustiger zu, aber nicht wohlfeil, besonders für die Fremden nicht. Sowenig die Mädchen alle gleich sind, sondern jedes seine eigenen Launen hat, so auch die Kegelbahnen: jede hat ihre eigenen Tücken und Hinterlisten; wer nicht damit wohlbekannt ist, der muß Lehrgeld zahlen, es sei dann, er sei ein Glücksdüpfi und treffe die Launen der Bahn von ungefähr. Es kostete unsere Reisenden ein tüchtiges Lehrgeld, welches ihre Hosensäck fast vollständig ausräumte, so daß es hoch an der Zeit war, die Lustfahrt zu beendigen, wenn sie nicht Kredit in Anspruch nehmen wollten.

Und Ende gut, alles gut, traf es sich noch, daß unserem Hammerschmied die Bezahlung des Kegelaufstellers angehängt wurde. Es ärgerte ihn, aber er verbarg den Ärger in einem ganz neuen Heldenstücklein, welches Aufsehen erregen sollte. Er riß sein quasiseidenes Nastuch entzwei, wickelte das schuldige Geld hinein, wurstete dasselbe in das sogenannte Kläf oder die Handhabe in der Kugel und schmiß so dem Aufsteller seinen Lohn zu. Wir haben nicht gehört, daß dieses Stücklein wiederholt wurde; im Bernbiet hat man eine Sache lieber ganz als zerrissen, hat vor mutwilligem G'schänden einen Greuel, hat vor solchen, welche auf diese Weise wirtschaften, schlechten Respekt, meint, wenn der so haushält, so wird nicht alles mit ihm sein; habe noch nie gehört, daß es mit solchen einen guten Austrag nehme, und geht man so mit der eigenen Sache um, wie wird man erst mit fremdem Gut, Staatsgut zum Beispiel, wirtschaften!

Der Kassabestand war sehr schlecht, als man heimkam, ohne großes Gepolter hätte die Kasse gestürzt werden können; somit war eine ziemliche Gleichheit eingetreten, indem alle gleich viel hatten, nämlich nichts. Da war eine wahre brüderliche Gleichheit, wie ungleich auch die Taschen bei der Ausfahrt gespickt gewesen waren. Da sieht man, wenn der rechte Sinn da ist, wie leicht der Kommunismus sich macht und wie leicht es zu machen ist, daß alle gleich viel haben. Hintenher war wohl auch von Rechnung die Rede, dadurch wäre aber die Gleichheit wieder aufgehoben worden; der gesunde Sinn der Mehrzahl aber verhinderte glücklicherweise die gefährliche Reaktion.


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