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Zehntes Kapitel

Wie die beiden Hanse im neuen Leben wandeln und im Fortschritt

Es ging alles, wie der Regierer und Hans es wollten; eines Tages ward alles neu, das heißt, auf den grünen Sesseln saßen andere Personen, auf dem Papier stand eine andere Verfassung, und nun meinten die Tröpfe, das Himmelreich sei nahe herbeikommen und nun mangle nichts mehr als noch zirka drei Wochen, um zu halten, was versprochen worden: linds Brot und Juhe alle Tage und Fischeli z'Morge und Krebseli z'Nacht. Natürlich kam der Regierer zu hohen Ehren, er hatte es wohl verdient, und Hans schnappte auch was weg; das ganze Dorf war stolz auf ihn, einen so vornehmen Mann hatten sie kaum noch in ihrer Mitte gehabt, er ward allgemein nur »Üse« genannt. Wenn irgendwas gewünscht wurde, daß es eingeführt oder gesagt würde, so hieß es: »Man muß es Üsem sagen, Üse wird das schon machen. B'hüt is, da braucht man keinen Kummer zu haben; Üse ist gerade der Rechte dafür.« Wenn ein Küchliwyler in die Stadt ging und man fragte ihn: »Woaus, Mann, woaus?«, so erhielt man zur Antwort: »Ih will zu Üsem. Ih bi da i Ug'legeheit cho, er muß m'r z'weg helfe. Du wirst ne wohl chenne oder scho von ihm g'hört ha. Er ist dinne vo de Erste eine. Ih weiß nit, aber g'höre säge han ih scho mängisch, daß si selber g'seit heige, we si dä nit hätte, es ging nit.«

Es ist möglich, daß Hans es selbst glaubte, wenigstens war er um des Vaterlandes willen noch viel weniger daheim als früher, und darum ging es auch um viel schlechter. Gritli war fast immer krank, und zwar noch mehr am Gemüte als am Leibe. Gritli hing beständig zwischen dem Vorsatze, sich keiner Sache mehr anzunehmen, alles gleichgültig schlitten zu lassen, wie es schlitten wolle – denn solange es lebe, sehe es Sachen genug –, und zwischen der Unmöglichkeit, ihn auszuführen. Hatte es sich heute keiner Sache angenommen, so kümmerte es sich morgen doppelt darum, tat nötlich, trieb die Leute fast aus der Haut, erhielt böse Worte, brachte nichts ab, schluckte nur Verdruß und Galle, und am Abend war ihm zum Sterben übel. So ist es aber ein schrecklich Dabeisein, es ist wohl die größte Pein, welche ein Mensch ertragen kann, und währt gar lang und wird alle Tage neu. Man hängt so drin und wird sie nicht los. Es ist, als ob man in einer Dornhecke gefangen steckte oder von einem durchgegangenen Fuhrwerk geschleift würde, nicht zum Sterben, sondern so, daß man immer sich losmachen will und nicht kann.

Dazu kam noch Zwiespalt zwischen den Brüdern, der kam der Mutter auch so bitter vor und war doch gut. Hans der Jüngere, der Leutnant, tat groß, sonst aber nichts. Er meinte, wenn er das recht treibe, so sei das viel genug gemacht, das könne nicht ein jeder. Er war Erbe des Hofes, das wußte er, gebärdete sich daher nicht bloß als Kronprinz, sondern als Prinzregent, behandelte Benz unter dem Bein durch fast als Knecht, und wenn etwas ging, was ihm nicht anständig war, putzte er Benz aus. Die Landstände hatten ihm eigentlich diese Machtvollkommenheit nicht verliehen, aber er nahm an, daß, wenn der Vater nicht daheim sei, so sei er das Haupt und habe zu befehlen. Benz drückte das, denn er war nicht bloß der Ältere, sondern auch der Verständigere und arbeitete wirklich noch. Während er arbeitete, sah er Hans Geld verklopfen, daß es ein Graus war; das drückt. Er wußte oft nicht, wie Hans zu dem Geld kam, er tat, als käme es ihm durchs Kamin herunter, ungezählt und ungemessen.

Hans war in der Gemeinde gebraucht und angestellt worden. Man dachte, das gebe einst so ein rechter Gemeindevater, den müsse man frühe an die Geschäfte gewöhnen, und weil der Vater in seiner höhern Stellung für die Gemeinde wenig mehr zu rechnen sei, sei es nichts als billig, wenn der Sohn für ihn einstehe. Er war daher Einzieher von Burgergeldern oder Waisenvogt oder Spitalvogt oder alles zusammen, kurz, etwas geworden, wo ihm viel Geld in die Finger kam. Nun, das ist eine schöne Sache, wenn einem viel Geld in die Finger kommt, aber wenn es nicht sein eigen ist, sollte immer wieder jemand dasein, der zusieht, ob alles wieder drauskömmt, was dreingekommen. Nun aber war das letztere nicht mehr der Fall, man lebte in glücklichern Zeiten, man hatte Wichtigeres zu tun. Der Regierer hatte fürs Heil des Vaterlandes zu sorgen, einer Regierung ab den Beinen zu helfen, einer andern wieder drauf; wie konnte er sich so um Kleinigkeiten, um Witwen und Waisen kümmern oder gar bei so hohen idealen Bestrebungen wie Freiheit und Gleichheit, Zehnten und Bodenzinsen, das heißt Feudallasten, um das niedere Geld? Und jetzt war es noch viel weniger der Fall. Wer hätte es wagen wollen, einem Leutnant oder Hauptmann, einem Waffengefährten, einem gesinnungstüchtigen Sohne eines der tüchtigst gesinneten Förderer des Fortschrittes und der Bildung auf die Finger zu sehen wegen lumpichtem Armen- oder Waisengelde? Die Verfassung hatte ja die Pflicht der Armenunterstützung aufgehoben, bei Freiheit und Gleichheit sollte jeder für sich selbsten sehen. Ich mache, was ich kann, mach's auch! Die Witwen und Waisen sollten emanzipiert werden, das heißt beutepreis erklärt, das heißt, wenn jeder mit ihnen machen wolle, was ihm gut dünke, absonderlich schlechte Agenten, Schreiber und andere hungerige Habichte, sollten sie sich selbsten vorsehen und wahren, und wenn sie es nicht vermöchten, so seien sie in Gottes Namen selbst schuld, wenn sie um alles kämen, warum hätten sie es nicht vermocht; und wegen einem dummen Weibspersönchen belästige oder verdächtige man einen Freiheitshebel und Kapitalsburschen nicht, ward vielleicht gesagt, vielleicht nicht, vielleicht ward es auch gedacht, vielleicht auch nicht, es hatte nur den Anschein, als ob es gesagt oder gedacht würde.

Na, jedenfalls ließ sich Hans nicht kümmern; er nahm Geld ein je mehr, je lieber; ob er alles aufmachte, wußte er selbst kaum, wie zum Gugger sollten wir das wissen, und wen ging das eigentlich an? Wenigstens uns nicht, schien es ja weder obere noch untere Behörde was anzugehen, frug keine, am allerwenigsten der Regierer: »Hans, machst auf?« Ob er aufmachte, was er ausgab, selb wissen wir erst nicht, wir glauben es aber auch wirklich nicht, wir halten eigentlich auch dafür, das Aufmachen von Ausgaben sei eine unnötige Pedanterie; versteht es sich doch von selbst, daß, wenn kein Geld mehr in der Kasse sich findet, es ausgegeben ist, gefressen wird es ja keiner haben. Zudem ist es für einen freigesinnten Vaterlandsfreund nicht bloß lästig und unerhört zeitraubend, wenn er alles aufmachen soll, was er ausgibt, besonders von fremdem Gelde, was ihn eigentlich wenig angeht, sondern es zeugt von Mißtrauen, ist eines freiheitliebenden Mannes unwürdig; einem gesinnungssüchtigen oder -tüchtigen Manne soll man so etwas gar nicht zumuten, es ist gegen den Adel des Zeitgeistes. Man hat Proben im großen gemacht, die Kantone Thurgau, Aargau und Freiburg mit Verwaltern von dem Zeitgeiste verfallenen Klostergütern, sie gerieten vortrefflich. Im gleichen Zeitgeiste wurden sie so verwaltet, daß männiglich vor Erstaunen Augen, Nasen und Ohren aufgingen und alle nichts anders zu sagen wußten als: »Ah, ah« und abermals: »Ah!« In den Kantonen St. Gallen, Schaffhausen und Zürich fielen die Proben in der Staatsverwaltung ebenso glücklich aus, daß gewiß manchem ehrlichen Schaffhauser Bürger die Augen überliefen vor Andacht und Rührung. In andern Kantonen liegen die Resultate der Proben noch nicht klar am Tage, in Waadt, Genf, Luzern, welche allem Anschein und den Vorgängen nach großartig ausfallen müssen. In Freiburg scheint man die Freiheit der Presse ganz eigen verstanden zu haben, nämlich nicht Freiheit der Druckerpresse, sondern Freiheit der Geldpresse. Wer ein Hudel ist und z'Platz kömmt, preßt den, der was hat, auf das verfluchtest, noch ganz anders als die Murtner ihre Knallkügelchen, welche sie in seltsamer Verblendung seit Jahrhunderten für Traubenbeeren ausgeben, ja sie selbst für solche essen, was eben das merkwürdigste ist. Über Resultate und Folgen dieser Preßanstrengungen ist man aber eben dort auch noch nicht im klaren, obgleich der Oberpresser ob seinen Anstrengungen schäumt und schwitzt, daß es stinkt im ganzen Schweizerlande. Daß man im Kanton Bern in keinem Fortschritt zurückbleibt, darf als bekannt vorausgesetzt werden, den Glanz des Systems aber anzuführen, verbietet die Bescheidenheit, von wegen es könnte stinken, was man bekanntlich dem Eigenlob nachredet.

Benz sah dem Treiben von Hans, seinem Krüscheln im Gelde mit großen Augen zu, wahrscheinlich aus Eifersucht. Wenigstens warf es Hans Benz allemal vor, wenn der was sagte. »Du bist nur schalus«, sagte Hans, »wenn es dir zugefallen wäre, du machtest auch, was du könntest, und würdest niemanden anders viel nachfragen; du bist der Rechte dazu.«

Benz wollte das freilich nicht haben. »Du brauchst es, und über mich geht es aus«, sagte er. Damit hatte Benz etwas recht, denn was ersetzt werden mußte, wurde aus des Vaters Geld ersetzt, und den Hof erhielt deswegen der Sohn nicht teurer. Aber Hans verlachte alles. »Habe nicht Kummer für alte Schuhe!« sagte er. »So spitz geht das nicht mehr. Es ist gottlob nicht mehr die Zeit, wo alles auf dem Bauer herumreitet und wo man die größte Freude daran hatte, wenn man einen zum Schelmen machen konnte. Jetzt hat der Bauer auch das Recht, was zur Sache zu sagen.« Möglich, daß Hans damit sagen wollte, es käme auf den Bauer, den souveränen Bürger des Landes an, ob er über anvertraute Gelder Rechnung geben wolle oder nicht. Möglich, daß er das nicht meinte, sondern so bloß im allgemeinen allfällige böse Folgen verlachte.

Es muß in unserer Welt ein ungeheurer, unbegreiflicher Leichtsinn stecken, der zuzeiten irgendwoher, sei es aus den Tiefen der Erde oder vom Schwanze irgendeines Kometen her über die Menschen kömmt wie ein Fieber oder der Rotlauf oder wie die Cholera oder die Grippe, kurz, ein Krankheitsstoff, der ihnen ins Gesicht schlägt, daß sie den Zusammenhang zwischen hinten und vornen, zwischen Ursachen und Folgen weder sehen noch daran denken können. Geld, Geld geht ihnen über alles, und haben sie es zwischen den Fingern, brennt es sie, sie werfen es fort, sie möchten reich werden und verschwenden doppelt soviel in schauderhaftem Leichtsinn, möchten ihr Glück mit reichen und schönen Mädchen machen und geben öffentlich sich mit jeder Hure ab; sie müssen von sogenannten Ehrenstellen oder Ämtern leben, streben nach den obersten, und haben sie eins, ist es ihnen nach den ersten sechs Monaten zu gering, sie müssen ein höheres haben und befleißen sich dabei einer so schandbaren Aufführung, daß man in einem ehrbaren Dorfe Bedenken tragen würde, sie als Sauhirten oder Mauser anzustellen. Es ist sehr merkwürdig, wie sie gezwungen werden, durch ihr verkehrtes Tun sichtbarlich Zeugnis abzulegen, wes Geistes Kinder sie sind, nämlich des Geistes, der immer schaffen muß das Gegenteil von dem, was er will.

Leute mit halbwegs gesundem Verstande können ein solches Wesen durchaus nicht begreifen, wo man ja nicht zehn Finger braucht, sondern höchstens fünfe, um abzuzählen, was bei einem solchen Treiben herauskommen muß. Wer nicht bloß an den Fingern abzählt, sondern sonst noch denkt, kann es sich einigermaßen erklären, wenn er annimmt, man werde noch immer verstockt wie Pharao oder mit Blindheit geschlagen, wie es den Syrern geschah oder wie es fünftes Buch Moses, Kapitel 28 heißt: »Der Herr wird dich schlagen mit Wahnsinn und mit Blindheit und mit Scheue des Herzens. Und du wirst tappen am Mittag, gleich wie der Blinde tappet im Dunkeln, und wirst auf deinen Wegen kein Glück haben.« Moderner, zeitgemäßer wäre die Ansicht, daß es verschiedene Räusche gibt, nicht bloß solche von Wein und Branntwein; sie sind ebenfalls in der Bibel angedeutet, wo es zum Beispiel heißt: »Babel ist gewesen ein goldner Kelch in der Hand des Herrn, der die ganze Welt trunken gemacht hat. Die Völker haben von ihrem Weine getrunken, darum sind die Völker so toll geworden.« Und ferneres wäre darüber zu lesen in der Offenbarung Johannis, was wir aber einstweilen für uns behalten wollen. Anders als mit den verschiedenen Räuschen kann man das Betragen so vieler durchaus nicht erklären. Sie sind von einem Triebe, einer Macht so erfüllt, daß ihre Augen und Ohren voll werden und sturm ihr Verstand, daß er gar nichts mehr begreift.

So lebte Hans der Junge flott wie ein Vogel im Hirse, ließ durch Benze Grollen sich kein grau Härlein wachsen. Seine größte Lust war, wenn er die Uniform anziehen konnte oder wenn es was zu wählen gab, dann erst konnte er es so recht angehen lassen. Dann hatte er nicht bloß das Recht, sondern auch die Pflicht, nichts zu arbeiten, herumzustrolchen von einem Wirtshaus ins andere und soviel Geld als möglich zu verklopfen zum Heil des Vaterlandes. Nun, wie es im Militär geht, ist bekannt zu Stadt und Land von alters her, aber das rechte politische Leben ist eine neuere Erfindung und prächtig besonders für junge Leute. Wenn es angeht, hört das gemeine Arbeiten auf, sei es Arbeit in Holz, Stein, Büchern oder Papier. Dafür geht das Reden, Laufen und Saufen an. Wer die drei Dinge am besten kann, dem wird das Vaterland am meisten verpflichtet, der hat die tüchtigste Gesinnung, ist der wahre Vaterlandsfreund. Man redet die Wahllisten durch, erfindet belebende, aufregende Gerüchte, sucht Mittel, die einen zu gewinnen, die andern zu erschrecken oder wenigstens in schlechten Geruch zu bringen, mündlich und gedruckt, oder wie man sonst Rache an ihnen ausüben, ihnen Feinde machen, sie lähmen könne.

Waren die meisten verlaufen, setzten sich wohl die Auserwählten zu einem Spiel zusammen. Spielen tat Hans für sein Leben gern, ein Kartenspiel hatte für ihn stärkern Zug als junger Klee für eine Kuh. Hans war geradeso einer, wie die rechten Spieler sie so sehr lieben. Hans hatte Geld, aber noch keine so verpichte Leber, daß er den ganzen Tag saufen konnte, ohne voll zu werden. Hans tat dazu gerne groß, wollte wagen, was kein anderer wagte: »Donner, we kene darf, su darf ih!« Solche Spieler sind besonders angenehm; bei all den erwähnten Eigenschaften haben sie noch die, nicht auf die Hände der Mitspieler zu achten, nicht auf ihre Blicke zu merken, ja nicht einmal auf die Zeichen, welche sie sich unter dem Tisch mit Füßen und Knien geben. Solche Spieler, wenn sie das Hirn voll Wein und die Augen voll Wasser haben, haben begreiflich an den eigenen Karten genug zu studieren, bis sie herausgebracht, ob sie Trümpf oder keinen, Könige oder Säue in Händen haben, um noch auf andere achten zu können. So werden sie dann ordentlich erleichtert, und zwar zuweilen um Hunderte von Gulden. Die Menschen spielten hoch, wenn sie jemanden hatten, wo es sich der Mühe lohnte, werden aber am Ende nicht viel davonbringen, denn wie gewonnen, so zerronnen.

Wenn man am Morgen erwacht und im sturmen Kopf die Erinnerungen an den gestrigen Tag mühsam sammelt und Hunderte von verlorenen Gulden zusammenbringt, so wird es einem ganz fatal ums Gemüte, besonders wenn man einstweilen nicht über Tausende zu gebieten hat. Man denkt vor allem: »Wie wieder Geld kriegen, wie wieder Schadens einkommen?« Da gibt es dann auch fatale Gedanken. Wir wollen nicht von den Söhnen reden, welche an des Vaters Hosensack oder dessen Spycher oder Bureauschlüssel denken, nicht von Lehrbuben und Kommis, welche an ihres Herrn Kasse denken, es gibt noch viel Ärgere, welche hinein ins Staatsleben greifen. Jüngst sagte ein ganz junger Mann, dessen Erinnerungen nicht bis zum Jahr dreißig reichen, es sei in frühern Jahren viel ärger gegangen, die Menschen viel schlechter gewesen als jetzt, namentlich die Beamteten. Aus dem jungen Menschen gibt es was, er weiß alles und hat doch weder etwas erfahren noch sonst etwas in den Bereich seines Wissens gebracht. Das ist gerade das Holz, aus welchem die Propheten wachsen, die großen und die kleinen. Schon vielen tausend ging's schlecht genug.

Zur Zeit der Sündflut war es schon, da lebte ein Mann, welcher in Gemeindesachen ein großes Wort führte und in Staatsangelegenheiten zu dem Wichtigsten stimmte, und zwar immer radikal. Dieser war auch Liebhaber von allerlei, wie es zur Zeit der Sündflut üblich war, namentlich vom Spiel; aber er gewann lieber, als er verlor, überhaupt sollten seine Liebhabereien ihm an seinem Vermögen keinen Abbruch tun, er bestritt sie am liebsten aus allerlei Nebenverdienst. Dem Mann ging es einst übel; er verlor eine beträchtliche Summe Geldes und hatte schon früher allerlei Nebenverluste erlitten. Ganz zerknirscht und zerstoßen ging er heim und sann stark nach, wie er wieder zu seiner Sache kommen könnte. Da fiel ihm ein junger Bursche ein, der einigemal betrunken gewesen und einigemal etwas Geld verliederlichet, kurz, getan, was schon mancher Ratsherr unbeschadet eigenen Rechtens. Dieser Bursche hatte ein Heimwesen, welches jener Mann gerne gehabt hätte, so wie der eine König eine Windmühle, der andere einen Weinberg. Der Bursche wollte aber dieses Heimwesen gar nicht verkaufen, um keinen Preis, es war seiner Väter Erbe. Nun, als jener Mann heimging in schönem Mondschein, aber mit leerem Beutel, da kam ein feiner Geist über ihn, sein Geist erhob sich, erhob sich allgemach weit über den jener beiden Könige, er kam zum Schluß: »Der muß bevogtet sein; um den Schulden zu begegnen, muß das Heimat verkauft werden; ist's verkauft, kann man meinethalben machen, was man will, ihn bevogtet oder frei lassen, was frage ich dann dem nach!« Als einmal sein Geist auf dieser Höhe war, ward es ihm auch wohl ums Herz, und ganz hellauf und voll von Trost kam er heim. Nun herrschte zwar damals zur Zeit der Sündflut der Grundsatz unbedingter Freiheit. Als Enaks Söhne in einem Verfassungsrate zusammensaßen, hatten sie auch das Bevogten soviel als ganz aberkennt von wegen der Gewerbsfreiheit. Einer von Enaks Hauptsöhnen hatte gesagt: bevogten sei gegen allen Grundsatz. Wo ein Mensch liederlich sei, Mann oder Weib, Vater oder nicht Vater, so seien immer welche da, welche von ihm was gewinnen wollten, sei es mit diesem, sei es mit jenem, es sei vielleicht ihr Gewerbe, an solchen Menschen ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, wie der Barbierer mit Barten, die Bader mit Schröpfen und Aderlassen. Bevogte man nun einen solchen Menschen, so hindere man jene Leute in ihrem Gewerbe, versündige sich gegen einen Zweig der allgemeinen Freiheit, welche einmal konsequent durchgeführt sein wolle, an der Gewerbfreiheit, also weg mit Vogten!

Indessen galt schon unter Enaks Söhnen – oder vielmehr Kains Söhnen, denn der Enak stammte von Kain her und war der von seinem Samen, der bis auf den heutigen Tag nicht ausgestorben ist, der auf unbekannte Weise durch alle Weltstürme, Flut und Feuer, Erdbeben und Bergfälle unversehrt durchkömmt und unversehens erscheint, man weiß nicht wie, und wo man ihn am wenigsten erwartet; der ewige Jude ist bekanntlich gegenwärtig das Haupt dieser Familie, – also unter diesem Geschlechte galt schon damals der Grundsatz, es sei keine Regel ohne Ausnahme. Zudem kann man in gegebenen Fällen wie gerade im vorliegenden die Handelsfreiheit beträchtlich fördern und, was in toter Hand liegt, in freien Verkehr bringen. Jener Bursche, der seinen Hof nicht verkaufen wollte, störte den freien Verkehr, mußte also bevogtet werden und mit Recht, damit sein Eigentum in Verkehr kam. Darauf wurde richtig auf den Antrag jenes Mannes der Bursche bevogtet, um den Gläubigern zu begegnen, und weil man auf keine andere Weise Geld zu bekommen wußte, der Hof an eine Steigerung gebracht. Jener Mann, dem der Geist den Gedanken eingegeben hatte, ersteigerte den Hof richtig, und zwar so billig, daß sein Verlust im Spiel doppelt ersetzt wurde.

Als nun der Handelsfreiheit ihr Recht geschehen, kam man wieder zur Gewerbsfreiheit zurück. Der junge Mensch hatte nun statt eines festen Besitztumes flüssiges Geld, und der Leute waren viele, welche mit ihm allerlei zu g'werben bereit waren. Man entvogtete ihn also wieder, er hatte also volle Freiheit, mit seinem Gelde zu machen, was ihm beliebte, und das Publikum die Möglichkeit, mit ihm zu g'werben, wie es konnte und mochte; es war also einstweilen allen geholfen aufs allerbeste, woraus man zwei Dinge sehen kann: erstlich den großen Vorteil unbeschränkter Gewerbsfreiheit in Verbindung mit Handelsfreiheit und zweitens, wie kaum an einer Sache sich so scharfe Denker bilden als am Spiel, vielleicht an Staatsfinanzen ausgenommen.

Es gibt nämlich keine scharfsinnigern Kreaturen als Finanzminister, welche Staatsfinanzen auf den Hund gebracht. Den Hagels Ketzern kömmt das Unglaublichste in Sinn, erstlich das Defizit zu vermäntelen, und zweitens entdecken sie immer neue Stellen am Staatskörper, wo neue Schröpfhörner angesetzt oder zu Ader gelassen werden müsse zum Wohle des Volkes. Von wegen es ist nichts gefährlicher als Vollblütigkeit, und mit Aderlassen und Schröpfen rettet man sich vor Steck-, Stick-, Schlag- und andern Flüssen. Es ist merkwürdig, was solchen Leuten alles einfällt und zum Heil des Vaterlandes, versteht sich. Nun, es leben die Leute, welche sich zu helfen wissen!

Zu einem solchen, zu einem wahren Finanzkünstler bildete sich der junge Hans heran. Wenn man schon meinte, seine Kassen seien leer, jetzt werde er eine geraume Zeit auf dem trocknen sitzen, handkehrum waren sie wieder, wenn nicht voll, so doch nicht mehr leer, und Hans war wieder flott. Er war der glücklichste Mensch, er hatte immer etwas einzukassieren oder ein Titelchen, welches nicht ganz gut versichert war, zu versilbern, versteht sich auf Weisung des Gemeinderates hin und mit den schmeichelhaftesten Lobsprüchen, wie sie noch keinen gehabt, der sich allem so achte und sich Mühe geben möge, d'Sach in den Stand zu setzen, wie es sich gehöre. Wie das Geld dann aber angelegt und zu Ehr und Nutzen gezogen wurde, darum bekümmerte sich keine Seele. Das ist der Welt Lob und Lauf.


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