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Zwölftes Kapitel

Die Badekur und der Besuch

So ward endlich dem armen Gritli seine erborzete Badefahrt. Aber ein solches Erborzen vergiftet, was heilen sollte, und schärft den Stachel, der in der Brust sitzt. Badefahrten sind sehr schön und mögen besonders heilsam sein, wenn die Krankheit im Leibe sitzt und wenn man alles, was das Gemüt beschwert, dahintenlassen kann. Aber wenn das Gemüt angegriffen ist, der Leib ein Gallensack, die ganze Badgeschichte vergiftet ist durch Vorgänge aller Art und man dies alles mitnehmen muß und wiederkäuen Tag um Tag und obendrein schließlich die Angst kömmt, heimzumüssen ins alte Joch, vor die sauern Gesichter, zum Kelch, mit dem schrecklichen Bitterwasser aneinanderhängender Ärgernisse angefüllt, wenn das alles den Kranken ins Bad und aus dem Bade begleitet, was soll da des Wassers heilende Kraft wirken? Nun, es gibt wohl heitere Augenblicke und Stunden, wenn die Weiber sich eine so recht schöne Kindbettgeschichte erzählen oder von schlechten Nachbarstöchtern und Gespenstern, die man gesehen oder gehört. Behaglich wird es ihnen manchmal an der Tafel bei einem guten Braten oder appetitlichem Dessert. Nur eines vermißt jede rechte Bäurin im Bade, ein gut Kaffee nämlich; die dünne Milch, welcher man noch Nidel sagen sollte, liebt sie nicht, und auch die Mischungen im Kaffee nicht, sie liebt ihn pur. Ja, es gibt zuweilen einen heitern Tag, Genesung scheint zu dämmern, Lebensmut flackert auf, es dünkt einem, die Kraft komme wieder, welche die Bürde trägt unbeschwert, man hat leichtere Beine, bessern Appetit, hat ruhig geschlafen, aber das Ende dieses Tages ist doch der schwere Seufzer: »Ja, ich glaube, es wäre mir noch zu helfen, wenn ich hierbleiben könnte und nicht heimmüßte. Komme ich heim, ist's wieder im alten.« Und auf den Seufzer folgt die unruhigste der Nächte.

So ungefähr ging es unserer armen Frau im Bade, nur mit dem Unterschiede, daß zu den Kapiteln von Kindbettene und Gespenstern noch ein neues kam, das Kapitel von der Politik. Gelehrte werden darüber die Achseln zucken, moderne Weise werden sagen: »Was verstehen die Weiber von der Politik, Weiber und Pfaffen sollen schweigen davon, und reden sie, so sollen sie aufs Maul kriegen je schärfer, dest besser.«

Ganz gut, meine schönen Herren, aber dann zieht die Politik nicht in Haus und Kirche hinein, laßt beide ungeschoren und treibt euere Politik in Rats- und Wirtshäusern! Formt kirchliches und häusliches Leben nicht nach politischen Ansichten und politischen Tendenzen, das ist Tyrannei, das ist Zerstörung! Alles Leben wollt ihr töten bis an das politische Leben, und das ist für sich alleine das ödeste aller Leben, eine Wolke ohne Regen. Es ist an sich nichts, nichts als der Mist, in welchem das Ungeziefer entsteht, Bestien, kleine und große. Dieses Treiben ist viel greulicher als der Befehl Pharaos, daß die Israeliten ihre Kinder töten sollten, greulicher, als der Kindermord zu Bethlehem war, es ist der Mord der eigentlichen Menschheit, man verrät sie ans Tierreich, man wirft sie den Bestien zum Fraße vor. Das merken Weiber und Mütter mit ihrem feinen Gefühl, das noch feiner ist als das der Katzen, welche das Erdbeben zu Lissabon witterten Tage vorher. Aber die Mütter und die Weiber fliehen nicht, verlassen den gefährdeten Herd nicht, sie sind seine Schutzgöttinnen, sie wahren ihn in wahren Treuen, auf Tod und Leben gefaßt. Und tun das die Weiber, sollen dann die Diener Gottes untreu werden ihrem Herrn, fliehen von den gefährdeten Altären, als schlechte Hirten fliehen von der Herde, in welche die Wölfe brechen, fliehen zu den Wölfen und heulen mit den Wölfen, welche in die Herde brechen? Wenn die Politik daherkömmt über die häuslichen Herde, über die christlichen Altäre wie eine Wasserhose über die Kähne der Fischer, der heiße Wind Afrikas über Reisende und ihre Kamele, sollen die Lehrer der Christen fliehen dem sichern Ufer zu wie die Fischer oder in den Sand sich werfen wie die Reisenden? Sie sollen nicht fliehn, nicht weichen, nicht schweigen, sie sollen sie erwarten am Altar, der ihnen anvertraut ward, sollen die Waffen führen, die ihnen gegeben sind, das Wort, das wie ein zweischneidend Schwert durch die Seele fährt, gewaltiger als die Kanonenkugel – ein klein Ding, welches man schickt in der Wasserhose aufgeschwollenen Bauch, der Dunst entweicht, die Wasser fallen in den Abgrund, und verschwunden ist das große Ungetüm –, sollen sich schmücken mit der ganzen Kriegsrüstung Gottes, damit sie bestehen mögen gegen die listigen Anläufe des Teufels. Denn sie haben nicht bloß einen Kampf wider Fleisch und Blut, sondern wider das Fürstentum, wider die Obrigkeit, wider die Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, nämlich wider die bösen Geister, die in der Luft schweben – Zeitgeist –! Darum müssen sie ergreifen die ganze Kriegsrüstung Gottes, auf daß sie am bösen Tage Widerstand tun, alles wohl ausrichten und bestehen mögen; sollen umgürtet sein an ihren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit, und anstatt der Schuhe sollen sie an die Füße binden die Vorbereitung des Evangeliums des Friedens, vor allem aber ergreifen den Schild des Glaubens, mit welchem sie auslöschen können die feurigen Pfeile des Bösewichts. Sie sollen nehmen den Helm des Heils, das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

So sollen sich Weiber und Pfaffen in die Politik mischen, wenn die Politik zum greulichen Tiere wird und Haus und Kirche fressen will; und was gilt's, so ausgerüstet beg'wältigen Weiber und Pfaffen die greuliche Bestie und werfen sie wieder in den Abgrund, dem sie entstiegen ist, es zerfahren die bösen Geister in der Luft, daß man nicht weiß, wohin sie gekommen sind. Indessen wie es allenthalben von jeder Sache wenigstens zweierlei Sorten gibt, so gibt es auch unter den Weibern zwei Sorten, das heißt in Beziehung auf Politik; in allgemeiner Beziehung bildet jedes Weib eine eigene Sorte, darum ist die Weiberherrschaft so allgemein und Weiberkenntnis so selten.

So waren auch im Bade viele Weiber, welche wir aber bloß in zwei Sorten abteilen wollen, da wir nicht Zeit haben, sie genauer zu spezifizieren und jedes Weib eigens zu bezeichnen. Die eine Sorte bestund aus kränklichen und ältlichen Weibern; sie waren nett, rein, oft reich gekleidet in die schöne Landestracht, aber einfach, und Eitles sah man selten an ihnen. In ihrem eigentlichen Wesen aber hatten viele etwas Verkommenes, Verkümmertes, aber selbst Kenner wußten oft lange nicht, kam es vom Leibe oder von der Seele her. »Das ist ein gedrücktes Weib, aber wo es ihm fehlt, weiß ich noch nicht«, hörte man sie sagen. Bei diesen saß gewöhnlich Gritli. Die andere Sorte bestund meist aus jüngern Weibern, auch kränklich zumeist, aber durchweg modischer angezogen, mit Ringen an den Fingern, Uhren an goldenen Ketten, die Landestracht verunstaltet durch allerlei Firlefanz, grelle Farben. Sie redeten manchmal etwas wie Französisch, jedenfalls sehr zimpferlich, gnepften mit großer Prätension umher, sehr oft in brodierten Pantoffeln, und wenn sie mit der andern Sorte redeten, besonders einem ältern Weibe, so stellten sie sich in eine gewisse Entfernung und redeten mit einer gewissen Wegwerfung, so gleichsam als ob sie sagen wollten: »Du bist eine dumme Frau, was wolltest du verstehen, bist ja ohne alle Bildung.«

Die ältere Sorte hatte keine Handarbeit bei sich, aber gewöhnlich ein Betbuch oder ein Testament, die jüngere selten ein Buch, gewöhnlich eine Arbeit, ein Stück von einem Pantoffel oder etwas, das beinahe aussah wie eine Häkelei. Das waren also die Gebildeten. Wenn sie unter sich waren, besprachen sie sich über Bälle, Schieß- oder Singfeste, sprachen von ihren Männern, den Sitzungen, welchen sie beiwohnten, den Feldzügen, welche sie gemacht, den Besuchen, welche sie erhalten, wie der Mann in großem Ansehen stehe, was er alles hätte werden sollen, wenn er gewollt, und was er alles noch werde werden müssen, er möge wollen oder nicht. Man sprach von Kleidern, führte den Pfarrer aus, besonders dessen Frau und allfällige Töchter, rühmte den Sekundarlehrer, schimpfte über die Dorfschule und die gemeinen Kinder, wie sie ungebildet seien und die ihren alles Wüste lernen würden, wenn sie mit ihnen zusammenkämen. Sie lernten nicht einmal Orthographie, wüßten nicht, in welchem Weltteil wir wohnten, ob in Europa oder Frankreich. Wenn die Gebildetsten unter ihnen auf die Literatur kamen, so rühmten sie sehr »Martin, das Findelkind.« Das sei schön, sagten sie. Wenn man es lese, könne man die Füße nicht stillehalten unter dem Tisch, und man könne nicht begreifen, wie ein sterblicher Mensch alles im Kopf behalten könne, was im Buch geschrieben stehe; aber da könne man deutlich sehen, was die Aristokraten für Leute seien und die Pfaffen auch. Sie hätten sonst nicht recht gewußt, woran sie seien, aber in diesem Buche sei eine Religion, die habe ihnen gefallen, geradeso müßte es sein, wie jeder begreifen müsse, wer fünfe zählen könne. Überhaupt schienen sie gewettet zu haben, wer am besten rühmen könne. Diese Sorte bestund zumeist aus betitelten Frauen von der Kommandantin und der Frau Regierungsrätin bis zu der Frau Amtsweibelin hinunter, aus Wirts- und Dragonerstöchtern, vielen aus dem Schreibergeschlecht und andern mehr.

Die andere Sorte war weniger gesprächig, flog selten über Küche und Landwirtschaft hinaus; am meisten verhandelten sie ihre Kinder, seufzten über die Männer, und wenn eine den ihren rühmte, so war es, daß er sparsam sei, b'sunderbar werkbar und kein fremd Weibervolk ansehe. Ihre Gespräche verloren sich oft ins Geisterreich, und mitten in vielem Aberglauben trat doch sichtlich hervor, daß sie ihr irdisches Leben an ein ewiges geknüpft, das Ewige mit dem Zeitlichen in beständiger Verbindung glaubten, dem Ewigen mitten in dieser Zeit und in allem Handeln fortwährend Rechnung trugen. Vom rechten, innigen Glauben sprachen sie wenig oder nichts, er trat auf unaussprechliche Weise hervor, ungefähr wie bei rechten Mädchen die Liebe.

Ohne Hechelei ging's begreiflich nicht ab, denn Weiber sind geborne Hechlerinnen, aber mitten im Hecheln trat selten das Wegwerfende hervor, sondern ein gewisses Bedauren mit dem gehechelten Gegenstande, so zum Beispiel sagten sie: wenn nur ihr Schulmeister mehr Religion hätte, daneben wäre er ihnen lieb, aber er halte nichts auf den alten Büchern und z'Wunder einmal lese er mit den Kindern im Testament. So sei es ihnen doch nicht anständig, da könne doch jedes Kind sehen, wo das hinaussolle. Aber wie es dann gehen werde, das wisse Gott, sie begehrten nicht dabeizusein. Wenn sie von der Literatur redeten, so war es von der geistlichen; dann rühmte wohl jede ihr Buch als b'sunderbar schön, und um den Streit zu entscheiden, welches am schönsten, liehen sie einander diese Bücher. Unter dieser Sorte waren auch Amtsrichterinnen, wie zum Beispiel unser Gritli, ältere Wirtsfrauen, Bäurinnen und etwelche Bürgersfrauen aus Städtchen, in welchen es noch Sitte ist, einen Pflanzplätz zu haben und sich um Bohnen und Kabis zu kümmern.

Diese beiden Sorten mieden sich instinktmäßig; kamen sie aber einmal zusammen, so gab es allerlei Sticheleien, verblümte Redensarten, selten offenes Gezänk, aber jedenfalls Stoff für manchen Tag, übereinander sich zu ärgern. Bis zu den Prinzipien, wie die Schulmeister sagen, erhoben sich die Weiber wirklich nicht, sie blieben beim Praktischen.

Die erstern ärgerten sich über das neue Wesen, über die Baurentöchtern, die zu nichts nutz mehr wären, nicht wüßten, ob man ein Werkholz oben oder unten in die Finger nehme, kein Feuer anmachen könnten, geschweige Erdäpfel schwellen oder einer Sau vernünftig kochen, die vor lauter Bildung nicht mehr wüßten, wie manches Testament in der Bibel sei, ob dem herrscheligen Tun verlumpten, Väter und Männer über nichts brächten. Sie seufzten über die offene Gottlosigkeit, die Liederlichkeit, die über allen Begriff gehe, den Ungehorsam der Kinder, die schlechten Beispiele von oben, wo einer, je vornehmer er sein wolle, desto ähnlicher einem Schwein tun müsse. Auf der Sache hätten sie nichts, sie erführen, was das für ein Leben sei; wie es in zehn Jahren aussehe, begehrten sie nicht zu erleben.

Gegen solche Reden erhoben sich die andern schnippisch. Wegen der Gottlosigkeit möchten sie nichts hören, sagten sie, es würden ehedem sowenig alles Tugendbilder gewesen sein als jetzt, sie würden, als sie jung gewesen, auch nicht immer gebetet haben. Daß, wer es anders haben könne, alles selbst machen müsse, sei nirgends geschrieben, man sei auf der Welt, für Freude zu haben und nicht um den Angstkarren zu ziehen. Es sei nicht mehr die Zeit, gottlob, wo man zwischen einem Bewohner des Landes und einem Hunde keinen andern Unterschied gemacht, als daß der eine vier Beine hätte, der andere nur zwei; jetzt seien sie soviel als andere, vielleicht noch etwas mehr, und jeder könne leben, wie er es verstehe und vermöge und seinem Stande wohl anstehe. Wenn man auf solchen Pfosten sei, würde es sich wohl übel schicken, wenn man leben wollte wie Tauner und Schuldenbürli. Was man heute haben könne, auf morgen zu sparen, sei dumm; was nachkomme, wisse man nicht, wenn es schon geschrieben stehe. So dumm sei man heutzutage nicht mehr, zu glauben, es sei alles wahr, was gedruckt sei, und wär's in der Bibel. Heiße es doch: »Prüfet alles und das Beste behaltet«, so solle es ja selbst in der Bibel stehen, darum werde wohl niemand viel dagegenhaben können.

Ob solchen Reden schlug die erste Sorte entsetzt die Hände über dem Kopfe zusammen, rückte so weit möglich von den andern weg, sagte, man werde sehen, wie das komme. Komm es, wie es wolle, so sei es zwar für diese nicht schade, aber die armen Kinder könnten sie erbarmen. Jede wußte Beispiele zu erzählen, welchen Ausgang solche Hoffart habe, wobei Gritli gewöhnlich schwer seufzte und meinte: so b'richten davon, das mache sich noch, aber d'Sach selbst erleben müssen, selb sei greulich, den Angang sehen und nichts dran machen können, das drücke einem das Herz ab, mache, daß man keine frohe Stunde mehr haben könne. Vertrautern erzählte es sein Herzenleid und diese es im Vertrauen ihren Vertrauten, so daß fast die ganze Badegesellschaft teilnehmen konnte an Gritlis Schicksal. Das geschah denn auch. Die einen hatten großes Erbarmen mit ihm, den andern schlich sich eine stille, aber bedenkliche Vorliebe zum unbekannten Hunghans ins Herz. Das müsse ein netter, verständiger Mann sein, dachten sie, es sei nur schade, daß er eine so dumme Seufzerbüchse zur Frau habe; den möchten sie doch höllisch gerne einmal sehen.

An einem schönen Samstagabend wandelten einige von dieser Sorte in gestickten Pantoffeln – wir würden gerne sagen Pantöffelchen, wenn wir nicht gar zu irrtümliche Vorstellungen von dem Fußgestell der Wandelnden zu erwecken fürchteten – vor dem Hause herum, stunden aber plötzlich still, denn gegen das Bad her kamen zwei stattliche Gestalten, eine männliche und eine weibliche in Landestracht. »Das ist Visite«, sagten sie, »zu wem wollen die wohl? Allem an sind es Emmentaler oder Oberaargauer, was um Burdlef ume.« Unterdessen waren die beiden näher gekommen, frugen Gritli nach und wurden auf seine Stube gewiesen, wo es sein werde. »Tüfel«, sagte eine mit mehreren Ringen, blassem, langem Gesichte, geschnürt wie ein russischer Gardeoffizier, in grellen Farben glitzerend, »Tüfel, ist ihn das wohl, der Räägge Mann, der Amtsrichter?« Es ging ein großer G'wunder auf, ein starkes Werweisen an, wer er sei und was für eine er bei sich habe. Es wollte sie fast versprengen.

Es waren Lisi und Benz, welche Gritli einen Besuch machten. »Höre«, hatte Benz zu Lisi gesagt, »ich habe etwas gedacht, was meinst dazu? Ich frug am Sonntag Hans, wie es Gritli gehe. Es werde wohl gut gehen, sagte Hans, sonst hätte es schon Bescheid gemacht. ›Geht etwa jemand zu ihm?‹ frug ich. Er wüßte nicht warum, hat er gesagt. Es gebe ohnehin Kosten genug, ohne daß man noch mutwillige dazumache. Das dünkte mich strengs, aber ich durfte nichts sagen. Aber das arm Gritli hat sicherlich Langeweile, und wenn sich so niemand um ihns kümmert, als ob es schon nicht mehr auf der Welt wäre, tut ihm das in der Seele weh. Da dachte ich, wie's wär, wenn wir hinführen. Ihns freut's, die Arbeit ist nicht im Weg, und du kömmst doch einmal vom Hause weg.« Lisi warf nicht eine Menge Schwierigkeiten in den Weg, wie Weiber zuweilen es pflegen, sondern sagte rasch: »Du bist doch wahrlich immer der Beste; ich dachte auch daran, durfte aber nichts sagen, man hat ohnehin Kosten genug, und drei Tage versäumen ist viel, aber freuen tut es mich, ich muß es sagen.« »He«, sagte Benz, »sich zuweilen etwas gönnen wird wohl erlaubt sein. Deswegen muß niemand es büßen, es wird niemand deswegen was abgezogen oder aufgebürdet. Daneben sind Zeit und Geld nicht verloren. Man geht nie von Hause, daß man nicht etwas lernt, und wenn man einmal aus dem Geschirr kömmt, so geht es nachher nur um so munterer, man ist frischer geworden an Leib und Seele. Nun, wenn's dir recht ist, so wollen wir am Samstag in aller Frühe fahren, ehe die Brämen bös sind. Das Wetter ist gut und das Korn nicht reif noch.«

Gegen dieses Pressieren hatte Lisi allerlei einzuwenden; um acht Tage wollte es die Reise verschieben. Es wußte allerlei Gründe dafür vorzubringen, wahrscheinlich nur den rechten nicht; wahrscheinlich dachte es an eine neue Kappe oder so was, um so recht staatsmäßig aufzuziehen. Es gab indessen nach; erstlich waren Benzes Gründe zu schwer und zweitens seine Garderobe zu solid bestellt, als daß es vernünftigerweise auf seinem Kopfe bestehen konnte.

Ohne Kram geht eine rechte Bäurin selten weit von Hause, selten z'Dorf; darin liegt je nach der Natur bald Stolz, bald freigebige Großmut. Eine rechte Bäurin ist in der Regel gutmütig, und ihre Hände sind selten leer. Lisi hielt ein gut Kaffee für das Beste auf Gottes Erdboden, dazu gehörte aber dicke Nidle, und die war in einem Bade nicht zu haben für kein Geld. Eine gute Ankenschnitte, mit Honig gelb belegt, schien ihm, wenn nicht das zweite, so doch bald hernach zu kommen. Nidle, Anken und Hung waren die drei Dinge, welche Gretli der Gotte z'weg machte in erster Güte mit kindlicher Freude über das Wohlleben, welches die Gotte daran haben werde.

Lisi, welches jahrelang selten aus der Gemeinde, höchstens zum nächsten Markte gekommen war, machte große Augen über die Veränderlichkeit der Welt, am meisten über die vielen neuen Häuser und die große Hoffart. Man wisse längs Stück nit, sehe man rechte Leute oder Narre. Wenn es es nicht mit eignen Augen sähe, keinem Menschen hätte es glaubt, daß das Weibervolk so halbweltsch werden konnte, daß man längs Stück nicht wüßte, sehe man Walliser Einsiedelngängerinnen oder Mistelacher Hureni. Es nehme ihns nicht mehr wunder, daß das halbe Land vergantet werde; das sei ein Bauen, welches keine Art habe. Es müßte Geld geschneit haben, wenn die Leute alles zahlen wollten, was sie machen ließen. Aber was wolle man: seit man nicht mehr geltstage, schämten sich die Leute nicht mehr, wenn sie z'Hudels würden. Mit Güterabtretung schüttle man die Schulden ab, wie ein Handwerksbursche ein beschmutztes Hemde abziehe, um damit dem Beißen und den Flöhen loszuwerden. Hernach sei man noch einmal so wohl, ganz wie neu.

Man kann sich denken, wie Gritli über den unerwarteten Besuch sich freute, aber mit Weinen, wie kränkelnde Gemüter pflegen. Es beelendete ihns gar zu sehr, daß fremde Leute zu ihm kamen, die Seinen sich nichts um ihns kümmerten. Es begann so krank zu werden im Gemüte, daß jede Freude sich ihm alsbald in Bitterkeit umsetzte. Nun, die Wolken gingen vorüber, die Freude blitzte wieder auf und wurde durch die süßen Schätze, welche Lisi mitgebracht, vermehrt. Gritli mochte nicht warten, bis es sich an denselben erlaben konnte, und nie klagte es mehr über die Ungefälligkeit der Köchin und ihre Mißgunst wegem kochenden Wasser und einem Plätzchen in der Küche, um seinen Kaffee selbst zu kochen. Köchinnen sind allenthalben wunderlich, sehen fremde, besonders weibliche Gesichter nicht gerne in der Küche, zu den fremden Gesichtern rechnen sehr viele auch das der Meisterfrau; besonders wunderlich sollen aber die Badeköchinnen sein, wahrscheinlich wegen der Überzahl von weiblichen Gesichtern, welche in der Küche erscheinen und vielleicht gar die Absicht verraten, darin sich ganz heimelig, als wären sie daheim, zu machen. Es versteht sich, daß hier nur von Bädern niedrigern Ranges die Rede ist. In Wies- und andern Baden wird es wohl anders zugehen. Prinzessinnen werden nicht nach ihrem Kaffee sehen, Königinnen ihren Tee nicht eigenhändig anrichten wollen, um überzeugt zu sein, daß das zugegossene Wasser wirklich siedend gewesen.

Unten war unterdessen die Neugierde groß, den vermeintlichen Herrn Amtsrichter näher zu besehen und zu vernehmen, wer die Frau sei, mit der er gekommen, ob seine Zukünftige oder sonst eine Begünstigte oder keins von beiden, denn wenn er gescheit sei, so wäre die wohl alt für ihn, eine Jüngere stünde ihm besser an, meinten die jungen. »Und dann, was hätte er Guts? Eine junge Giraffen, wo er Zeit mit Dressieren versäumen müßte«, sagten die ältern und zuckten verächtlich mit den Achseln. Je wöhler die oben an der süßen Nidle lebten, desto unruhiger gramselte es denen unten durch die Glieder. Es ging um so länger, als Lisi seine muntersten Töne anschlug, um Gritli aufzuheitern. Gritli mußte viel lachen, sagte dann immer: »Ich sollte nicht lachen, Gott verzeih mir meine Sünde, aber du hast es auf dem Gewissen.«

Endlich schlug Gritli doch vor, hinunterzugehen und die Gelegenheit zu besehen, es werde die doch wundernehmen, wer da sei. Lisi war eben nicht geneigt. Es hatte einige angetroffen, die hatten ihm nicht gefallen, so hoffärtig und hochmütig habe es noch wenige gesehen, zu denen schicke es sich nicht, die seien ihm zu vornehm, sagte es, die gingen einher wie Schneegänse in einem Lewatacker, wenn ihre Beine fast g'stabelig seien vor Kälte. »Was, vornehm!« sagte Gritli, zählte nun summarisch die Verhältnisse der Hoffärtigsten her, wer sie seien, woher sie kämen und wie man ihnen bereits ausgerechnet, wann sie geltstagen oder, wie man jetzt sage, die Güter abtreten müßten. »So, und fahren ins Bad? Daß Gott erbarm, das wäre doch ehemals nicht geschehen!« sagte Lisi. »Was willst!« meinte Benz, »deswegen haben sie nichts desto mehr, nichts desto minder, was fragen sie den Gläubigern nach? Und gehen sie dies Jahr nicht ins Bad, haben sie das nächste Jahr vielleicht kein Geld mehr dazu.« »Die müssen einen Magen haben und ein Gewissen, vom Glauben will ich nur nicht reden«, sagte Lisi. Gritli meinte sich mit seinem Besuch zu sehr, als daß es ihn nicht so recht nach Herzenslust gespienzelt hätte.

Unten stunden ihnen alsbald eine Gruppe vor den Füßen, und eine sagte: »Ihr habt lieben Besuch erhalten, Frau Amtsrichterin?« »Es wäre uns sonst angst geworden um Euch, Frau Großrätin, da Ihr sonst nicht so lange oben bliebet«, ergänzte eine zweite. »Ja, denkt«, sagte Gritli, »expreß wegen mir kommen sie so weit! Das ist meine liebste Gespielin von Jugend auf, daneben sind wir noch nahe verwandt, und wenn ihr erst wüßtet, was sie mir mitgebracht!« »Das ist doch recht schön vom Herrn Amtsrichter, daß er an seine Frau gedacht hat, es sind nicht alle Männer so«, sagte die erste. »Ihr werdet Euere liebe Frau doch nicht schon abholen wollen, Herr Großrat?« sagte die zweite. »Hör, Benz, wie sie dich titelieren, Amtsrichter und Großrat auf einmal bist worden und mochtest es zu keinem bringen.« »Habt nicht Mühe!« wandte sich Lisi zu den Frauen, »das ist Ankebenz, mein Mann, nichts mehr und nichts minder, an dem Ämtlein hat er genug, und hätte er noch eins daneben wollen, so hätte ich ihm d'r G'lust welle vertreiben. Wäre aber nicht Gefahr gewesen, daß er eins bekommen, dem Nötlitun hat er sich öppe nicht gewohnt.« »Ho, es ist nicht gesagt, daß sich das immer mangelt«, sagte eine schnippisch. »Man hat Exempel, daß man Leute zu den besten Pfosten hat zwingen müssen, sie waren aber auch darnach.« »Wird sein«, antwortete Lisi, »aber dafür bin ich gut, daß Benz niemand gezwängt hätte, hat's aber auch niemand probiert.« »Wird sein«, ward geantwortet, und Lisi hatte seinen Kredit verspielt.

Die vornehmern Weiber fanden, es sei eine gemeine, grobe Frau ohne alle Bildung, es sei am besten, so eine lasse man sein, wer sie sei. Gebe man sich mit ihr ab, so richte die einem an, mehr als man hören möge. Schade sei es um den Mann, er hätte eine brave Postur; wenn der eine andere Frau gehabt, die ihn recht dressiert und gehobelt, so hätte es was aus ihm werden können. Jetzt sei er nichts als ein grober Bauer und gebildet sowenig als die Frau. Hätte man eigentlich beide recht angesehen, so hätte man wohl merken können, daß der weder Großrat noch Amtsrichter sei; wie wollte man so einen halbleinenen Holzbock zu so was brauchen können, dazu mangle man andere Leute! So sprachen Wirtstöchter und Krämersweiber, die Großrätinnen und Amtsrichterstöchtern, die Frauen Schaffnerinnen und Töchter Zöllnerinnen, die Statthalterstöchtern und Präsidentenfrauen, kurz, der junge Adel allzumal.

Für den folgenden Morgen hatte Gritli seine Freundinnen aufgeboten, um sie mit einem Kaffee zu regalieren, wie man es in einem Bade nicht hat. Diese waren sämtlich aus der ersten Sorte, mit altväterischen Ansichten behaftet, frugen dem neuen Wesen nichts nach, hatten im Gegenteil viel zu klagen über Unheil, welches dasselbe in die Familien bringe und in die Schule, wo die Kinder nichts lernten als ein hoffärtig Wesen und die alten Leute verachten. Es wäre aber möglich, daß es denen anders käme, ehe sie hundertjährig würden. Und sie redeten wiederum von dem schrecklichen Aufwand, den so viele machten, und wie das unmöglich gut kommen könne. Wenn es die Großeltern wüßten, sie kehrten sich im Grabe um. Da sei keine Arbeit mehr, sondern nichts als Großtun und Brauchen. Am Morgen sei man im Wirtshaus, nachmittags wieder oder fahre aus, lebe lustig, komme nie vor Mitternacht heim, wo alles drunter und drüber ginge. Es gebe sicher viele, die es täglich mit drei Fünffrankentalern nicht machten. Man solle rechnen, was das für eine Summe mache; die verdiene man nicht mit Nichtstun.

Lisi sah, daß das Gespräch Gritli Wasser in die Augen trieb und das Auspacken seines Elendes ihm auf der Zunge war. Es wollte dies vermeiden, es wußte nicht, daß alle darum wußten, daß alle Vertraute waren und das Tun ihrer Männer Gemeingut. »Das ist nicht das allerärgste«, sagte Lisi; »wenn d'Sach z'Bode ist, so hört das Hudle von selbst auf, und wer weiß, wenn er sieht, wie es kömmt, kehrt mancher um, ehe er fertig ist, und die Kinder nehmen ein Exempel, wohin man mit Lumpen und Hudeln kömmt. Aber wenn wahr ist, was ich gehört, und es wird wahr sein, denn man redet davon das Land auf und ab, so gut Nacht; Bessern und mit dem Exempel-Nehmen ist es auch aus, dann gilt nur noch, wele wüster, Regel ist keine mehr, und glücklich ist, wer bald sterben kann.«

Begreiflich fuhren die Weiber z'weg, und eine Alte fragte: »Ist d'Zyt öppe ume, soll's zum Ende gehen und der Antichrist kommen?« »Es ist fast, als wär's«, sagte Lisi, »sie wollen fort mit der Religion, alles, was man geglaubt hat, soll man nicht mehr glauben, und wenn der Tod den Menschen strecke, sei alles aus, das ewige Leben sei Larifari, Gott verzeih mir meine Sünde, nur so ein Böllimann für die alten, dummen Leute.« »Öppis Dumms eso!« sagte eine andere, »sie werden einem den Glauben nicht verbieten können und noch weniger nehmen; es kann ein jeder glauben, was er will, das geht ja niemanden was an, die Regierig nicht und niemand nicht.«

»Man sollte es meinen«, sagte Lisi, »und mit Gewalt wird einstweilen nicht gefochten werden, aber mit List, daß es niemand merken sollte, geradeso wie es die Schelmen machen. Es heißt, sie wollten einen kommen lassen, der die, wo Pfarrer und Schulmeister werden wollen, auf das Heidentum b'richte statt auf das Christentum. Wenn dann die Pfarrer und Schulmeister recht b'richtet seien, wie es ihnen anständig, so täten diese dann das Volk auch so b'richten, so könne man den Glauben dem Volke unvermerkt abführen, so gleichsam als wie mit einer gelinden Laxierig nach und nach. Daraufhin wird alles zugespitzt, und ganze Häufen Schulmeister ziehen schon an dem Seil, wollen in keine Kirche mehr, sprechen den alten Büchern das Leben ab, führen den Pfarrer aus und verlachen, was in der Bibel steht, und von Pfarrern redet man auch, die d'Kappe lüpfen vor dem aufgesteckten Hut und den Heiland um Silberlinge verraten und mit den Obersten im Volke liebäugeln und Freunde sein möchten von Herodes und Pilatus, von jedem Hung, der sie beißen könnte. Es ist eine grüslige Sach, wenn man denkt, wie weit die Sache schon ist, ehe man was davon gemerkt. Aber was will man, wer hätte glauben können, daß jemand so schlecht sei, daß ihm das in Sinn käme, und jemand Uflats genug, daß er es ausführte!«

»Es wird aber auch nicht sein«, meinte eine, »wir bei uns haben nichts gemerkt und nichts gehört; warum wollten sie so Mühe haben und sich selbst verdächtigen, was hätten sie davon, und umsonst machen die nichts. Daneben hätten sie dann niemanden mehr zum Ausführen und Auslachen, wenn sie keine Christen mehr hätten, und selb tut ihnen doch gar zu wohl, wenn sie jemanden verspotten und verlachen können; heißt es ja doch, sie sagten denen, welche in die Kirche gingen, Gottesträppeler und sonst noch wüst.«

»Wenn Benz nicht z'Berg wäre, er könnte es besser auslegen als ich, wie das gehen soll. Das ist d's Grüslichste d'rby, daß man nichts sagen soll. Sie verlachen die ganze Sache, spotten alle aus, welche sagen, es gehe gegen die Religion. Mit der Religionsgefahr sei es eine Dummheit, sagen sie, da brauche niemand wegen seiner Religion Angst zu haben; es sei ihnen lieber, die, welche hätten, behielten sie, als daß sie sie haben müßten, sie wüßten nicht, was mit dem Zeug anfangen. Aber daß man die Leute nicht mehr mit solchem Zeug plage und der jungen Welt es aufdringe, dafür wolle man sorgen, und dazu habe man das Recht, und es sei Freiheit. So gleichsam aussterben lassen will man sie. Redet man mit Ernst davon und sagt, man merke wohl, wo es hinaussolle, aber man tue es nicht, dem Treiben müsse der Nagel gesteckt werden, so begehren diese Leute schrecklich auf und schreien: man verdächtige die Regierung, man wolle die alten Herren wieder und die Jesuiten und verrate das Vaterland. Man sollte nichts davon reden, und wenn man's tut, so wird man verklagt; es sollen schon Pfarrer abgesetzt worden sein, andere werden verhört, und man redet von i d'Kefi tun und sonst noch mehr. Es werden Bücher ausgeteilt den Weg und diesen Weg; von denen, wo die Regierung austeilen läßt, kann man haben, soviel man will, wegen den andern muß man sich in acht nehmen; die Landjäger passen auf, und die Kinder werden gefragt, ob man deren im Hause habe. Es ist eine strenge Sache, wie es geht, und Benz hat gesagt, es gefalle ihm nicht, und wenn er nicht den Glauben an unsern Herrgott hätte, daß der zu rechter Zeit sagen werde: ›Bis hieher und nicht weiter!‹, so finge es ihm auch an angst zu machen, es sei Matthäi am letzten und d's Christentum müßte z'Bode.«

»Ach mein Gott, ich dachte schon lange, es werde so kommen«, seufzte Gritli. »Ich habe es meinem schon lange angemerkt, was Trumpf ist, und wer sich achtet, sieht es den Leuten an ihrem Tun an, daß sie keinen Glauben haben, und es fehlt nur noch, daß sie den Glauben verbieten, daß niemand mehr einen haben soll.« »Aber, mein Gott«, seufzte eine zweite, »lassen das die Pfarrer so gehen und sagen nichts dazu? Die sind ja doch da dafür, daß sie das Christentum predigen und gegen den Unglauben streiten! Oder sind sie etwa auch des Sinns und möchten fort mit der Religion?«

»Glaub's nicht«, antwortete Lisi, »aber sie sind bös dran. Unser Pfarrer redet schon lange davon, es käme so, aber es wollte niemand glauben. ›Unser Pfarrer sieht G'spenster am heitern Tage‹, sagte man. Und ich sag's aufrichtig, mir selbst ging es so; ich konnte nicht glauben, daß jemand an so was denken könne. Jetzt sollen sie gar nicht mehr davon reden, es sei gegen die Regierung, sagt man. Predigen dagegen sollen sie erst nicht, von wegen es sei den Pfarrern nur wegen der Politik, nicht wegen der Religion. Politik gehöre nicht auf die Kanzel, und das könne man nicht leiden. So sind ihnen die Hände gebunden, und übel geht es, sie möchten etwas machen oder nichts machen.«

So sprach Lisi so gut, als es sich darauf verstund, von der großen Bewegung im Lande, und die guten Weiber schlotterten dazu gar mächtiglich. Sie meinten, es gehe jetzt schon so wüst, daß einem das Leben erleide; wie es dann wohl erst gehen werde, wenn alle Religion weg sei und niemand mehr eine haben dürfe, wenigstens nicht zeigen? Sie zitterten noch, als Benz vom Berge kam, und ließen ihn kaum absitzen, fielen sie schon mit Fragen von allen Sorten ihn an, wollten wissen, was die Manne gedächten und ob man das alles so mir nichts, dir nichts geschehen lassen wolle.

Benz war in etwelcher Verlegenheit. Allen auf einmal konnte er nicht antworten, eine bestimmte Auskunft konnte er auch nicht geben. Es sei eine schlimme Sache, antwortete er. Was machen? Gewalt brauchen könne man nicht, und das Recht, einen Professor anzustellen, habe die Regierung. Daß sie ihn anstelle, um die christliche Religion abschaffen zu helfen, das glaube er, aber sie behaupte das Gegenteil, sie wolle der rechten Religion erst recht auf die Beine helfen. Beweisen könne man nichts. In allen Ecken sehe man es gucken, daß man vom Christentum nichts mehr wolle, aber wie beweisen, daß sie es glauben müßten? Sage man etwas davon, so heiße es, man verdächtige die Regierung, es sei von den Pfaffen erlogen. Sage man, der und der habe doch das und das gesagt, so wolle man es nicht glauben, man soll ihm seine Worte verdreht haben, man riskiert einen Schelthandel, oder man sagt: und wenn der es schon gesagt, so sei der noch lange nicht die Regierung. »Man hat nirgends einen Griff, es ist alles wie mit Öl geschmiert, wird einem aus den Händen gedreht, wie sicher und fest man es zu haben glaubt. Das ist eben die Tüfelskunst, welche aufgekommen, daß man hundertmal in einer Stunde die Wahrheit umdreht zur Lüge und die Lüge umdreht, daß sie Wahrheit scheint, und das alles so geschwind, daß man ganz sturm wird und nicht weiß, hat man den Kopf noch und Augen darin oder hat man ihn nicht mehr. Da kann man nichts machen, solange die befehlen und die Sache in Händen haben, und wer ist daran schuld? Wer hat sie geordnet und gewählt? Wenn die nicht wollen, so ist nichts zu machen. Man sagt davon, es müsse vor den Großen Rat, aber helfen wird es nicht; die, welche wissen, was sie wollen, werden es durchsetzen.«

Sie glaube es nicht, sagte eine alte Frau. Es seien doch hauptsächlich Leute vom Lande im Rat, und die wüßten doch, wie man auf dem Lande denke, und würden doch wohl auch noch ein Gefühl haben und daneben etwas glauben.

»Weiß nicht«, sagte Benz, »ich hörte Sachen, will lieber nicht davon reden. Und wenn daneben noch mancher Religion hat, so ist doch mancher dumm und mancher feig und erschrockener Natur. Dem einen schwatzt man vor, es gehe die Religion nichts an, es frage sich bloß: wolle man in der Dummheit bleiben oder in die Aufklärung kommen und fortschreiten. Fortschreiten! Die andern lacht man aus und fragt sie: ob der Pfaff sie auch noch am Gäbeli habe, und den Teufel werden sie auch noch fürchten. Und Auslachen und Ausspotten mögen gar viele nicht ertragen, meinen, es mache die Beine ab und gehe an Kopf. Es ist nicht mehr die Zeit, wo man zur rechten Sache steht unbekümmert, gehe es wohl oder übel.« Die Weiber jammerten bitter, so daß Benz endlich sagte, man müsse sehen, wenn etwas zu machen sei, so wolle er gerne helfen, aber er zweifle.

Beim Mittagessen, an dem Benz und Lisi wider Willen noch teilnehmen mußten, konnte eine der Frauen von der ersten Sorte sich nicht enthalten, einer andern die Geschichte von dem Professor, der herkommen müsse, um dem Christentum abzuhelfen, an Kopf zu werfen. Da gab's Feuer.

Sie hätte auch schon von diesem G'stürm gehört, sagte eine Frau von Figur, welcher man Frau Amtschreiberin sagte, das komme von schlechten Leuten her, welche besser scheinen möchten als andere und zehnmal schlechter seien. Die Regierung werde wohl wissen, was sie mache, und wenn sie es den Leuten gönne, daß sie nicht dümmer bleiben als ringsum alle Völker, so sei das nur recht von ihr. Sie sage aufrichtig, auf dem Stündeliwesen halte sie auch nicht viel, sie hätte noch nie erlebt, daß das Kirchgehen brave Leute mache; sie kenne viele, welche nie in die Kirche gingen und ihr viel anständiger seien als viele, welche allemal drinnen wären, wenn es läute. Wenn es die einen machen könnten ohne Kirche, so wüßte sie nicht, warum es die andern auch nicht so machen könnten. Daneben sei sie ihr nicht im Wege, ihrethalben könne sie bleiben, wo sie sei. Wider die Bibel habe sie auch nichts, sie sei zwar afe alti, daneben werd mängs Schöns drin sy. Aber es gebe dann noch andere schöne Bücher, neue, wo b'sunderbar Sachen drin seien, daß es einem fry das Herz aus dem Leibe sprenge und sie einem z'Nacht vorkämen. Sie hätte letzthin eins gelesen, »Die Geheimnisse von Paris«, es sei eigentlich von einem Franzosen, aber d's Buch sei deutsch, sie hätte geglaubt, sie werde z'hingerfür drob; bald hätte sie müsse pläre, daß sie gemeint, es wolle nicht mehr aufhören, bald hätte sie sich gefürchtet, daß sie nirgends hätte alleine sein dürfen, bald sei sie zornig geworden wie ein Scheit, daß sie hätte mögen den Leuten die Köpfe abdrehen. Das sei ein Lesen gewesen, wie sie es noch nie erlebt, sie hätte längs Stück nicht gewußt, wo sie sei und ob sie noch lebe. In diesem Buche könne man sehen, wie schlecht die vornehmen Leute seien, wie sie mit dem Volk umgingen und was das von ihnen zu leiden habe.

Sie redete wie mit einem Hämmerlein, daß niemand dazwischenkommen konnte, wie oft es auch versucht wurde. Ihre Freundinnen unterstützten sie mit Blicken und beifälligen Ausrufungen sehr. Da kam mitten in den schönen Fluß der Rede die aufwartende Magd und sagte: es sei jemand draußen, der mit der Frau Amtschreiberin reden wolle. »Wer ist's?« frug die Frau Amtschreiberin, wahrscheinlich vornehmen Besuch hoffend, mit welchem sie sich breitmachen könnte. »Der Kleidung nach eine arme Frau«, antwortete die Aufwärterin. »Sagt ihr, sie solle warten!« »Sie sagt aber, sie sei Euch verwandt und pressiere«, antwortete die Magd. »Das wird eine saubere Verwandtschaft sein von Adam und Eva her«, meinte die volkstümliche Frau Amtschreiberin, ging zornig ab und kam alsbald wieder und räsonierte sehr über die Schlechtigkeit und Unverschämtheit der Menschen, die nichts wüßten, als andere zu brandschatzen, man sei nirgends mehr sicher vor ihnen. Darauf erzählte sie eine lange Geschichte von ihrer Verwandtschaft, um zu beweisen, daß jene unverschämte Person ihr gar nicht verwandt sei, wahrscheinlich hätte sie noch bewiesen, daß sie eigentlich gar nicht zum Volk gehöre, wenn man nicht den Tisch verlassen hätte.

Jedenfalls war diese unvolkstümliche Person von Bedeutung gewesen, sie hatte einem Gespräch, welches sehr unangenehm hätte werden können, ein Ziel gesetzt, sie hatte, ohne es zu wissen, eine wichtige Mission erfüllt. Wir halten dafür, es gebe wohl keine Person auf Erden, welcher nicht solche Missionen aufgetragen werden unbewußt und die unbewußt sie ausführe und wahrscheinlich noch viel wichtigere, als die der unwillkommenen Base war.


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