Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Von Baurenschindern, Diktatoren, Direktoren, Professoren, Kreditoren, Debitoren und endlich auch Studenten und Staatskassen

Etwas passierte hintendrein unserm Hans, was ihm sehr fatal vorkam und gewissermaßen unbillig dünkte, aber es ließ sich halt nicht anders machen. Das Geld, welches er mitgenommen, hatte ihm der bereits erwähnte Freund vorgeschossen und vorher auch schon welches. An einem schönen Morgen kömmt ihm nun der und sagt: »Freund, es ist mir herzlich leid, aber ich sollte mein Geld wiederhaben, ich kann es wahrhaftig nicht anders machen. Ich habe einen Titel nehmen müssen, darauf muß ich noch tausend Gulden herausgeben, und kann ich es in acht Tagen nicht, verliere ich das Ganze. Begreifst, ich kann nicht anders, so leid es mir tut.«

Hans geriet in Alarm. Woher Geld nehmen, so viele hundert Gulden, und nicht stehlen? »Ich habe noch viel einzuziehen, will Rechnung anstellen«, sagte Hans; »wenn ich alles beisammenhabe, wird nicht viel fehlen.« »Ja, das wird mir wohl lang gehen«, sagte der Freund, »hast gehört, daß ich in acht Tagen es haben muß.« »He nun, so nimm's, wenn du kannst, ich aber habe es my Seel nicht.« »Damit ist mir nicht dienet«, sagte der Freund, »ich muß Geld haben, für meinen Schaden ist mir niemand gut. Aber weißt was? Dein Vater ist ein reicher Mann; es braucht ein Wort, so zahlt der.« »Tüfel tut er's«, sagte Hans; »dem sage ich nichts, wohl, der würde mir! Dann glaube ich nicht, daß er es bei der Hand hat, es will mir scheinen, er sei seit einiger Zeit selbst nötig. Er braucht selbst, was es erleiden mag, und öppe viel z'löse, wäre ihm eine Kunst.«

»Weißt was, ich glaube, der Bauer auf der Ankenballe sei euch verwandt oder gar dein Götti. Der hat immer Geld und nimmt's nit so exakt; erst letzthin half er einem aus der Dinte, den ich in den Fingern hatte, wo es mich dünkte, er sollte witziger sein als so und den bleibenlassen, wer er ist. Geh zu dem, der gibt dir, soviel du willst, noch viel zum Überschuß«, riet der Freund und verbiß das Maul. »Jetzt schweig, oder wenn du einen Narren willst, so stelle einen eisernen an!« brüllte Hans. »Lieber wollte ich mein Lebtag Dorn fressen als den Jesuiten um einen Kreuzer plagen. Wohl, der würde mir Augen machen und sein Hauspfaff, die alte Lise, eine Predigt fallen lassen, wo der Teufel zuviel in die Nase bekäme!«

»Ja«, sagte der Freund, »etwas muß doch gehen, so oder so, ich kann das Geld nicht entbehren. Ich wüßte wohl, was, aber es wird dir nicht anständig sein.« »Gib füre, was?« sagte Hans. »He, du kennst den kudrigen Hauptmann da unten, wo nit für einen faulen Heller Guraschi hat, aber für drei Kreuzer Vater und Mutter den Türken verhandeln würde; er macht große Geschäfte, er ist der beste Freund vom Schnyder im Schindermätteli und spielt mit ihm unter der Decke, und sie jage einander die Fische in die Bahre; der hat immer Geld, aber es ist mir zuwider, mit dem zu tun zu haben; er ist ein Uhung, wir hassen einander wie Feuer und Büchsenpulver; der täte dir schon Geld geben, aber etwas einbinden würdest allweg müssen.«

Was Wahres war an diesem Hasse: sie kamen einander in Weg und schnappten sich gegenseitig Geschäftchen weg; daneben waren sie Bundesbrüder, wenn sie jemand hineinsprengen konnten, und handelten nach dem Grundsatze: »Schweigst du mir, so schweig ich dir.« Sie taten so freisinnig, daß man sie für kommunistisch hätte halten sollen, daneben wucherten sie vom Tüfel und ohne Erbarmen; sie lachten über das Elend, welches sie erzeugten, und wenn ein Vater mit sieben Kindern ins Wasser gesprungen wäre oder Hungers hätte sterben müssen, sie hätten kaltblütig gesagt: »Da sehe er zu!« Sie lebten eben nach dem Grundsatze, es mache jeder, was er könne, und was er kann, ist jedem erlaubt, das ist eben die Freiheit. Diese Baurenschindhunde müssen Regierungen haben, die freisinnig sind wie sie, und jede auf den Tod hassen und sie zu stürzen suchen, die treu und fromm ihr Reich regiert. Sie müssen Leuenbergerlis machen, sie mögen wollen oder nicht. Kurz, es waren interessante Leute, die es weit bringen konnten in Israel, solange keine Ordnung war und jeder tat, was ihm wohlgefiel.

Es war Hans sehr zuwider, mit diesem kudrigen Hauptmann anzubinden. Hans war im Schuldenmachen bereits auf einen gefährlichen Standpunkt gekommen, auf den, wo Esau war, als er um das Erstgeburtsrecht dem ersten Wucherer, seinem Bruder Jakob, dem Erzvater der Juden, ein Linsebrei abkaufte. Dem Menschen, der auf dem rechten Punkte steht, ist es zuwider, Geld zu leihen; erst streckt er sich nach der Decke, er entbehrt lieber, als daß er's tut, und muß er leihen, so gibt er es wieder so bald möglich. Menschen, die schon weiter sind, leihen und vergessen, es wiederzugeben, verdrehen es bestmöglichst, und mahnt man sie, vermerken sie es als eine Grobheit und schreiben's hinters Ohr. Einen Punkt weiter betrachten sie es als einen Fund, ein Glück, wenn sie Geld zu leihen kriegen, das Geld als gewonnen, mit dem man nichts Besseres machen könne, als zu verfahren wie mit gewonnenem oder gestohlenem Gelde, ihm so bald und so lustig als möglich wieder loszukommen sucht und in heillosem, ehrlichen Leuten unbegreiflichem Leichtsinn ans Wiedergeben, ans Ende gar nicht denkt. Endlich aber kömmt man dahin, wo man das Geldkriegen erzwingen, sein zukünftig Erbe dransetzen, dasselbe verschleudern muß, man in der Wucherer Hände fällt, einen Wert bezahlen muß, dem das Erhaltene nicht entspricht: ein Erbrecht an eine Mehlsuppe, meinethalben an ein Erbsmus, man denke! Das gibt böse Alter, wenn man nicht jung stirbt.

Wie das Ungeziefer der Tiefe bei schlechtem Wetter am kecksten sich zeigt, am lustigsten sich macht, so kommen auch die Wucherer mehr und mehr zum Wohlsein und haben fette Mast, je schlechter die gesellschaftlichen Zustände werden, je tiefer der Mensch sittlich sinkt, die bessern Gefühle sich abstumpfen, je mehr die Familien sich spalten und auseinandergehen. Seit einigen Jahren hat dieses Ungeziefer gute Geschäfte gemacht, ist fett geworden.

Zu dem also mußte Hans. Der Freund wollte durchaus den Auftrag, es für ihn abzumachen, nicht übernehmen. »Du mußt selbst dabeisein«, sagte er, »du kannst es dann machen, wie du willst, könntest sonst leicht meinen, ich mache etwas zwischenaus, denn du wirst einbinden müssen, er ist e Harte. Aber wenn du nicht anders willst, was kann ich dafür? Wenn dein Vater nicht Geld hat, so hätte er doch wohl einen Titel, der sich leicht versilbern ließ.« »Davon red mir nicht!« sagte Hans, »aber z'wider ist es mir, dem kudrige Häuptmeli nachzulaufen. Wenn es die Leute merken, so fällt es ihnen leicht ein, was ich will, und der Vater könnte es vernehmen, er ist dort gut bekannt, dann würde es etwas können. Nicht daß ich ihn zu scheuen habe, aber ich will doch lieber, er wisse es nicht.« »Weißt was, ich will ihm Bescheid machen, dann kann man an einem unverdächtigen Ort sich von ungefähr treffen, so ist d'Sach recht, und d's G'schäft macht sich, es merkt es niemand«, meinte der Freund.

So geschah es auch und machte sich wie Schnupf und um so leichter, da dafür gesorget worden, daß Hans nicht mehr ganz nüchter war, als das Geschäft abgeschlossen wurde, sondern eben so z'weg, daß man jede Brühe für eine Krebssuppe ansieht und jedes Faaggeli für eine Venus. Er kriegte einhundert Gulden und verschrieb fünfzehnhundert, zahlbar nach erster Aufkündigung, man begreife!

Nun, ein wenig hatte Hans wohl gepoltert und gesagt, es dünke ihn, des Bauren Sohn im Hunghafen sollte gut genug sein, ohne daß man ihm einen Abzug mache wie dem ärgsten Hudel. »Warum nicht!« sagte darauf der Hauptmann, »dich geht der Hunghafen noch gar nichts an, keinen Batzen hast sonst geerbt, und stirbst, kann ich sehen, wie ich zu meinem Gelde komme.« »Da brauchst nicht Kummer zu haben«, antwortete Hans, »den letzten Kreuzer mußt haben.« »Ja, wenn der Vater gerne will, und will er nicht, jä, so ist's schon böse, und wenn du mir nicht so lieb wärest, so wär das Geld bei mir geblieben«, entgegnete der Hauptmann. »Oh, hoffentlich ändert das noch vor der letzten Fastnacht«, sagte Hans, »daß man warten muß aufs Vermögen, bis die Alten unter dem Herd sind. Was Hagels brauchen alt Leut Geld? Es Bänkli, es Süppli und es Bett und e Ofentritt im Winter, dann haben sie, was sie nötig haben, und Ursache, Gott dafür zu danken. Wann ein Kind zwanzig Jahre alt ist, so gehört dem Kind sein Vermögen heraus von Gott und Rechts wegen«, so meinte Hans, und die andern gaben ihm Beifall, und zwar im Ernst, denn das ginge noch über Emanzipation der Weiber, und wer weiß, ob es nicht noch kömmt. Da gäbe es ein Fischen und Fressen für diese Hechte!

Hans hatte beim Leihen dafür gesorgt, daß er noch ein Ziemliches in der Tasche behielt. Dies geht gewöhnlich so. Man denkt, wenn man einmal am Entlehnen sei, so wolle man es gleich recht machen, so müsse man nicht so bald wieder dran hin.

Übrigens wollen wir doch auch sagen, daß dieses großartige Schuldenmachen eines Baurensohnes denn doch eine Ausnahme ist und früher kaum vorkam. Ja, freilich hatten Baurensöhne auch Schulden in ihrer ledigen Zeit, hier einige Neutaler und dort einige, aber so, wie reiche junge Grafen und Freiherren, Studenten und Bankierssöhne das Vermögen der Väter verklopfen, ehe sie es haben, von Juden und Philistern sich schröpfen lassen, das war selten im Baurenleben, von dieser Eigentümlichkeit höherer Stände war es weniger berührt. Wenn einer zuviel verhudelte oder mit Schlägereien, welche wohl der schwerste Posten bildete im Leben eines Baurensohnes, so wußte er nichts anders, als zum Vater zu sagen: »Vater, mußt zahlen!«, und der Vater zahlte, manchmal noch mit Freuden, was wir übrigens auch nicht loben wollen. Indessen man wußte doch in der Familie, woran man war, und kam nicht in wucherische Klauen.

Nun, Hans war nicht mehr der gemeine Hans, er war ein Glied der Jugend, welcher die Zukunft gehörte und die Gegenwart in Besitz zu nehmen begann. »M'r sy nüt, m'r sy i Gotts Name nüt, aber üsi Kinder sollen alles werden«, bekannte einmal ein erlauchtes Haupt. Hans gehörte also gleichsam zur regierenden Familie oder besser zum regierenden Geschlecht, er stand so gleichsam über seinem Vater, mußte also billig standesgemäß leben, und es war noch ein Grundton gutmütigen Wesens in seinem Herzen, daß er heimlich Schulden machte und nicht den Vater brandschatzte, nicht einfach gegen ihn aufmarschierte und sagte: »Gib, oder –!«

Wenn wir vorhin von Baurensöhnen sprachen, bei welchen sonst solches Schuldenmachen seltene Ausnahmen waren, so meinten wir die Baurensöhne, welche auf dem Lande Baurensöhne blieben, und nicht solche, welche andere Berufe wählten oder Studenten wurden. Man las alle Augenblicke öffentliche Warnungen vor Studenten, das Publikum solle ihnen nicht ohne Willen des Vaters Geld anvertrauen und anderes mehr, und unter diesen Studenten werden auch welche vom Lande gewesen sein, und mancher, der vielleicht Schulden gemacht, ohne daß er eben verrufen wurde, brachte doch die Gewohnheiten, welche zum Schuldenmachen führen, und die Gewohnheit des Schuldenmachens selbst mit nach Hause.

Und warum hätte man nicht hudeln sollen auf der Hochschule? War doch das Hudeln nicht bloß eine Lebensweise, welche Berechtigung hatte, sondern sogar bevorzugt wurde. Sackerlot, wenn man zum Beispiel mit dem Erziehungsdirektor schmollis ist und ihm vorsaufen kann und er nachsaufen muß, warum sollte man ihm nicht Tag und Nacht vorsaufen, damit er Tag und Nacht nachsaufen muß? Und wenn der Erziehungsdirektor vorsoff, hätten ihm die Studenten nicht nachsaufen sollen? wir fragen. War es nicht schön und echt republikanisch, wenn die Ersten der Republik mit den Jünglingen gemeinsam kneipten; welche Schule der Weisheit war das nicht, wenn die Jünglinge mit den weisen Häuptern des Landes Tag und Nacht zusammensitzen konnten und in diesem traulichen Zusammensein ihre Staats- und andere Weisheit brühwarm auf ihren Lippen fassen konnten! Ersetzten diese brühwarmen, aus dem Leben gegriffenen, unmittelbaren Inspirationen, den Lippen der weisen Häupter entströmenden Ergüsse nicht hundertfältig die ledernen Demonstrationen lederner Professoren? Muß das nicht viel feurigere Vaterlandssöhne bilden, wenn sie täglich verfluchen und verwünschen hören von den feurigsten Eidgenossen und Vaterlandsfreunden die Sonderbündler, Jesuiten, Aristokraten und Pfaffen, als wenn ihnen ein dürrer, schläfriger Professor etwas von persischen oder punischen Kriegen vorschnappelt? Was Teufel gehen die Perser und die Punier die Schweizer einstweilen an? Weiß man ja nicht, ob man sein Lebtag mit ihnen zusammenkömmt; zu ihnen zu gehen, hat ja keine Seele Lust, und kommen sie mal her, wird man ihnen den Marsch schon machen und zeigen, wo der Zimmermann das Loch gemacht.

Diese praktische Ansicht scheint endlich bei den praktischen Schweizern durchzugreifen. Die feinen Genfer haben die Stiefelchen angezogen und brechen die schöne, neue Bahn, die edelsten Eidgenossen voran, Männer wie Tourte, Almeras und Carteret, deren Weisheit in Beziehung auf die Akademie aufs gleiche Resultat gekommen wie ein bekannter Hans Uli in seiner Weisheit mit der Kirche, daß sie veraltete Institute seien. Diese edlen Eidgenossen in Genf, wahre Väter der Genfer Jugend und Gamins, warfen sich, wie der hehre Winkelried in die Speere der Östreicher, mit dem allerhöchsten Mute in die Speerwand alter Vorurteile und erklärten, der Primarunterricht sei die Hauptsache für die Genfer, die Philosophie trage nichts ab, sei von keinem Nutzen, in der Akademie würden Lügen gelehrt, in der Schießhütte, an den Mahlzeiten des großen Schützenfestes sei die wahre Wahrheit und die weiseste Weisheit zu hören. Und mit Erstaunen und offenem Maule hörten die Genfer Räte und Gamins diese Weisheit, strichen Gelder der Akademie, legten zehnfach die gestrichene Summe dem Schützenfeste bei als dem Borne, in den Gamins und Räte, junge und alte, getaucht werden sollen als ins Wasser der wahren eidgenössischen Wahrheit und Weisheit. Das erkannte das junge Genf auf den Gräbern der alten Genfer, und wer es nicht glauben will, der lese die genferischen Ratsverhandlungen. Und jetzt, wer wagt es, Ritter oder Knapp, zu leugnen den wahren Fortschritt, das Vorwärtsschreiten zur wahren Natur und Kultur, den Durchbruch einer neuen Zeit, den Sieg des Zeitgeistes? Wer wagt es zu zweifeln, daß der hohe Ruf an die Jugend: »M'r sy alli nüt, gar nüt, aber die Kinder sollen alles werden!« von den Vätern verstanden worden, daß sie ihnen die Wege zum Ziele ebnen und bereiten werden? Wir zweifeln nicht, daß nicht nächstens, wahrscheinlich am Genfer Schießet, irgendeins der Oberhäupter erklären wird, das sei eben der Anbruch des wahren Reiches Gottes nach den Worten, den Kindern gehöre das Reich Gottes – »So ihr nicht werdet wie diese Kinder, werdet ihr das Reich Gottes nicht sehen« –, und unter diesen Kindern seien eben die enfants de Genève, das heißt sie selbst zu verstehen.

Diese Vorgänge sind von großer Bedeutung, sie stehen sicher in der allernächsten Beziehung zu der Errichtung der eidgenössischen Hochschule in Zürich, denn bekanntlich sind die drei genferischen Winkelriede die drei treusten Schildknappen des bekannten Diktators und Direktors, der wohl laut zur Sammlung ruft, aber wiederum in majestätisches Schweigen sich hüllt und seine Knappen Reden von sich geben läßt. Die nächste Zeit wird lehren, ob die drei Winkelriede ihm nicht die Gasse brechen mußten für ein Eingericht der Hochschule in freistem Geiste und der höchsten Höhe der Zeit. Eine Hochschule, wo verschwunden sind die dumpfen Hörsäle, die staubichten Professoren, die schweigsamen, langweiligen Bücher, wo auf luftigen Höhen, in lichten Hallen, im kühlen Schatten grüner Bäume die edelsten der Eidgenossen sitzen, geschart um ihr hohes Haupt, von dem der Ruf zur Sammlung erging, dem erlauchten Präsidenten der Erziehung und anderem mehr. Zunächst um ihn die enfants de Genève, die drei Winkelriede, die Mauerbrecher tausendjähriger Vorurteile, von Bern die Vielerprobten und Bewährten, die keine Sorte Wein oder Bier von ihrem Sitze oder um ihre Gedanken bringt, denen Tag und Nacht der reiche Strom weiser Reden nie versiegt, von Luzern die Kühnen und die Pfiffigen, von St. Gallen die Unerschöpflichen und Elastischen, aus den Gauen der Thur und der Aare die klösterlich Appetitlichen, die Judenfreundlichen, in guten Händeln Kundigen, kurz, sie alle, die edlen Eidgenossen, welche die Zeit begriffen und auf ihre Höhe sich geschwungen, aus allen Gauen, von den Ufern aller Seen, den Spitzen aller Berge: – das die Lehrenden in den weiten Hallen, in freier Luft, unter grünen Bäumen oder in großen Räumen, an freundlichen Feuern; in weiter Runde die Scharen der nach Weisheit dürstenden Jünglinge, Tag und Nacht gleichachtend, ihren Durst zu stillen. Von keiner philisterhaften Polizeistunde wird der Edlen heilig Streben gelähmt; wo der hohe Direktor waltet, da ist auch Freiheit, und die Freiheit wird weder beschnitten noch beschränkt, es ist wirkliche Freiheit, ohne Vorbehalt, ohne Rückhalt.

Damit aber auch alle Vorrechte abgeschafft seien, die hier sprudelnde Weisheit nicht bloß einzelnen Vorrechtlern zugut komme – denn bei dem besten Willen wird es unmöglich bleiben, die ganze schweizerische Jugend unter den Flügeln des atheniensischen Direktors oder Diktators zu versammeln –, sondern sich ergieße über das gesamte Vaterland und dem Hintersten im hintersten Tale zugänglich sei, findet eine äußerst sinnreiche Einrichtung statt. Man sieht nämlich neben jedem der edlen, weisen, lehrenden Eidgenossen etwas aus der Erde ragen, man weiß nicht, ist es ein einfaches Ohr oder ein offenes Maul oder nur ein ganz gemeiner Spucknapf, und doch kann's keins von allem sein; denn wenn man hinsieht genauer, so ist kein Sägemehl darin, sondern die Dinger haben offenbar Menschenähnlichkeit, viel Mannigfaltigkeit, etwas Porträtartiges, und so ist es auch. Es sind die Mündungen elektrischer Telegraphen, welche von jedem Eidgenossen seinem Organe (Zeitung) zulaufen, welches der Eidgenossenschaft und all ihren Söhnen, ja auch Töchtern bekanntmachen muß, was er geräuspert und was er gespuckt. Und damit kein Irrtum stattfinde, kein Eidgenosse sich verschieße – denn es ist denn doch keinem zuzumuten, daß er ewig sitzen bleibe wie eine verblühte Schöne an einem Hofballe und in den unrechten Napf räuspere oder spucke, – stellen die Näpfe oder Mündungen die Büsten der Redaktoren der verschiedenen Organe in auffallender Ähnlichkeit vor. Ein Kranz solcher Büsten umgibt den Stuhl des Diktators oder Direktors, und eine derselben, gar seltsam gestaltet, zwei Köpfe auf einem Halse, so gleichsam zwei Löffel an einem Spiel: es ist das Hauptorgan, so gleichsam der Hauptblasebalg, in den zwei Mäuler blasen müssen, wenn er voll werden soll, zwei Redaktoren ihren Verstand hergeben müssen, um den Blast über das gesamte Vaterland gehörig zu verbreiten. Übrigens ist es ganz natürlich, daß, wenn jeder der Lehrenden eines Loches bedarf, um seine Weisheit abzuführen, der Diktator die seinige kaum durch zwei Hauptlöcher bringt, die kleinern nicht gerechnet. Die Weisheit, die nach unten abgeht, wird versinnbildlicht durch die Wolken, welche nach oben steigen, die höchsten Häupter der Weisen verhüllen wie die Nebel unserer Berge hohe Wipfel.

Für Saft und Fluß ist prächtig gesorgt, da wird nichts abstehen vor Trockenheit und Durst, jeder Mattigkeit ist vorgebogen, unzählbare Lebensquellen sprudeln ohne Zahl, und mit dem Knollendurst wird niemand behaftet werden. Junges Bier und alter Wein blühen herrlich und aus den verschiedenartigsten Kelchen. Das schäumet, das spritzt, das gurgelt nach oben, das gurgelt nach unten, da täte der Taucher noch was ganz anderes erleben, wenn er tauchen sollte hinab in die graulichen, in die schrecklichen Schlünde, in die jungen und in die alten. Wenn die Väter mit den Söhnen kommen und das Eingericht sehen und wie das schäumt und wie das glüht und wie das zugeht üppig und schön und vom Besten allenthalben Tag und Nacht, da kömmt sie vielleicht wohl ein Bangen an; sie fangen an am Schädel zu kratzen, wie üblich, wenn die Angst kömmt mit der Verlegenheit voran. Sie denken: »Du meine Güte, lustig wär's wohl, aber wer soll es zahlen? Was doch die Hochschulen kosten! Was die Söhne verbrauchen, müssen wir erschwitzen; mochten es früher kaum verbringen, und jetzt, wie soll das gehen, wer kann das erschwingen, von wegen das braucht was Tag und Nacht, Licht und Kleider nicht einmal gerechnet? Und was am Ende? Saufen und rauchen könnte man daheim lernen und ganz wohlfeil und reden vom Tüfel in jedem Waschhaus; dafür brauchte man nicht nach Zürich zu reisen, unser gutes Geld und uns dazu vernütigen zu lassen!« und schlecken doch die Finger darnach.

Nun, es gibt immer noch Leute, welche nicht bloß innerlich seufzen und solche Seufzer noch bestmöglichst unterdrücken, sondern ganz laut dem ersten besten ins Gesicht hinein. Nu, da wird er getröstet werden, sein Bangen wird vergehen wie Nebel in der Morgensonne, da wird es heißen: Habe nicht Angst, du guter Mann, denk, wir leben nicht mehr in den alten Zeiten, sondern in ganz neuen, und dieses hat man dem neuen Herrn und Direktor zu verdanken, dem, der dort so schön hocket, dort z'mitts unter allen, der hat es so eingerichtet und befohlen. Das alles kostet nichts, gar nichts; die Eidgenossenschaft und wem sie es sonst auferlegt, die bestreitet alles; es ist alles zentralisiert. Die Professoren sind alle abgeschafft, das Lehramt ist zentralisiert, somit fallen alle Professorengehalte und Pensionen weg. Bloß einige Hauptkerls sind beibehalten, welche im Verein mit den edelsten Eidgenossen das Lehramt übernehmen, freiwillig, als Mitstifter der neuen Ordnung und begeistert vom rechten Geiste, zufrieden mit Taggeldern, beiläufigen Entschädigungen, allfälligen Vergütungen und, versteht sich, Anteil nehmend an der nationalen unentgeltlichen Verköstigung, welche das Vaterland seinen Söhnen angedeihen läßt, akkurat wie die Spartaner, ganz nach dem Sinne des Direktors, mit dem Unterschiede nur, daß derselbe lieber den Perikles vorstellen möchte als den Lykurg, mit Ausnahme der Idee von Heloten. Seine fixe Idee ist, daß man Heloten haben müsse wegen dem Exempel, und daß man sie an gewissen großen Festen voranstellen müsse, das meint er ebenfalls akkurat wie die Spartaner. Er scheint überhaupt ein Sklaventum durchaus notwendig zu finden, wir glauben nicht wegen direktem, persönlichem Vorteil, sondern weil er meint, daß auf dunklem Hintergrunde glänzende Hauptpersonen sich desto besser hervorheben.

Sieh, du guter Mann, wie herrlich das Leben und alles gratis auf Kosten der Eidgenossenschaft und ad libitum, nach Diskretion, das heißt, soviel jeder mag. Schmöck, wie das riecht! Das ist Murtenkabis und Kraut von Payerne, Rauchstoff für die Jünglinge, geliefert von Freiburg und Waadt, die feinern Zigarren für die Eidgenossen werden teuer aus Cuba bezogen auf Kosten der Eidgenossenschaft. Bier kömmt vom Zürichsee, da der dortige Wein weder mit einer beschaulichen Lebensweise noch mit der Wissenschaft sich verträgt; Thurgau ist mit kleberigem Birenmost vertreten, welcher den Füchsen besonders munden soll, und leeren Fässern aus seinen Klosterkelleren. Genf, das nichts Genießbares produziert, liefert Zahnstocher und Pfeifenstopfer; Neuenburg, welches in ähnlichem Fall ist, wollte sich mit Uhren abfinden, aber hier ist die Zeit abgeschafft, hier lebt man in der Ewigkeit, braucht also keine Uhren, ihm liegen nun die diversen Zündhölzer auf und bei Gelegenheit einiges Musizieren mit Blech. Basel schickt den Wein; Basel produziert zwar nicht Wein, aber versteht sich vortrefflich auf die Mischung, wodurch bekanntlich jeder flüssige Stoff mundrecht zugerichtet werden kann. Um allfällige Nebenküstchen zu vertreiben, werden gehörige Basler Leckerli beigegeben. Von den Urkantonen kömmt das Hochwild, von Zug die Zwetschen, von Luzern das Vieh und die Füchse und die Pfeifer. Graubünden sendet Bärenfleisch und Konfitüren, Tessin Kastanien, aber ungebraten, da bekanntlich die Tessiner nicht gern Feuer riechen in der Nähe, wie sogar ihr größter Held das Feuer nicht vertragen kann; Würste, ebenfalls ungekocht, weil so appetitlicher, als wenn sie gekocht wären. Wallis wartet mit Abwärterinnen auf und süßen Trauben; von Bern kömmt der Käs samt Käsmilch und Schotten und Bärenfett zum Schuhsalben. Solothurn findet sich mit Geißkäsen und Erdbeeren ab, Aargau mit Rüben, Rettigen und Nonnenfürzen, Baselland mit buchenen Knebeln und Gurken, St. Gallen mit Maisbrei und Kohlraben; Schaffhausen endlich versieht die hohe Anstalt mit Schaffnern, obern und untern, Junkern und Nichtjunkern, welche alles abnehmen und einiges verrechnen sollen, wenn sie nämlich nicht vor der Rechnungsablage sich absentieren. Die Scheiben zum Schießen liefern Patrizier und die großen Städte, das Pulver das Städtlein Brugg, wo bekanntlich in den letzten Zeiten so viel Pulver abgefaßt wurde, die Appenzeller die Zeiger bei den Scheiben samt den Tiroler Sängern.

Siehst, Mann, wie herrlich das eingerichtet ist und alles gratis auf Kosten der Eidgenossenschaft und wie gesund! Keine staubigen Stuben, nichts trocken oder gar vertrocknet, von Leberleiden ist da nichts bekannt, und wegem Mangel zehrt niemand aus, und die Weisheit malterweise und ohne Kollegiengelder, ganz unentgeltlich, und was man in fünf Jahren nicht lernt, dazu braucht man bequem zehn, weil es nichts kostet, und mag man nichts lernen, wird man sonst gefördert auf einen hohen Posten, wo man viel Geld bekömmt und Gelegenheit hat, die Arbeit durch andere machen zu lassen, und wer da gar nichts taugt, den versorget man in ein eidgenössisch Bureau, wo er wieder Kameraden findet, aber auch zu reden klafterlang, tagelang, mit und ohne Reglement, und alles das hat man dem Direktor zu verdanken, der mit seinen Mauerböcken, den drei Genfer Winkelrieden, Bahn brach und der Bildung einen ganz neuen Schwung gab, und zwar einen vaterländischen, und seiner Vaterstadt ein Institut schenkte, wie es nie war, nicht ist, nie mehr sein wird auf Erden.

Ja, eben hier liegt eine scheinbar schauderhafte Sünde früherer Regenten. Sie legten Hochschulen an, an diesen gingen die Familien zugrunde, denn da war alles hundeteuer, das Bier, der Wein, die Zigarren und die Kollegien, und daneben ein Hundeleben! Kohlraben und Bärenfleisch kriegte man nicht, Tabak vom schlechtesten und den Mais nur in Wasser gekocht, der Gesundheit so äußerst nachteilig. Daher das Schuldenmachen so begreiflich, ja unvermeidlich, und alles aus Schuld verräterischer oder unfähiger Regenten. Was möglich sei unter fähigen Leuten, sehe man jetzt, und wer klage, Baurensöhne hätten von Studenten das Schuldenmachen gelernt, von dorther sei das Übel gekommen, der solle das Übel in der Vergangenheit suchen, die Gerechtigkeit der Vorsehung preisen, die von so großem Übel befreit, und die drei Helden, den Tourte, den Almeras und den Carteret, die Bahn gebrochen, wie jene edelsten Eidgenossen, die drei Landjäger, welche weiland dem Doktor Steiger aus dem Kerker geholfen, ehren in den Zeitungen und mit Lithographien auf schönem Papier. Wenn man denen Denkmäler errichten täte, wie wär's? Oder will man lieber warten, bis man dem zürcherischen Diktator oder Perikles eins macht und dann die drei Genfer Manne und allfällig in der vierten Ecke den noch lebenden edelsten Eidgenossen oder Landjäger um ihn her aufpflanzen, ungefähr wie die Bären um den Erlach auf dem Kirchplatz in Bern? Enfin, wie man will; wie man es macht, so hat man's. Jedenfalls, bis was Rechtes kömmt, sollte man die bekannten Hafner in Bern auf diesen Gegenstand aufmerksam machen. Wir sind überzeugt, wenn sie diese Männer und namentlich den Tourte, der den ersten Angriff getan, auf all ihren Geschirren ähnlich abbilden täten, sie würden keine schlechte Spekulation machen.

Trotz seinen Schulden würde unser Hans das seine dazu beigetragen haben, sie in Flor zu bringen, wenn sie in seiner Blütezeit aufs Tapet gekommen wären, denn er war Liebhaber von Bildnissen und paradierte immer so mit einem rechten Helldonner auf der Pfeife und mit den andern verfluchtesten Siebenketzern, wie er sich auszudrücken pflegte, daheim. Es war schön, wie in seinem kindlichen Gemüte Hans durch solche Bildnisse die geistige Verwandtschaft vermittelt, die Brüderschaft abgeschlossen glaubte.

Unterdessen konnte Hans nicht gratis leben, die eidgenössischen Lieferungen trafen nicht ein; St. Gallen schickte den Maisbrei nicht, Aargau die Rüben nicht, Basel wohl viel Wein mit allerlei Kust, besonders mit was von Picardan, doch nicht gratis. Kürzlich sind die auf demselben lastenden Eingangsgebühren bedeutend ermäßigt worden, eben wahrscheinlich um den Baslern die eidgenössischen Gratislieferungen zu erleichtern. Hanse Geld ging alsbald wieder auf die Neige, er klagte es einem Freunde. Er wisse nicht, wie es komme, sagte er; kaum habe er einiges Geld im Sack, sei es wieder fort, es sei gerade, als ob der Luft dahinter sei. Und wenn man keins mehr habe, könne man zusehen, wie man wieder kriege, ohne daß man die Haut samt den Haaren lassen müsse, so erleide es ihm.

»Bah«, antwortete der, »du und klagen? Wenn solch reiche Baurensöhne klagen wollen, was soll dann unsereiner?« »Was hilft mir der reiche Baurensohn?« sagte Hans. »Geerbt habe ich nichts, und wann ich erben werde, weiß der Teufel. Einstweilen gibt mir der Alte je weniger, desto lieber, er braucht es selbst.« »Mach ihn den Hof abzutreten!« riet der Freund. »Mach, mach, ist bald gesagt. Der Alt gibt den Löffel nicht aus der Hand, bis er selbst genug hat, und das geht lang, zähl darauf, der ist zäh wie Hagenbuchigs«, antwortete der Sohn. »So nimm einen Pfosten oder heirat reich!« entgegnete der andere. Das gefiel unserm Hans, besonders das erste. Er hätte schon lange gedacht, sagte er, ihm gehörten auch Quartalzapfen und nicht die kleinsten. So verflucht viel fürs Vaterland getan und ausgestanden wie er habe nicht bald einer. Er hätte aber gedacht, sie sollten selbst den Verstand haben, mit Schein werde er ihnen denselben machen müssen. Das Heiraten wäre ihm auch nicht unrecht gewesen; e Hagels e Rychi und e Hagels e Schöni wollte er schon, sagte er, wenn er sich ihrethalb nicht die Füße ablaufen müßte, oder e Steinalte und Reiche, wenn er wüßte, daß sie drei Stunden nach der Hochzeit absegeln würde.

Aber beides war nicht so leicht, als Hans glaubte. Hans hatte nie einen besonders guten Kopf, nie gern gelernt; er war als Baurensohn erzogen worden und hätte einen recht tüchtigen abgegeben, wenn nicht das unglückliche radikale Fieber und die Herrensucht und die Faulsucht über ihn gekommen wären; jetzt war er zu gar nichts mehr tüchtig. Indessen das hätte nicht soviel gemacht, war doch nicht das der oberste Grundsatz, daß einer von seinem Amte, welches man ihm gab, etwas wisse, sondern daß er ein Weißer, Esel oder nicht Esel, sei und, wenn von oben »Y« gerufen war, wie's Wetter »ah« nachbrülle; das war die Rasse, welche man brauchen konnte. Hatte der Mann nebenbei zufällig auch Kenntnisse, ja sogar Fachkenntnisse, ja, so war das ein gefunden Fressen, aber die waren rari nantes in gurgite vasto.

Nun, wegem Brüllen hätte es bei Hans nicht gefehlt; er hatte eine Stimme, es hätte mancher Bataillonskommandant, der eine Stimme hat wie ein alter Spittler oder wie ein hässig Meitschi mit einem Pfnüsel, gerne, solange er im Dienste war, eine überflüssige Ration dafür abgetreten. Dazu hatte er eine brave Postur wie nicht bald einer, deretwegen wäre er wie gegossen gewesen zu Pfösten, wo die Postur die Hauptsache ist, Bezirkskommandanten, Salzfaktoren, Amtsschaffnern per Exempel und andere mehr. Zudem hatte er ein verwettert Maul, welches den Salzknechten, Instruktoren, geldfassenden Individuen die wahre Politik um die Köpfe gehimmeldonnert hätte faustdick, daß der dickste Schädel sie hätte kapieren müssen. Es fehlte halt nur eins, es fehlten leere Posten!

Als man die neue Verfassung gemacht hatte und eine neue Regierung, kam es daher wie eine Heuschreckenwolke im Morgenland oder wie Krähenheere, wenn ein Acker ausgebrochen wird und die Käfer zu Tausenden zutage liegen für jeden hungrigen Schnabel. Es waren die Scharen der nach Pöstli hungrigen Anhänger, welche sich auf die leer gemachten Stellen zu senken suchten. Und wer am besten auf das »Y-ah« dressiert war, trug die fettesten in seinem Schnabel davon, und fort waren sie alle im Umsehen, und da stund noch eine große Menge, hatte nichts im Schnabel als Hunger und Durst und war doch von der besten Farbe und als Weißer dressiert, besser hätte nichts genützt, und war bereit, sich in Rote umwandeln zu lassen, sobald von oben die rote Flagge aufgezogen, die rote Farbe kommandiert wurde; die waren alle da und schrien nach Brot, das heißt einem Posten, und bekanntlich tönt die Stimme immer am besten bei leerem Magen und leerem Schnabel.

Damals, als das geschah, dachte Hans noch an keinen Pfosten, sonst hätte er wohl einen gekriegt, in welchem ein tapferer Zapfen stach, denn es war viel daran gelegen, die bedeutenderen Familien auf dem Lande zu gewinnen; jetzt, wenn irgendein Pfosten ledig werden sollte, war Hans offenbar im hintern Glied. Aber es wurden keine ledig, es wollte keiner sterben, das neue Glück wie vom Himmel herab mundete ihnen allen viel zu gut, warum jetzt sterben? Sie wurden alle fett statt mager, sangen Vaterlandslieder statt Sterbelieder und zählten auf der Jahre viel. An andern Orten werden zuweilen Pfosten ledig, wenn man Leute entweder absetzt oder dieselben freiwillig durchbrennen. Das war aber im Kanton Bern nicht der Fall, das erste tat man nicht, das zweite hatte niemand nicht nötig. Man hatte den Grundsatz, alle für unschuldig zu halten, bis einer kam und sagte: »Gnädige Herren, da bin ich, da nehmt mich, von wegen ich bin nicht kauscher, sondern das Gegenteil.« Wer will sagen, dieser Grundsatz sei nicht christlich? Heißt es nicht: »Ihr sollt nicht richten, denn mit welchem Maß ihr messet, mit dem sollt ihr wieder gemessen werden!« und potz Türk, was hätte das für eine Anrichtete gegeben, wenn man auf diese Weise mit dem Richten hätte anfangen und fürfahren wollen bis Matthys am letzten? Nun aber war denn doch die christliche Bußzucht, welche die Gewissen aufsprengt und zum Bekenntnis zwingt: »Ach Gott, ich bin ein Sünder, und meine Schuld ist gewachsen bis zum Himmel, ist größer, als daß sie mir könnte vergeben werden«, so rar, daß ihr Dasein bloß vermutet, aber nicht bewiesen werden kann. Auf diesem Wege wurden also auch keine Posten leer, und so leicht es anfangs geschienen, Hans mit einem guten Posten flottzumachen, so schwer war's bei näherem Betracht der Sachlage.

Mit dem Heiraten ging es ihm ungefähr ebenso und zum Teil durch seine Schuld. Schöne und reiche Mädchen sind zwar nicht so rar als bußfertige Beamtete, die ohne Müssen ihre Sünden bekennen, aber solche sagten ihm nicht Herr. Hans machte Ansprüche, wie sie sich für den jungen Bauer im Hunghafen so übel nicht schickten, aber Hans dachte nicht, daß der ehmalige Leutnant und jetzige Hauptmann im Hunghafen dem Bauer gar verdammt geschadet und seine Ansprüche brüchig gemacht. »Den möchte ich nicht«, hieß es allenthalben, »nicht mit einem Stecklein möchte ich ihn anrühren, geschweige heiraten, lieber noch hundert Jahre ledig bleiben; das ist ein armes Tröpflein, das da hineintrappet, das nimmt einen Schuh voll heraus, daß es sein Lebtag genug daran hat. Der Alte und der Junge führen ja ein Leben, man redet nicht umsonst weit umher davon, und die Bäurin starb ja vor Kummer und Verdruß. Sie wird gedacht haben, sie wolle drausstellen zu rechter Zeit, ehe sie noch mit dem Säcklein laufen müsse. Für keinen Preis möchte ich den Hauptmann; bei jedem Mensch, das mir unter die Augen käme, müßte ich ja denken, das sei ihm so nah verwandt als ich.« Wenn ein Mädchen an eine Lustbarkeit ging, lief ihm wohl die Mutter nach und sagte: »Daß du mir nicht etwa d's Herrgotts bist und Hunghanse Bub heimbringst, so einer, der weder an Gott noch an den Teufel glaubt, dulde ich nicht im Hause; ich fürchtete mich, wenn der nur unters Dach käme.« Dann sagte wohl der Vater, der es gehört: »Hast recht, das Mädchen zu warnen, mit der Gattig Leute mag ich nichts zu tun haben; diese verachten uns doch und spotten uns auf allen Suppenbröcklene aus, d's Geld, ja d's Geld wohl, das wäre ihnen recht, sei es konservativ oder nicht, sie würden es schon radikal brauchen.«

Vater Hans förderte die Heiratsangelegenheit auch nicht. Ihm wäre eine reiche Schwiegertochter mit großer Barschaft recht anständig gewesen. Dagegen begehrte er eine mit großer Anwartschaft in die Zukunft hinaus und mit großen Ansprüchen in der Gegenwart, wo er tapfer ausrücken und mit einer großen Ehesteuer aufwarten sollte, durchaus nicht. So bei bloßem Plänkeln um eine Ehesteuer ließ er es wohl schimmern und glitzeren, als ob er fürstlich aufwarten wolle. Kam es aber zu festern Unterhandlungen, ja, dann gab's hinter großen Worten Ausflüchte, Ausreden von allen Arten, und nirgends wollte es sich machen.

Auch hatte der Amtsrichter selbst Lust, wenn er irgendwo einen appetitlichen, saftigen Brocken finden sollte, denselben sich zu Gemüte zu führen. Hans der Alte hätte wohl eine bekommen, namentlich Witfraueli, die gerne noch lustig gelebt hätten, ehe sie selig sterben mußten, die mit dem Amtsrichter sich hoch gemeint und vornehm hätten tun können. Solche Heiratskandidatinnen sind nicht so rar, aber solche wollte Hans nicht; Hans, der Vater, war wirklich viel gescheuter als Hans, der Sohn. Er wollte keine, die ihm am Kuttenfecken hing, er mochte in die Kirche oder z' Märit gehen, ans Amtsgericht oder an Rat, die mit ihm seine Schoppen teilte und, wenn sie einen bald aushatten, sagte, sie hätte noch G'lust nach einer Datere, oder wenn's nur Hammeschnittli wären. Hans wollte eine Frau für das Haus; für die auswärtigen Angelegenheiten und die Geschäfte bei der »Hintern Tugend« war er Manns genug, dazu brauchte er keine Frau. Er sah wohl, wie es daheim ging. Er hatte freilich Mägde gewechselt, aber was half's? Wo nicht eine feste, sichere Hand die Zügel stetig führt, da gattert immer alles untereinander, da wird nie Ordnung sein, denn Ordnung macht sich nie und nirgends von selbst. Hans wußte wohl, was eine gute Frau war und eine gute Frau vermochte, aber so eine sagte Hans auch nicht Herr. So eine sagte: »O nein, so dumm bin ich nicht; jetzt habe ich es gut, wenn ich einmal bös haben will, so will ich bös haben auf meine Rechnung und nicht so wegen einem Hans, und sei er zehnmal Amtsrichter. So in ein Flöhnest zu hocken sein Lebtag, wer möcht! Oder endlich mit leeren Händen wieder zu gehen, nachdem man das Wüsteste ausgestanden und Schuhwisch gewesen, es weiß kein Mensch, wie lang!«

Man sieht, die beide Hanse hatten einen gemachten Ruf, und der ging weit in die Runde, und auf den Ruf wird noch geachtet im Bernbiet; er will was sagen, wenn es schon altväterisch ist. Oh, wie mancher Meitschijäger, der auf eine gute Partie jagte, fing nichts als lange Nasen und meinte doch, er sei ein so schöner Herr, und merkte nicht, wie wüst sein Ruf war, viel wüster als er schön. Da zahlen sich die Sünden mit Strichen durch die Rechnungen, und so ist's recht.

Indessen, wenn der Alte oder der Junge mit rechter Energie ans Heiraten gesetzt hätten, sie hätten doch was zustande gebracht. Sie wären über den Dunstkreis ihres Rufes hinausgegangen, bis nach Zürich, wenn es hätte sein müssen, hätten dort in Person sich splendid gemacht, so dick als möglich gelogen und durch bezahlte Leute noch dicker rühmen lassen, hätten diesem Geschäft sich nachhaltig Tag und Nacht hingegeben, bis es abgeschlossen und versiegelt gewesen. Aber diese Nachhaltigkeit fehlte; sie waren zu schlaff, durch die Gewohnheiten ihres Lebens zu sehr gefesselt, sie lebten zu sehr politisch in Vereinen und Versammlungen, Sitzungen und Zusammenkünften, trugen das Vaterland auf ihren Schultern herum und seiften des Abends es wacker ein mit Mehbesserem, binoggelten dazu mit großer Innigkeit und waren ihr Lebtag nie so andächtig gewesen, als wenn das Spiel gegeben wurde und sie ihre Karten ordneten.

Der junge Hans saß wieder flott im Gelde, er wußte fast nicht, wie er dazu gekommen, und das zu einer Zeit, wo alle Welt über Geldmangel klagte, wo die Kapitalien verschwunden schienen wie die Mäuse, wenn große Nässe bevorsteht, dieweil sie das Ersaufen nicht lieben. Wahrscheinlich war es eben wegen dem Ersaufen, warum das Geld sich nicht hervorwagte, sondern in eisernen Kisten sich am sichersten hielt, denn es ging die Rede, es wäre Geld genug, aber die verfluchten Aristokraten und Patrizier möchten es dem Lande nicht gönnen, sie wollten den Bauren zugrunde richten, sie würden nicht weiser werden, bis man mit Gewalt an den Tag hole, was sie boshaft zurückhielten. Man erzählte sich, einem, der in Bern Geld gesucht, sei eine große Kiste voll gezeigt worden. »Seht, da wäre Geld, und an andern Orten ist noch viel mehr, aber nicht für euch; bei einer solchen Ordnung kriegt ihr kein Geld«, habe der Besitzer gesagt. Radikalerseits wurde das ausgelegt, als ob die Herren den Bauren kein Geld geben wollten, solange sie radikal seien und eine radikale Regierung hätten, als wolle man mit dem Geldzwang die Bauren zur Reaktion zwingen. Man verbreitete diese Worte fleißig, um die Erbitterung gegen Herren und Städter zu steigern. Von der andern Seite hieß es: »Ist die Ordnung etwa recht, wo niemand zu seinem Gelde kommen kann, wo ein Spitzbub dem andern durchhilft, wo es durchaus unmöglich ist, ein Kapital, das man ausgeliehen hat, wieder einzutreiben, wenn der Schuldner die Gesetze zu benützen versteht, Gesetze, welche eigens eingerichtet sind, den schlechten Schuldner zu schützen, den Gläubiger um sein Geld zu bringen und mit unzähligen Händeln die hungerige Rabenschar von Schreibern und sogenannten Rechtsgelehrten zu nähren?« Das ist die Ordnung, welche man meinte und die den Fluß des Geldes hemmt. Sei Regierung, was für eine da wolle, von ihr war nicht die Rede, aber von den Gesetzen, welche zugunsten jedes Hudels gemacht scheinen, wahrscheinlich eben auch von einem Hudel. So ward das gleiche Wort ganz verschieden ausgelegt und tat je nachdem die entgegengesetzte Wirkung: die einen wurden zornig über die Herren, welche das Geld hatten und es nicht verlieren wollten, die andern über die Herren, welche die Gesetze für die Hudeln gemacht, welche das Geld hinterhielten. Das war wahr, die Geldnot war groß, und mancher arme Schelm ging zugrunde, weil er ein kleines Kapital, welches ihm abgesagt worden war, nicht aufbringen, sondern sein Eigentum verkaufen mußte, und zwar so, daß nicht bloß alles verlorenging, was er daran gezahlt oder verbessert, sondern Pfandschulden obendrein. Eine Masse von Eigentümern kam um das Vermögen durch das Sinken der Landpreise und das Rarwerden des Geldes und wurden eigentumslos.

Wie konnte nun in solcher Geldnot Hans flott im Gelde werden? Ganz einfach dadurch, daß für ihn nicht alle Kassen verschlossen waren, sondern eine sich unerwartet ihm öffnete, und das war die Staatskasse. Ach, die gute Staatskasse, das ist ein liebenswürdig, geduldig Ding; wem die hold ist, ach, der ist eine glückliche Seele, dem ist für einen warmen Rock gesorgt, dem fehlen nicht Fischeli z'Morge und Krebseli z'Nacht, ach, wie so eine Staatskasse auf so liebenswürdige und mannigfaltige Weise liebkosen kann! Da ist kein Wunder, daß ihr die Liebhaber nie ausgehen, sie mag so alt werden, als sie will, wenn sie nur nicht leer wird. Geschieht das, ja dann leider trifft sie auch das Schicksal, und die Liebhaber dünnen. Den einen liebkost sie mit reichen Schenkungen, andern mit Abtretungen ums halbe Geld, andern bezahlt sie vielfach ihre Arbeiten, andern vergißt sie, was sie ihr schuldig sind, schreibt es vielleicht nicht einmal auf, was sie ihr schuldig werden, genehmigt Rechnungen und Forderungen blindslige, kauft teuer Dinge ohne Wert, leiht Geld aus nicht ohne Ansehn der Person, aber ohne Ansehen der Sicherheit, nach dem Grundsatze, daß ein Mensch mehr wert sei, also größere Garantien biete als die ganze Welt, denn was hülf's dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und litte Schaden an seiner Seele? Ja, so eine Staatskasse ist eine glückliche Person; wenn jemand bloß vom Flattieren leben und florieren täte, so könnte sie es.

Ein Freund half Hans zu dieser glücklichen Bekanntschaft. »Hör«, sagte dieser, »du könntest mir einen Gefallen tun, ich sollte Geld haben, weiß nirgends zu bekommen. Nun riet mir ein guter Freund, Geld aus der Staatskasse zu suchen. Ich weiß nicht mehr, hat er gesagt, aus der Kantonalbank oder der Hypothekarkasse, aber es ist mir, er habe gesagt, wenn jemand wohl an sei droben und die Sache recht anzurühren wisse, so bekomme er aus beiden Kassen, soviel er wolle. Aber einer alleine könne es nicht, er müßte Bürgen haben, und wenn man es recht mache, so könne immer einer dem andern Bürg sein, dann kämen alle zu Geld. Geht das, so mußt auch von dem Gelde haben, soviel du begehrst, wenn du mir Bürg sein willst.« Das war Hans angeholfen, was frug er dem Bürgsein nach, in seinem Leichtsinn kümmerte er sich durchaus nicht um die Nase, welche das Bürgsein haben kann, wenn er nur Geld kriegte. Das Ding gelang vortrefflich, denn der, welcher den Vorschlag gemacht hatte, war ein verschmitzter Bursche, und seine Reden konnte er setzen wie Anken so zart. Zudem war er Duzbruder mit dem, welcher den ersten Schlüssel dazu hatte, und wer Duzbruder war, hatte jedes Vorrecht und sonst, was er wollte, alles wegen der Gleichheit vor dem Gesetz. Während so viele Familienväter in der bittersten Geldnot fast verzweifelten, saßen die lustigen Bursche wie Spatzen im Hanfsamen hellauf in Staatsgeldern.


 << zurück weiter >>