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Neuntes Kapitel

Benz geht spazieren, vernimmt viel und bekömmt Gedanken

Lisi nahm anfangs dieses Betragen auch schwer auf und ward hitzig. Als es aber sah, wie Benz dadurch finster und bitter wurde, brach es sich selbsten ab, meinte nicht, es müsse Benz alle Worte zutragen und Öl ins Feuer gießen, suchte ihn aufzuheitern, sagte, er solle nur warten, die Zeit sei immer wiedergekommen, wo man Spreu vom Weizen und schlechte Leute von braven habe unterscheiden können. Er solle das nur machen lassen, es sei gut, wenn es zuweilen recht wüst gehe; man wüßte sonst nicht zu schätzen, wenn es gut gehe. Das sehe man am besten, daß, wenn man ein Dutzend oder zwei gute Jahre hintereinander habe, so wisse man nicht mehr, was das sei, wie gut man es habe, sondern fange an, wüst zu tun und sich die Sache selbst zu verderben. Wenn es dann eine Zeitlang wüst genug gegangen sei, komme man wieder zum Verstand, trachte nach dem Guten. »Das wäre wohl gut«, sagte Benz, »aber denk, Frau, wieviel zugrunde geht, wie viele Leute unglücklich werden und schlecht. In vielen Jahren ist nicht mehr gutzumachen, was in einem verdorben wird.« »Wie willst du es anders machen?« fragte Lisi. »Magst wehren, was du willst, kannst doch nichts dran machen, und wenn du recht böse wirst, schadest du niemanden als dir selbst. Denk, Gott wolle es so, und wenn es Zeit sei, werde er es schon anders machen. Unterdessen wollen wir zu uns sehen und hier oben im Frieden uns stillehalten. Wir haben gottlob andere Leute weniger nötig als sie uns.«

Das waren schöne Zusprüche, und Benz nahm sie gut auf, aber sie waren doch kein Schild, der alle Pfeile auffing, welche Benz verwundeten, sowenig als man mit Stubenhüten vor herrschenden Krankheiten, Husten und Flußfieber per Exempel, sich wahren kann. Was einmal in der Luft ist, kömmt an uns, und wenn wir uns hinter sieben Riegel bergen. Zudem kann ein Bauer wie Benz nicht immer daheim bleiben, er muß Handels und Wandels wegen immer unter die Leute, kann es nicht vermeiden, mit ihnen auf allerlei Weise in Berührung zu kommen. Ist man auf der Straße, muß man doch zuweilen einen Schoppen trinken. Es ist nicht aller Leute Sache, dürre Birenschnitze im Sack bei sich zu tragen und dazu Wasser zu trinken ab den Brunnen an der Straße, auch ist diese Sitte so ziemlich außer Mode gekommen. Nun kann man wohl diese oder jene Wirtshäuser, welche man als Missionshäuser oder Stationen des Radikalismus kennt, manchmal meiden, manchmal nicht, aber es kann einem wiederum begegnen, daß man den Regen meidet und unter die Traufe kömmt.

Eines Sonntags sagte Benz zu seiner Frau: »Es ist mir zuwider, aber ich sollte dem Holzhändler, dem Halblützel Christeli, dem ich voriges Jahr die Tannen verkauft habe, nach und ihm persönlich zu Leib steigen, schriftlich hilft nichts. Es ist mehr als ein halbes Jahr, daß er mir das Geld bringen sollte, und jetzt sollte ich es haben. Hans sagt auch nichts, daß er mir die zweihundert Taler wiedergeben wolle. Nun, das ist nicht verloren, aber vom andern wollte ich lieber, ich hätte es schon; es ist dem Halblützel nichts zu trauen, tut groß, vertut viel, der Handel muß schön eintragen, wenn er das alles ertragen mag. Es fängt so satt an, die Großhanse z'kehre, wie es aber auch recht ist, denn die andern Leute hätten sich zu erklagen, wenn es den einen geordnet wäre, nichts zu tun als groß und dabei wohl zu sein bis ans Ende. Aber lieber hätte ich dabei nichts im Feuer und möchte nicht auch mitleiden. Gab das Holz ihm nie gerne; weil er mir mehr bot als andere, dachte ich, es wäre doch dumm, wenn ich es ihm nicht geben würde. Nun geht es mir wie andern auch, gelöst hätte ich viel, wenn ich jetzt das Geld auch hätte. Habe ich es aber einmal, soll es mir für ein andermal eine Warnung sein.«

Lisi strengte Benz an, daß er gehe. Es wäre ihm z'wider, wenn sie an dem Halunk Geld verlieren müßten, sie hätten es sonst zu brauchen, sagte es. Weiber sind in der Regel um ausstehendes Geld besorgter als Männer, und Verluste gehen ihnen tiefer; sie sind von Natur mehr ans Erhalten als ans Erwerben gewiesen.

Es war schön Wetter, und Benz marschierte einen starken Schritt, um den Mann noch zu Hause zu treffen, denn er wußte wohl, daß der nicht einen ganzen Sonntagnachmittag zu Hause war, sondern unter die Leute gehörte, welche alle Tage schwitisieren und am Sonntag doppelt, welche außerhalb des Hauses für ihre eigene Person mehr brauchen als für die ganze Haushaltung samt Weib und Kindern, welche wegen drei Kreuzern daheim sich brandschwarz fluchen können, während sie drei Gulden verhudeln, ohne sich umzusehen. Der Art Leute gibt es je länger, je mehr, je weniger es ihnen daheim wohl ist, je weniger sie zu christlicher Treu, zu altväterlichem Fleiße, sondern bloß zu dem fatalen neuen Herrentum erzogen werden. Diese alle laufen daheim weg, gewöhnlich wegem Vaterland, und gerade sie untergraben das Vaterland, an ihnen würde es zugrunde gehen; das Wohl des Vaterlandes ruht nicht auf Kneipies und Schwities, sondern auf treuen, frommen, fleißigen Hausvätern.

Benz machte allerlei Glossen auf seinem Wege, denn fast drei Stunden hatte er zu gehen durch eine belebte Gegend. Ihm begegnete viel hoffärtiges Volk, das reuterte munter durch die Straßen, und viele darunter ärgerten ihn. »Nit«, sagte er bei sich selbst, »daß ich meine, man solle am Sonntag nicht brav und recht daherkommen, wohl, das ziemt sich und ist recht, aber alles nach dem Vermögen. Wer d'Sach nicht kennt, sollte meinen, es seien alles reiche Baurentöchtern auf der Straße, das glitzert und glänzt durch sieben Zäune durch. Wer d'Sach kennt, kennt d'r halbbatzig Zeug wohl, wo möchte und nicht kann; er kann die schlechte Kleidleni, wo ein Vesper und ein Feierabend sind, wohl unterscheiden von den währschaften und haltbaren. Ich meine nicht, daß die Reichen ein Vorrecht und die Armen eine besondere Kleidung haben sollten wie die Zuchthäusler, aber ich meine, sie sollten ihr wenig Geld nicht für Kleider ausgeben, die etwas scheinen, aber nichts sind, viel kosten, besonders Macherlohn, und für kein Wetter taugen, die Sonne mögen sie nicht erleiden und den Regen nicht ertragen. Ich meine, sie sollten währschafte Kleider haben und Geld sparen, und ja freilich würd es mich freuen, wenn meiner Mägde Kinder einmal wie Baurentöchtern daherzukommen vermögen wie meiner Töchter Kinder. So, wie sie es treiben, werden sie betteln, ihre Kinder betteln, werden in Lumpen laufen, drei, vier Jahre ausgenommen, wo sie der Mutter gleich torrechte Hoffart treiben und manchmal noch zwischendurch betteln gehn. Denn mein Gretli behauptet steif und fest, daß am Montag Mädchen vor unserm Hause gebettelt, mit denen es am Sonntag irgendwo getanzt und wo sie Staat gemacht, daß man hätte meinen sollen, wer sie seien, wenn man nicht die kuderigen Strümpfe, das verwaschene Hemd und zuweilen das spottschlechte Gloschli gesehen.«

Was ihn aber noch mehr ärgerte, war das Gerössel auf den Straßen. Er, Benz, der Bauer auf der Ankeballe, hatte sechs Rosse, kleinere und größere, sie stunden alle im Stalle, und er ging zu Fuß. Nun war die Straße voll Fuhrwerke von allen Arten, und wer war darin? Es waren meist geliehene Fuhrwerke, und darin saßen solche, welche mühsam ihr Brot verdienten, ja oft solche, welche es nicht verdienten, Lehrbuben, angehende Subjekte in Schreibstuben, auch wohl solche, welche ein eigen Rößchen hatten, eins nicht viel besser als eine Geiß, damit am Sonntag sich splendid machten und dem guten Geschick nachfuhren. Es waren zumeist Leute, welche Sparen bitter nötig hatten, wenn sie einmal Grund unter die Füße bekommen wollten, und die fuhren da aus, gebärdeten sich wie Prinzen aus dem Mohrenlande, verbrauchten mehr Geld, als sie hatten, blieben die geliehenen Fuhrwerke einstweilen schuldig, und wenn sie sie bezahlen mußten endlich, stahlen sie das Geld irgendwo.

Mit großer Betrübnis sah Benz die zahlreichen Exemplare aus dieser Klasse, welche an ihm vorüberrösselten, meist in weiblicher Begleitung. Da wundere man sich über die zunehmende Armut, dachte er, und die Weisen dieser Welt täten allerlei dar, wie die Reichen schuld daran wären und die Abgaben, welche nur auf dem Armen lägen, und allerlei deren Dinge mehr. Gingen sie doch einmal so an einem Sonntag auf die Straßen, dachte er, da könnten sie sehen, was arm mache. An jedem solchen Sonntage werde der Grund zu einigen hundert armen Haushaltungen gelegt. Von denen, welche dem Teufel geradezu an seine Angel bissen und Verbrecher würden, wolle er nicht einmal reden. Da könne man sehen, daß, was Gott zum Heil gebe, entheiligt zum Fluch werde. Die armen Jungen müßte er bedauern, sie hätten den Verstand nicht besser, aber andere sollten ihn haben, namentlich Eltern, Meisterleute, Lehrmeister; die sollten dafür sorgen, daß die Ihrigen den Sonntag besser zubrächten, aber was wolle man, wenn sie es selbsten nicht besser machten! An das, was die Regierungen dabei täten, wolle er lieber nicht denken; es sei an manchem Orte gerade, als ob man ein Eingericht hätte, dem vierten Gebote z'Trotz, dem Teufel z'lieb.

Nicht leicht fördert etwas eine Fußreise mehr als Gedanken, welche das Blut in gelinde Wallung bringen, seien es nun freudige oder zornige, gleichviel. Benz war bei Christeli Halblützels Wohnung, ehe er es dachte, aber der Vogel schon ausgeflogen. Dessen Frau gab Bescheid. Es war keine Kreuzträgerin, ihr Wahlspruch schien zu sein: »Und ist mein Schätzel liederlich, bin liederlich auch ich.« Sie kalkulierte wahrscheinlich: alles müsse doch drauf, da wolle sie nicht dumm tun und sich nicht auch ihren guten Teil zu Gemüte führen. Sie jammerte daher nicht, wenn ihr Christeli viel brauchte und betrunken war, schluchzte nicht um ihn herum und weinte ihm die Schuhe voll, sondern sie lachte dazu und erzählte ihm, was sie gerne wollte, von ihren Schwiten, daß es Christeli Halblützel selbst zuweilen fast übers Herz kam. Aber was sollte er machen? Einmal sagte er wohl: »Aber Frau, du treibst es wohl stark, so kann es auf my Seel nicht immer gehen; denkst du nicht an deine Kinder?« »Sobald du an deine denkst, werde ich auch an meine denken«, hatte die Frau geantwortet und den darauf folgenden Strauß so ausgefochten, daß Christeli nicht viel anders wußte, als entweder es bewenden zu lassen oder mit gutem Beispiele voranzugehen; zum letztern hatte er nicht Lust, es blieb also beim erstern. Und wenn er vielleicht schon Lust gehabt, anders zu leben und an die Kinder zu denken, so zweifeln wir, daß die Frau gefolgt wäre: sie war viel zu sehr in die neumodischen Grundsätze eingekarrt. Diese Grundsätze bestehen hauptsächlich darin, daß es Hauptpflicht sei, für sich selbst zu sorgen, die andern auch für sich selbst sorgen zu lassen, und diese Pflicht wird bis auf die Kinder ausgedehnt, für die man ebenfalls weder zu sparen hätte noch dafür zu sorgen, ihnen einen guten Namen zu hinterlassen; aus welchem Hauptsatz die Angriffe auf die Ehe, welche eine solche Pflicht in Beziehung auf die Zukunft der Kinder in sich zu schließen scheint, entsprangen sowie die Forderung, daß der Staat die Kinder zu erziehen habe.

Christeli Halblützels Frau war sehr hoffärtig und tat eilig, Benz abzufertigen. Benz wußte nicht, wollte sie auch fort oder war sie daheim mit Besuch versorget. Der Mann sei fort mit dem Notar, sagte sie, sie hätten ein Geschäft miteinander, aber sie glaube, daß er beim »blauen Schimmel« im weißen Nest angetroffen werden könnte. Das Wirtshaus war ein neues, Benz nicht bekannt, aber er wußte, wo das weiße Nest war, hatte nicht viel um, es war hinreichend Zeit dazu, und einmal auf dem Wege, wollte er nicht umsonst gegangen sein. Er machte sich also dem »blauen Schimmel« im weißen Neste zu.

Vor dem Hause stunden Fuhrwerke, in der Gaststube saßen etwelche Leute. Benz dachte, es sei doch kein Nest so nebenaus, es sei Gastig da. An einem Sonntag sollte man meinen, alle Säcke seien voll Geld; sei der vorbei, höre man sechs Tage lang klagen, es sei kein Geld im Lande. In der Gaststube war sein Christeli Halblützel nicht, waren die Leute nicht, welche zu den Fuhrwerken gehörten. Diesmal, dachte er, sei er wohl am unrechten Orte, gewiß sei da eine Zusammenkunft von Leuten, wie er ihnen nichts nachfrage und sie ihm nicht. Am besten sei's, er mache, daß er wegkomme je eher, je lieber. Indessen trank er gelassen an seinem Schoppen, und als er ihn halb getrunken hatte, frug er so wie beiläufig nach seinem Christeli Halblützel. Der werde nicht weit sein; wenn er was mit ihm wolle, könne man's ihm sagen, gab der Wirt zur Antwort. Selb wär ihm recht, sagte Benz, nur ein Wort, versäumen wolle er ihn nicht. Unser Halblützel, im Wahne, es werde einer ihm einen guten Handel antragen, erschien alsbald unter der Türe. Als er unsern Benz sah, begriff er etwas vom Gegenteil, fragte aber in seiner verhärteten Frechheit: »Werdet wohlfeile Tannen haben, und die werde ich kaufen sollen?« Einstweilen, sagte Benz, wollte er lieber das Alte fertigmachen, ehe er was Neues anfange; nachher dann, warum nicht, so wohlfeile, als sie des Handels einig werden könnten. Christeli Halblützel verstund Benz ganz wohl. »So wird das nicht mehr lange gehn«, antwortete er. »Morgen fahre ich nach Basel, dort habe ich einen Sack voll zu fassen, ich habe geglaubt, ich kriege nichts mehr. Es ist nicht mehr wie ehemals, da war das Geld da, ehe das Holz unten war. Jetzt will das Holz bald niemand mehr, und hat man endlich z'Not jemanden verkauft, so fragen sie einem nichts mehr nach und tun, als hätten sie's d'r Gottswillen. Jetzt soll ich hinunter, bekam einen Brief. Im Heimfahren komme ich vorbei, zählt darauf, da können wir das Alte abmachen und nach dem Neuen sehen. Ich glaube, es zieh wieder, b'sunderbar schöne Laden.«

Droben, wo Christeli herausgerufen wurde, saß eine noble Gesellschaft, hatte allerlei abgeraten und nahm jetzt was zu sich, das Loch zu vermachen, welches der losgelassene Geist zurückgelassen. Es war der Regierer, einige Amtsrichter, worunter eben unser Hans, Schreiber, Militär, kurz, die liberale Crême, das heißt Quintessenz der Umgegend. »Wer ist unten?« frug der Regierer den Wirt, der zurückgeblieben war. »Es ist ein vornehmer Baurenmann, ich sah ihn schon mehr, aber den Namen kann ich ihm nicht geben, ich glaube, es sei etwas von Anken darin.« »Das ist gewiß Benz auf der Ankenballe«, sagte Hans. »Der wird Geld wollen vom Halblützel. Er hat ihm Holz verkauft und wird auch aufs Geld warten müssen, wie es andern auch noch geht. Wird ihn daheim nicht angetroffen haben und der Spur nach sein.«

»So, der Ankenbenz«, sagte der Regierer, »so, den möchte ich auch mal kennenlernen, vielleicht daß man den noch b'richten könnte, wenn man es recht anfinge«, sagte er. »Zweifle«, sagte Hans, »der hat seinen eigenen Kopf.« »Probieren schadet nichts«, sagte der Regierer, »wer weiß, z'g'winne wäre viel, z'verlieren nichts.« Der Regierer kannte Benz per se aus Berichten als einen Gegner des Allerneusten, hatte gehört, daneben sei er ein gescheiter Mann und von großem Ansehen. Dieses war auf Anraten des Regierers bestmöglichst beschnitten worden. Indessen kannte derselbe, wenn nicht viel, doch so viel von der Geschichte, daß er wußte, wie die Stimmung der Leute sich ändere, wie man ehrenhafte Namen wohl einige Zeit mit Kot übertünchen könne, der Kot jedoch abdorre und abfalle, das Ehrenwerte bleibe. Daher wollte er lieber den ganzen Mann auf der Seite haben, dies schien ihm dauerhafter.

Hans wurde abgesandt, Benz heraufzuholen; er ging ungern, und Benz erschrak, als er den Hans sah. »Ist der auch da!« dachte er bei sich, »der wäre auch schöner daheim. Da wird aber was Sauberes gekorbet werden, daß dieses Volk da zusammenläuft.« »Du sollest hinauf zu uns kommen, der Regierer hat's befohlen«, richtete Hans aus. »Und der hat mir geradeaus nichts zu befehlen«, sagte Benz. »Daneben muß ich pressieren, es ist schon spät, und ich habe weit.« »Wart, komm dann mit mir«, sagte Hans, aber eben nicht sehr pressierlich; er begehrte Benz gar nicht in diese Gesellschaft. Er wußte wohl, wie Benz dieselbe und ihr Tun und Lassen ansah. »Könnte mir zu lange gehen; hab verrichtet, was ich konnte, und gehe ich jetzt, komme ich noch tags heim«, antwortete Benz. »He nun so dann«, sagte Hans, »wenn nichts zu machen ist und d's Anhalten nichts hilft, wird man es müssen geschehen lassen.«

Da erschien der Regierer, der, wenn er was befohlen, nicht lange Geduld hatte, bis der Befehl vollzogen wurde. »Will er kommen, oder muß ich es mit einem Leibhaft probieren?« frug er lachend, ging in aller Freundlichkeit auf Benz zu, hieß ihn willkommen und freute sich sehr, seine Bekanntschaft zu machen; er hätte schon so viel Gutes von ihm gehört, daß er ihn schon lange gerne einmal hätte sehen mögen. Benz war ganz verdutzt, mit dieser Holdseligkeit wußte er nichts anzufangen; wäre der Regierer grob gekommen, Benz hätte ihm sehr gut zu begegnen gewußt. An dieser Höflichkeit zog er Benz hinter sich her, fast wie man einen spröden Hund an einem Stricke hinter sich herzieht.

Es wäre ein schön Stück Arbeit für einen Maler gewesen, die drei Figuren, den Regierer, Benz und Hans in ein Bild zu bringen: Der Regierer, strahlend im Bewußtsein seiner Macht und der vollbrachten Tat, Benz, trübselig, wehmütig und ärgerlich über sich, Hans in verlegener Freundlichkeit und banger Erwartung der Dinge, welche da kommen würden. Mit aller Höflichkeit machte der Regierer Benz neben sich sitzen, befahl ein Glas, bot die Dose, fragte, was ihn Guts dahergebracht. Benz sagte etwas von Holz und Handel, begreiflich nicht, daß er Christeli Halblützel, der wieder in der Nähe des Regierers saß, um Geld getreten und verzweifle, was von ihm zu kriegen.

Nun lief das Rad, und das Korn war aufgeschüttet auf des Regierers Mühle. Er begann alsbald tiefsinnige Theorien zu entwickeln über die Bewirtschaftung der Wälder und den Handel mit Holz. Er lehrte Benz Tannensamen säen, Bohnenstecken pflanzen, Schläge machen, Eichwälder anlegen, Buchenzucht treiben, lehrte ihn, wie man die Hälfte der Wälder ausroden und aus den übriggebliebenen Wäldern hundert Prozente mehr ziehen könnte als früher aus der Gesamtheit. Er lehrte ihn den Holzhandel und wie man, wenn man es recht anfinge, für Frankreich und Engeland Bretter und Bauholz liefern könnte und im Verkauf wieder hundert Prozente gewinnen, das sei der Vorteil von Theorie und System. Er sei überzeugt, wenn man einmal die Bauren dahin bringen könnte, theoretisch und systematisch zu verfahren, es würde ihnen ihr Land wenigstens das Doppelte oder Dreifache ertragen. Aber sie müßten es ganz anders anfangen als jetzt, und er entwickelte eine Landwirtschaftstheorie, daß Benz Maul und Nase offen vergaß und nicht wußte, war er ein Narr oder war der Regierer einer.

»Ja, ja, mein lieber Nachbar G'richtsäß und Bauer auf der Ankenballe, es wäre noch viel zu lernen, wenn man nicht hartnäckig am Alten hangen, sondern Vorteil ziehen wollte aus den neusten Entdeckungen und den Resultaten der Wissenschaft«, sagte der Regierer und klopfte Benz auf die Achsel. Es sei eine neue Zeit, und die fordere ein neu Leben, und wer sich nicht darein fügen wolle, bleibe zurück und müsse schmerzlich büßen und vielleicht noch für Kinder und Kindeskinder.

»Ja«, sagte Benz, von all der Weisheit wie vor den Kopf geschlagen, »es wird sein, es heißt ja: ›Ich strafe die Bosheit der Väter bis ins dritte und vierte Geschlecht, denen aber, die mich lieben und meine Gebote halten, vergelte ich in die Tausende‹, und was geschrieben ist, het sy Weg.« »Ja«, sagte der Regierer, »das kann man nehmen, wie man will. Geschrieben ist geschrieben, selb ist. Aber daß dann alles so sei, wie es in der Bibel steht, selb ist eine andere Sache, das ist wie mit allem andern, was geschrieben steht: öppis ist gut, öppis nit gut. Es heißt ja nicht umsonst: ›Prüfet alles, und das Beste behaltet.‹« »So heißt es«, sagte Benz, »aber es ist immer bei aller Sach ein Unterschied.« Selb sei, sagte der Regierer, da habe er recht. Die einen Menschen schrieben besser, richtiger als die andern, daher sei auch den einen mehr zu glauben als den andern, so wie man auch an die Reden der einen besser könne als an die Reden der andern. »Allweg«, sagte Benz, »so ist's, so wie ein Unterschied ist zwischen göttlicher und menschlicher Schrift.«

»Ja, mein guter Nachbar G'richtsäß«, sagte der Regierer, und Hans lief es kalt den Rücken auf, weil er wußte, daß der Regierer drei Dingen nie widerstehen konnte: Wein, Weibern und Disputieren, »ja, mein guter G'richtsäß, seid Ihr noch von den guten alten Rechtgläubigen einer, welche meinen, der liebe Gott habe zu den Menschen geredet durch ein Sprachrohr, so gleichsam durch eine Orgelpfeife? Diese Gutgläubigen sind wirklich rar geworden, sah lange keinen mehr. Aber Ernst wird es Euch nicht sein, werdet mich bloß fecken wollen, was ich dazu sage. Ja, mein guter G'richtsäß, vor zwanzig Jahren hätte ich eine Prise genommen und Euch auch eine geboten und hätte gesagt: › Enfin, es macht schön Wetter, aber ich glaube, es werde bald ändern.‹ Jetzt aber darf man anders reden, und es muß noch viel besser kommen, jetzt hat man keine Ketzergerichte mehr, sondern Glaubensfreiheit. Jetzt will man das Volk nicht mehr dumm, sondern aufgeklärt, jetzt darf man dem Volk auch sagen, was die Gebildeten schon lange wußten und gelehrte, volksliebende Männer schon lange klar ans Licht gestellt. Alles das Wunderbare, überhaupt was Übernatürlichs in der Bibel steht, ist Larifari, so gut wie was Römer und Griechen von ihren Göttern geglaubt und geschrieben, es ist eins akkurat wie das andere. Es hat jedes Volk seine Mythologie, solange es in einem kindischen Zustand ist, wie die Kinder auch an Hakenmann und Böllimann glauben; werden die Völker aber gescheiter, werfen sie den ganzen Kram auf die Seite. So machten es Römer und Griechen, so geht es auch bei uns, und es ist Zeit, daß wir die Kinderschuhe wegwerfen und Stiefel anziehen, mit denen man kömmt durch dick und dünn. Das ist nur eine halbe Freiheit, wenn man leiblich frei ist und die Aristokratie auf der Seite hat. Sie ist eigentlich gar nichts wert, solange man nicht ganz frei ist und das Pfaffentum noch auf dem Nacken hat, solange man nicht geistig frei ist, den Geist sich binden läßt durch alte Märlein und sein Gutdünken durch Gesetze, welche durchaus ohne Grund und Boden, welche durchaus nicht rationell sind. Es gibt für rechte Gesetze keinen andern Boden als die Natur, und nur die Gesetze sind rationell, welche auf die Natur gegründet sind; das ist das wahre Naturrecht, und dabei läßt sich einzig vernünftig leben, sonst gar nicht. Alle andern Gesetze sind unhaltbar, naturwidrig, lähmen und verdummen die Menschheit. Es ist gerade, als ob man einem Menschen, der groß wächst, immer die Schuhe an den Füßen lassen wollte, welche man ihm angezogen, als er ein jährig Kind war. Das ist nun der entschiedene Fortschritt, daß man all den alten, naturwidrigen G'rümpel wegschafft und naturgemäß nach der eigenen Weisheit und im obwaltenden Zeitgeist lebt. Parbleu, was will man andres, wenn man nicht hundert Jahre hinter allen Völkern zurückbleiben will? Was will man doch da mit den zwei-, dreitausendjährigen Dummheiten? Jetzt ist man selbst weise genug! Ich frage: was wäre das für ein Leben, wenn in so langer Zeit die Menschen nicht weiser würden? Das hieße ja auf der Stelle marschiert, und das tut man nicht. Darum einmal fort mit dem alten Plunder, der ist gerade wie ein Schleiftrog auf ebenem Wege!«

Benz war es schon lange den Rücken aufgelaufen und heiß geworden vor der Stirne, aber den Regierer unterbrechen, wenn er im Zuge war, selb konnte nicht jedermann. Um nicht zu ersticken, hatte er, wenn der Regierer mit ihm angestoßen, gute Züge getan, jetzt brach ihm das Wort mit Macht durch. Das sei wohl stark geredet, sagte er. Das könne er gar nicht so ansehen. Ja freilich, wenn Gottes Wort menschlich wäre, so müßte es veralten, aber eben das sei der Unterschied, daß es göttlich sei, daher immer recht und nie veraltet. Das könne man ja selbst sehen: wer darnach lebe und wer nicht darnach lebe, denen gehe es immer, wie es in der Schrift geschrieben stehe, und wer weiser sein wolle als Gott, der werde zum Narren und verstört, daß er nichts mehr recht einsehen könne, Augen habe und nicht sehe, Verstand und nichts begreife. Auf das »naturgemäß« könne er sich nicht verstehen, aber wenn es das bedeuten solle, daß jeder machen dürfe, was ihn ankomme, so halte er nicht viel auf dem; die Hunde machten es so und die Schweine, mit denen zähle er sich doch nicht gerne zusammen, da hülf er auch einen Unterschied machen. Daneben habe er nichts darwider, es gebe Menschen, welche ein solches Leben führten, besonders in dieser Zeit, aber was die Leute auf ihnen hielten, könne man hören, und was solches Leben für einen Austrag nehme, werde man sehen, akkurat wie es heiße im dreiundsiebenzigsten Psalm, dort könne man es deutlich genug lesen, und was es für einen Austrag nehme mit einem Volke, wenn es gottlos werde, könne man an den Juden sehen, und er habe einen Ton davon gehört, daß es den angezogenen Griechen und Römern nicht besser ergangen.

Aber Benz erfuhr es, was es heißt, Saul unter den Propheten sein oder mit den Hunden, unter denen man ist, nicht heulen wollen. Es erhob sich ein großer Sturm mit Macht gegen Benz. Dem angegriffenen Regierer eilte alles zu Hülfe, jeder wollte Zeugnis ablegen von seinem Standpunkt und daß er auch ein Mann des Zeitgeistes und des Fortschrittes sei. Man riß die Bibel z'weg auf bekannte Weise, sprach vom Vater Noah und Bileams Esel, vom Jonas und vom Elias, überhaupt alle die bekannten Spöttereien, welche nicht zu wiederholen sind. Es legte sich eine unaussprechliche Roheit und Gemeinheit an den Tag, die sich in Worten nicht ausdrücken läßt. Es stunden Benz die Haare zu Berg, so was hatte er noch nie gehört.

Am zornigsten machte ihn aber doch der Regierer, der in barmherzigem Tone weitersprach, nachdem er einige Zeit dem allgemeinen Gerede seinen Lauf gelassen, um damit den Beweis zu führen, wie recht er habe und daß seine Ansicht die allgemeine sei. »Ja, mein guter Gerichtsäß, habt es nicht ungern!« sagte er, »aber die Sache ist nun einmal so und wird nicht mehr anders werden. Mein Gott, es nimmt es Euch niemand übel, daß Ihr noch die altväterischen Ansichten habt, daran seid Ihr nicht einmal selbst schuld; Euer alte Pfarrer, wo Euch unterwiesen hat, wird Euch das eingegeben haben und Himmel und Hölle vorgestellt, wenn Ihr nicht alles Punktum glaubt. So machen es die Hagels Pfaffen, aber ihr Regiment muß auch zu Ende gehn. Wer dann nicht viel unter die Leute kömmt oder mit der neuern Literatur bekannt wird, kurz, vernimmt, was Trumpf ist, dem geht es so wie Euch: er wird den alten Zeug nie los, und der alte Aberglaube und der Zwang des unnatürlichen Gesetzes hängen ihm sein Lebtag an. Das bessert nicht, bis man der ganzen Theologie den Abschied gibt und die jungen Pfaffen anders bilden läßt, philosophisch, nicht theologisch, und sie anweist, künftig die Leute nicht mehr zu plagen mit Dogmatik und Glaubenslehren, sondern sie aufzuklären und zu bilden durch eine schöne Moral, gegründet auf Natur und Naturrecht. Die muß die Leute leben lernen, wie es paßt für dieses Leben; was zum Schinder nützt die Dressur für ein zukünftiges Leben, wo ja nirgends ist! Da lernt man etwas, welches man nie braucht, und lernt nicht, was man alle Tage nötig hätte, so verkehrt ist noch alles bis auf den heutigen Tag. Darum ist einmal Zeit, daß man die Sache anders anfasse und dem Menschen zu seinen Rechten verhelfe. Der Mensch ist Gott! Da liegt es! Dieses Wort schließt in sich die Wahrheit, darin sind die wahren Menschenrechte. Und zu gleicher Zeit ist der Mensch sein Teufel; Gott und Teufel sind in ihm beisammen, haben da an einem kleinen Orte Platz.«

Das kam Benz nun noch viel strüber vor als vorhin mit der Landwirtschaft; er mußte fort, da litt es ihn nicht mehr; entweder sei er ein Narr oder würde einer, wenn er länger dabliebe, dachte er. Er stund auf, legte Geld für eine Flasche Wein auf den Tisch und sagte: »B'hüt ech Gott miteinander und lebet wohl!« Er wußte nichts Besseres zu machen; was sollte er disputieren gegen den Regierer und den großen Chor, der demselben zu Gebote stund und mit Spott und Schmach einfiel, sobald der Regierer durch eine Pause ihm dazu Gelegenheit bot?

»Was ist's, wo hat's so plötzlich? War Euch der Tubak zu stark? Kann nicht helfen«, sagte der Regierer, »das ist einmal so, und es ist gut, wenn man es je länger, je mehr allen Leuten sagt. Das Volk muß sich an die neue Weltanschauung gewöhnen. Politische Freiheit ist ein Unding ohne religiöse Freiheit, und die religiöse Freiheit besteht nicht darin, daß jeder glauben kann, was er will, sondern darin, daß keiner mehr einen Glauben hat, anders zu handeln als naturgemäß, keiner mehr an ein zukünftig Leben denkt, geschweige denn daraufhin lebt auf naturwidrige Weise, oder gar für ein zukünftig Leben zu sorgen, welches gar nicht ist, und in diesem Wahn Dinge zu tun oder Dingen zu entsagen auf höchst naturwidrige Weise. Aber wenn es Euch einstweilen noch Mühe macht, so was zu hören, können wir von andern Sachen reden. Laßt hören, mit wem haltet Ihr es in Luzern? He, Wirt! Zwei Flaschen Neuenburger! Wenn schon die Leute nichts nutz sind, ist doch ihr Wein gut!«

Aber Benz ließ sich nicht halten. Er sollte schon daheim sein, sagte er. Er hätte es nicht im Brauch, außer dem Hause zu entnachten, wenn es nicht sein müsse, und geschehe es, so hätten seine Leute immer großen Kummer. »Müßt sie anders gewöhnen, das ist auch so eine von den alten Gewohnheiten, vom alten Zwang, wo die Leute nicht wußten, was leben war; die geht aber auch mit dem alten Glauben.«

»Einstweilen noch nicht, Herr«, sagte Benz, »mir ist's wohl bei der alten Gewohnheit und dem alten Glauben, und solange ich das Heft in Händen habe, werden beide bleiben in meinem Hause. Wenn wir beide noch ein paar Jahre das Leben haben, so wird die Zeit manches lehren. Es könnten übrigens schon jetzt etwelche merken, wo es hinauswill, wenn sie wollten.« Dabei sah er Hans mit einem scharfen Blick flüchtig an. »Daneben kann man viel lernen alle Tage, warum nicht, das habe ich ja heute selbst erfahren.« »Was habt Ihr dann gelernt, G'richtsäß, laßt mich hören, es nimmt mich wunder!« frug der Regierer spitz. »He«, sagte Benz, »was es für allerlei Leute gibt, wo ich bis dahin nicht geglaubt, daß es solche gebe, und jetzt b'hüt ech Gott und lebet wohl!«, und somit war er zur Türe hinaus, ehe der Regierer die Prise ganz in der Nase hatte, welche er gewöhnlich nahm, wenn er eine lange Rede wollte fallen lassen.

»Ist der böse?« fragte der Regierer. »Nun, geschehe nichts Böseres! Es ist gut, wenn die Leute einmal wissen, woran sie sind. Wenn sie sehen, daß nichts zu machen ist, daß die Sache ihren Weg hat, ändern sie sich von selbst. Die wollen doch nicht den Namen haben, daß sie anders täten als andere Leute. Man glaubt gar nicht, wie solche Leute beschränkt sind und wie abhängig von der öffentlichen Meinung. Den Gerichtsäß könnte man auf dem Kopf gehen machen, wenn man ihm den Glauben beibringen könnte, es sei der Gebrauch so, die Leute hielten viel darauf und am Ende werde er gar noch selig.«

Die ganze Rotte brach in ein hell Gelächter aus, dessen lauteste Töne noch Benzen Ohr erreichten, und erging sich nun in Witzen und Geschichten, wie abhängig solche Leute von der öffentlichen Meinung wären, wie ängstlich sie seien, was dieses oder jenes Babi von ihnen sage, auf ihnen halte, wie grusam sie sich in acht nähmen und wie man einen fast hinterfür machen könne, wenn man ihm einen Rausch anhängen oder verleiten könne, erst nach Mitternacht nach Hause zu kommen. Der Regierer hatte viele solche Witze los, wie sie es diesem oder jenem gemacht, welcher besser als die andern habe sein wollen, und wiederholte ganz glücklich alles, was er dem dummen G'richtsäß unter die Nase gestrichen. Er war vollkommen überzeugt, er habe den Bekehrungsversuch ganz am rechten Zipfel gefaßt, denn er fehlte nach seiner Meinung nie. Wenn der Mann auch jetzt davongelaufen, so habe es doch großen Eindruck auf ihn gemacht. Es werde nicht lange gehen, so lasse der sich wieder herbei, und am Ende gehe er doch noch in ihr Lager über.

»Weiß nicht«, sagte Hans, der in fataler Lage gewesen. Er schämte sich, nicht in den allgemeinen Chor einzustimmen, und schämte sich wiederum vor Benz, daß er's getan. »Weiß nicht, lieb wär's mir, er ist ein guter Mann und verständig; es ist nichts dagegen zu sagen, und in einem Taufwasser sind wir gewaschen worden. Aber er hat seinen Kopf, und wenn er ihn einmal gemacht, so hat er ihn gemacht.« »Was gilt's, der kehrt noch!« sagte der Regierer, »noch einmal oder zweimal mit ihm zusammengekommen, so hat's ihn, gilt's zwei Flaschen Neuenburger?« »Will sie gern zahlen«, sagte Hans, »von wegen die Leute hören auf ihn, und wir waren von je gute Freunde, möchte gerne mit ihm wieder an einem Seile ziehen.« »Ja und gället, das hübsch Meitschi an der Grännete, das war seine Tochter? Nun, da ist's sich wohl der wert ein Dutzend Flaschen, nicht bloß zwei«, sagte der Regierer.

Nun, da wurde gelacht, gespaßt, getrunken usw., wie lange, wissen wir nicht, jedenfalls so lange, daß bedeutende Männer nicht mehr Babi sagen konnten und die beste Kuh aus dem Stall für einen Batzen verkauft hätten, wenn sie nämlich welche gehabt hätten. Nebenbei soll selben Abend im »blauen Schimmel« sehr beträchtlich gespielt worden sein, so zwar, daß Gültbriefe hin- und hergingen, Fritzli Schmutz und Häusi Möff und wahrscheinlich auch Christeli Halblützel gute Geschäfte machten, während andere wie geschundene Mäuse oder gerupfte Enten das Haus verließen. Weiter dürfen wir nicht aus der Schule schwatzen, wir könnten sonst in einen Ast sägen.

Es war merkwürdig, drinnen im »blauen Schimmel« alles voll Rauch und die Köpfe voll Nebel, draußen der Himmel so klar, voll Sterne und die Erde voll Mondschein und mittendrin unser Benz voll Zorn und Jammer! Was er bisher so sorgfältig gemieden, das war ihm heute geworden: er war unversehens ins rechte Wespennest geraten. Von einem solchen bodenlosen Unglauben hatte er keinen Begriff gehabt, von einer solchen Lebensansicht, wie sie hier ausgesprochen worden, nie geträumt, geschweige gehört. Und mittendrin war sein Freund Hans gewesen, hatte beigestimmt, hatte gegen ihn Worte fallen lassen, die ihm wie Kohlen auf der Seele brannten. Und dieser Unglaube und diese Lebensansicht sollten herrschend werden im Volke und mit Macht gefördert und verhöhnt, verlacht, wer sie nicht annahm, und darin sollten die Kinder erzogen werden und für was dann eigentlich? Für einige Jahre die Sau oder den Esel zu machen, während sie wähnten, Gott vorzustellen – das kam ihm gräßlich vor. Vom Esel in der Löwenhaut, der aber immer das Ohr vorgestreckt, habe er oft gehört, aber daß ein solcher wie der Regierer sage, er sei Gott, selb habe ihm fast übel gemacht, ein solcher, den man längs Stück mit einem Stecklein nicht anrühren möchte. Das sei noch ärger, als man von Nebukadnezar lese, der aber auch ein Ende genommen mit Schrecken, der auf allen vieren gelaufen und als wie ein Ochs Gras gefressen. Wenn es so kommen soll auf Erden, wie soll das gehen, und wer mag da noch mit Freuden leben? Benz dachte nicht daran, daß ihm da der Wald könnte erplündert werden, Geld und Leben nirgends mehr sicher seien und wie eine Obrigkeit das Volk regieren wolle, er brachte nicht staatliche, nicht fiskalische Gründe vor.

»Mein Gott«, dachte er, »wie muß es in einem Herzen aussehen, in welchem das Licht von oben nicht scheinet? Da muß es ja sein, wie es war, als der Geist Gottes noch nicht über den Wassern schwebte, als die Sonne noch nicht am Himmel stand. Da ist keine Kraft in der Schwachheit, kein Trost in der Not, keine Hoffnung im Tod, keine rechte Liebe, kein Mut, für die Zukunft zu leben. Da ist nur ein Leben von einem Tag zum andern; jeden Tag braucht und tut man, was man kann und mag, jeder ist sich der Nächste, und kein Gott ist da, an den man denkt, den man fürchtet, dem man Rechenschaft zu geben hat. Das ist ja das Leben des Tieres im Walde, das ja auch bloß lebt für Essen und Trinken und das nicht einmal etwas vom Sterben weiß, geschweige vom ewigen Leben. Da wäre für mich keine Freude mehr im Leben. Und wie müßte das aussehen in den Familien, den Häusern? Da könnte ja die rechte Liebe auch nicht mehr sein, denn jedes dächte nur an sich. Und warum sollte ich so Mühe haben für die Kinder, warum treulich für ihre Zukunft sorgen, mir abbrechen, ihnen anhängen, warum so kostbar sorgen für den ewigen Tod, warum Frau und Kinder lieben, damit den Tod nur bitterer machen, das ewige Scheiden fürchterlicher? Und wo keine Liebe ist, da ist ein gegenseitiges Verzehren, da ist kein Bestand der Familien, da sind die ärgsten Feinde die eigenen Hausgenossen. Denn da ist keine Überwindung seiner selbst, kein Ablegen seiner Fehler, keine Geduld, keine Sanftmut, kein Absterben der Sünde um des ewigen Lebens willen. Da plaget einer den andern um so mehr, um so schmerzlicher, je näher er mit ihm lebt. Da ist ja der Mensch dumm, wenn er sich irgendwie anstrengt oder überwindet, denn was hilft das alles? Heute oder morgen stirbt man, ist und bleibt dann tot. Das würde bald sauber aussehen im Leben, unter den Menschen überhaupt; da würde man erst sehen, daß all die Bildung und Aufklärung gar nichts ist, gar nichts als der Anstrich über ein Grab voll Moder und Totengebein, daß sie ohne Glauben nichts ist als das Mittel, ein um so größerer Spitzbube zu werden, ein guter Beistand, den Nächsten mit Listen und unter Schein Rechtens um all seine Sachen zu bringen. Am meisten aber könnten mich die Armen dauren, die d'r Gottswillen bitten und denen man d'r Gottswillen gibt und hilft, denen bliebe nichts andres übrig, als Hungers zu sterben oder Gewalt zu brauchen. Das würde ein schön Leben geben in beständigem Krieg; wer da wohl noch Mut und Lust zum Arbeiten hätte, wenn jeder zugreifen könnte, wo er nicht gepflanzt und nicht gesäet? Das wäre ja ein Leben ohne Frieden, ärger als in der Hölle.«

Und solche Lehren predige einer, der gescheuter sein wolle als alle, dem es an Ordnung und Recht am meisten gelegen sein sollte, der leugne Gott und möchte ihn am Ende selbst sein. So was habe er doch noch nicht erlebt und das vor einer ganzen Stube voll Leute und alle schon angesteckt von diesem Unsinn, und daraufhin lebten sie bereits, machten keiner Sache eine Rechnung mehr, also Gott nicht, der Ehre nicht, dem Vermögen nicht, Weib und Kindern nicht, andern Leuten nicht, sondern bloß ihrem Bauche und andern Gelüsten. Und solches Leben, solche Lehren sollten mit Absicht, mit allen Künsten und allerlei Schein eingeführt werden ins Volk, wie der Regierer, der zwar halb betrunken war, angedeutet; das wäre ja schrecklich! Das sollte er erleben, und Hans mitten in dieser Rotte und bereits angesteckt samt seinen Söhnen, von denen Hans dagewesen, um Benz sich wenig gekümmert, aber desto wüster getan hatte. Das Herz ward ihm ganz voll Elend, es kam ihm fast vor den Atem, er mußte stillestehen.

Es war an einer Bergseite auf einem Vorsprung, wo man weit um sich sah. Es war wunderschön da. Wie Ahnenbilder im großen Rittersaale standen im Hintergrunde, einem guten Auge sichtbar, die alten, großen Berge in stiller Majestät; mit reichem Mondlicht war die niedere Welt übergossen, Feld und Wald, Tal und Hügel ohne Unterschied, der Liebe Gottes gleich, die ohne Unterschied schwebt über Niederen und Hohem, Greisen und Kindern. Durch die Täler strichen Nebelchen unstet, flüchtig, als wären es Pilgrime, die eine bleibende Stätte suchten, oder verirrte Seelen, welche herumirrten, einen festen Körper verlangend, und über allem wölbte sich der Himmel so freundlich mild, wie über dem schlummernden Säugling ein weiches, warmes, seidenes Deckelein.

Benz war nicht sentimental, er war ein Berner Bauer. Diese leben mit der Natur zusammen treu und fleißig, ungefähr wie verständige Ehemänner mit ihren Weibern; Ehemänner schwärmen bekanntlich selten für ihre Weiber, und wenn sie verständig sind, freuen sie sich mehr über ihre Tugenden als ihre Schönheiten. Aber als Benz, an seinen Stecken gelehnt, stillstand und über die Landschaft sah, da quoll es in seinen Augen, und schwere Tropfen rollten langsam nieder.

»Und das alles ohne Gott!« sagte Benz. »O Herr, wie sind deine Werke so groß, hast sie alle weislich geordnet, die Erde ist voll deiner Güte, so sagte David, der große König. Und jetzt will die Bande dort unten selbst Gott sein und weiß nicht, was alles gemacht ist und wie es gemacht ist, und sie will regieren und kann nichts als zerstören. Friede und Freude wären zu Ende, und wer jetzt in Frieden schläft, den würde der Krieg aufwecken, und die im Herren entschlafen und denen verheißen ist, daß ihre Werke ihnen nachfolgen, was sollte aus denen werden, wenn die alleine Macht hätten, welche jetzt keine Flasche mehr halten können in ihren zitterenden Händen und welche bald versenkt sein werden in den trunknen Schlaf, aus dem ein so schwer und sturm Erwachen ist, daß man die Posaunen des Gerichtes überhören könnte?

Und ihr, die ihr da schlafet in dem friedlichen Lande, wißt ihr, was abgekartet worden wider euch? Ist's eine Brandstiftung, wird Feuer bereitet, soll euer Haus angezündet werden, werdet ihr in einer Stunde aus dem Schlafe auffahren, von Feuerschein und Menschengeschrei erweckt, und, kaum das nackte Leben rettend, dem Feuer entspringen mögen? O nein«, dachte Benz, »viel Ärgeres ist's und wird euch bereitet in der Stille und doch so öffentlich und laut, aber so arg ist's, daß niemand es glauben mag, wenn man es auch ausschreit auf den Gassen, daß man totgeschlagen werden kann auf den Gassen als Verleumder, während die Tat begonnen wird, hier, dort, überall, bis man, wie es der Teufel macht, wenn er die Macht erlangt, erscheint in wahrer Gestalt und totschlägt, an wem man die Tat nicht zu vollbringen vermochte. Es soll dir, du armes Volk, und deinen Kindern der christliche Glaube geraubt werden, sachte, unvermerkt, wie die Beutelschneider Geld und Uhren aus den Säcken nehmen, daß man nichts weiß davon, bis man es brauchen sollte, und nichts mehr hat als Ungenügen und Krieg, Not und Tod.«

»Jetzt stehe ich da«, dachte Benz, »und schreie ich Fürio, so wird es lebendig zu Berg und Tal, es fahren die Menschen auf, laufen dem Feuer zu, dämpfen es mit aller Macht, wachen, bis der letzte Funke erloschen ist. Rufe ich aber auch und schreie über Berg und Tal, was jene Rotte abkartet, was bereits angegangen und sich verbreiten soll überallhin, so lachen und schelten die einen mich aus, die andern verfolgen mich, die einen wachen nicht auf, die andern werden um so hitziger, treiben mit desto größerm Eifer ihr Werk und verleugnen es mit dem Munde, sobald einer sie dessen anklagt. Es ginge mir auch wie dem Propheten, als er klagte: ›Wer glaubt unserer Predigt, und über wem entdecket sich des Herren Arm?‹ Es ist schrecklich, wie bei den größten Gefahren man taube Ohren findet, während der kleinste Feuerlärm durch alle Glieder fährt, und wie man ableugnet, was man mit offenen Augen gesehen und offenen Ohren gehört. Denn jene Menschen wären imstande, mich, in dessen Gegenwart das alles gesprochen wurde, als Lügner zu verhöhnen und zu sagen, es denke niemand daran, jemanden in seinem Glauben zu kränken, ihrethalb könne jeder glauben, was er wolle, wie sie auch das Recht hätten, zu glauben, was sie wollten. Gegen das Christentum hätten sie ja gar nichts, es enthalte eine schöne Moral. Und leugnen doch Gott und sagen, man solle tun, was die Natur begehre, und sind wir ja von Natur verkehrt und zu allem Bösen geneigt.«

Solche Gedanken füllten des Mannes Seele, und es ward ihm recht finster im Gemüte, als ob keine Rettung mehr wäre, als ob über alle Häupter die Sündflut des Unglaubens zusammenschlagen müßte, in Sünden untergehen die sündige Menschheit. Finster war es geworden, vor dem Monde stand eine große, schwarze Wolke, düster war es zwischen Himmel und Erde, die liebliche Schöne war verschwunden, in unheimlichem Dämmerlichte sah man unsicher die Gegenstände. Da flog die Wolke weiters, ins helle Blau trat der Mond, verklärt in seinem Lichte war die Erde plötzlich wieder, in freundlichem Frieden lagen die Täler und die Hügel, und hinter allen stunden die riesigen Ahnenbilder, schauten in hehrer Majestät über die Niederungen, wie Heldenväter schauen mögen aus einer andern Welt auf die Enkel in dieser Welt.

Benz stand noch immer da. Länger als über dem Monde stund die finstere Wolke vor seiner Seele. Dann kamen ihm aber auch die Gedanken: die Hand, welche so rasch vom Monde die Wolke gezogen, die könne auch verjagen die Wolken über den Geistern der Menschen. Der, der mit dem Hauche seines Mundes den Himmel fege, der könne auch schwinden lassen mit einem Winke die trüben Dünste, welche über der Menschen Seelen sich lagerten, dem Lichte von oben den Zugang wehrten, finster es wieder machen wollten zwischen Gott und Menschen. Woran keine menschliche Macht das Geringste vermöge, kein menschlich Auge eine Rettung sehe, da sei Gott mit seinem Walten, schaffe das Unmögliche, gebiete das Unerwartete, wie ein altes Sprüchwort sage: wo die Not am größten, sei auch Gott am nächsten, und habe man ja auch die Verheißung, daß eher Himmel und Erde vergehen sollten, ehe ein Düpflein an seinem Worte.

Dann kam nach und nach ein Frieden über Benzes Seele, eine stille, milde Ruhe, wie sie lag über Berg und Tal. Der Herr werde es wohlmachen, dachte er, und, die treu blieben, nie verlassen. Seinen mächtigen Zepter werde keine freche Rotte ihm entreißen; damit werde er niederschlagen des Übermutes stolze Wellen zur rechten Stunde und zu seinen Füßen seine Feinde legen. Sein Geist sei ein ewiger Geist, den könnte der Menschen Gutdünken, der, zum Zeitgeiste geballt, durch die Völker streiche, sowenig überwältigen, als die flüchtigen Nebel, welche durch die Täler streiften, die Berge dort hinten in die Abgründe zu stürzen vermöchten. Darum solle man nicht verzagen, sich nicht verkümmern lassen Friede, Hoffnung, Trost, sondern glauben und vertrauen, daß alles, was erscheine, weise sei und dem Herren diene zu seinem Ziele. So sei es ja gut, er zeige uns zuweilen den Feind in unverhüllter Gestalt, lasse so recht hervortreten die Bosheit seiner Diener, lasse ihren Bestrebungen Bahn, damit die Menschen zur Erkenntnis kämen, wer der Feind sei, wie gut er es meine, wie wohl ihnen wäre, wenn sie sich verlocken ließen in seine Bande und ihn zum Herren hätten in alle Ewigkeit.

So kam es allmählich über Benz, und wenn auch nicht akkurat mit diesen Worten, so waren es doch diese Gedanken, welche über seine Seele gingen, wie Licht und Wolken über der Erde streifen und weilen. Ruhiger schritt er weiter, kühner und fester ward es ihm in der Seele. Nicht fürchten die Menschen, dachte er, sich nicht beugen vor denen, die Staub, morgen verwelkt sind wie Gras, nicht hassen die Menschen, die nicht wissen, was sie tun, blind der Bewegung folgen wie das Blatt dem Winde, nicht wieder fluchen, wenn einem geflucht wird, nicht verzagen, wenn man verkannt werde, sondern getrost sein, wenn man wisse, daß der einen kenne, der Herzen und Nieren prüfe als mit einer Kerze, nicht verzweifeln, wenn die Hölle die Macht errungen, kein Ausweg mehr gesehen werde, nie kleinmütig sein, sondern ruhig, mutig sein, den Herrn bekennen und des Herren harren, der nicht verwelke wie Gras, sondern der gleiche bleibe ohne Schatten der Umkehr in alle Ewigkeit.

Es war ein schönes Gehn den Grat entlang, frei zur Linken und zur Rechten, von keinen nähern, höhern Bergen das Auge beschränkt. Benz sah es und sah es nicht, er fühlte es, es ward ihm auch so frei, hell und weit ums Herz; kein Bangen fühlte er mehr, aber eine feste Zuversicht, daß alles liege in väterlicher Hand, die alles zum Besten führe.

Als er auf den Punkt kam, wo er unter sich in einer von Winden geschützten Vertiefung sein Haus sah, da wurde ihm sein Herz noch weiter. Es war ihm sein Ort der Freude auf Erden. »Gott Lob und Dank!« dachte er, »da bin ich endlich wieder daheim. Es ist mir wie dem Schiffer, der nach überstandenem Sturme anlegt in sicherer Bucht. Ach, man weiß nicht, wie glücklich man ist, wenn man sein Heim hat, wo man sein Glück hat und seinen Frieden, wo man seinen Gott verehrt und Gott in den Herzen findet. Wo Gott nicht ist, da ist kein Glück weder in einem Lande noch in einem Hause noch in einem Herzen. Das habe ich längst gewußt, habe es heute gesehen, und leider werden es viele Menschen sehen und erfahren müssen.

Es war noch Licht im Hause. Die Hausfrau ging nicht zu Bette, wenn der Vater erwartet wurde und noch draußen war. Sie war unruhig, denn so spät kam Benz sonst selten heim. War sie in der Stube, so dünkte es sie, sie müßte draußen sein; da höre sie ihn früher von weitem her. War sie draußen, dünkte es sie, es sei dumm, hier zu warten, es werde ihr nur banger und die Zeit gehe langsamer; drinnen könnte sie vielleicht mit Lesen die Zeit rascher treiben. So trieb es sie unstet hin und her, und als sie sich eben am wenigsten achtete und zur Türe hinauswollte, stund Benz vor ihr, daß sie vor ihm erschrak. »Du hast mich doch erschreckt«, sagte Lisi, »passe so lange auf dich umsonst, und jetzt stehst du doch ung'sinnet vor mir, daß ich meinte, es sei dein Geist, der aus dem Boden herauf da vor mir stehe.« Nach guter Weiber Weise, welche dafür sorgen, daß ihre Männer, sie mögen heimkommen, wann sie wollen, immer was Warmes finden und also nicht gezwungen sind, im Wirtshaus Unnützes zu verbrauchen, wenn sie nicht gerne wollen, deckte sie Benz den Tisch und brachte ihm, was sie für ihn beiseitegestellt und wohl besorgt. Lisi hatte die Sitte, während Benz aß, ihn nicht mit Fragen zu plagen, sondern erst Bericht zu geben, was in des Mannes Abwesenheit sich zugetragen; so vergaß es nicht, was ihm auszurichten allfällig oblag, ob dem G'wunder, was Neues zu hören.

»Habe nicht viel verrichtet«, sagte endlich Benz. »Wegem Geld hätte ich daheim bleiben können, und doch wollte ich nicht, daß ich nicht gegangen wäre.« Nun erzählte er, was er alles erlebt hatte. Es ward Lisi dabei ganz heiß. »Aber du mein Gott«, rief es aus, »läßt man denn diese machen, sollen wir uns so um unsern Glauben bringen lassen?« »Ich denke eben nicht«, sagte Benz, »eben sollen wir wieder dran denken lernen, daß wir einen Glauben haben, zu dem wir aber eben sehen müssen, wenn er uns nicht abhanden kommen soll. Wir waren viel zu gleichgültig, darum kömmt es so. Wir wußten nicht, was der Glaube eigentlich bedeutet und was er für das Leben ist, jetzt sollen wir es wieder erfahren.« »Aber du mein Gott«, sagte Lisi, »das ist ja schrecklich; ist das der Antichrist, der kommen soll, und müssen wir dann alle wieder Heiden werden, wir und unsere Kinder als Gottesleugner sterben?«

»Denke nicht«, sagte Benz. »Ein Gericht müssen wir wohl ausstehen, wir haben es verdient, aber so weit wird Gott es nicht kommen lassen, es wäre ja gegen seine Verheißungen, die nicht den Tod des Sünders wollen, sondern daß er lebe und sich bekehre. Aber wecken will er uns, und das ist nötig, nötiger als das tägliche Brot. Wir lebten so sorglos und achteten uns weder unseres noch anderer Leute Glauben, kaum des Pfarrers Glauben, des Schulmeisters Glauben gar nicht und anderer Leute Glauben erst nicht. Und wenn jemand Bangigkeit zeigte des Glaubens wegen und meinte, er nehme ab, es werde nichts für ihn getan, so sagte man: ›Warum nicht gar!‹ und lachte ihn aus, schalt ihn, er verdächtige mutwillig, er solle seinen nur recht festhalten, so werde ihn niemand nehmen können; es werde zwar niemand hart daransetzen, denn was mit machen, wenn man ihn schon hätte? Man nannte ihn Stündeler, Frömmler, Pietist, und wer weiß, Lisi, ob wir seinerzeit uns nicht ebenmäßig versündigten und d'Sach verlachten? Ich will bekennen, es ging mir anfangs wie dir, als mir da das Licht angezündet ward, als ich in den bodenlosen Unglauben sah und hörte, was man mit dem im Sinne hätte, da ward mir auch fast übel, und die erste Zeit vom ›blauen Schimmel‹ weg war ich ganz sturm, wie vor den Kopf geschlagen, es war mir fast, als sei ein Ung'hür oder ein schrecklich Tier hinter mir und ich müsse springen, so stark ich möge, um nicht von ihm gefressen zu werden. Aber als ich zu mir selbst kam und ruhig überschlug, mußte ich Gott danken, daß es so ist, daß das heimliche Feuer ausbricht, an Tag kömmt, denn jetzt weiß man, was man zu verlieren hat und ob man wehren soll oder nicht.«

»Aber Mann«, sagte Lisi, »das wäre gut, wenn den Leuten die Augen aufgingen und sie nicht erst recht verblendet würden und eingenommen; so was gefällt gar zu vielen Leuten, gefällt ihnen viel besser, als wenn man ihnen sagt, sie sollen die Gebote halten und den Armen geben. Unter so vielen wärest du ja der einzige, welcher sich ob solcher Lehre und Ansichten entsetzte und dagegenredete, die andern alle brüllten mit, fanden es schön und meinten, so sei es recht. Und nicht bloß so Fötzelvolk war es mit Schein, war ja Hans auch dabei und sein Bub, das Kalb, daß ich doch so sage. Das dünkt mich strengs, solche Leute, wo Haus und Hof haben und Kinder noch obendrein. Aber was will man, wenn einer von Haus schlägt, schlägt er auch von Gott, und wenn einer keine Regel mehr hat, mag er auch keinen Glauben mehr, und wenn einer nur an der Weltlust hanget, kann er mit dem ewigen Leben nichts machen. Und jetzt, was meinst, wie viele sind da daheim, wie vielen muß nichts anständiger sein, als wenn sie sich keiner Sache mehr zu achten haben und tun dürfen, was sie gelüstet? Was fragen solche Leute der Zukunft nach oder gar dem ewigen Leben? Sie haben es wie Esau, der gab auch, als er hungrig war, sein Erstgeburtsrecht für ein Erbsmus. Nun, für dich und mich ist's gut, wenn wir erwachen und den Glauben hüten als einen Schatz, vielleicht daß wir ihn auch unsern Kindern bewahren mögen. Aber Benz, denk die Menge und die weite Welt, da muß doch die Religion ausgerottet werden ganz und gar, und wenn auch nicht in zehn, so doch in fünfzig oder längst in hundert Jahren, wenn die alten, guten Leute gestorben sind und allfällig die Kinder auch, welchen sie noch die alte Lehre und den Glauben beigebracht; so geht es zu Ende, und das rechte Licht löscht aus, weil kein Öl mehr in den Lampen war und niemand da war, der dafür sorgte. Denn wenn schon Eltern möchten und ihre Kinder im Glauben noch erhalten, sie vermögen doch nichts, wenn Pfarrer und Schulmeister und alle andern Leute keinen Glauben mehr haben und alle ausspotten und verhöhnen, welche noch etwas davon erzeigen. Da schämen sie sich zuletzt alle dessen, und d'Sach ist fertig. O Benz, du glaubst nicht, wie sie mit denen umgehen, die Hagle, daß ich doch so sage, welche nicht ihres Glaubens sind. Sami, der Melcher, soll dir erzählen, was er deinetwegen hat leiden müssen, als er im Krieg war. Alles Leids und Schlechts hat man ihm vorgehalten und einen Schlämperlig um den andern ihm angehängt, weil du ein Aristokrat und Jesuit seiest. Zuletzt hätte er nichts Bessers gewußt, als sich zu stellen wie die andern und die Jesuiter und Aristokraten recht zu verfluchen, da hat man ihn endlich in Ruhe gelassen. Denk, Benz, so geht's, und am Ende ist alles abgestanden.«

Als Benz das hörte, was man ihm wohlweislich verheimlicht hatte, lief auch eine schwarze Wolke über sein Gesicht, doch auch er verjagte sie alsbald und sagte: »Ja, es mögen es viele so machen eine Zeitlang und viele beistimmen, aber das vergiß nicht: die im ›blauen Schimmel‹ waren erlesene Leute, und solche werden auch in des Melchers Kompanie gewesen sein, aber das sind noch lange nicht alle Leute. Ich weiß viele Leute aus unserer Gemeinde, welche jetzt auf ihrer Seite sind und meinen, was sie machen, wenn sie mitbrüllen; sie wären erwacht und hätten sich gekehrt, wenn sie heute bei mir gewesen und die Gotteslästerlichkeiten gehört hätten. Sie meinen, es gehe nur um Zehnten und Bodenzinse, und d'Sach sei allfällig auch politisch, und um kein Lieb ließen sie sich einreden, daß dies die Religion was angehe. Sie merken nichts davon, und was sie nicht merken, von dem wollen sie nicht glauben, daß es sei. Sie haben es wie der Vogel Strauß: der glaubt auch, wenn er seinen Kopf unter die Flügel steckt und die Jäger nicht mehr sieht, sie sehen ihn ebenfalls nicht mehr. Aber warte nur, wenn das ihnen einmal so recht unter die Augen kömmt, sie reden anders.«

»Und Hans«, sagte Lisi, »Hans? Wenn es mit einem solchen Manne so geht und der beistimmt, was soll man von den mindern erwarten?«

»Ja«, sagte Benz, »mit Hans ist es schlimm, ich wollte den besten Finger ab meiner Hand geben, Hans wäre nicht dabei. Hans scheint angesteckt und mit dem Gewissen nicht im reinen, da meint er, der Unglaube solle es ihm leicht machen und sein Trost im Leben und Sterben sein. Aber ich hoffe doch, mit Hans komme es noch besser. Wenn Hans sieht, wohin er kömmt mit dieser Lebweise, wenn er so recht in die sauren Äpfel beißen muß, kömmt es ihm doch noch anders. Ja, wenn es ihm gibt, was ich fürchten muß, wenn ihm so ein rechtes Herzenleid von seinem Jüngsten zuwächst, dann, denke ich, kehrt es ihn doch. Der Junge, der ist bös dran, will den Herrn machen, tut wie ein Lümmel, säuft, daß es einem drob graut, scheint ein Spieler zu sein, kurz, alles zu machen, was Geld kostet. Wenn einer so jung es so treibt und dazu einen Vater hat, der nichts sagen darf, dann kehrt so einer selten um, sondern der Krug geht zum Wasser, bis er bricht.«

»War Benz nicht auch da?« frug Lisi beklommen. »Nein«, sagte der Mann, »der scheint nicht mitzumachen, besonders Böses habe ich von dem noch nicht gehört. Er liebt die Arbeit mehr, darum kann das neue Wesen bei ihm nicht so tief greifen. Denkt Gretli noch an ihn?«

»Das arme Meitschi dauert mich«, sagte die Mutter. »Versteht sich, hängt es an ihm, es sinnet und denkt nur an ihn, darf's aber unseretwegen nicht recht erzeigen; hat zugleich einen grusamen Zorn über ihn, teils wegen der Grännete, teils weil er sich auch mit dem neuen Wesen abgibt, und darf das vor uns noch weniger erzeigen, und so kann es mich recht erbarmen. Das Meitschi hat abgenommen seit einer Zeit, es ist nicht zu sagen. Ich habe schon oft gedacht, mit ihm darüber zu reden, ihns zu fragen, was es denke, mir schiene es am besten, es schlüge ihn ganz aus dem Sinn, mir sei es das Rechte. Wer mich dauren könnte, wäre Gritli; es hintersinnete sich fast. Das Meitschi ist ihm so lieb, als wäre es sein eigen. Es sagte mir noch letzthin, das sei noch die einzige Freude, welche es habe, daß Benz und es zusammenkämen, aber so, wie sie z'weg seien, möchte es diesen Augenblick nicht einmal dran treiben. Benz möchten sie nicht fortlassen, sonst sei gar niemand mehr, der zur Sache sehe, und Gretli anzumuten, jetzt ins Haus zu kommen, dürfe es auch nicht. Was meinst, soll ich mit ihm reden oder der Sache den Lauf lassen?«

»Ich täte das letztere«, sagte Benz. »Solche Sachen machen sich am besten, je weniger man davon redet. Es hat noch alles ganz gute Weile, wären ohnehin beide noch wohl jung zum Heiraten. Gretli kann mich auch dauern, aber es schadet nichts, wenn Meitscheni lernen, was Ernst ist. Daneben ist's eine Baurentochter und weiß, was es will und was es zu tun hat; was Dummes, denke ich, macht das nicht so leicht. Es ist mir gar kurios, bei aller Trübsal bin ich doch voll guter Hoffnung, es werde noch alles gut kommen, es möge einstweilen gehen, wie es wolle. Ich weiß nicht, was ich dafür geben würde, wenn ich immer so bleiben könnte; dann wollte ich über nichts mehr klagen. Aber ich weiß wohl, das ändert, und morgen ist es mir vielleicht schon ganz anders. Der Mensch ist gar so wandelbar, wenn auch nicht in seinem Glauben, doch in seinem Gemüte; was ihm heute so leicht, muß er morgen schwer nehmen, er kann fast nicht anders. Darum, Frau, wollen wir aufeinander achthaben, und will es das eine oder das andere zu schwer nehmen, so wollen wir einander mahnen und trösten, es werde einstweilen so sein sollen, bis es besser komme. Abwendig soll man sich nicht machen lassen, daneben wird man sich darein schicken müssen.«

So meinte Benz, und so war es Lisi recht. Nun, wenn in solchen Zeiten Mann und Frau eins sind, wenn man jemanden hat, mit dem man ein vertraut Wort reden, das Unanmütige gemeinsam verwerchen kann, so macht es sich immer noch. Aber wenn das nicht ist, wenn das eine lacht, während das andere weint, das eine jauchzt, das andere flucht, dann ist das Ding nicht mehr kurzweilig, dann wäre einem wöhler, wenn man Flügel hätte und fliegen könnte ans Ende der Morgenröte oder wenn man sich betten könnte in die Tiefe des Grabes.


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