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Einundzwanzigstes Kapitel

Ein langer Abend voll Reden hin, voll Reden her

Wer bis hieher gelesen oder wer aus vornehmer Höhe, entweder vom Café du Mont weg oder dem Café des Alpes oder den heimeligen Niederungen Schönbrunnens oder im flutenden Gewühl des Bärenleistes oder der Zimmermannia, das Volksleben studiert hat, dem entsteht unwillkürlich ein bestimmtes Urteil über den Stand des Volkes und der Dinge im Kanton Bern. Das alte, konservative Berner Element scheint ihm gründlich zur Ruhe gesetzt, wie sich ein Fremdling, der sich in Bern in behagliche Ruhe gesetzt, gründlich ausdrückt: die Wogen der neuen Zeit fluten übers Land, branden am Fuße der Berge; Bern ist der feste Platz, wohin zur Sammlung gerufen werden alle, welche, vom neuen Geiste beseelt, ein neues Europa wollen, von wo aus Blenkerischer Mut und Escherische Weisheit die Throne stürzen werden, und zwar alle im Himmel und auf Erden. Je nach der Farbe werden die einen trauren, die andern frohlocken, beide aber dem Verfasser zürnen, die einen darum, daß er die eigene Schmach ausgebracht, die andern, daß er sie dargestellt als Schmach und nicht gelobt als den wahren Zustand eines freigewordenen Volkes.

Nun aber scheinen uns weder das Café du Mont noch die duftigen Räume irgendeines andern Café ganz geeignete Standpunkte, das Volksleben kennenzulernen; da lernt man nur kennen, was da fährt und läuft, was da trinkt und raucht, was von der Bewegung der Zeit auf die Oberfläche geworfen und hin- und hergespült wird, was als Schaum hoch aufspritzt über der Ufer Ränder, oder die Windmühlen, welche auf den Tribünen stehen hier und dort, den Wind der Zeit fassen und mahlen die Weisheit der Zeit und das Mehl dann stäuben über die Häupter des Volkes, daß alle weiß erscheinen von Natur und Geburt. Aber das ist eben ganz anders, und das weiße Mehl aus den Windmühlen wird bei dem ersten Regen zu einem wüsten Pappen, macht wüste Flecken, dann geht es endlich ab und fort, wenn man gehörig reibt und bürstet. Wenn man näher ins Volk hineinsteht, wo man alle sieht, die Alten und die Jungen, die Kleinen und die Großen, so ist's ein ganz ander Volk und der Kanton Bern ein ganz anderer, und die einen brauchen sich nicht zu schämen, denn es ist allwärts was Wüstes und das ein Zeichen eines gesunden Körpers, wenn er dieses Wüste ausstößt und auf die Oberfläche wirft. Wo eine Wunde ist, wächst gerne Faulfleisch, das schadet aber gar nicht, wenn nur gesundes Fleisch nachwächst; aber wenn der ganze Körper faul ist, dann ist's vom Übel. Das aber ist gottlob nicht im Kanton Bern; das alte, gesunde Berner Fleisch ist weder gründlich ausgeschnitten noch gründlich gefault, das wächst mächtig wieder nach und stößt allgemach das fremde Faulfleisch aus und ab, es wird schon noch alles wieder besser werden, wenn auch langsam und wenn es auch neu sich wieder ansetzt. Um aber Hoffnung zu fassen und aus der Hoffnung Mut und aus dem Mute Trost, muß man die Sachlage kennen, wie sie wirklich ist, muß die Wunde offenlegen, nicht sie verheimlichen, nicht die Augen zutun und sie nicht sehen dürfen; dann erkennt man, ob sie tödlich ist oder zu heilen, zum Tode oder zur Gesundheit führt.

In einem rechten Baurenorte zerfällt der Winter in zwei Teile, in den vor und den nach dem Neujahr ungefähr, denn so scharf schneidet das sich nicht ab, es hängt von Gott ab, je nachdem er viel oder wenig Garben gibt und den Winter früher oder später. Die erste Hälfte wird durch das Dreschen eingenommen. Daran nehmen alle Hausbewohner teil, die Söhne und Töchter, Vater und Mutter, wenn es sein muß. Natürlich stehen die letztern, wenn das Tenn voll wird durch den Nachwuchs, zuerst zurück. Die Mutter ganz, denn sie mag den Staub nicht wohl ertragen und friert leicht an die Füße, doch ist es nicht gesagt, daß, wenn eine Tochter fehlbar wird, sie nicht einen Morgen für sie einsteht. Der Vater drescht vielleicht auch, früh vor dem z'Morgenesse und solange der Melcher im Stall zu tun hat, hilft am Abend beim Usemachen, sorgt dafür, daß das Korn schön sauber geputzt wird, und führt Rechnung, wieviel Korn in den Spycher kömmt. Die rechten Bauerntöchtern dreschen auch, von Jugend auf haben sie es gelernt, mußten vielleicht schon mit dem achten bis zehnten Jahr ins Tenn. Freilich gibt es immer mehr Zipperynli und Sekundartöchtern, welche »Herr Jeses!« schreien, wenn sie ein Werchholz von weitem sehen, und Krämpfe kriegen, wenn sie was anderes sollen als Vyönli säen, Pantöffeli brodieren oder Mänteli glätten, so Zwitterdinger, die auch hell nichts taugen, als es Badekürli z'mache und d'Manne d's Tüfels, e Klapperete az'stelle und es Teekännli von einem Ofentritt zum anderen z'schleipfe, über die ungebildeten Leute z'grännen und den »ewigen Juden« vom Sue auswendig zu lernen. Das ist dere ungute Züg, mit welchem man nichts zu machen weiß, das in jedem Hause im Wege ist, für welches man eigentlich den Langnauer Spital hätte zur Hand nehmen sollen; wenn es dann schon teuer käme, da machte es nichts, man ersparte daheim doch noch viel mehr, als sie im Spital kosteten.

In der zweiten Hälfte des Winters geht die Mannschaft auseinander, der eine Teil hinaus ans Holzen, der andere hinein ans Spinnen. Das ist eine schöne Zeit für den Teil des weiblichen Geschlechts, welcher hart arbeitet, daher auch das ruhigere Leben in warmer Stube zu schätzen weiß. Wer nichts tut, weiß nicht, wie süß die Ruhe ist, der weiß gewöhnlich wenig anderes, als zu gähnen, die Zähne an der Sonne zu trocknen und in ewiger Unzufriedenheit den Vorgeschmack der Hölle in diesem Leben zu empfinden. Die Bäurin spinnt schon früher, was es sich neben der Haushaltung erleiden mag. Gewöhnlich hat sie das Schönspinnen aufgegeben und überläßt es den Jüngern, die immer dran sein können; sie, die immer dazu und davon muß, spinnt Kuder oder gröbere Ryste.

Das ist eine Zeit, einem gewissen Strich sehr günstig, denn es gibt nicht bloß Schnepfenstriche und Wachtelnstriche, sondern noch andere: es gibt auch Weiberstriche und Meitschistriche. Nun, die Meitschistriche sind bekannt, dauren das ganze Jahr durch, besonders an Sonntagen, sonst aber auch, wo ein Geiger geiget oder ein Mannsbild ein Bein lüpft. Ältere Weiber von der ärmern Seite streichen dagegen gerne um diese Zeit und halten sich am liebsten an Orten auf, wo ein warmer Ofentritt ist und eine reiche Bäurin Kuder spinnt, während das Volk drescht draußen im Tenn, packt da aus, was sie an gängiger Ware hat in ihrem Gedächtniskrättlein und passend glaubt an diesem Orte.

Lisi war nicht von den Weibern eins, welche vom Klappern leben wie ein Fisch vom Wasser und eine Schwalbe von Mücken, aber mehr als ein Weib hätte es sein müssen, wenn es nicht zuweilen und nicht ungerne einem Weibe den warmen Ofentritt gegönnt und das Reden nach Belieben. So auf einem einsamen Hofe ist man zur Winterszeit ziemlich abgeschnitten von der Welt. Seit Gritli tot war, ging Lisi wenig ins Tal, ausgenommen zur Kirche, und auch auf diesen Gängen hatte es wenig Gemeinschaft mit den Leuten; es grollte ihnen, und die Welt war ihm erleidet. Sie sei nichts wert und die Leute alle falsch, sagte es; nur niemanden mehr getraut, sonst sei man angeführt. Tiefer, als es den Namen haben wollte, hatte es zu Herzen genommen, daß Benz so auf die Seite geschoben wurde, auf einmal die Leute ihm nichts trauten, ihn verdächtigten, und am meisten gerade solche, welche es am öftersten erfahren, wie gut Benz es meine und wie verständig er sei und von welch großem Nutzen der Gemeinde.

Nicht vergessen konnte es, wie wenig Anteil die Leute nehmen wollten, als Benz ihnen etwas sagte vom neuen Professor und was die Regierung im Willen hätte. Sie seien anders b'richtet, hatten sie ihm gesagt, sie hülfen dies der Regierung überlassen, die werde wohl wissen, was sie mache; die meine es auch einmal gut mit dem Lande, sie habe Zehnten und Bodenzinse mit dem nassen Finger durchgestrichen, und was man künftig noch werde zahlen müssen, werde ein Geringes sein. Nun, es gab auch andere, welche unter vier Augen anders redeten, aber öffentlich schien alles einer Meinung. So waren die Leute Lisi erleidet wie kaltes Kraut, wie es zu sagen pflegte, es sei ihm am wöhlsten, wenn es nichts um sie wisse.

Indessen als eines Nachmittags Lisi einzig in der Stube seinen Kuder spann und klopfen hörte an der Türe, zum Läufterli hinaussehend, draußen das alte Salatanni stehen sah, flog doch ein Sonnenblick über sein Gesicht. »Komm innefür!« rief es, und Salatanni zögerte nicht, dem Ruf zu folgen. Wir wollen die Einleitung in Salatannis Reden nicht wiedergeben, ihm nicht folgen durch die Reihe der Neuigkeiten, welche es auskramete, sondern bloß bei seinen Seufzern anfangen, welche es endlich losließ, als Lisi Kaffee aufstellte und ihns mithalten ließ, und auch diese Seufzer nur summarisch.

»Ja, Lisi,« sagte es und ließ einen Seufzer los, wenigstens einen zweipfündigen, »ja, Lisi, du glaubst nicht, wie ihr mich duret heit und was ich wegen euch gelitten habe bis in die letzte Zeit, aber wohl, jetzt hat das geändert, gottlob, das hätte niemand glauben sollen. Was ich eine Zeitlang über euch hören mußte, du glaubst es nicht, es tat mir im Herzen weh, und was ich sagen mochte, daneben seiet ihr doch brave Leute und b'sunderbar gut gegen unser Gattig Lüt, sie hielten mir nichts darauf, und mancher sagte mir: ›Du tätest besser zu schweigen, du hast die Leute nötig, und mit deinem Geschwätz machest du nicht schlechte Leute gut und waschest Mohren nicht weiß.‹ Ja, Frau, da stund ich was aus, und nicht um die halbe Welt hätte ich mögen, daß ihr den Zehnten von dem wüßtet, was die Leute sagten. Und wie sich das jetzt geändert hat! Ja, jetzt ist es eine Freude, wieder zu leben, jetzt glaub ich wieder so recht, daß ein Gott im Himmel sei, der d'Sach mach; sonst hätte ich bald glauben müssen, die hätten recht, wo sagen, es sei keiner; wenn einer wäre, so müßte es ja anders gehen, er würde die nicht Meister lassen, wo nicht an ihn glauben und die Leute verführen mit dem Unglauben, daß die Buben auf der Gasse sagten: wer dem Pfaff nur das Halbe glaube, glaube d's Halb z'viel. Ja, Frau, das hat jetzt ganz geändert, man sollte meinen, es seien nicht mehr die gleichen Leute. Ob den frevlen Reden graut es ihnen jetzt, sie mögen sie nicht mehr hören, und gar manchen habe ich sagen hören: ›Hätte man doch Ankebenz geglaubt, der sah weiter als alle, das ist ein Mann; wenn man solche nicht hört, so wird man gestraft, darauf kann man zählen.‹ Es wird viel von euch geredet, du glaubst nicht, wie ihr wieder ästimiert werdet. Das Herz im Leib lachet mir recht, wenn ich es höre.«

»Schweig mir davon, ich mag nichts von den Leuten hören, sie sind ein falsches Pack, noch immer das gleiche, welches unserm Heiland heute hosianna sang und morgen mit ihm ans Kreuz fuhr; es ist mir am liebsten, ich wisse nichts mehr von ihm, nicht ob es rühme oder schelte, für drei Kreuzer würde es doch uns wieder verraten, wenn ihm jemand drei Kreuzer geben wollte.« »Verzieh, Frau, so ist's doch nit, es ist Ernst in der Sache, und die Leute sind besser und aufrichtiger, als sie scheinen. Sie sagen selbst, sie seien sturm gewesen, ganz im Fieber, es sei ihnen angetan worden, sie wüßten nicht wie. Sie seien zu aufrichtig gewesen und hätten zuviel geglaubt, gemeint, die Leute, die so freundlich getan und so viel versprochen, meinten es wirklich gut und würden halten, was sie versprochen. Daß es so schlechte Leute gäbe, daran hätten sie nicht gedacht.« »Geh mir!« sagte Lisi, »warum glaubten sie dann, Benz sei schlecht, ein Spitzbub, und kannten ihn doch von Jugend auf, erfuhren ihn hundertmal, glaubten dagegen jedem Fötzel und Halunken, jedem Schlingel, den sie nie gesehen, ihnen aber Speck durchs Maul zog und es süß zu machen wußte? Wenn sie uns von Haus und Hof hätten jagen können, sie hätten es getan ohne Erbarmen. Darum mag ich nichts mehr vom ganzen Pack wissen.«

»Nit, Lisi, nit, sei vernünftig und denk, sie seien betrogen worden und es sei sich ihrer zu erbarmen. Sie hielten Benz nicht für schlecht, sie meinten nur, er sehe die Sache nicht ein, er sei vernagelt. Und denk, daß es doch vielen Leuten gefallen mußte, wenn man ihnen die Lasten abnehmen wollte. Denk, wie bös viele haben, wie chum sie tun müssen, jeder Kreuzer, den sie zahlen müssen, ihnen Herzklemmen macht, weil sie nicht wissen, wo einen andern nehmen. Wenn nun einer kömmt und ihnen sagt, das solle anders kommen, sie müßten nichts mehr zahlen, so mußten so dumme und nötige Leute daran glauben. Wenn einer eine gar schwere Bürde hat, so ist er ja auch froh, wenn er abstellen kann.« »Ja, ja, so ist's eben: die Seel dem Teufel verkaufen, d'Religion a Zehnte tusche und d'Seligkeit a d'Armestüre und d'r Heiland a ne Professor oder Seminardirektor u d'rzu beid frömd, da mag ich nichts hören über das Gutmeinen der Leute; es ist mir am liebsten, wenn ich nichts von ihnen sehen oder hören muß«, brummte Lisi.

»Nein, los«, sagte Salatanni, »da bist doch d'rnebes; d'Lüt sy wäger besser, als du meinst, du weißt nicht, wie si sih g'hei, daß es so gange ist, aber si säge, wer hätt das glauben sollen, daß es so schlecht und falsche Leute geben könnte. Da sei man zuerst gekommen, sagen sie, und hätte ihnen gesagt, man müsse die Jesuiter ausjagen, wenn man nicht katholisch oder gar päpstlich werden wolle, von wegen das seien schreckliche Leute, die könnten einem die Religion nehmen, daß man es gar nicht merke; dann sei es um alles geschehen, dem Teufel, den Königen und den Fürsten sei man verkauft. Da sei ihnen angst geworden um die Religion, die hätten sie nicht lassen wollen, denn was man hätte, wenn man keine Religion hätte? Nun, da sei zu helfen, hätten sie gedacht, die Jesuiter würden wohl wegzubringen sein, und richtig, die seien abmarschiert, viel ringer sei es gegangen, als man gedacht. Nun hätten sie gedacht, jetzt sei die Religion sicher, hätten sich dessen gefreut und die für recht brave Leute gehalten, welche gesagt: ›Fort mit den Jesuitern!‹ Darauf nun seien andere gekommen, die Konservativen oder Schwarzen, und hätten geschrien: man solle sich vor denen in acht nehmen, die wollten an die Religion, wollten den Unglauben pflanzen im Volke, wie man Kabis setzt und Rüben säet. Das hätten sie nicht glauben können, gerade diesen sei es ja angst um die Jesuiter gewesen, daß sie Himmel und Erde aufgeboten, das eigene Leben eingesetzt, diese fortzujagen, und die Religion gerettet. Die, welche das getan, werden doch nicht dieselbe jetzt verkaufen und verraten wollen. Darauf seien diese selbst gekommen: ›Ihr guten Leute, glaubt ihr das, was man euch da sagt, durch uns sei die Religion in Gefahr, durch uns, die wir sie ja eben gerettet und Blut und Leben daran gesetzt? Nein, nicht wahr, das glaubt ihr nicht, was euere und unsere Feinde sagen, denen ihr so lange das Blut unter den Nägeln hervorschwitzen mußtet, die Aristokraten und Pfaffen, die alle heimliche Jesuiter sind und schon lange mit ihnen verbündet gegen das Volk, um es in Dummheit zu behalten, damit es in seiner Dummheit immer zahle und nicht minder, sondern je länger, je mehr? Nein, ihr guten Leute, für euere Religion fürchtet nichts von uns, und wenn einer schreit, die Religion sei in Gefahr, so sagt ihm, er sei ein Jesuiter und verfluchter Aristokrat! D's Gegenteil, die rechte Religion und rechte Lehrer müßtet ihr haben statt dummes Pfaffengeschwätz, rechte Volksfreunde statt Blutsauger und Bratwurstjäger!‹ so predigten sie Land auf, Land ab.«

»Anni, Anni, du redst ja wie ein Professor«, sagte Lisi, »wer hat dir die Predigt aufgesetzt?« »Wäger niemand«, sagte Salatanni, »aber ich habe das schon oft b'richten hören und plären hören, wie das alles zu- und hergegangen und wie es den Leuten jetzt auf das Herz kömmt, da sie sehen, wie sie dem Teufel in Lätsch getrappet sind.« »Wer hat ihnen das jetzt gesagt«, fragte Lisi, »und wie lange werden sie auf diesem Loche pfeifen? So lange, bis wieder ein anderer kömmt und ihnen auf einem andern Loche vorpfeift.«

»Nein, Lisi, nein«, sagte Salatanni. »Die Leute sind gutmütig, man kann ihnen viel vorschwatzen, und sie glauben es, besonders wenn es ihnen noch anständig ist. Aber so ganz dumm sind die Leute doch nicht; das wüßtest du besser als ich, wenn du nicht so böse wärest. Die Leute haben Augen, und was sie sehen, das sehen sie, man kann ihnen Hühnerdarm nicht für Lewat ausgeben und eine Elster nicht für eine Ente. Sie sahen allmählich ins Treiben ihrer neuen Freunde, sie fühlten die neuen Zustände, sie sahen die neuen Lehren bei ihren Kindern aufgehen. Da war ja keine Ordnung und Polizei mehr, und die schlechten Leute hatten recht, und schlechte Leute, welche alle Gebote Gottes verspotteten, waren den neuen Herren lieber als die, welche noch etwas auf Gottes Gebot hielten und darnach leben wollten; mit den ersteren machten sie Kameradschaft, die letztern flohen sie wie die Pestilenz. Saufen und spielen sah man sie, beten nie, arbeiten selten. Das zog andere nach, Handwerker und mindere Leute, die wollten auch so leben, meinten, es ziehe es ihnen auch, und mein Gott, wie manchen hat es schon gekehrt, und wie viele wird es noch kehren! Unfrieden kam ins Haus, und manche Frau pläret sich fast tot Tag und Nacht. Zürn's nit, aber die Leute haben schon manchmal gesagt, man könnte es an Hunghans sehen, wohin ein solches Leben führe, und wenn ein so reicher Bauer es nicht aushalten möge, so könne man sich denken, wie es Mindern und Ärmern ergehe.«

Lisi erschrak. »Warum, was ist denn mit Hunghans?« frug es. »Du wirst das besser wissen als ich«, sagte Salatanni. »Nein«, sagte Lisi, »du weißt ja wohl, wir ziehn nicht am gleichen Seil, und was das sagen will, weißt auch.« »Kann sein«, sagte Salatanni, »aber gehört hast doch, daß es dort nicht gut geht? Der Hauptmann, wie sie ihm sagen, ist der Unflat aller Unfläte, verklopfet Geld, es ist eine Sünde, und steckt in Schulden bis über die Ohren. Er soll viel Geld von der Regierig haben, hat aber sonst noch Schulden. Der alte Hans ist ebenmäßig tief darin; es heißt, Ausgeliehenes werde er wenig mehr haben, ein Titel sei hieraus geflogen, ein anderer dortaus, und wenn einmal alle fort seien, so halte es der Hof nicht aus, der werde kurzum müssen verkauft werden. Dort gehe es auch, als ob es der Teufel mit Pürzeln gewonnen hätte, und gäb wie der Ältere, der Benz, wehre und schaffe, er möge es doch nicht erwehren. Besonders die Jungfrauen hätten alles Recht, man wüßte aber wohl, warum. Die einen sagten, Benz sei ein Narr, daß er da aushalte, nicht fortlaufe oder mitmache und brauche, was es ihm ziehen möge. Da sei jene Frau witziger gewesen, die vor ihren Mann getreten sei und gesagt habe: ›Höre, ich mangle einen seidenen Kittel, Göllerketteli auf die neue Mode und eine Kappe mit Lätschen vom Tüfel.‹ ›Aber, Frau‹, habe der Mann gesagt, ›Frau, was denkst, wir hatten ja ein böses Jahr, es fehlte ja so viel, und ung'sinnete Ausgaben dazu, du hast Kittel die Menge und Ketteli vier Paare, was willst mehr, oder wart wenigstens‹ – ›bis nichts mehr da ist‹, ergänzte die Frau. ›Du kümmerst dich ums böse Jahr gar nicht, du bist tagelang, wenn du am nötigsten daheim wärest, auf der Jagd, sitzest bis gegen Morgen bei den Beutelschneidern unter dem Knubel, machst sonst, ich weiß nicht was. So sehe ich wohl, daß alles draufmuß und kein Hausen mehr hilft. Darum will ich auch helfen, will meinen Teil auch an der Freude und am Guthaben. Je eher es z'Boden geht, desto lieber ist es mir, weiß man doch dann, woran man ist. Und ich möchte auch nicht, daß die Leute die Schuld alleine auf dich würfen, sondern daß sie sagen müßten: ›Es ist kein Wunder, und er ist nicht allein schuld, die Frau hat ihm auch brav geholfen.‹ Der Mann war um etwas gescheuter als der Genfer Almeras, er begriff etwas an der Logik und soll dem Weibe gesagt haben: ›Nit dä Weg, diese Weg!‹ Ob er noch heute der Meinung sei, darüber sind die Gelehrten verschiedener Meinung. Andere aber nehmen Benz in Schutz und sagen, er habe recht. Gehe es, wie es wolle, so sei er nicht schuld daran, und die Leute hätten mit ihm Erbarmen. Wenn es endlich Matthys am letzten sei, so wären wohl Leute, die ihn nicht steckenließen, sondern ihm unter die Arme griffen.«

Hier machte Salatanni eine kleine Pause, als ob es einer Einrede Raum geben wolle, aber es kam keine. Lisi war auch nicht dumm. Es war ihm allerdings ein Wort in den Mund geschossen und zuvorderst auf die Zunge, aber hier hatte es dasselbe glücklicherweise beim Stiel erwischt und wieder zurückgezogen. Als nichts kam von der Seite, fuhr Salatanni fort: »Ja, sagen die Leute, da könne man sehen, wie man z'weg sei, besonders die ärmern Leute. Der Hunghafen sei sonst ein Haus gewesen, welches viel zu verdienen gegeben. Sie seien dort im Jahr, etwa die großen Werke ausgenommen, nie ausgekommen, daß sie nicht Arbeitsleute gehabt dieser oder jener Gattig, da sei Verdienst gewesen. Jetzt sei es dort wie abgetrocknet, nur das Nötigste, was sein müsse, werde gemacht; nicht einmal die Schweineställe vermöge der Amtsrichter reparieren zu lassen und hätten es doch so übel nötig. So wie hier gehe es an vielen Orten. Man versaufe und verprächtle das Geld, und je mehr man diesen Weg brauche, desto weniger gebe man zu verdienen, an einem Orte müsse abgebrochen sein. Woher aber sollen die Mindern das Geld nehmen, um zu leben, wenn sie keinen Verdienst haben? Stehlen darf man nicht, betteln soll man nicht, und zu verdienen hat man nichts, den Armen zu steuren, soll abgehen, kurz, es ist ein Elend, wie es nie gewesen ist. Und wie sie es mit der Religion gemeint, das sieht man jetzt. Die Pfarrer braucht man nicht mehr, heißt es, die Schulmeister sollten es machen. Ja, daß Gott erbarm, was soll das für eine Religion geben? In der Kirche sieht man wunderselten einen mehr, und die Kinderlehren verschleipfen sie wie die Schulbuben die Schule. Daraufhin würden sie b'richtet z'Buchsee ußen. Dorther soll die Lehr unter die Schulmeister kommen, daß alles nüt syg, und was der Mensch mache chönn i dem Lebe, solle er machen, von wegen es komme kein anderes nach, und ich weiß nicht mehr alles, was sie sagen, aber kurz einmal, daß man es deutlich sehen kann, wie sie denken vom Evangelium und daß sie auf Christum nichts halten. Das sieht man auch den Kindern an. Die werden euch so wild und bös, daß es keine Art hat, Vater und Mutter lachen sie aus, haben vor nichts Respekt, ziehen niemand mehr recht die Kappe ab, wünschen die Zeit nicht mehr, tun wie Pflegle und Holzböck; aber wie wollte es anders sein, wo sollten sie es besser lernen, wenn sie alle Tage das Exempel haben, wie man niemanden mehr zu ästimieren, niemand einem mehr zu befehlen habe.

Siehst, du glaubst gar nicht, was das für ein Volk gibt; erst jetzt, wo der Same errünnt, sieht man es recht, daß man es mit den Pelzhändsche greifen kann. Es geht, wie der Heiland gesagt hat: ›An den Früchten sollst du sie erkennen.‹ Die Leute sagen es aber auch, sie hätten es nicht geglaubt, aber jetzt müßten sie es glauben, sie möchten wollen oder nicht. Die seien dahergekommen und hätten getan, als ob sie die unschuldigsten Lämmer wären und als Engel vom Himmel gekommen, den Bauren und armen Leuten expreß z'Lieb und z'Ehr, Schnabel habe man keinen gemerkt und Krallen keine gefühlt. Jetzt, da sie es gewonnen, seien sie reißende Wölfe, titelierten alle als Kühe und Kälber; sage einer ein Wörtli, fahre man ihm über's Maul, als ob ihn alles nichts anginge. Es solle zur Sache niemand was zu sagen haben als gerade sie, und wenn sie alles in einem Tage fressen und alle arm machen könnten, daß keiner mehr dem andern helfen könnte, sie sparten es nicht bis morgen. Was sie selbst nicht versorgen möchten, hängten sie den Fremden an, denen Lausbuben, die nichts wollten als befehlen, denen unser Brot nicht gut genug sei, wenn man ihnen nicht einen halben Schuh hoch Anken darauf streiche und dann noch sich verexkusiere, daß man es nicht besser vermöge, die es deutlich merken ließen, daß, wenn sie einmal am Brett seien, sie die verflüchtesten Reichsvögte, wie sie den alten Tyrannen sagten, werden wollten.

Lue, Lisi, du glaubst nicht, was das muckelt und wie man sich reuig ist; du glaubst es gar nicht, du hättest die größte Freude. Ich muß sagen, es gefällt mir auch; hätt nit glaubt, daß ich das in meinen alten Tagen noch erleben würde. Ich muß sagen, ich habe manchmal gejammert, die Welt werde immer schlechter, es sei bald keine Religion mehr und wenn ich es nur nicht erleben müßte, daß gar keine mehr sei und ich auch noch meine abgeben müßte! Aber wohl, jetzt sehe ich, daß noch viel mehr da ist, als ich dachte; aber die Leute haben es nur nicht erzeigt, gingen damit nit z'Märit und beteten nicht an den Straßenecken, wie es heißt in der Bergpredigt. Sie hielten sie für sich selbst oder waren gleichgültig damit und ließen d'Sach hötschle. Jetzt, wo man meinte, es sei alles eingeschläfert, wie es die Schelme machen sollen, wenn sie einbrechen und ein Haus ausplündern wollen, jetzt könne man mit der Religion fort wie mit einem faulen Zahn, jetzt erwachen sie, jetzt merken sie, warum man sie einschläfern wollte, daß man mit nichts mehr und nichts minder als mit der Religion fortwolle, daß man es nur nicht merken solle und wie unterdessen bereits dafür gesorgt sei, daß als Heiden die Kinder aufwüchsen. Jetzt, Lisi, du glaubst nicht, wie das bei den Leuten erwachet, gerade wie das Gras nach einem warmen Regen. Ja, jetzt wird wieder g'redt vom Bauer auf der Ankenballe und wie der doch die feinste Nase habe und g'schmöckt, woran andere auf hundert Stunden weit nicht gedacht. So könne das nicht gehen, man sollte mit ihm reden, ob da nichts zu machen wäre, man wolle gerne helfen. B'sunderbar wo das G'red geht, und es soll für bestimmt wahr sein, es sei erkannt, wir sollen künftig nur Menschen und nit Christen sein, das wird de erst mönschele, daß niemand mehr mag dabeisein, man hielt es schon jetzt manchmal fast nicht aus.«

»So, meinst«, antwortete Lisi, »jetzt wär Benz wieder gut? Jetzt sollte er vergessen, wie schlecht man es ihm gemacht hat, und die Finger dargeben, um die Kestene aus dem Feuer zu holen, sollte ausessen, was andere eingebrockt? Meinst, so dumm sei er, sei für nichts gut als für den Klotz, woraus alle ihr Holz spalten? Nein, Anni, so schlecht hat man es noch niemanden gemacht als Benz; kein Mensch dachte damals an alles, was er der Gemeinde getan; wenn sie ihn z'Fetzen hätten verreißen dürfen, sie hätten es getan. Handkehrum würden sie es ihm wieder so machen. Ich glaubte nicht, daß die Leute so schlecht seien, jetzt aber wissen wir es, mögen nicht mehr von ihnen, als die Not erfordert, und sind so am wöhlsten. Wer den Karren hineingezogen, soll ihn wieder hinausziehen, das ist billig, und nicht die, welche abgewehrt. Und bei der Sache g'spaßet es sich nicht; wer das Maul auftut, wird beim Kopf genommen. Das kann man an den armen Pfarreren sehen, die so mißhandelt werden gegen alles Recht und alle Gerechtigkeit.«

Da pochte es rasch an der Stubentüre, rasch ging sie weit auf, und hinein mit mächtigen Schritten zwei Gestalten treten.

»Wir dachten, da unser Klopfen draußen niemand hörte, wollten wir es innefür probieren. Gott grüß ech mitenandere!« so sprach die eine der Gestalten gut berndeutsch, ging auf Lisi zu und bot ihm die Hand; die andere tat fremdländischer, mördete Hochdeutsch und spienzelte ein Bocksbärtchen, wir glauben auch, er habe eine Brille aufgehabt und möglicherweise der andere auch, doch konnte man es uns nicht mit Bestimmtheit sagen. Der erste war offenbar ein Berner, vom andern war es nicht ganz klar. Es konnte einer von den vielen Schmarotzern sein, welche der Kanton Bern zu füttern hat, es konnte aber auch einer von den Bernern sein, welche es sich zur Ehre rechnen, ein Aff fremder Narrheit, fremden Unsinns, fremder Laster zu sein, ein ekelhaft Geschlecht, von welchem wir hoffen, es bleibe einmal ungesinnet dahinten wie die Käfer und die Cholera. Lisi war verwundert über diesen Einbruch, erwiderte indessen den Gruß höflich. Salatanni machte ein Intermezzo, stund auf und sagte: es wolle gehen, es habe zu pressieren, den zum Spinnen verheißenen Flachs solle Lisi gelegentlich rüsten, es wolle ihn dann abholen, und als es unter der Türe war, rief es: »Los doch neuis!« »Kennst die?« frug es Lisi draußen in der Küche. »Schulmeisterzüg, trage Bücher desume oder handle mit dürre Schnitze«, sagte Lisi. »Es sind die Sekundarlehrer von Bettelried, sind auf der Kinderjagd, gehen alle Jahre zweimal darauf«, antwortete Anni, ging, und Lisi wußte nun schon, woran es war.

Die Sekundarschulen sollen eigentlich sogenannte Mittelschulen oder Realschulen oder dörfliche Progymnasien vorstellen, aus welchen man, mit aller Weisheit ausgerüstet, in die Hochschule promenieren und aus derselben, und ehe man die Studien noch vollendet, als Landesvater stolzieren könnte. Sie sollten der Pflanzgarten ländlicher Weisheit sein, ein Gegengewicht sein gegen die Aristokratie der Wissenschaft und diese überflüssig machen oder zerstören. Das schien man klar gedacht zu haben, sonst begreift man nichts Klares weder an ihrer Erschaffung noch an ihrer Erhaltung. Wie hoch sie sich hoben, kennen wir nicht, da wir das Glück hatten, keine des näheren kennzulernen. Man sagt, aber man weiß wohl, wieviel man sagt ( vide die Nassauer Reden), ja sogar schreibt ( vide die Stämpfli-Zeitung), was nicht bloß nicht wahr, sondern rein erlogen ist, man sagt also, Studenten, welche aus solchen gekommen, hätten kaum richtig schreiben, geschweige nachschreiben können; man sagt, in den Unterweisungen seien die Schüler der Sekundarschulen oft die schwächsten gewesen; man sagt – und zwar Primarlehrer sagen es, es wird wahrscheinlich wahr sein –, sie wüßten viele Primarschulen, in welchen man viel mehr lerne als in den Sekundarschulen, das Kappeleweltsch ausgenommen. Das trage aber auch nicht viel ab, denn der Weltschlehrer sei einmal nach Genf gereist, und wenn er stolz sein Weltsch vorgenommen, habe man ihm entweder gesagt: » Monsieur, kann nix deutsch« oder: » Monsieur, je ne connais pas l'Allemand!«, und einmal – in Vevey soll es gewesen sein – soll ihm einer geantwortet haben: » Monsieur est peut-être un Turc?«

Ob nun alles das wahr sei, wissen wir wie gesagt nicht, lassen der Nachwelt die Ergründung der Wahrheit als geschichtliche Aufgabe. Hingegen das ist wahr und kann, wenn man will, auch als eine Art von Urteil genommen werden, daß es diesen Schulen alleweil an Zudrang fehlte, die meisten Mühe hatten, die gesetzliche Zahl von Kindern aufzubringen, daß sie von Halbjahr zu Halbjahr zwischen Leben und Sterben hingen. Wenn dann der Anfang des Schuljahres kam und niemand sich zeigte, der Liebhaber ihrer Schule war, oder die Schule angefangen hatte, die Lücken aber nicht ergänzt waren, dann sahen die beiden Kollegen sich trübselig an, und einer stärkte sich am andern, bis endlich einer ausrief: »Kolleg, die Garde stirbt, aber ergibt sich nicht.« Dann machen beide kühn sich auf und gehen auf die Kinderjagd, freilich ohne Büchse, aber mit guter und scharfer Munition reich versehen. Sie streichen über die Hügel, sie streichen durch die Täler, und wo sie in einem Stalle drei Kühe wittern oder in einem Häuschen einen halbbatzigen Pintenwirt oder dreikreuzerigen Krämer, da kehren sie ein und fragen nach Kindern, und wie die Metzger, wenn sie ins Gäu gehen, bei jedem Hause, welches sie verlassen, fragen, ob man ihnen nirgends was Fettes wisse, so fragen auch die Herren Kollegen allenthalben: ob nicht etwa hierherum Kinder wären, von denen man denke, sie könnten für ihre ländliche Schule passen, und Eltern, die wüßten, was Bildung sei, doch, wohlverstanden, Kälber und Kinder zählen wir nicht zusammen. Wo dann irgendein Schimmer von Hoffnung winket, hei drauflos wie's Wetter und nicht abgesetzt, bis man den Zweck durchgesetzt oder wenigstens einige Zusicherungen für das nächste Mal erpreßt!

Es ist nicht ganz die englische Matrosenpresse, es gleicht mehr der Werbung in fremden Kriegsdienst. Die Herren Kollegen preisen in die Wette das Glück derer, welche das Glück hatten, in ihrer Schule gebildet zu werden, was für Fächer da gelehrt würden und wie kommode jedes sei, eins kommöder als das andere, brauchbar für das ganze Leben und notwendig für diesen oder jenen Lebensweg. Sie zählen an den Fingern auf die erlauchten Häupter, welche aus ihren Händen hervorgegangen, wie sie gekommen seien und mit Zärtlichkeit gedankt hätten für den Unterricht und gesagt, ihnen hätten sie alles zu verdanken; wenn sie nicht in die Schule gekommen, so wäre auch nichts aus ihnen geworden, ihr Lebtag wären sie dumme Baurenbuben geblieben. Es sei schon mancher von der Hochschule gekommen, er hätte nicht gekonnt, was viele ihrer Schüler. Das sehe man aber auch, die besten Familien hätten ihre Kinder in ihrer Schule, das seien Männer, die wüßten, was gut sei. Was doch auch eine Primarschule sei, die sei gerade wie nüt, und was da für Kinder hineinkämen, krätzig könne man da werden oder gar Läuse kriegen, ein Östreicher würde sagen: nur Läuse. Im Jahr 1813 nämlich, als die Östreicher in der Schweiz waren, sagte eine gutmütige Frau zu einem Wachtmeister, der bei ihr einquartiert war: »Verzeiht, Ihr habt da eine Floh.« Der fuhr sie barsch an und schrie: »Wir haben keine Flöhe, wir haben nur Läuse!« Und richtig war bei näherem Besehen das Tierchen, das da lief, keine Floh, sondern nur eine Laus.

Mancher Vater und manche Mutter hören gerne, was Großes aus den Schülern geworden und wie die vornehmsten Kinder in der Schule seien. Wie aus den Sümpfen Nebel, steigen bei solchen Reden Gedanken aus den Seelen. Jedenfalls denkt die eine oder die andere Frau: »Tüfel, wenn mein Meitschi den heiraten könnte und mein Bub dieses, die machten es gut. Ich denke, ich schicke sie!« Gar oft aber geht das nicht so leicht, die Herren Kollegen müssen noch anders dran hin. Sie malen aus, wie die Kinder viel freier seien: die müßten die Fragen nicht lernen, den Gottesdienst, namentlich die Kinderlehre nicht besuchen, mit unnützen Dingen die Zeit nicht versäumen. Zieht dieses auch nicht, oder sagen die Eltern, die Schulgelder seien zu hoch, so stellt man in Aussicht, man könne es vielleicht wohlfeiler machen, es sei schon geschehen, daß man Kinder um zwei Drittel oder ein Halb der Schulgelder angenommen, von wegen man sei human, man begehre keinem Kind wegen einiger Batzen vor seinem Glück zu sein, ja vielleicht daß man sie um ein Drittel zu Gnaden annimmt.

Diese Kinder- oder Sekundarjagden sind zum Teil mühsam; was man da reden muß und Redensarten verschießen und oft um nichts und wieder nichts, indem auch nicht eine trifft, es ist schrecklich! Ein guter Schütz braucht zumeisten nur einen Schuß, im zweiten fehlt's ihm nicht, und so ein Jäger verschießt zuweilen hundert schwere Redensarten und hat am Ende nichts oder bloß einen halben Schüler, das heißt einen, der das Halbe zahlt, erjagt. Nüchtern kehren sie selten heim, an Essen und Trinken läßt man es ihnen selten mangeln, ein gut Kaffee, ein Schnefeli Käs, schmackhaftes Brot sind allweg auch ein Trost, wenn sie auch z'leerem heimmüssen und die Schule ihnen sichtbarlich von Halbjahr zu Halbjahr ermagert.

Was aber dann auch die Leute glücklich sind, wenn sie Beute gemacht, wenn sie mit einem oder zwei ganzen Schülern und vielleicht noch einigen halben zurückkehren, das begreift nur ein Jäger, der weiß, was Jagdfreude ist, und zwar eine auf Hochwild, wenn man zum Beispiel ein Wildschwein erlegt oder einen Rehbock oder gar einen Lämmergeier. Dem Mangel an Eifer und Anstrengung dieser Jäger ist es also nicht zuzuschreiben, wenn ihre Jagdgründe immer mehr veröden, das Wild seltener wird, sie immer mehr z'leerem zurückkehren müssen und der alte Fahrklaus sie mit den Worten empfängt: »Aber nüt, aber nüt!«, wenn diese Schulen ihnen unter den Händen ermagern und die meisten bald abdorren werden, ungefähr wie Warzen. Wir kennen den Grund dieses Absterbens nicht. Die böse Welt schreibt den dummen Stolz und die hohle Anmaßung, das Viel-vorstellen-wollen und Nichts-sein, welche man an gewissen Orten findet, den dort florierenden Sekundarschulen zu. Aber man weiß, wie die Welt ist und daß das nicht sein kann, denn bei wem hätten die Schüler so was lernen sollen, bei wem? wir fragen.

Also zwei solche Jäger waren es, welche Lisi in der Stube hatte; sie waren auf ernstlicher Jagd, sie sollten noch zwei Schüler haben und waren heute z'leerem gelaufen; und wenn sie keine fanden, so hatten sie ausgemacht, sie müßten zwei kaufen, das heißt, ihnen Lohn geben, daß sie in die Schule kämen. Sie taten das aber auch nicht gern, begreiflich. Nun, sie fuhren mit diesem Begehren nicht ins Haus wie die Beimannen mit ihren Stimmen, welche von weitem schreien: »Heit d'r Bi oder Biner?« Der eine fing an: »Es macht styf Wetter.« Der zweite frug, ob der Herr vom Hause daheim sei. Lisi sagte, obschon es die Redensart recht gut verstund, sie hätten hier keinen Herr, der Bauer aber sei fort, es wisse nicht, wann er wiederkomme.

Jetzt meinte der zweite, er habe den Hasen im Pfeffer gefunden, und begann eine Rede über die Herrlichkeit des Baurenstandes, wie der eigentlich Herr des Landes sei, das Land dessen Schweiß seinen Flor zu verdanken habe, wie es nun Zeit sei, seine Rechte in Anspruch zu nehmen, sich als Herren darzustellen. Er habe lange das Schwerste getan, mit wüster Arbeit sich geplagt, jetzt solle er es besser haben, die rohe Arbeit andern überlassen und ein gebildetes Leben führen, ganz wie es ihm angenehm sei; er solle das Land regieren, zum Wohl des Landes könne er immer etwas tun, er vermöge das besser als die verlumpeten Herren, die nichts mehr hätten und nichts mehr seien.

»Habt nicht Mühe!« sagte Lisi, »wir wissen, wer wir sind und was sich für uns schickt, dabei sind wir wohl, und was will man mehr?« Das könne er nicht begreifen, antwortete der zweite, es werde ihr aber auch nicht Ernst sein, so ein Hundeleben wäre sein Tod. Pflug ziehen oder Pflug halten käme ihm in eins, und der Mensch sei doch nicht geschaffen für das gleiche Leben wie das Vieh. Lisi sagte: Es hätte Leute gesehen, die nichts getan, und ihr Leben habe ihm dem des Viehs viel ähnlicher geschienen als das Leben derer, die nach Gottes Wort sechs Tage arbeiteten. Daneben komme es auf die Gewohnheit an; ein Leben ohne Arbeit möchte es nicht ertragen, und die Lehr kenne es nicht, wo Fleiß und Arbeitsamkeit zu einem viehischen Leben gehörten. Nun fiel der erste ein und wollte gutmachen, brauchte schöne Titel, sagte, sie habe seinen Kollegen nicht recht begriffen.

»Er meint nicht alle Arbeit, er meint nur die grobe, wo ganz mechanisch ist, wo man ganz dumm sein kann dazu und wo man um geringen Lohn von rohen, ungebildeten Leuten, welche nichts Besseres wissen, machen lassen kann. Ja, die gebildeten Stände arbeiten auch und anstrengend, aber feinere Arbeit und geistige; die strengt viel mehr an als die leibliche und braucht daher auch viel mehr Erholung, wenn man sich nicht ganz abschwächen will.« Lisi sagte: Es sei ihm nicht unbekannt, daß man auf allerlei Wege arbeiten könne, es verachte keine Arbeit, sei sie mit den Händen oder mit dem Kopf, am Schatten oder an der Sonne gemacht, wenn die Arbeit nur recht und Fleiß dabeisei. Daneben habe es schon oft sagen hören, es gebe auch grobe Kopfarbeit und man sehe auch dumme Leute, welche sich damit abgeben; daneben wisse es das nicht. Es wisse bloß, daß es die Arbeit, welche ihm Gott geordnet, liebe, und dabei bleiben wolle, sei sie fein oder grob.

Ja, sagte der zweite wieder, wie man erzogen sei, so gehe das einem nach, er begreife das, und besser sich zu gewöhnen, gehe schwer. Aber den Kindern werde man doch ein besser Leben gönnen und für ein gebildeteres Leben sie bilden lassen. Er begreife gar wohl, daß man vor dreißig, vierzig Jahren nichts anders gewußt und nicht daran gedacht, warum hätte man es auch sollen? Der Bauer konnte nur Bauer werden, da war ihm alles verhalten; nicht Kaminfeger konnte er werden, nicht einmal Stadtweibel. Wenn einer studieren wollte, so hätte man ihn angesehen, als ob er Hörner hätte, und ihn ins Narrenhaus getan. Der Bauer gehöre hinter den Pflug, hieß es, und nirgends sonst hin, am allerwenigsten auf das Rathaus. Ja, in den Städten habe man einen Hund und einen Bauern kaum zusammengezählt. Jetzt sei es anders, jetzt sei der Bauer voran, wenn er die gehörige Bildung habe, und Baurensöhne, welche gehörig in den neuen Schulen gebildet seien, seien allenthalben obenan und die ersten, die ersten in der Regierung, Fürsprecher, Ärzte, in allen Posten, sie hätten jetzt das Heft in der Hand und machten die Gesetze. »U wettigi!« warf Lisi ein. Aber der Redner tat, als höre er es nicht.

»Jetzt«, fuhr er fort, »jetzt weiß er, warum er was lernt, jetzt steht ihm ein ander und höher Leben offen, und rechtdenkende Eltern sorgen dafür, daß ihre Kinder die Bildung erhalten, welche sie befähigt, dasselbe zu genießen, und ihnen die nötigen Mittel an die Hand gibt, sich die höhern und feinern Lebensgenüsse zu verschaffen, nit Erdäpfel alle Tag, abgenommene Milch obendrauf und am Morgen auf, ehe das Bett recht erwarmet ist. Es schaudert mich, wenn ich dran denke!« Das könne er nicht sagen, fiel der erste ein, er könne draußen auch arbeiten und tue es gerne, wenn er dazu komme und sein Stand es mit sich brächte. Wenn man nur arbeite, was man wohl möge, nicht hündligürte und schaffe, bis man alle viere von sich strecken müsse, so gebe er gerne zu, daß körperliche Arbeit auch eine Erholung und angenehm sei, ja sogar ein Bildungsmittel. Es werde auch immer Leute geben, welche arbeiten müßten, woher sonst das Brot nehmen, und kommod sei es für die, wenn sie nicht bloß arbeiten müßten, sondern es auch gerne täten. Daneben sei er auch der Meinung seines Kollegen, die Kinder solle man erziehen, daß sie die neue Freiheit auch genießen könnten; die Tore seien jetzt offen zu allem, wenn man die Zeit nicht recht benutze und die Stellung einnehme, die einem gebühre, so könnte sie vorübergehen. »Ja, und dann würde man erst sagen«, fiel der zweite ein, »seht da den dummen Bauern, er sieht nicht einmal, was man ihm vor die Nase hält, sein Glück, welches man ihm errungen hat, stößt er mit Händen und Füßen von sich. Nun, da würde man ja sagen, er habe es wie das Vieh, dem man in einem brennenden Hause die Bande zerschnitten und die Stalltüre geöffnet und das doch immer wieder in den Stall zurückkehren will, daß man es kaum erwehren kann.«

Ehe der erste einfallen konnte, sagte Lisi: Es danke für die Gleichnus, geradeso sei es; das Leben, welches ihm Gott geordnet, sei ihm ganz recht, um keinen Preis tauschte es dasselbe an ein anderes, und zwar je länger, je weniger, und was es für sein Glück halte, gönne es auch seinen Kindern; sie müßten ihm brav beten und arbeiten, begreifen, woher das Brot komme, nämlich von Gott und der Menschen Fleiß, dann werde es ihnen wohl nicht bös gehen in der Welt, sowenig als ihm auf die alte Manier. Das Neue sage ihnen nicht Herr, für sie sei da nichts zu erhaschen. »Verzeiht!« sagte der erste, »gerade für Leute wie Ihr ist die neue Zeit, Euch gehört die Nidle ab der Milch, wenn Euere Söhne gebildet sind und Euere Töchter auch; denn heutzutage sieht man auf Bildung und Geld, gebildet müssen die Mädchen sein, so gradane e Buretotsch macht sein Glück nicht mehr, der kann hinter der Türe stehen.« »Da kömmt es mir kommod, daß ich nicht in dieser Zeit lebte, sonst stünde ich noch jetzt hinter der Türe«, meinte Lisi. »Ihr vexiert«, antwortete der erste, »Euch geht das nicht an, Ihr waret von ganz anderem Kaliber; Ihr steht viel höher, und Ihr mögt Euch verstellen, wie Ihr wollt, so seid Ihr gebildet, man hört es Euern Reden an. Darum eben deswegen kamen wir zu Euch, wir dachten, Ihr begriffet uns und fühltet das Bedürfnis höherer Bildung für Euere Kinder, und wollten Euch fragen, ob Ihr uns nicht Kinder in die Sekundarschule schicken wolltet, es wäre gerade noch die rechte Zeit dazu. Der Kurs hat zwar schon angefangen, aber wir haben ihn so eingerichtet, daß man eintreten kann, wann man will.«

Daran hätten sie nie gedacht, sagte Lisi, hätten nichts anders gewußt, als die Kinder in die Schule zu schicken, in welche auch sie gegangen, und sie daheim brav z'lehre und zum Gute z'ha, das sei doch immer die Hauptsache. Der zweite fing an zu dozieren, wie seinerzeit, wo er noch mit Elementarklassen sich befaßt, ihm dieses Zu-Hause-Lernen zuwider gewesen, indem gerade das zum Verderben sei, daß er viel lieber ein Kind gehabt, welches noch keinen Buchstaben gesehen; da hätte er doch nichts Schlechtes abgewöhnen müssen, sondern gleich von vornen anfangen können.

Allein der erste, der da wußte, was bei altväterischen Leuten das Zu-Hause-Lernen für einen Wert hat, ließ ihn nicht weit kommen in seiner Weisheit, unterbrach ihn und sagte: Das sei gar schön und gut, und ehedem habe das vollkommen genügt, und es sei nichts schöner, als wenn die Eltern teilnehmen täten an der Bildung der Kinder; das fördere die Lehrer unendlich, wenn die Kinder sehen, wie die Eltern Freude hätten an ihren Fortschritten. Freilich bei den einzelnen Fächern würden wenige helfen können, da man sie früher nicht gelehrt oder ganz anders. Aber das sei gleichgültig, wenn nur die Eltern große Freude hätten im allgemeinen, daß die Kinder sehen könnten, wie große Freude die Eltern am Fortschritt hätten. (Diese Freude der Eltern ist wirklich oft sehr groß, und rührend ist es, wenn ein Vater oder eine Mutter mit Tränen in den Augen erzählen, wie schön das Kind lesen oder schreiben könne und wie weit es im Rechnen sei und wie der Schumeister gesagt, solche Kinder gebe es nit dick, nit mängs settigs hätte er noch gehabt. Herrgott, wie oft wird ihnen diese Freude vergiftet und wie viele sterben daran!)

Nun wollte wieder der zweite seine Überredungskünste versuchen und dartun, wie das Kind nicht mit unnützem Zeug geplagt würde, und unter beidem verstund er das Fragenbuch und den Besuch des Gottesdienstes. Dummes Zeug müßten sie auch nicht hören, was den Verstand verfinstere und alle Sinne blöd mache, und darunter verstund er die geoffenbarte Religion. Er ließ auch Worte fallen von rein menschlicher Religion; freilich das nicht hintereinander, denn der erste unterbrach ihn immer, wollte erläutern, mit Seife bestreichen, ablenken usw.

Ehedem hätte man gesagt, der erste hätte mehr Takt, wisse, mit wem er rede, der zweite sei ein Büffel, der nicht wisse, trample er auf einem Steinboden oder einer großen Glastafel. Aber man hätte nicht ganz recht gehabt. Die Herren beurteilten nicht sowohl Lisi verschieden, als sie selbst stunden auf verschiedenen Stufen des Fortschrittes. Der erstere war offenbar hinter dem andern um manchen Schritt zurück. Er war noch auf der Stufe, wo man die Krallen meist eingezogen hat und nur mit dem Seidenpfötchen agiert, wo man verdeckt sichtet über der Erde hinter Bäumen und Büschen, unter der Erde hinter Schilden und Blendungen. Er war noch in der Stellung, wo die Leute gar nicht wissen sollen, in welcher Stellung man ist und woaus man will, man einem sagen kann: »Ich gehe dahin« und dem andern: »Ich gehe dorthin« und beide es glauben können, in der Stellung eines Schiffes, welches so laviert, daß die Zuschauer zweifelhaft sind, auf welchen Wind es eigentlich wartet, um die Segel aufzuspannen, wo man den Leuten pfeift, sie lockt wie der Rattenfänger von Hameln, daß sie dem Dudelsack folgen müssen und nicht wissen, wohin, bis sie im Bauche eines Berges begraben sind.

Während so der erste seiden tat und dem Volke süß flattierte wie die badischen und andere Volkshelden vor Ausbruch der Revolution, so war der zweite viel weiter, er war wie Struve und Blenker zusammengenommen, nachdem der Großherzog davongelaufen war und das Militär eine miserable Treue an den Tag gelegt, als sie Gewalt walten ließen, brandschatzten, wer Mux machte, erst in Ketten schlugen, nachher fressen wollten. Unser zweite achtete alle Verdeckung nicht bloß für überflüssig, sondern schädlich. Er betrachtete den Sieg als entschieden, die Sache als abgemacht, die alte Zeit gründlich zu Ruhe gesetzt; er glaubte, es sei jetzt die ausgedehnteste Benützung des Sieges notwendig und dazu das entschiedenste Auftreten, und wo jemand das Maul aufmache, müsse man ihm mit der schärfsten Rede dreinfahren und ihn abklopfen, bis er begreife, was für Zeit es sei. Das Bauernvolk sei ein dumm, feig Volk, das müsse nach, es möge wollen oder nicht, und es werde es schon machen, wenn man auf der einen Seite den Ernst zeige, auf der andern Seite ihm von Zeit zu Zeit etwas G'leck darhalte, daß es etwas zu lecken habe; aber nur nicht Komplimente gemacht, sondern zugefahren! Das war des zweiten Standpunkt, über den er mit dem ersten oft im Streite lag und manchmal so weit nachgab, daß er auf ihren Sekundarjagden zumeist den ersten reden ließ.

Heute aber ging ein rauher Wind, sie hatten angebotenes Kirschwasser nicht verschmäht, Lisi hatte ihnen Wein aufgestellt, so war der zweite preußischer geworden, hielt es seiner unwürdig, vor einem dummen Baurenweib die Flagge zu verbergen, zog sie daher hoch auf, schwatzte dummes Zeug, daß es dem andern katzangst wurde. Er verbesserte, soviel er konnte, er stüpfte ihn unter dem Tisch mit den Füßen, bis derselbe auffuhr und frug: »Donner, was stüpfst mich immer? Ich wollte mir das verbeten haben.« Der erste wußte nichts zu machen, als zum Abschluß noch einmal in Lisi zu dringen, ihnen ein Jawort zu geben. Wenn sie zwei Kinder schicken wollten, so wolle er sich bei der Direktion verwenden, daß sie nur für eins zahlen müßten. Es sei ihnen viel daran gelegen, Kinder von ihnen zu haben, wegem Zutrauen, das sie besäßen. Wenn sie schickten, so würden noch andere schicken, sagte er. Zweifle, sagte Lisi, daß sie die rechten Lockvögel wären. »Daneben ist der Mann nicht daheim, und wann er heimkömmt, weiß ich nicht. Ich kann keinen Bescheid geben, es ist seine Sache, nicht meine.«

Da ging die Türe auf, und Benz trat ein. Lisi sah sonst Benz für sein Leben gerne; wenn er heimkam, hieß es gewöhnlich: »E gottlob, bist wieder da!« Diesmal hätte es lieber den strübsten Länder gesehen als ihn und wünschte ihn fast laut ins Pfefferland. Es hatte gehofft, die Sekundarjäger abfahren zu sehen; jetzt nagelte Benz frisch sie an, denn nun mußte der fragliche Punkt gleich wieder vorgenommen und bis zu seinem endlichen Schluß verhandelt werden. Man saß wieder ab, die Flasche ward wieder gefüllt, die Vogelfänger stellten von neuem ihre Fallen und spannten ihre Netze.

Nun, wir wollen diese Operationen nicht wiederholen, wir kennen sie zur Genüge. Aber die Herren dachten an was Neues und agierten darauf; neue Gedanken waren rar bei ihnen, sie staunten selbst sie an, wie man von Kühen zu sagen pflegt, daß sie es mit neuen Tennstor hätten, trampelten ihnen daher nur mit schweren unsichern Tritten nach. Sie dachten plötzlich daran, nicht bloß kleine Vögel, sondern einen großen zu fangen, nämlich Benz selbst: sie wollten ihn bekehren. Sie taten ganz zärtlich mit ihm; der erste sagte: Sie hätten es gewagt, hieher zu kommen, gedacht, ein verständiger Mann wie er werde sicher gerne eine so gute Gelegenheit ergreifen, seinen Kindern eine bessere Erziehung zu geben, denn was man Besseres den Kindern geben könne? Der zweite sagte: Er hätte schon lange ein Verlangen gehabt nach seiner Bekanntschaft. Man habe ihm viel Gutes von ihm gesagt, wie er ein verständiger Mann sei und wirklich recht gutmeinend, daß er nicht habe begreifen können, wie er auf der andern Seite sein könne, wo nur Dummköpfe seien oder Spitzbuben und Jesuiten, Betrogene oder Betrüger. Er habe gedacht, wenn mal jemand recht mit ihm rede und das Verständnis beibringe, so müßte er auf ihre Seite treten, das sei nicht anders möglich; denn wer gutmeinend sei, müsse das Vaterland lieben, und wer das Vaterland liebe, sei auf ihrer Seite, und auf der andern seien die, wo nur sich selbsten lieben oder ihre Geldsäcke, die seien eins bei ihnen, sie wüßten den Unterschied nicht zu machen. Es fehle eben nur daran, daß er so abgeschlossen lebe und das neue Leben und alles Gute, was es bringe, nicht vor Augen habe.

Benz war vorsichtig, vermied Wortgefechte gerne, besonders mit Leuten, an denen ihm nichts gelegen war; die begehre er nicht zu b'richten, sie könnten ihn nicht b'richten, dabei würde man nur böse, und was trüge denn das ab? Es sei ihm wohl hier oben, sagte Benz, besser begehre er es nicht. Er kenne freilich nicht alles, es sei ihm auch lieber, aber was er vom Neuen höre, mache ihn nicht g'wunderig, alles kennenzulernen. Es sei ein alt Sprüchwort: Ehe es einmal besser kömmt, kömmt es eher zehnmal schlechter. Es habe ihm wollen scheinen, es sei was wahr daran, daneben lasse er jedem seine Meinung, und er denke, er werde auch das Recht haben, eine zu haben, und zwar die, welche ihm am anständigsten sei.

B'hüt is, dagegen habe man ja nichts, sagte der erste, der, wenn der zweite das Maul auftat, immer eine Art von Bauchgrimmen fühlte aus Angst, es komme wieder was, für d's Tüfels z'werden. Nicht daß er nicht gleicher Meinung war, ja, er ordnete sich demselben offenbar unter, wahrscheinlich wegen dessen entschiedenerer Gesinnung und dem größern Fortschritt in der Gesinnung, aber er hatte noch einen Rest bernerisches Gefühl und hatte noch eine gewisse Empfindung, was dasselbe ertragen mag, was nicht. B'hüt is, frei sei man ja. Deretwegen könne man aber immer reden über verschiedene Ansichten, es gebe gute, bessere und noch bessere, immer die gleichen haben könne man nicht wohl, die Zeit ändere auch. Es sei natürlich, daß es einen dure, einen solchen Mann wie ihn nicht im nämlichen Lager zu haben. Er sei überzeugt, wenn derselbe alles wüßte, was die neue Zeit gebracht und wieviel Gutes man der gegenwärtigen Regierung zu verdanken hätte, so wäre er nicht länger auf der andern Seite. Es werde sein, sagte Benz, daß das ihm nicht bekannt sei, er wüßte wenigstens nichts, das ihn veranlassen könnte, seine Meinung zu ändern.

»So!« platzte der zweite heraus, ehe der erste seine schwerfällige Mannschaft ausrücken lassen konnte, »die Erlösung von Pfaffen und Aristokraten, die Erleichterung in allen Steuren, die Übernahme der Armen, die persönliche Freiheit in allen Dingen, die Erlösung aus dem Aberglauben und die freie Bildung und echt menschliche Erziehung, der leichte Prozeßgang, sind das alles nicht hohe Güter, wer's begreift und wer ehrlich genug ist, es zu bekennen?« Man müsse doch ein Brett vor den Augen haben oder sonst vernagelt sein, wenn man das nicht einsehen könne!

Man könne die Sache verschieden ansehen, antwortete Benz, er für seinen Teil möchte nicht rühmen. Daneben wolle er andern nicht darwider sein. Wenn sie Freude daran hätten, er möge sie ihnen wohl gönnen. Er müßte doch nicht ein Bauer sein, sagte der zweite, wenn er nicht sich freuen sollte über die ungeheuren Erleichterungen, welche diesem Stand geworden: Zehnten weg, Bodenzinse weg, die Armen weg usw. Das sei allweg gut, antwortete Benz, und weniger zahlen tue er in diesem Augenblick, selb müsse er sagen. Daneben habe er weniger Geld, er wisse nicht, woher das komme, es müßten im Hosensack neue Löcher entstanden sein. Andern Leuten müßte es auch so gehen, denn noch nie hätte er so viele nötige Leute gesehen als jetzt; man würde von Leuten um Geld angesprochen, von denen man geglaubt, sie hätten das Geld in vollen Körben unter dem Bett.

Man müsse nicht bloß auf die Geldsäcke sehen, Geld mache engherzig, schnauzte der zweite. Zur Zeit, als die Republik arm gewesen, hätten sie floriert, seien groß geworden. Mit dem Reichtum habe der Verfall angefangen, Freiheit und Tugend sei erloschen. Nach den Burgunderkriegen sei der Herrenbund entstanden, und die Freiheit sei erloschen. In einer Republik dürfe niemand reich sein, ein Bürger sei wie der andere, die Vorrechte seien abgeschafft, und was für ein verdammt Vorrecht das nicht sei, daß einer Knechte und Mägde halten könne, der andere nicht?

Benz merkte wohl, daß der Mensch überschnappe und, von Flüssigkeit übermannt, die letzte Britsche aufziehe, welche seine Gedanken dämmte, denn das Ende dieser Weisheit ist denn doch immer der Kommunismus. Er sagte daher nur, es hätten ihn schon oft Knechte und Mägde erbarmet da, wo der Meister keinen Verstand habe. Daneben sei er zufrieden mit jedem Knecht, der mache, was er, und dabei könne einer sich nicht beklagen, wenn er es habe wie der Meister. Ungleich werde es immer sein auf der Welt. Kinder kämen auf die Welt und nicht Erwachsene; wer nicht jung sterbe, werde alt, und groß wüchsen die einen, während die andern klein blieben. Er zweifle, daß es anders werde zu machen sein, und so sei es auch mit der Erziehung; die falle je nach den Eltern aus halb und halb nach den Gaben, vom übrigen wolle er nicht reden.

Das eben sei ein großer Fehler, dem müsse abgeholfen werden, und das könne man gründlich. Der Staat werde künftig die Kinder erziehen, der allein könne die rechte Gleichheit herstellen, und erst wenn die Erziehung zentralisiert sei, werde es gut kommen; die Erziehung sei im Staat die Hauptsache. Sei die einmal geordnet und die rechten Erzieher an der Spitze, so brauche man weiter keine Obrigkeit, von diesem Punkte aus ginge das nötige Regiment, und die unnötigen Regenten fielen weg.

Das wär, sagte Benz, das gefiele ihm so übel nicht, und vielen wäre es sicher sehr willkommen und kommod, b'sunderbar wer für sich kaum genug habe und dann doch einen ganzen Haufen erhalten sollte. Aber ganz richtig werde es damit doch noch nicht sein, von wegen es hätten dazu die Weiber was zu sagen, und denen allen die Kinder zu nehmen, möchte eine handliche Sache sein. Er müsse sagen, er sei lieber nicht dabei. Ja, anfangs, sagte der zweite, möchte es einiges Gekratz abgeben, und Handschuh werde man anziehen müssen, aber das gebe sich am Ende von selbst, besonders wenn einmal Ehe und Erbrecht aufgehoben seien.

Er müsse fort, sagte rasch aufstehend der erste, der schon mehreremal reden wollte, aber nicht dazu kam, dem jetzt aber fast übel wurde. Es komme ihm erst jetzt in Sinn, daß er für diesen Abend einige Schüler beschieden hätte, um mit ihnen ein Lied zu probieren, und da ginge es sehr übel, wenn er nicht da wäre. Sie würden sagen, sie seien gesprengt, und kämen ihm ein andermal nicht wieder. Der zweite sprach von »dummem Zeug und mit solchem Volk nicht soviel Komplimente machen«, er ging offenbar ungern, aber diesmal wurde der erste Meister.

Sie gingen, nachdem sie von Benz noch den Bescheid erhalten, er wolle es noch überschlagen, er sehe die Sache wohl ein, aber sie komme ihm so ung'sinnet, daß er erst darüber schlafen müsse. Lisi ließ sich nicht sehen. Noch ehe sie Schußweite vom Hause waren, fing der zweite mit dem ersten zu zanken an, was für eine Floh ihn gestochen, daß er das Aufbrechen erzwängt; er sei am besten dran gewesen, den Bauern zu bekehren. Er habe gemerkt, die Sache sei ihm zu Herzen gegangen, er wolle einen Taler an einen Pfennig setzen, der ändere sich, und handkehrum sei der in ihrem Lager. Es sei ein gescheiter Bauer, der werde das Rechte einsehen, der begreife, daß Müssen über Mögen geht. Der erste weinte fast und sagte mit erbärmlicher Stimme: »Jawohl ist das ein gescheuter Bauer und zehnmal gescheuter als du; zum Narren hat er dich gehabt, du bist mit der Türe ins Haus gefallen wie ein recht Kalb, hast aber zuviel gesoffen, hast darum dem Bauer Sachen gesagt, daß dich leicht ein anderer zum Hause hinausgeworfen hätte, wenn er minder gescheut gewesen wäre. Der aber wollte sich nicht ereifern, zog dir den Speck durchs Maul, und mit der guten Kust darin ließ er dich laufen.«

Ja, da schoß der zweite auf und wollte wissen, ob ein Bauer ihn zum Narren halten könne, ob er nicht wisse, welche Saite man anschlagen müsse, ob er nicht merke, welche Erfolge er habe. Darüber müsse ihn kein Maulaffe b'richten, so einer, der nie von der Kuh weggekommen und Gott in seinem Zorn aus einem Primarlehrer zu einem Sekundarlehrer gemacht, um diese in Grund und Boden hinein zu verteufeln und in Mißkredit zu bringen. Er sei ein Mensch ohne Bildung, von der Algebra wisse er nichts, er könne überhaupt nicht rechnen, von der Geographie wisse er auch nichts, wisse nicht, ob der Rhein ein Berg sei oder ein See, und habe ja einmal gesagt: Taverne sei ein Tal in Baselland, und Tavernewirtschaft bedeute die Landwirtschaft, welche man dort treibe, sie zeichne sich vorteilhaft vor andern aus, indessen könne er nicht gleich sagen, wodurch.

»Und dann du, was kannst dann du?« begehrte der erste auf. »Die Leute sagen ja, mit deinem Weltsch könne man die Katzen laxieren und den Hühnern das Wasser abtreiben, und die andern Fächer, welche du lehrst, seien der Sonne nicht wert, welche dich anscheine. Und wäre ich nicht gewesen den Leuten so lieb und hätte so grusam angehalten, es käme niemand mehr als Kuderpeters Anne Lisi, und wenn mir jemand sagen würde, es käme deinetwegen, ich würde es ihm glauben.« »Hör mal«, sagte der zweite, »jetzt schweig! Wäre ich nicht gewesen, die Schule hätte längst aufgehört, ich gab ihr wieder Glanz und Ansehen; und wäre ich nicht gewesen, dich hätte man längst abmarschieren lassen, weißt wohl, warum. Aber wart, laß die Schuhe sohlen, wenn dir noch ein Schuhmacher schaffen will, im Frühjahr kannst marschieren. Bist auch gar zu dumm, zu hell nichts kann man dich brauchen.«

Der Zank loderte hoch auf bis zum Himmel, daß man hätte glauben sollen, beide oder wenigstens einer käme nicht lebendig heim, sondern bleibe auf dem Platze und würde am folgenden Morgen gefunden als wie mit Herd z'Dreck verschossen. Aber so ging's nicht; es ging wie bei manchem Feuer, es schießt hoch auf, sinkt aber alsbald wieder in sich zusammen. Solche Herzensergießungen waren wahrscheinlich ganz gewohnte Ereignisse, welche keine besondern Eindrücke zurücklassen; denn als sie den Berg hinunter waren, frug der erste: »Wollen wir noch hintern in Hunghafen?« »Versteht sich«, antwortete der zweite, und sie gingen einträchtig hin. Sie frugen eigentlich nach dem jungen Hans, aber nur der alte war daheim. Nun, ihm könnten sie es auch sagen, meinten sie. Der Hauptmann hätte ihnen versprochen, sie an die Versammlung beim »schmutzigen Güggel« zu führen; sie hätten fragen wollen, ob er es noch im Sinn habe, und wenn, das Nähere mit ihm abreden.

Hans der Ältere seufzte, aber nur innerlich, womit er ungefähr sagen wollte: »Schon wieder eine Hudlete, die Geld kostet!« Die Erscheinung der beiden Herren war ihm widerlicher als angenehm, indessen als Amtsrichter ein halber Diplomat und die unerbittliche Macht der Partei kennend, zog er das Gesicht in die lieblichsten Falten und hieß sie auf das freundlichste hineinkommen. Die unerbittliche Macht der Partei besteht darin, daß jedes Glied derselben nicht bloß treten und trappen muß nach dem Kommando von oben, viel strenger als ein neapolitanischer Rekrut, und, wenn er aufs Kommando »Ruhig im Glied!« nicht muxstill wird, er unerbittlich zermalmt wird, sondern daß er allen Gliedern der Partei, besonders den Führeren und Agenten, den Staatspersonen derselben, zu welchen sich per se auch diese Herren Sekundarlehrer zählten, das allerfreundlichste Gesicht machen muß und zu Diensten stehen zu jeder Stunde, sei es Tag oder Nacht, wenn er nicht als ein verdächtiger Hund, als ein Abtrünniger behandelt werden will.

Hans hatte kürzlich einige Begriffe vom ökonomischen Zustand seines Sohnes erhalten, nur einige Begriffe, und schon diese hatten ihn bedenklich mißstimmt. Er hatte mit dem Sohne eine ernste Unterredung gehabt, doch ohne Erfolg. Hans der Jüngere hatte sehr uneinläßlich geantwortet, allerlei unangenehme Andeutungen gemacht und endlich darauf hingewiesen, wie endlich die Stunde vor der Türe sei, wo allem werde geholfen werden. Als Hans der Ältere die Achsel zuckte und meinte, er hulf jetzt anfangen, zur Sache zu sehen; was nachkomme, wisse man noch nicht, und wenn dann alles gut komme, sei es immer noch anzunehmen. »Ja«, sagte darauf der Jüngere, »und wenn es nicht kommt, wie ich meine, so ist's darauf immer noch Zeit, sich zu ändern. Unterdessen solltest du mir e Stück zehn oder mehr Fünffränkler geben, du weißt, es ist die andere Woche Versammlung, wo man beraten will, ob man an die große Versammlung, den Generalverein im Aargau, ziehen wolle und wie.« »Schon wieder«, sagte Hans der Ältere. »Ich hoffe dann aber, du kommest nicht so bald wieder.« »Heut und morgen kaum«, antwortete der Jüngere. »Aber wenn wir an die Hauptversammlung gehen, da mußt du mir noch ganz anders ausrücken, da macht es sich nicht mit ein paar lumpigen Fünffränklern.« »He«, sagte der Alte, »wenn du so fortfährst, so könnte eine Zeit kommen, wo du froh wärest über einen Fünffränkler, geschweige dann über ein paar.« »He nun«, sagte der Junge, »wenn diese Zeit da ist, so ist dann immer noch Zeit zu sehen, was man machen will«, und ging ab.

Seit der Zeit war Hans der Alte bedenklich, denn zugrunde gehen wollte er nicht, sein Haus wollte er nicht fallen sehen. Solange er alleine brauchte, dachte er, der Hunghafen werde das wohl ertragen. Als es nun aber nicht bloß zweispännig ging, sondern der Hauptmann brauchte ungemessen, da gingen dem Alten die Augen auf, daß das ändern müsse, wenn er nicht mit der ganzen Familie an Hag kommen wolle, und das wollte er nicht. Aber zwischen Einsehen und Vollbringen ist eine weite Kluft, die nur mit einem großen, mächtigen Anlauf übersprungen wird. Und Hans war noch nicht einmal bei dem Anlauf, er war bloß noch bei dem Gedanken: »Wie machen, was machen? so kann es nicht mehr gehen!«

Von der Versammlung beim »schmutzigen Güggel« hatte Hans nichts gehört, er frug auch nicht darnach, er fluchte bloß innerlich: »Aber eine!« Sobald sie drinnen abgesessen waren, frug ihn der zweite, ob er wohl erraten könne, woher sie kämen. Wirklich erriet Hans die Ankenballe nicht. Eher kämen zwei Giraffen aufs Große Moos als zwei Sekundarlehrer auf die Ankenballe, hätte er geglaubt. »Und wißt Ihr, was wir dort gemacht?« frug derselbe wieder. Das könnte er nicht erraten, antwortete Hans, »denn Ihr habt doch dort nicht etwa Kinder erjagen wollen für die Sekundarschule?« »Gerade das wollten wir. Wißt Ihr nicht, das Glück ist des Kühnen Knecht?« »Viel Guts werdet Ihr dort doch nicht geschafft haben?« frug Hans. »Warum nicht?« antwortete der zweite. »Nicht nur wird er uns wahrscheinlich Kinder senden, sondern es geht nicht lange, so geht der Bauer mit Sack und Pack in unser Lager über.« »Mit der Frau etwa auch?« frug Hans. »Warum nicht?« sagte der zweite, »die läuft ihrem Manne schon nach wie ein Kalb der Kuh; daneben: was ist an ihr gelegen, wenn nur der Mann drin ist? Nicht daß er viel zu bedeuten hätte an sich, er ist ganz beschränkt und ohne alle Bildung und eigentlich auch ohne feste Meinung, man kann mit dem machen, was man will; aber solche Leute sind auch zu gebrauchen, und der hat Einfluß, und die Leute sehen auf ihn.«

»Da, Herr, da seid Ihr nebendran«, sagte Hans und lachte. »Mit Schein kennt Ihr den Ankenbenz nicht, der wird Euch sowenig Kinder schicken als in unser Lager übergehen, und wollte er gehen, so liefe ihm die Frau nicht nach wie ein Kalb der Kuh, sondern sie ergriff seinen Rocksecken und hielt ihn dran, bis der Rock entzweiginge oder der Schwächere der Gewalt weichen müßte.« »A bah«, sagte der zweite, »der ist halb gefangen, glaubt mir, ich kenne meine Pappenheimer.«

»Verzeiht, Herr!« sagte Hans, »geschickt und gelehrt werdet Ihr sein, hab nichts darwider, und sonst kennbar in allem, aber den Ankenbenz kennt Ihr nicht. Benz ist mit mir im gleichen Wasser getauft worden, den kenne ich also von Jugend auf. Benz ist fest und weiß, was er will, es ist eben nur schade, daß er so fest ist.« »Zählt darauf, der ist am Ändern!« sagte der zweite, »er hob schon ein Bein zum Gump wie ein Wässerbauer, wenn das Wetter ändern will. Wenn der nicht halb und halb auf unserer Seite wäre und ihm d'Sach anfing zu gefallen, wohl, der hätte sich anders gewehrt auf alles, was ich ihm gesagt habe! Aber es ist gar nicht d'r wert, was er mir zu antworten wußte, es wollte eigentlich gar nichts sagen.«

Da mußte Hans schier lachen. »Gerade das ist Benze Art«, sagte er. »Wenn er sich nicht einlassen mag, so fergget er die Leute ab. Benz ist b'sunderbar besonnen und kaltblütig, und wenn er nicht will, bringt ihn niemand in Eifer und zum Zanken. Es kam mir oft wohl, als wir jung waren. Aber ist er einmal zornig, dann gnade Gott denen, die in seine Finger fallen! Ich glaube, so Dünne, wie Ihr seid, schösse er durch eichene Laden hindurch. Er ist e Grüsel.« Der zweite wurde ganz gelb, und kalt fuhr es ihm den Rücken auf. »Aber«, frug er giftig, »Ihr werdet doch nicht meinen, der Mann habe uns zum besten haben wollen, mit uns das Gespött gehabt?«

Nun war es wunderlich in Hans. Hans war doch Bauer von Natur, seine neue Gesinnungsart, zugeschnitzelt von fremdländischem Gesindel und nach propagandistischem Gelüsten, war nur aufgeklebt, er hatte innerlich eine Art Galgenfreude daran, daß Benz listiger war als diese Gelehrten, daß er sie so brav hatte anlaufen lassen und so schön sie abgeführt. Aber das war nur so ein naturgemäßes Jucken, er durfte es sowenig merken lassen, als man in honetter Gesellschaft das Beißen einer Floh durch Kratzen bemerkbar machen darf; er, Bauer im Hunghafen, der in natura hoch über allen Gelehrten sich glaubte und namentlich über den beiden vor ihm, der, politisch konstruiert, wie er war, nahm sich sehr in acht, eine verdächtige Miene blicken zu lassen, fast als ob sie Dominikaner wären und die ganze Inquisition in Händen hätten. Er sagte: »Bewahre, an so was denkt Benz nicht, aber er liebt den Streit nicht, das ist so seine Art, sich daraus zu ziehen, Unannehmlichkeiten zu vermeiden und doch zu machen, was ihm beliebt. Aber boshaft ist er nicht, und ans Auslachen hatte er keinen Gedanken. Doch jedenfalls zählt nicht auf ihn; Benz ist zäh, der hält fest, und wenn er's nicht täte, täte ihn seine Frau anleimen; die ist noch viel ärger als er, die wär imstande, Kruselhaar zu strecken, daß es in hundert Jahren sich nicht mehr krümmte. Daneben eine Bäurin, wie im Kanton nicht manche ihr von weitem wird zu vergleichen sein.«

»Hab ich es nicht gesagt?« fiel der erste ein, »dem sei es nicht halb so angst, sich zu ändern, er decke sich nur nicht ab und habe es ganz anders hinter den Ohren.« Nun fuhr der Disputierteufel wieder in den zweiten. Er behauptete nicht bloß Benze Bekehrung, sondern daß in Jahresfrist kein konservativer Mensch mehr im Kanton Bern sein werde, ausgenommen Patrizier, Pfaffen und etwelche Kühe von Städtern. Bis dahin seien die Bildung und der Fortschritt so vorgeschritten, und die Tätigkeit der Lehrer habe so gewirkt, daß dem ganzen Landvolk die Augen sperrangelweit aufgegangen und irgendwas anders als entschiedener Fortschritt eine Unmöglichkeit sei. Das wurde natürlich zugegeben; Hans zweifelte bloß an Benz und meinte, wenn der ändere, so sage er nichts mehr, dann sei alles möglich in der Welt. »Ja, ja«, sagte der zweite, »es ist viel möglich, wenn man es recht angreift, und noch viel wird sich ändern, an das man jetzt noch gar nicht denkt.«

Da ward dem ersten wieder angst vor neuen Herzensergießungen, und er ließ nicht ab, bis endlich der Aufbruch erfolgte. Es war aber auch Zeit dazu, die Geisterstunde war bereits eingebrochen. Aber die Herren, besonders der zweite, hatten Pech am rechten Ort; wenn das mal ordentlich erwarmete, ward ihnen das Aufstehen sehr schwer. Wenn sie so bis in die Geisterstunde und darüber hinaus gesessen, so hatten sie am folgenden Morgen auch geisterhafte, ahnungsvolle Dämmerung in den Gesichtern, ihre Vorträge wurden unbeschreiblich interessant, ließen viel mehr erraten als begreifen.

Als sie fort waren, saß Hans noch lange beim Lichte, das Haupt stützte er auf die Hand, er seufzte schwer; was er dachte, wissen wir nicht; er schüttelte oft den Kopf, aber sagen tat er nichts, nur als er aufstund, brummte er: »Will schlafen gehn, bin allweg ein geschlagener Mann.«

Droben auf der Ankenballe wird zur selben Zeit das Licht auch noch gebrannt haben, denn die beiden Eheleute hatten selben Abend viel miteinander zu verhandeln, und zwar nicht immer in aller Einigkeit.

Lisi war bitter zornig. Als Benz so unwillkommen kam, als es bereits Aussicht hatte, die ungebetenen Gäste würden abfahren, nun die Sitzung verlängert wurde, hoffte es, wenigstens werde er ihnen jetzt den Pelz waschen und es ihm nicht darauf ankommen, wenn auch zuweilen ein Stück Haut samt Haaren mitgehe, und statt dessen tat er, als hätte er seidene Handschuhe an, das Herz voll Honig und sei geneigt, Brüderschaft mit ihnen zu machen. Lisi verplatzte fast, doch wohl fühlend, auspacken sei nicht am Ort, hütete es sich, sich blicken zu lassen. Als sie gingen, hätte es ihnen gerne aus der Küche ein brennend Scheit nachgeworfen, wie man es Hunden und Katzen wohl macht, die, um zu schnausen, über Töpfe und Schüsseln geraten. Aber es hielt an sich, bis das Feld rein war, dann brach es aber auch aus wie Feuer aus einer verschlossenen Kammer, wenn Tür und Fenster eingestoßen werden.

Das Thema war die Feigheit der Konservativen, die sich ducken täten wie Tauchentli vor jedem Lümmel und Schlingel, vor Habenichtsen und Taugenichtsen untertänig täten, als ob sie von ihnen die Höfe in Pacht hätten und noch Geld schuldig seien obendrein; Schelmen in Landjägerhänden hätten mehr Courage und dürften besser das Maul aufmachen. Es sei hell nichts mit ihnen, die ewigen Höseler möge es bald nicht mehr ansehen. Nie wäre es dahin gekommen, wenn sie als Männer sich gestellt, statt d'Lappine u d'Löhle z'mache. Wer immer fürchte, sich unwert zu machen, sei zuletzt niemanden wert, und wohin es noch komme, wenn Männer wie er, der sich vor niemanden zu förchten habe, denn es habe niemand Geld von ihm zu fordern, und niemand habe ihm was auszubringen, mit der Wahrheit d'Höseler mache, d'Fösel und vor solchen Buben, die nirgends Boden hätten und Wurzeln, so jämmerlich die Pfeifen einstecken täten? Sie brauchten nur das Maul aufzutun und zum Rechten zu stehen, so käme es anders, und die Allerweltsfresser stünden auf den Köpfen, sie wüßten nicht wie; den Leuten hätte es gebessert, es grüne wieder durch die Böden und über die Berge.

Hier endlich konnte Benz dazwischenkommen, denn Lisi hielt einen Augenblick an, in der Hoffnung, Benz werde verwundert tun und fragen, warum, was, wie, wo, wenn? Und am G'wunderbändel gedachte es ihn dann etwelche Zeit herumzuzerren. Aber Benz tat gar nicht verwundert, sondern sagte, ja, er habe schon lange gemerkt, daß es sich unter den Leuten bedeutend geändert. Man grüße ihn wieder freundlicher überall. Mancher, der ihn Jahr und Tag geflohen, warte ihm, wenn er ihn von weitem sehe, oder laufe wie ein Brönniger, um ihn einzuholen und mit ihm zu laufen und zu b'richten.

Jüngst, als er nach Brüllikofen z'Märit gegangen, um Schwefelholz einzukaufen, sei ihm d's Bure Sepp im Moosgraben nachgefahren, er sei Dragoner und ein radikaler Brülli gewesen von den ersten einer, habe gehalten und ihm Platz angeboten zum Fahren. Er laufe gerne, habe er gesagt, und habe schon wohl warm, um jetzt zu fahren; daneben solle er Dank haben für sein Anerbieten. Aber der sei nicht fortgefahren, sondern habe gesagt: »Mach nit Umständ, hock y, sust machst mih bös!« Da sei er eingesessen, ihn bös machen habe er nicht gewollt. Wie ein Schwick sei der auf der Politik gewesen und von diesem gesagt, wie es ihm nicht gefalle, und von jenem, wie es eine Unvernunft sei, daß er ganz das Maul offen vergessen und nichts dazu habe sagen können und, gefragt, wie es ihn düeche, nur so hintenum und verblümt geantwortet.

Darauf habe endlich Sepp gesagt: »Ume use mit d'r Sprach, du hast dich nicht zu scheuen vor mir. Du wirst meinen, ich sei noch der gleiche wie vor vier bis fünf Jahren, wo auch der Teufel in mich gefahren war und ich freischärlerete jedem z'Trotz. Aber ich habe mich geändert, ich schäme mich nicht, es zu sagen, und habe auch nicht Ursache, mich dessen zu schämen, wenn man jetzt schon wüst tut über mich und es mir zur Sünd machen will, daß ich jetzt schangschiert. Ich muß sagen, anfangs gefiel mir das Neue; die Regenten bränteten an auf den Stühlen, wurden faul wie Müllerrosse, taten nichts und brauchten verflucht viel Geld ganz z'Unnutz. Daneben, was man mich b'richtete, nahm ich für Gutmeineheit, glaubte es. Unsereinem kennt d'Sach nit vo z'hingerist bis z'vorderist, und wenn man einem etwas recht süß zu machen weiß, so glaubt man es gerne, warum nicht! Wie falsch die Leute sein können und wie weit man es im Lügen gebracht, daran kam einem kein Sinn. Je aufrichtiger einer war, desto wüster tat er über alle, welche nicht seiner Meinung waren, b'sunderbar wenn sie daneben gescheut waren. Man hielt es für Bosheit, daß sie nicht am gleichen Seile ziehen wollten. Ich will es dir aufrichtig sagen, daß ich oft geflucht über dich. Je lieber ich dich gesehen auf unserer Seite, desto täuber hast du mich gemacht, daß du nichts davon wolltest. Jetzt habe ich gekehrt, und wenn ich einen von den Rechten sehe, so ist es mir, als drehe man mir mit einem Garbenknebel die Därme um.«

»›Was kehrte dich so? Glaubte, was du einmal im Kopf hättest, sei darin?‹ frug ich«, erzählte Benz. »›He, das will ich dir sagen aufrichtig‹, fuhr Sepp fort. ›Ich bin dann nicht von denen einer, welche keine Religion haben und darum meinen, sie müsse für alle abgeschafft werden. Ich hatte eine fromme Mutter, und der Vater ist ein braver Mann, und in unserer ganzen Familie hat man Respekt vor der Religion. Warum? Man weiß wohl, von wem alles kömmt und wer alles erhaltet und daß, wenn in einer Familie die Religion fehlt, es gerade ist, wie wenn an einem Hause das Fundament fehlt. Man hat Exempel genug davon. Ich merkte und schmöckte lange nichts, zahlte Lehrgeld, es weiß kein Teufel, wieviel. Da war ich einmal dabei an einem Schießet, wo die rechten Feger, die Deichselrosse, dabeiwaren und wo man planierte, was jetzt gehen müsse. Man nahm sich vor mir nicht in acht, ich gehörte ja zu ihnen, und daß noch andere Teig an mir sei, daran kam ihnen kein Gedanke. Nun ward aufs Tapet gebracht, was für Lügen jetzt auf die Trommel gebracht werden müßten, welche Personen man verdächtigen, verlügen wolle, bis kein Hund mehr an ihnen rieche, in welchen Blättern müsse angeschlagen werden und welche zuzuklepfen, die Lügen zu vermehren hätten, kurz, da war so recht des Teufels Kuchi, wo dem Volk das Lugiwerk gekocht wurde, es hatte keine Art und Gattig, wahrer Teufelsdreck und wahre Höllentränker. An so etwas war mir bis dahin kein Sinn gekommen, ich hörte zu wie ein Narr, wußte lange nicht, war es Ernst oder wollten sie Schindluder treiben mit mir. Endlich sagte ich, ich wollte mit der Sache aufhören und probieren, mit der Wahrheit z'fahren, dabei bestehe man allweg am besten, ich hätte nie gehört, daß man mit Lügen viel erobert. Da sahen sie mich an, als ob ich Hörner hätte, dann lachten sie mich aus, daß es keine Art hatte, und verspotteten mich, verlachten die Wahrheit, sagten, Lügen g'winn's, man mache, was gut sei, und sei bis dahin so gut gefahren, daß besser nichts nützte. Das Volk sei noch gar zu dumm, mit klarem Wasser brächte man da nichts ab, man müßte ihm Feuer unterntun usw. Kurz, ich hörte zu wie ein Narr und sah sie an, als ob sie Hörner und Pferdefüße hätten. Aber ich sah, es war ihnen ganz Ernst dabei, und sie machten nichts Neues, sondern bis dahin hatten sie allerdings mit Lügen und Verleumden gefuhrwerchet. Da ward mir fast übel, denn so hatte ich es doch dann nicht gemeint und mein Lebtag dafür gehalten, wissentlich lügen und verleumden sei schlecht und niederträchtig, ein Dieb sei ein schändlich Ding, aber ein Verleumder noch viel schändlicher, sei er ein Präsident oder ein gemeiner Kerl, und schlecht sei auch, wer mit solchen Gemeinschaft habe; und jetzt war ich mit einer Rotte von Verleumdern und Lügnern verbündet gewesen, ein Geselle von Halunken und Spitzbuben und hatte es weder gewußt noch gemerkt. Zorn und Scham wollten mich fast erstecken, ich machte, daß ich von ihnen wegkam, und von Stund an sagte ich ihnen ab. Nun, da hatte ich auch was zu leiden von Flattieren und Poleten. Erst lachte man mich aus mit meinem zarten Gewissen und wollte mir begreiflich machen, daß in der Politik alles erlaubt sei, was zum Zweck diene, denn in der Politik sei nur eine einzige Sünde, und das sei die Dummheit, das sei von je so gewesen, werde so bleiben immerdar, und erst sei das politische Leben gesichert, wenn das jeder Bauer und jeder Handwerker begriffen. Hör, Benz, da stunden mir die Haare zu Berge. War das die Bildung und Aufklärung, welche man einführen wollte, daß Lügen und Verleumden keine Laster mehr seien, die zehn Gebote durchtat mit dem nassen Finger und die Lehre aufbrachte, der größte Schelm sei der größte Held, solche verlogene Schelme seien die Ersten im Vaterland, gehörten an die Spitze der Eidgenossenschaft? Du kannst denken, was ich dazu sagte. Nun, als man so mit mir nichts machen konnte, fing man mit Flattieren an: so lieb war ich mein Lebtag niemanden als diesen Halunken zur selben Zeit, das war eine Freundschaft, du glaubst es nicht; wenn ich von Zucker gewesen wäre, sie hätten mich gefressen. Als sie mit der Sach ebenfalls nichts abbrachten, da logen sie die Haut voll über mich, verdächtigten mich überall, suchten mir zu schaden, wo sie konnten und mochten. Nun, gottlob, ich war ihnen nichts schuldig, aber ich erfuhr es doch, wie schwer es ist, loszukommen aus ihren Klauen; es ist fast gleich, wie wenn man sich dem Teufel verschrieben hat, dem muß man auch halten, man mag wollen oder nicht, während er nur hält, was er gerne will. Allweg hat man es auch ungern, wenn es überall heißt: ›Das ist auch ein Abtrünniger, Verräter, kehrt den Mantel nach dem Wind‹, und mancher schämt sich dessen so, daß er äußerlich es gar nicht erzeigen darf, wie es ihm inwendig ist und wie grusam ihm das Wesen erleidet. Es hat mir auch weh getan anfangs, aber ich dachte, etwas verdient habe man allweg, daß man ihren Aufweisungen so leichtlich Gehör gegeben, und es sei nichts als billig, daß man deswegen was leiden müsse; es sei dem Apostel ja auch so gegangen, als er aus Saulus ein Paulus geworden. Jetzt, wo es einmal überstanden ist, achte ich mich dessen gar nicht mehr, habe mich ganz abgedeckt; mit dem muß man anfangen, wenn es anders kommen soll, und ändern muß es, sonst geht die ganze Pastete dem Teufel zu.‹«

»So so«, sagte Lisi, »das wäre jetzt einer, der einen Mann vorstellte, und du tust wie ein sechzehnjährig Meitschi, wenn es zum erstenmal von einem Buben angeredet wird. Und von dem hast mir nichts gesagt? Was soll ich daraus machen?« »Nichts Böses«, sagte Benz. »Ich habe aparti nicht daran gedacht; wenn ich kann, so tue ich die Politik aus dem Kopf, und wollte dich auch nicht damit plagen, und je weniger man darüber redet, desto weniger plagt man sich. Ich habe seinerzeit gewehrt, was ich vermochte; damals wollte man nichts von mir, man konnte nichts als mich vermalestieren, daß ich bald nicht mehr sicher gewesen. Jetzt will ich auch ruhig sein und einstweilen andere machen lassen. Das ist jetzt an denen, welche gutzumachen haben, sich zu zeigen, daß man weiß, ob man Boden hat und ob man trauen darf; wenn man sich hineinsprengen ließe so mir nichts, dir nichts, daß sie einen kriegen könnten, wohl, die würden schön lachen!«

»Schäme dich, Benz!« sagte Lisi. »Bist doch gar zu vorsichtig geworden, wirst denken: ›Wyt vom G'schütz git alt Kriegslüt.‹ Ja, wo die Leute alle verkehrt gewesen sind und vernagelt, d's Fieber g'ha hei, da hatte ich es wie du. Doch jetzt, wo es ändern wird und der Nebel vergeht und der gute Wille wiederkömmt, da mußt auch wieder an die Sonne. Du hassest kupen so an den Weibern, willst jetzt auch so ein Weib werden und kupen, und warum? Weil die Leute besser werden und jetzt das tun wollen, was du ja selbst gepredigt hast! Willst du auch so ein Jonas werden, der mit Gott haderte, warum? Weil sie seine Predigt glaubten und sich endlich bekehrten! Gönntest du den Leuten auch lieber Gottes Gerichte mit Feuer und Blut als die Bekehrung und das Entrinnen dem Gerichte? Denk, Benz, ist das recht? Wenn der liebe Gott auch so wäre und wenn ein armer Sünder, der heute ihn nicht hören wollte und Baumwolle in die Ohren täte, aber morgen oder übermorgen zu ihm käme reumütig, er den Kopf schüttelte und sagte: ›Verstah nit, mach, daß de furtchunnst!‹, denk, Benz, wie würde es mir und dir ergehen, und wäre nicht alles längst da, wo Sodom und Gomorrha sind? Nein, Benz, kupen mußt nicht, und wenn die Leute jetzt wollen, was du früher tauben Ohren predigtest, so sollst du dich freuen darüber, sollst nicht meinen, dein Wort solle stärker sein als Gottes Wort, sollst helfen, wenn das Wetter gut wird, der rechte Same aufgeht, sei es auch spät.«

»Du brauchst mir nicht halb so geistlich zu kommen«, sagte Benz etwas gereizt. »Es ist dann doch nicht, daß ich von dem allem nichts wisse, du beim Abc anfangen und es mit dem Nürenberger Trichter eintrichtern müssest. Ich weiß das alles auch, und gesagt habe ich nicht, daß ich nicht helfen wolle. Aber die Katze im Sack kaufen mag ich nicht. Ich will vor allem wissen, ob der Boden fest ist, ob es nicht bloß ein abgekartet Spiel ist, ob die Leute bereit sind, auch die eigenen Finger daran zu wagen oder nur anderer Leute ihre. Geht es krumm, würde man von den einen ausgelacht, von den andern beschimpft, als habe man sie ins Unglück gebracht, sie gewaltsam wider Willen aufgejagt, gezwungen, bestochen, und dann könntest die Freude haben zu sehen, was man mit mir anfinge, denn die Radikalen treiben nicht Spaß, da heißt es: ›Vogel, friß oder stirb! Hund, kusch, oder du kriegst deine Heiligen!‹ Das sind nicht glatthaarige Spießbürger, die alles hinten und vornen schlecken, welche Kust es auch haben mag, damit man ja nicht meine, sie seien Aristokraten oder sogar nicht einmal liberal, die d's Händli drücke würden dem Tüfel, damit er nicht etwa meine, sie seien einseitig, befangen in Vorurteilen und wüßten nicht jedes Verdienst zu würdigen!« Diesen Ausfall hatte Benz kürzlich vom radikalen Präsidenten gehört, als Benz sich in Gemeindeangelegenheit auf das Befinden eines konservativen Fürsprechers berief.

»Es kömmt mir vor Zorn oft in die Finger, besonders im Gemeindrat, wo bei der neuen Ordnung alles krausi mausi durcheinandergeworfen und wohl absichtlich alles verdorben und verketzert wird, um was Neues einzuführen, von dem man nicht weiß, was es ist, und das neue Elend nur darum annimmt, weil man es nicht kennt, um dem alten Elend, welches so schwer auf uns liegt und das man kennt, loszukommen. Und die Leute seufzen wohl zuweilen, aber sobald wieder einer kömmt und zieht ihnen die alte Speckschwarte durchs Maul, so leben sie wieder wohl daran und rechnen, was sie jetzt weniger zahlen müssen und wie herrlich als wie im Paradiese es einmal gehen werde ohne Tellen usw. O lue, Frau, was ich manchmal verwerchen muß an der Gemeinde, und dann noch die Stichelworte abtun: ich könne wohl so reden, wenn sie so reich wären wie ich, sie redeten vielleicht auch so; du glaubst nicht, was das heißt. Nit, ich will nicht sagen, daß es da nicht auch gebessert hat, aber fest sind sie bei weitem nicht; es braucht nur eine rechte Aufweisung und eine brave Verdächtigung, so sind sie im alten Loch. Diese Mittel kennen sie und brauchen sie, der Teufel könnte es nicht besser.«

»Du wirst die Leute nicht anders machen«, sagte Lisi, »mußt sie nehmen, wie sie sind. Die Gewohnheit der Nachtbuben geht ihnen nach ihr Lebtag. Sie wehren sich recht, entweder wenn sieben gegen einen sind oder wenn rechte Großmäuler und Wüsttuer voran sind und aufstiften. Ist aber niemand da, der vorangeht und das Maul auftut wie der Goliath, so ist es nichts mit ihnen, so geben sie Pech, gerade wie die Philister, als der kleine David das Großmaul kaltgemacht hatte. Nun meine ich nicht, daß ihr jemand kaltmachen möchtet, wie sie im Kanton Luzern den Leu kaltgemacht und sogar Lumpenbuben aus Freude über diese Schandtat geschossen haben. Bewahre Gott jeden Ehrenmann vor solchen Versuchungen! Nein, ich meine nur, man solle kühn das Maul austun und die Großsprecher nicht fürchten, seien es viele oder wenige, solle mannlich das Maul auftun und zeigen, daß jemand zu Hause. An Männern, wie du bist, ist's, den andern den Mut zu geben und die, die da zerstreut sind, zu sammeln. Lies die Makkabäer und lies im Buche der Richter, was mannliche Männer, von Gott gesandt, vermögen, wie sich die Zerstreuten sammeln um sie und die Zaghaften Mut erhalten, wie am Feuer man die Lämplein anzündet und fröhlich Licht sie geben. Du weißt wohl, was rechte Manne in einer Gemeinde vermögen und wie ein großer Unterschied bald zwischen zwei Gemeinden entsteht, wenn in der einen Gemeinde Manne sind und in der andern keine.«

»Sieh«, sagte Benz, »es ist unsereinem nicht gegeben, so aufzubegehren, zu lügen und zu verleumden, wie den andern, wir können es nicht.« »Braucht ja weder zu lügen noch zu verleumden, redet nur die Wahrheit, aber so laut ihr möget, so ist's mehr als genug«, antwortete Lisi. »Es graut ja jetzt schon den Leuten und ist ihnen das Ganze erleidet, wo sie doch noch nicht ums Halbe wissen.« »Ja«, sagte Benz, »es wäre viel zu sagen, mehr, als mir lieb ist, und das ist mir im Weg; bös Lüt mache ich nicht gerne, b'sunderbar wenn sie mir daneben lieb und anständig sind.«

»Meinst öppe wege Hunghanse?« frug Lisi. »Weißt du was wegen Hunghans?« frug Benz rasch. »Salatanni sagte«, antwortete Lisi, »Hanse gehe es stark rückwärts, es sei keine Ordnung auf dem Hof; es sei die Frage, ob er nicht verkaufen müsse, wenn man ihm nicht unter die Arme greife. Vielleicht hätte ich noch viel vernehmen können, aber ich wollte Anni nicht merken lassen, daß das mich etwas angehe.«

»Es ist nicht sowohl wegem Alte«, sagte Benz, »als wegem Herr Hauptmann; der steckt drin, es ist ein Grus, und wenn es recht erlesen würde und nach dem Gesetz gehen sollte, wer weiß, zu was für einer Kutte er kommen könnte. Keinen Kreuzer hat er geerbt, Schulden überall, und Gemeinds- und Vogtsgelder hat er hinter sich, oder vielmehr er hat sie nicht mehr hinter sich.«

»Aber läßt man denn den Lausbub so machen?« frug Lisi, hochrot vor Zorn. »Was will man machen?« sagte Benz. »Im Gemeindrat ist die Mehrzahl von seiner Farbe; wer da guseln wollte, könnte nichts machen, und ginge man obenfür, so könnte man wieder nichts machen, denn da ist wieder alles von der gleichen Farbe, und da heißt es noch dazu: ›Was du willst, daß dir die Leute tun, das tue du auch ihnen!‹, und ginge man hinauf bis zuoberst, so kriegte man vielleicht einen Befehl zur Untersuchung oder so etwas, aber was hulf's, da hieße es wieder: ›Was du nicht willst, daß dir die Menschen tun, das tue du auch ihnen nicht!‹, und der Befehl würde nie vollzogen, bliebe vergessen. (Fand man doch in einem einzigen Amtsbezirk über tausend unvollzogene Urteile vor.) Was würde dann aus allem? Nichts, als daß ich mich lächerlich gemacht hätte überall und auf Ewigkeit mit Hans verfeindet.«

»Aber für was bist du Gemeindrat«, frug Lisi, »und was ist Pflicht, und ich meinte, ihr seiet verantwortlich?« »Ja, Frau, sieh«, sagte Benz, »das ist's, was mich so oft fast aus der Haut sprengt und macht, daß ich in einem Jahr mehr als zehn Jahre gealtert. Im Gemeindrat muß ich sein, das ist Zwang; wollte ich nicht, müßte ich leisten oder verkaufen. Da mußte ich also sein, man brauchte mich gerne, fand aber jedes Wort verdächtig, was ich zur Sache sagen wollte, und mehrete mich immer ab, wenn ich etwas vorschlug, welches ich für Pflicht hielt. Aber das Wort Pflicht kennt man nicht mehr; man ist frei, und jeder macht, was ihm wohlgefällt. Am allerwenigsten kennt das Wort Pflicht der Regieriger; der macht geradezu, was er will; was er nicht sehen will, das sieht er nicht, und wenn man es ihm auf die Augen binden würde, setzt sich über alles aus, vagantet umher, als ob er gar nicht wüßte, was ein Amt ist; er ist ein Haupthahn und weiß, daß ihm von oben her keine Feder gekrümmt werden wird. So werde ich zum Gespött. Wenn ich was vorbringe, lachen sie schon in den Maulecken und denken, wie sie mich den Bach abschicken wollen. So schlägt man allen Eifer und guten Willen z'Tod, und ein Narr ist, wer meint, er habe einen Eid auf sich und es gebe Pflichten; Eid hin, Eid her! heißt es, und nur eins gilt, daß einer dem andern aus der Klemme hilft, Gesetz hin, Gesetz her. So bindet man unsereinem die Hände, und wie wir auch schreien wollen, es tönt gar nicht, aber alles ringsum lacht und schabt uns Rübli und macht Gäbeli. So ist's, und nun sollte ich noch zum Gespött obendrein unsere Familien verfeinden in alle Ewigkeit, meinst?«

»Aber denkst nicht an Benz?« frug Lisi. »Allweg«, sagte Ankenbenz. »Aber was meinst, wenn ich Hans in alle Schande brächte, was meinst, würde das Benz helfen, und was würden die Leute sagen?« »Aber willst du dann gar nichts tun, willst hinter dem Ofen sitzen und d's Maul la lampen? Nein, Benz, so wirst es nicht machen wollen, gerade als ob auf der Ankenballe kein Mann mehr daheim wäre. Selb wäre ja schlecht von dir«, sagte Lisi.

»Nein, Frau, so will ich es nicht machen, aber vor allem muß die Sache den Leuten von selbst kommen, die Glaren müssen ihnen selbst aufgehen. Wie weit man mit dem Aufweisen und Z'wegguseln kömmt, das erfahren vielleicht die Jetzigen. Was sie erzwängt und erkünstelt, blüht eine Weile, darnach verdorret es, ob jetzt schon oder erst später, das weiß Gott. Du weißt es so gut wie ich, wie die Leute sind. Geht es den Leuten schlecht, so sollen andre Leute daran schuld sein, andere Leute ihnen helfen und bessern, und geht es dann wieder nicht nach ihrem Sinn, fliegen die gebratenen Tauben ihnen nicht ins Maul, fließt Vierunddreißiger nicht aus jedem Dachkännel und alles umsonst, so ist es wiederum nicht gut, man sollte es ihnen noch besser machen. Darum muß man es ihnen kommen lassen bis an den Mund und drüberaus, daß sie hoch aufspringen und zetermordio nach Hülfe schreien. Nun, wenn es dann Ernst ist und Angst bei den Leuten, dann ist Benz wohl auch daheim, aber nur nicht in einen Umlauf geschnitten, ehe er reif ist! Das gibt verfluchte Schmerzen und einen neuen Umlauf.«

»Etwas magst du recht haben«, antwortete Lisi, »so sind wohl viele Leute, doch nicht alle, und denk, o Benz, was in einem Tage zugrunde gehen kann, das man in hundert Jahren nicht gutmacht. Denk, wenn der alte Hans ung'sinnet den Hof verkaufte oder der junge Schulden macht, daß Benz und die andern keinen Kreuzer erben, was sollen sie dann anfangen? Es gramselt mir am ganzen Leibe vor Ungeduld, akkurat als ob ich in einem Ameisenhaufen säße; ich kann nicht anders.« »Hab Geduld!« sagte Benz, »die Kirschbäume müssen erst treiben und blühen, ehe man kirschen, die Birnen erst reifen, ehe man sie schütteln kann.«


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