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XVIII

Marja Jegorowna hatte große Toilette gemacht: das seidene Kleid, die Spitzenmantille, die gelben Glacéhandschuhe, dazu der Fächer – sie sah so hübsch und kokett aus, als sei sie selber die Braut.

Kaum hatte Tatjana Markowna die Meldung von der Ankunft der Wikentjewa erhalten, als die alte Dame, die sie sonst immer so schlicht und freundschaftlich-vergnügt empfangen hatte, plötzlich einen ganz veränderten Ton und andere Manieren annahm. Nach Marfinkas Geständnis wußte sie natürlich sofort, welchen Zweck der Besuch hatte.

Sie ließ Marja Jegorowna bitten, im Salon zu warten, und ging sogleich daran, ebenfalls große Toilette zu machen. Wassilissa mußte durchs Schlüsselloch gucken und ihr Bericht erstatten, wie die Besucherin angezogen sei. Tatjana Markowna zog darauf das silbern schimmernde, rauschende Seidenkleid an und legte den türkischen Schal um; sie versuchte auch, die massiven Brillantohrringe anzulegen, warf sie jedoch ärgerlich wieder in das Kästchen zurück.

»Es geht nicht, die Ohrlöcher sind zugewachsen!« sagte sie.

Sie ließ Marfinka und Werotschka sagen, sie möchten sich gleichfalls anziehen, und befahl im Vorbeigehen Wassilissa, das gute Tischzeug sowie das alte Silber und Kristall zum Frühstück und zum Mittagessen herauszugeben. Dem Koch wurde befohlen, außer einer ganzen Anzahl von Extragerichten noch Schokolade zu bereiten. Auch Konfekt und Champagner ließ sie holen.

Nachdem sie noch eine ganze Anzahl kostbarer alter Ringe an die Finger gesteckt hatte, begab sie sich mit feierlichem Schritt in den Salon. Beim Anblick des ihr bekannten, lieben Gesichts wäre beinahe ihre ganze feierliche Haltung in die Brüche gegangen, doch besann sie sich noch rechtzeitig und wußte ihre ernste Miene zu bewahren. Auch Marja Jegorowna ward beim Anblick der Großtante freudig bewegt und sprang rasch vom Stuhl auf, um ihr entgegenzugehen.

»Denken Sie sich nur, was mein Junge, dieser Querkopf, sich wieder ausgedacht hat!« begann sie lebhaft, hielt aber, als sie die Bereshkowa so feierlich ernst sah, plötzlich inne, wurde zaghaft und stand wie im Zweifel da.

Beide verneigten sich zeremoniell; Tatjana Markowna bat ihren Gast, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich daneben.

»Wie ist denn heute das Wetter?« fragte Tatjana Markowna und preßte die Lippen aufeinander. »Es war wohl auf der Wolga sehr windig?«

»Oh, durchaus nicht, es war sehr ruhig.«

»Haben Sie die Fähre benutzt?«

»Nein, wir haben das Boot benutzt. Nur den Wagen hat die Fähre herübergebracht.«

»Da fällt mir ein ... Jakow, Jegorka, Petruschka, ist denn niemand da? Man kann sich heiser schreien, und kein Mensch zeigt sich!« sagte die Bereshkowa, als die drei Gerufenen zu gleicher Zeit ins Zimmer stürzten. »Spannt die Pferde vom Wagen Marja Jegorownas aus, gebt ihnen Hafer und bewirtet den Kutscher!«

Alle drei stürzten davon, um den Befehl auszuführen, obschon die Pferde längst ausgespannt waren und der Wagen bereits im Schuppen stand, während der Kutscher schon in der Leutestube bei einer Flasche Bier seine Späße zum besten gab.

»Nein, nein, nicht doch, nicht doch, Tatjana Markowna«, sagte die Wikentjewa, »ich bin nur auf ein halbes Stündchen hergekommen. Halten Sie mich um Gottes willen nicht auf – ich wollte nur eine Angelegenheit besprechen.«

»Wer wird Sie denn fortlassen?« sagte Tatjana Markowna in einem Ton, der keinen Widerspruch litt. »Wenn Sie hier aus der Nachbarschaft wären, dann würde ich nichts sagen – aber nun kommen Sie von der anderen Seite der Wolga! Ist unsere Bekanntschaft vielleicht erst von gestern? Oder wollen Sie mich beleidigen?«

»Ach, Tatjana Markowna, ich bin Ihnen so dankbar, so dankbar! Sie sind besser als eine Verwandte – und meinen Nikolai haben Sie so verwöhnt, daß dieses Bürschchen mir heute plötzlich unterwegs eine Pille zu schlucken gab: ›Tatjana Markowna liebt mich mehr als meine leibliche Mutter!‹ sagte er. Ich wollte ihn bei den Ohren nehmen, aber er rückte mir aus auf den Bock und hat den ganzen Weg die Pferde so gehetzt, daß ich vor Angst zitterte.«

Alle Feierlichkeit war wieder von Tatjana Markownas Gesicht verflogen.

»Es stimmt auch beinahe, was er da gesagt hat«, versetzte sie, »er geht doch bei mir aus und ein, als wenn er zu uns gehörte! Einen prächtigen Sohn hat Ihnen Gott geschenkt!«

»Ich bitte Sie – er bringt mich rein um, keine Minute leben wir, ohne daß es Zank und Streit gibt!«

»Was sich liebt, das neckt sich eben!«

»Sie haben ihn viel zu sehr verwöhnt, Tatjana Markowna, und nun hat er sich gar in den Kopf gesetzt ...«

Marja Jegorowna blieb in ihrer Rede stecken, begann verlegen mit dem Fuß zu scharren und an ihrer Mantille zu zupfen. Tatjana Markowna reckte sich plötzlich kerzengerade in die Höhe und setzte wieder ihre feierliche Miene auf.

»Was?« fragte sie mit erheuchelter Gleichgültigkeit.

»Heiraten will er – denken Sie sich! Erwürgt hat er mich gestern beinahe deswegen! Auf dem Teppich hat er sich gewälzt, meine Füße umfaßt. Ich hab ihm gehörig Bescheid gesagt, aber er stürzte sich auf mich und verschloß mir den Mund mit Küssen, und lachte und weinte!«

»Um was handelt es sich denn?« fragte die Bereshkowa zeremoniell, ohne auf diese Details zu achten.

»Er bat und flehte, ich solle zu Ihnen fahren, solle Sie um die Hand Marfa Wassiljewnas bitten!« beendete Marja Jegorowna verwirrt ihre Rede.

Tatjana Markowna verneigte sich leicht, mit einer Affektiertheit, die ihr gar nicht zu Gesicht stand.

»Was soll ich ihm nun sagen?« versetzte die Wikentjewa.

»Die Sache ist von einer solchen Wichtigkeit, Marja Jegorowna«, sagte Tatjana Markowna, nachdem sie ein Weilchen nachgedacht hatte, in würdevollem Ton, während sie zugleich die Augen zu Boden schlug, »daß ich jetzt gleich keine Entscheidung treffen kann. Ich muß erst überlegen und auch mit Marfinka sprechen. Meine Mädchen sind zwar gewöhnt, mir zu gehorchen, doch möchte ich ihnen keinen Zwang antun.«

»Marfa Wassiljewna hat eingewilligt. Sie liebt meinen Nikolenjka.«

Marja Jegorowna hätte mit diesen Worten die Sache ihres Sohnes fast verdorben.

»Woher weiß er denn das?« fragte Tatjana Markowna plötzlich auffahrend. »Wer hat ihm denn das gesagt?«

»Er hat sich wohl Marfa Wassiljewna gegenüber erklärt«, murmelte die Wikentjewa verwirrt.

»So – und dafür, daß Marfinka ihm auf seine Erklärung Antwort gegeben hat, sitzt sie jetzt eingeschlossen in ihrem Zimmer, im bloßen Unterrock, ohne Schuhe!« log die Großtante, um der Sache einen besonders wichtigen Anstrich zu geben. »Und damit Ihr Sohn dem armen Mädchen nicht noch mehr den Kopf verdreht, habe ich verboten, daß man ihn ins Haus lasse!« log sie, um der Sache vollends die Krone aufzusetzen, lehnte sich dann im Sofa zurück und sah mit strengem Blick auf die Besucherin.

Diese fuhr erregt von ihrem Sitz empor.

»Wenn ich vorausgesehen hätte«, sagte sie im Ton tiefster Kränkung, »daß er mich in eine so unangenehme Sache hineinziehen würde, dann würde ich ihm anders geantwortet haben. Aber er gab mir die heiligste Versicherung – und auch ich selbst war bis zu diesem Augenblick fest davon überzeugt –, daß Sie ihm wie auch mir wohlgewogen seien. Verzeihen Sie, Tatjana Markowna, befreien Sie Marfa Wassiljewna nur rasch aus ihrer Haft ... die Schuld an allem trägt einzig mein Sohn, er allein verdient Strafe. Und nun leben Sie wohl, entschuldigen Sie vielmals! Vielleicht haben Sie die Güte, zu befehlen, daß mein Wagen vorfährt.«

Sie wollte schon selbst nach dem Klingelzug greifen, aber Tatjana Markowna hielt sie bei der Hand fest.

»Ihre Pferde sind ausgespannt, Ihren Kutscher haben meine Leute wahrscheinlich schon tüchtig betrunken gemacht, und Sie, meine liebe Marja Jegorowna, bleiben heute, und morgen, und die ganze Woche bei mir.«

»Aber ich bitte Sie, nach dem, was Sie soeben gesagt haben, bei dem Zorn, den sie gegen Marfa Wassiljewna und gegen meinen Kolja hegen? Er verdient in der Tat eine Strafe ... ich begreife das.«

Aller Ernst und alle Feierlichkeit wichen plötzlich von Tatjana Markownas Gesicht. Die Runzeln glätteten sich, und Freude strahlte aus ihren Augen. Sie warf den Schal und die Haube aufs Sofa.

»Ich halt's nicht aus – so heiß ist's! Entschuldigen Sie mich nur, mein liebes Herz, legen Sie die Mantille ab – so! – und auch den Hut! Eine solche Hitze, wie? Nun ... und jetzt wollen wir die beiden abstrafen, nicht wahr, Marja Jegorowna? Wir wollen sie zusammengeben, und ich werde noch einen Großneffen mehr haben, und Sie eine Tochter. Umarmen Sie mich, meine Liebe, Gute! Ich wollte ja nur den alten Brauch wahren. Aber sie scheinen eben nicht überall angebracht, diese alten Bräuche! Ich wollte über ihrer Moral wachen, und ich habe sogar ein sehr belehrendes, erbauliches Buch zu Hilfe genommen. Eine ganze Woche haben wir gelesen und gelesen, und wie wir's eben ausgelesen hatten, haben sie dieselbe Sache, die in dem Buch geschildert wird, praktisch im Garten ausgeprobt! Das war der Erfolg meiner Morallehren! Und was sollen schließlich zwischen uns alle steifen Werbungen und Zeremonien! Wir wußten doch beide, wohinaus die Reise geht, und wenn wir's nicht gewollt hätten – ja, dann hätten wir's eben nicht leiden dürfen, daß sie hingehen und die Nachtigall singen hören.«

»Ach, wie konnten Sie mir nur eine solche Angst einjagen, Tatjana Markowna – nein, sich so zu versündigen!« sagte die Besucherin, während sie die alte Dame umarmte.

»Ja, Sie haben recht. Nicht Ihnen, sondern ihm hätte ich einen Schreck einjagen sollen!« versetzte Tatjana Markowna. »Seien Sie mir nicht böse – Nikolai Andrejitsch aber soll von mir noch eine Strafpredigt zu hören kriegen. Ich will ihm einen Schreck einjagen – aber schweigen Sie, bitte! Nein, dieser durchtriebene Junge!«

»Ja, ja – dafür werde ich Ihnen dankbar sein! Ich wäre ja um nichts in der Welt schon so bald zu Ihnen gekommen, wenn er mich gestern nicht durch die Mitteilung ängstlich gemacht hätte, daß er schon mit Marfa Wassiljewna gesprochen habe. Ich weiß, wie sehr sie Sie liebt und Ihnen gehorcht – und dabei ist sie noch das reine Kind. Ich hatte das Gefühl, daß da etwas nicht geheuer war. ›Was mag er ihr nur vorgeschwatzt haben?‹ dachte ich die ganze Nacht und konnte vor Angst nicht schlafen. Ich wußte nicht, wie ich Ihnen unter die Augen treten sollte. Von ihm war nichts herauszubekommen. Er hüpft und springt nur im Zimmer herum wie Quecksilber. Ich habe, offen gesagt, eigentlich nur eingewilligt, damit er mich endlich in Ruhe läßt und nicht länger quält; ›später‹, dachte ich, ›werde ich ihm schon eins auswischen und mein Wort zurücknehmen‹. Ich wollte Sie sogar bitten, ihm einen Korb zu geben, damit es so aussieht, als ob nicht ich, sondern Sie dagegen seien. Sie glauben nicht, wie er mir zugesetzt hat – ganz zerzaust und abgehetzt hat er mich! Das war ein Geschrei bei uns, ein Lärm – ach, du lieber Gott, ich bin wirklich gestraft mit dem Jungen!«

»Auch ich habe nicht geschlafen. Meine kleine Duckmäuserin kommt mitten in der Nacht zu mir ins Zimmer geschlichen, am ganzen Leibe zitternd, und stammelt: ›Verzeihung, Tantchen, Verzeihung – was ich angerichtet habe, ein Unglück ist geschehen!‹ Ich bekam einen Heidenschreck und wußte nicht, was ich denken sollte. Und nun begann sie zu erzählen, kaum, daß sie es herausbrachte – fünfmal wohl mußte sie ansetzen, bis sie damit fertig war.«

»Was gab's denn eigentlich zwischen ihnen? Was hat ihr mein Junge eigentlich vorgeredet?«

Tatjana Markowna winkte lächelnd mit der Hand ab.

»Ach, eins ist wie das andere – sie ist nicht besser als er. Wie die Tauben!«

Tatjana Markowna schilderte die Szene buchstäblich so, wie Marfinka sie ihr beschrieben hatte, und beide lachten unter Tränen.

»Ich habe es mir längst gedacht, daß die zwei ein Paar werden, Marja Jegorowna«, sagte die Bereshkowa. »Ich fürchtete nur immer, daß sie beide noch gar zu jung sind. Aber wenn ich mir sie genauer betrachte und die Sache überlege, dann muß ich mir sagen, daß sie nie anders sein werden.«

»Mit den Jahren kommt ja auch der Verstand, die Sorgen werden nicht ausbleiben, sie werden reifer werden«, bemerkte Marja Jegorowna. »Sie sind doch eben erst vor unsern Augen groß geworden, woher hätten sie Verstand und Erfahrung haben sollen? Sie haben ja noch gar nicht gelebt!«

Wikentjew hatte inzwischen noch immer nicht gewagt, ins Zimmer zu kommen, sondern war im Garten geblieben und wartete dort, ob seine Mutter nicht aus dem Fenster blicken würde. Hinter den Büschen verborgen, steckte er spähend den Kopf hervor, doch im Hause blieb alles still.

Seine Mutter und die Großtante waren inzwischen schon hundert Werst in die Zukunft vorausgeeilt. Zunächst hatten sie, nur ganz beiläufig, die Frage der Mitgift erledigt, und dann waren sie auf die Zukunft der beiden jungen Leute eingegangen, wo und wie sie leben sollten, ob der junge Mann im Staatsdienst bleiben oder ob das junge Paar im Winter in der Stadt und im Sommer auf dem Lande wohnen sollten. So wollte es Tatjana Markowna haben, und um keinen Preis mochte sie auf Marja Jegorownas Vorschläge eingehen, die sie nach Moskau, nach Petersburg und sogar ins Ausland reisen lassen wollte.

»Sie wollen mir die Kinder verderben«, sagte sie. »Nichts als allerhand neue Zuchtlosigkeiten würden sie dort lernen. Nein, lassen Sie mich nur erst ins Grab steigen! Ich lasse Marfinka nicht eher fort, als bis sie eine richtige Hausfrau und Mutter geworden ist!«

Unter solchen Gesprächen waren sie schon beinahe bis zum dritten Kind gekommen, als Marja Jegorowna plötzlich bemerkte, wie hinter dem Gebüsch ein Kopf immer abwechselnd herausguckte und verschwand. Sie erkannte ihren Sohn und machte Tatjana Markowna auf ihn aufmerksam. Beide riefen ihn herein, und er entschloß sich, dem Ruf zu folgen, machte sich jedoch noch eine ganze Weile im Vorzimmer zu schaffen, als putze und säubere er sich.

»Seien Sie willkommen, Nikolai Andrejitsch!« begrüßte Tatjana Markowna ihn spöttisch, während die Mutter ihn mit einem ironischen Blick maß.

Er sah rasch erst auf die eine und dann auf die andere der beiden Damen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

»Mein Kompliment, Tatjana Markowna«, sagte er und trat näher, um ihr die Hand zu küssen. »Ich habe Ihnen Konzerte zum Billett mitgebracht«, sprudelte er schnell hervor.

»Was schwatzt du? So überleg doch, was du sagst!« fiel die Mutter ihm ins Wort.

»Nicht doch – Billetts zum Konzert, meinte ich, zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Ich habe auch für Sie eins genommen, Mamachen – und für Wera Wassiljewna, für Marfa Wassiljewna, für Boris Pawlytsch. Ein großartiges Konzert – die Erste Moskauer Sängerin wird auftreten.«

»Was sollen wir im Konzert?« sagte die Großtante und warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Wir haben hier so viel Nachtigallen im Hain, die singen so wunderschön. Die wollen wir uns anhören – und sparen dabei unser Geld.«

Marja Jegorowna biß sich auf die Lippen. Wikentjew war erst verlegen, dann lachte er hell heraus, und dann sprang er auf.

»Ich muß jetzt in die Kanzlei gehen«, sagte er, doch Tatjana Markowna hielt ihn zurück.

»Setzen Sie sich, Nikolai Andrejitsch, und hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe«, begann sie mit ernster Miene. Er sah, daß ein Gewitter sich über seinem Kopf zusammenzog, und begann unruhig hin und her zu flitzen; er wußte nicht, wie er es abwenden sollte. Er setzte sich, zog die Beine an und legte feierlich seinen Hut auf den Schoß, um dann plötzlich aufzuspringen, zum Fenster zu laufen und sich fast bis an die Knie hinauszulehnen.

»So sitz doch still, wenn Tatjana Markowna mit dir reden will!« sagte die Mutter.

»Sagen Sie einmal, macht Ihr Gewissen Ihnen keine Vorwürfe?« begann die Bereshkowa ihm zuzusetzen. »Wie haben Sie mein Vertrauen mißbraucht! Und dabei wagen Sie noch zu behaupten, daß Sie mich lieben, und daß auch ich Sie liebe – wie einen Sohn! Ist dies das Benehmen eines guten Sohnes? Ich habe Sie für bescheiden und gehorsam gehalten, ich glaubte sicher zu sein, daß Sie mein armes Mädchen nicht vom rechten Wege abbringen, ihm keine Dummheiten vorreden würden ...«

Sie hielt in ihrer Strafpredigt inne. Er blickte düster zu seiner Mutter hinüber.

»Ganz recht!« sagte diese. »Du hast es nicht besser verdient!«

»Tatjana Markowna, ich habe heute noch nicht gefrühstückt – haben Sie nichts zu essen da?« bat er plötzlich. »Ich bin so hungrig.«

»Nun seh einer diesen schlauen Fuchs!« sagte die Bereshkowa, zu seiner Mutter gewandt. »Er kennt meine schwache Seite genau! Und wir haben ihn für ein Kind gehalten! Nun, aber diesmal ist's ihm nicht gelungen, wenn er sich mir auch als Bräutigam meiner Nichte rekommandiert!«

Wikentjew drehte seinen Hut mit dem Deckel nach oben und begann darauf mit den Fingern zu trommeln.

»Lassen Sie Ihren Hut in Ruhe, er ist unschuldig. Sagen Sie lieber: wie kamen Sie auf den Einfall, daß man Ihnen Marfinka zur Frau geben würde?«

Die Farbe wich plötzlich von seinem Gesicht – mit schmerzlicher Bestürzung blickte er zuerst auf Tatjana Markowna und dann auf seine Mutter. »Hören Sie, treiben Sie keinen Scherz mit mir«, sagte er ruhig. »Wenn dies ein Scherz sein soll, so ist es ein grausamer Scherz. Scherzen Sie, Tatjana Markowna – oder scherzen Sie nicht?«

»Nun – was glauben Sie?«

»Ich glaube, daß Sie scherzen. Sie haben ein gutes Herz, nicht so wie ...«

Er sah auf seine Mutter.

»Hören Sie nur, Tatjana Markowna, dieses Bürschchen!«

»Nein, ich sage es nicht im Scherz, mein Lieber, daß Sie nicht recht gehandelt haben, als Sie mit Marfinka sprachen und nicht mit mir. Sie ist ein Kind, und sie würde Ihnen ohne mein Wissen und meine Einwilligung doch nichts sagen. Und wenn ich nun nicht einwilligte?«

»Sie haben also eingewilligt?« sagte er, plötzlich aufspringend.

»Wart, wart – bleib sitzen, bleib sitzen!« schrien beide auf einmal.

»Bei einer andern wäre dein Verhalten vielleicht angebracht gewesen, bei ihr aber nicht«, fuhr Tatjana Markowna fort. »Du hättest erst einmal ganz leise bei mir anklopfen sollen, mein Verehrter, und ich hätte es dann, weit besser als du, aus ihr herausbekommen, ob sie dich liebt oder nicht. Und du fällst gleich mit der Tür ins Haus!«

»Bei Gott, es kam so plötzlich ... Tatjana Markowna ...«

»Rufen Sie doch bloß Gott nicht zum Zeugen an, ich kann das nicht hören!«

»An allem ist die verdammte Nachtigall schuld!«

»So – jetzt ist sie auf einmal verdammt, und gestern konnte er sie nicht genug preisen!«

»Fiel mir gar nicht ein, nicht in den Sinn ist es mir gekommen – bei Gott! Lassen Sie mich nun auch etwas zu meiner Verteidigung sagen«, sprach Wikentjew hastig, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und sah beiden keck in die Augen. »Sie wünschen, daß ich mich wie ein wohlerzogener, gehorsamer Knabe benehme, daß ich zunächst mal zu dir fahre, liebes Mamachen, und dich um deinen Segen bitte, daß ich dann mich an Sie wende, Tatjana Markowna, und Sie bitte, die Dolmetscherin meiner Gefühle zu sein, daß ich dann durch Ihre Vermittlung das Jawort erhalte, vor Zeugen das Liebesgeständnis meiner Auserwählten vernehme und ihr mit einem dummen Gesicht die Hand küsse, und daß wir dann beide, ohne daß wir wagen, einen Blick miteinander zu wechseln, mit Erlaubnis der geehrten Erwachsenen eine Komödie aufführen, ja, ist denn das noch ›Glück‹ zu nennen?«

»Nach deiner Meinung ist's also richtiger und schöner, mitten in dunkler Nacht im Garten dem jungen Mädchen etwas ins Ohr zu flüstern?« unterbrach ihn die Mutter.

»Gewiß ist das schöner, Mama, denk doch an deine jungen Jahre!«

»Nun hört doch – nein, so etwas!« schrien ihn beide an. »Was fällt dir denn ein, Junge? Woher hast du das? Hat dir das auch die Nachtigall zugeflüstert?«

»Ja, auch das hat uns die Nachtigall erzählt – alles hat sie uns erzählt, und solange wir beide, ich und Marfa Wassiljewna, am Leben bleiben, werden wir diese Nachtigall, diesen Abend, dieses Flüstern im Garten und ihre Tränen nicht vergessen. Das ist das wahre Glück, es ist der erste und der schönste Schritt auf seinem Wege, und ich danke Gott dafür und danke euch beiden, dir, Mutter, und Ihnen, mein liebes Tantchen, daß ihr uns euren Segen dazu gegeben habt. Ihr denkt ja auch beide ganz genau so wie ich und wollt es nur so, aus Trotz, nicht zugeben, und das ist nicht ehrlich gehandelt.«

Er war fast den Tränen nahe vor innerer Erregung.

»Und wenn das Ganze sich noch einmal wiederholen sollte, so würde ich wieder damit anfangen, daß ich Marfinka in den Garten rufe«, fügte er hinzu.

Tatjana Markowna schloß ihn gerührt in die Arme.

»Gott wird dir verzeihen, mein guter, lieber Neffe! Ja, ja, du hast recht – mit dir durfte Marfinka schon der Nachtigall lauschen, nur mit dir, aber mit keinem andern!«

Wikentjew kniete vor ihr nieder.

»Tantchen, mein liebes, herziges Tantchen!« rief er.

»Sieh doch, nun nennt er mich schon Tantchen! Ist das nicht zu früh? Schickt sich das Heiraten überhaupt schon für dich? So wart doch noch zwei, drei Jahre, bis du gereifter bist!«

»Nimm erst noch Vernunft an, laß deine losen Streiche!« mahnte auch die Mutter.

»Wenn ihr beide nicht einwilligt«, sagte er, »dann ...«

»Was dann?«

»Dann geh ich noch heute auf und davon, trete bei den Husaren ein, mache Schulden über Schulden und verbummle ganz und gar!«

»Nun hört doch! Er droht uns noch!« sagte Tatjana Markowna. »Nein, junger Herr, ich gestatte Ihnen keine solche Keckheiten!«

»Geben Sie mir Marfa Wassiljewna, und ich werde stiller sein als das Wasser im See, bescheidener als das Gras auf der Wiese, ich werde so folgsam sein ... nicht einmal ein Häppchen essen werde ich ohne Ihre Erlaubnis.«

»Wirklich?«

»Jaja – bei Gott!«

»Dann gewöhnen Sie sich nur noch dieses ewige ›bei Gott!‹ ab, sonst ...«

Er ergriff die Hand der Großtante und begann sie leidenschaftlich zu küssen.

»Und nun möchten Sie etwas zum Frühstück haben, nicht?« sagte Tatjana Markowna.

»Nein, jetzt ist mir aller Hunger vergangen!«

»Was meinen Sie, Marja Jegorowna – sollen wir ihm Marfinka geben?«

»Verdient hat er's sicher nicht, Tatjana Markowna – jedenfalls ist es noch zu früh. Vielleicht in zwei Jahren ...«

Er stürzte zu seiner Mutter hin und verschloß ihr den Mund mit einem Kuß.

»Da sehen Sie, was für einen Wildfang Sie in Ihr Haus aufnehmen wollen!« sagte die Mutter und stieß ihn fort.

»Bei mir wird er das nicht wagen, ich würde mit ihm schon fertig werden – komm einmal her!«

Er ging zu Tatjana Markowna, und sie segnete ihn und küßte ihn auf die Stirn.

»Uch!« rief er aus und ließ sich auf einen Sessel sinken. »Habt ihr beide mir zugesetzt! Mich so zu quälen ... ganz von Kräften bin ich!«

»Du mußt eben in Zukunft verständiger sein.«

»Wo ist denn Marfa Wassiljewna? Ich will sie holen.«

»Halt, nur Geduld! Meine Mädchen sind keine solchen wilden Hummeln!« sagte die Tante.

»Ach, Geduld – ewig nur Geduld!«

»Ja, jetzt heißt es geduldig sein! Jetzt ist's aus mit dem Umherspringen und Umherlaufen, du bist kein Knabe mehr, und sie ist kein Kind. Du sagtest doch selbst, die Nachtigall habe es euch verkündigt, daß ihr beide reif geworden seid – dann zeig doch auch, daß du ein gesetzter Mann bist!«

Diese zutreffende Bemerkung verwirrte ihn ein wenig, und er blieb bescheiden abwartend im Salon, während Marfinka geholt wurde.

»Um keinen Preis! Gott soll mich behüten!« lautete die Antwort, die Marfinka sowohl Marina wie auch Wassilissa gab.

Endlich ging die Großtante selbst mit Marja Jegorowna nach ihrem Zimmer, um sie zu holen. Sie entdeckten sie hinter den Vorhängen ihres Betts, ganz im Winkel unter den Heiligenbildern, und führten sie heraus – noch nicht angezogen, mit feuerrotem Gesicht, das sie mit den Händen zu bedecken suchte.

Beide begannen sie zu küssen und suchten sie zu beruhigen. Sie weigerte sich jedoch ganz entschieden, am Frühstückstisch oder beim Mittagessen zu erscheinen, wenn nicht alle miteinander vorher in ihr Zimmer kämen und sie der Reihe nach beglückwünschten. Auch den Gratulanten aus der Stadt, wo die Nachricht von ihrer Verlobung sich sehr rasch herumgesprochen hatte, wollte sie sich um keinen Preis zeigen.

Wera hörte es mit ruhiger Freude an, als die Großtante ihr die frohe Nachricht brachte.

»Ich habe es schon lange erwartet«, sagte sie.

»Wenn nun Gott mir noch die Gnade schenkt, daß ich auch dich erst einmal untergebracht weiß«, begann Tatjana Markowna mit einem Seufzer, doch Wera fiel ihr sogleich ins Wort.

»Tantchen!« sagte sie hastig, mit bebender Stimme. »Um Gottes willen, wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie liebe – dann wenden Sie alle Ihre Fürsorge Marfinka zu! Machen Sie sich um mich keine Sorge!«

»Liebe ich dich vielleicht weniger als sie? Mein Herz bangt im Gegenteil noch viel mehr um dich.«

»Ich weiß es, und das eben quält mich so sehr!« sagte Wera fast verzweifelt. »Es tötet mich, Tantchen, wenn Ihr Herz um mich bangt!«

»Was redest du da, Werotschka? So komm doch zur Besinnung!«

»Ich rede nicht im Scherz, Tantchen – es tötet mich!«

»Ja – wie denn, was denn? Was birgst du in deinem Herzen?« sagte die Großtante, gleichfalls in fast verzweifeltem Ton. »Meinst du, ich hätte nicht genug Verstand, oder ich bin so herzlos, daß ich dein Glück oder Unglück ... nicht begreife?«

»Mein Glück und mein Unglück ist anders als Marfinkas, Tantchen. Sie sind auch nicht herzlos, sondern gut und klug ... lassen Sie mir meine Freiheit!«

»So beruhige mich wenigstens. Sag mir, was ist mit dir?«

»Nichts, Tantchen, gar nichts – nur bemühen Sie sich nicht, mich unter die Haube zu bringen.«

»Du bist so stolz, Wera!« sagte die Großtante bitter.

»Ja, Tantchen, das kann sein – aber was soll ich dagegen tun?«

»Nicht Gott ist es, der diesen Stolz in dein Herz gelegt hat!«

Wera antwortete nicht, litt jedoch sichtlich darunter, daß sie die Großtante nicht in das, was ihr Herz bewegte, einweihen konnte. Eine qualvolle Unruhe kam über sie.

»Laß mich in deine Seele blicken – ich werde dich verstehen und dir vielleicht auch Erleichterung schaffen können, wenn ein Gram dich drückt.«

»Sobald er mich heimsucht – und ich ihn nicht allein bewältigen kann ... dann wende ich mich an Sie, Tantchen, an niemand sonst ... außer noch an Gott! Quälen Sie mich jetzt nicht, quälen Sie auch sich selbst nicht! Gehen Sie mir nicht nach, spähen Sie nicht hinter mir her!«

»Wird es nicht zu spät sein, wenn der Gram schon da ist?« flüsterte die Großtante. »Wohlan denn«, fügte sie laut hinzu, »beruhige dich, mein Kind! Ich weiß, daß du nicht Marfinka bist, und werde dich nicht belästigen.«

Sie küßte sie seufzend und verließ rasch, mit gesenktem Kopf, das Zimmer. Es war die einzige dunkle Wolke, die ihre Freude beschattete, und sie betete voll Inbrunst, daß sie vorüberziehen und sich nicht in einem Unwetter entladen möchte.

Wera ging lange Zeit erregt im Garten auf und ab und beruhigte sich erst allmählich. In einer Laube sah sie Marfinka und Wikentjew sitzen und ging rasch zu ihnen. Sie hatte mit Marfinka noch nicht ein Wort gesprochen, seit sie am Morgen die Nachricht von ihrer Verlobung gehört hatte.

Sie ging zu ihr hin, sah ihr tief und zärtlich in die Augen und küßte sie dann lange auf die Augen, die Lippen, die Wangen. Sie ließ ihren Kopf wie den eines Kindes auf ihrem Arm ruhen, schwelgte entzückt in ihrer reinen, jugendfrischen Schönheit und preßte sie leidenschaftlich an sich.

»Du verdienst es, glücklich zu sein!« sagte sie, und plötzlich, nur für wenige Augenblicke, blinkten Tränen in ihren Augen.

»Sie wird auch glücklich sein!« versetzte Wikentjew.

»Du wirst noch glücklicher sein als ich, Werotschka!« versetzte Marfinka errötend. »Sieh doch! Du bist so schön und so klug – wir sind beide gar nicht wie Schwestern! Hier findest du überhaupt keinen, der dich verdiente. Nicht wahr, Nikolai Andrejewitsch?«

Wera drückte ihr schweigend die Hand.

»Wissen Sie auch, Nikolai Andrejewitsch, wer sie ist?« fragte Wera, auf Marfinka zeigend.

»Ein Engel!« antwortete er unverzüglich, wie ein tüchtiger Soldat in der Instruktionsstunde.

»Ein schöner Engel!« meinte Marfinka lächelnd.

»Ich dachte an etwas anderes«, sagte Wera und zeigte nach einem Schmetterling, der eine Blüte umgaukelte. »Sehen Sie den Falter da – fassen Sie ihn zu derb an, dann streifen Sie den Staub von seinen Flügeln, verletzen vielleicht gar einen Flügel. Hüten Sie sie! Hätscheln, liebkosen, streicheln sie sie – aber Gott verhüte es, daß Sie sie verletzen! Wenn Sie Lust verspüren, jemandem einen Flügel auszureißen, dann kommen Sie zu mir – ich werde Sie schon lehren!« schloß sie und drohte ihm schalkhaft mit dem Finger.


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