Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI

Es ist nie ans Tageslicht gekommen, was Polina Karpowna eigentlich mit Raiskij gesprochen hat, als er zu ihr hinauskam. Fünf Minuten später jedoch hatte er Hut und Spazierstock geholt und fuhr mit der Krizkaja, die nach allen Seiten triumphierende Blicke warf, durch die Hauptstraßen der Stadt. Man konnte ihr den Stolz auf ihren Sieg vom Gesicht ablesen, und als sie die Rundfahrt mit ihm beendet hatte, führte sie ihn wie einen Kriegsgefangenen nach ihrem Heim.

Neugierig schritt Raiskij hinter Polina Karpowna durch die Zimmer und antwortete in liebenswürdiger Weise auf ihr zärtliches Flüstern und ihre leidenschaftlichen Blicke. Sie bat flehentlich, doch endlich zu gestehen, daß sie ihm nicht gleichgültig sei, was er denn auch schon im nächsten Augenblick tat, voll gespanntester Erwartung, was nun weiter folgen würde.

»Oh, ich wußte es ja, ich wußte es, sehen Sie! Habe ich's nicht vorausgesagt?« rief sie frohlockend.

Das erste, was sie tat, war, daß sie die Vorhänge an den Fenstern herabließ, wodurch sie ein lauschiges Halbdunkel im Zimmer erzeugte. Dann ließ sie sich in halbliegender Pose, mit dem Rücken nach dem Lichte, auf einem Ruhebett nieder.

»Ja, ich habe es gewußt: oh, vom ersten Augenblick an wußte ich es, que nous nous convenons daß wir zueinander passen. Ja, cher Monsieur Boris, nicht wahr?«

Sie geriet in Verzückung und wußte nicht, wo sie ihm einen Platz anweisen sollte. Sie bestellte ein üppiges Frühstück, dazu gekühlten Champagner, stieß mit ihm an und schlürfte den perlenden Wein tropfenweise aus dem Glase, zwischendurch seufzend, schwer atmend und sich Luft zufächelnd. Dann rief sie ihre Zofe und sagte prahlend, daß sie für niemanden zu sprechen sei; dasselbe sagte sie auch zu dem Diener, der ins Zimmer trat, und dem sie befahl, auch im anstoßenden Saal die Fenster zu verhängen.

Sie saß in ihrer schönen Pose, gerade einem großen Spiegel gegenüber, und lächelte schweigend, ganz aufgelöst in lauter Behagen, ihrem Gaste zu. Sie rückte nicht näher zu Raiskij hin, nahm nicht seine Hand, bat ihn nicht, seinen Stuhl mehr in ihre Nähe zu rücken: sie begnügte sich ganz und gar damit, sich vor ihm in dem ganzen strahlenden Glanze ihrer interessanten Persönlichkeit zu zeigen, und streckte nur ab und zu ganz plötzlich ihr Füßchen vor, wobei sie lächelnd die Wirkung dieses Manövers auf ihn beobachtete. Als er schließlich doch näher zu ihr hinrückte, machte sie ihm in einwandfreier Weise Platz und ließ ihn sich an ihrer Seite niedersetzen.

Er sah sie neugierig an und wollte ein für allemal dahinterkommen, was eigentlich an ihr wäre. Als sie gleich nach seinem Eintritt all die bedenklichen Vorbereitungen traf, war er wohl erschrocken, doch schwanden seine Befürchtungen mit jeder ihrer Bewegungen. Offenbar war er zu der Überzeugung gelangt, daß seiner Tugend keine Gefahr drohe.

›Was will sie eigentlich von mir?‹ fragte er sich, sie immer wieder mit Neugier betrachtend.

»Erzählen Sie mir doch irgend etwas von Petersburg, von Ihren dortigen Eroberungen. Die waren wohl gar nicht zu zählen, wie? Sagen Sie, bitte, sind die dortigen Frauen hübscher als die hiesigen?« Sie warf einen Blick nach ihrem Bild im Spiegel. »Kleiden sie sich mit mehr Geschmack?« Sie zupfte an ihrem Kleid und ließ die Spitzenmantille von ihren Schultern gleiten. Diese Schultern waren so weiß und rund, daß Raiskij sie immerhin der Verewigung durch den Pinsel wert fand.

»Warum schweigen Sie? Sagen Sie doch, bitte, irgend etwas!« fuhr sie fort, streckte kokett das Füßchen vor und ließ es sogleich wieder unter dem Kleid verschwinden.

Dann sah sie ihn schelmisch an und beobachtete, ob es bei ihm wirke.

›Was ist eigentlich mit ihr? Halt – das muß sich sogleich zeigen!‹ dachte er.

»Ich habe alles gesagt!« sprach er mit komischer Ekstase. »Jetzt bleibt mir nur noch eins übrig: Sie zu küssen!«

Er erhob sich von seinem Platz und trat entschlossen auf sie zu.

»Monsieur Boris! De grâce Um Gottes willen – oh, oh!« rief sie verwirrt zugleich und erwartungsvoll, »que voulez-vous? was wollen Sie? Nein, um Gottes willen, nein! Oh, schonen Sie mich, schonen Sie mich!«

Er neigte sich zu ihr hinab und schien allen Ernstes an die Ausführung seines Unternehmens gehen zu wollen. Sie hielt ihm in ungeheuchelter Angst die Arme entgegen, erhob sich von dem Ruhebett, zog die Vorhänge zurück, brachte ihr Kleid in Ordnung und setzte sich in höchst korrekter Haltung, doch mit triumphierendem Gesicht, auf einen Sessel. Sie erschien wie in hellen Strahlenglanz getaucht, und den Kopf wie ermüdet auf die Schulter sinken lassend, flüsterte sie süßlich:

»Pitié, pitié! Erbarmen, Erbarmen!«

»Grâ-ce, grâ-ce!« bat Raiskij in singendem Ton, nur mit Mühe das Lachen verhaltend.

»Ich habe nur gescherzt, Polina Karpowna, haben Sie keine Angst, ich schwöre Ihnen, Sie haben nichts zu befürchten.«

»Oh, schwören Sie nicht!« sagte sie, sich plötzlich erhebend, mit pathetischer Stimme und blinzelnden Augen. »Es gibt schreckliche Augenblicke im Leben der Frau. Doch Sie sind großmütig!« und wieder ließ sie wie erschöpft den Kopf herabsinken: »Sie werden mich nicht zugrunde richten.«

»Nein, nein«, sagte er, aufs höchste ergötzt durch diese Szene, »wie kann man denn eine Familienmutter zugrunde richten? Sie haben doch Kinder! – Wo sind denn Ihre Kinder?« fragte er, sich umsehend. »Warum haben Sie mir Ihre Kinder nicht vorgestellt?«

Sie war im Augenblick ernüchtert.

»Sie sind ... nicht da ...«, sagte sie.

»Machen Sie mich doch mit ihnen bekannt, ich habe kleine Kinder so gern!«

»Pardon, Monsieur Boris, sie sind nicht in der Stadt.«

»Wo sind sie denn?«

»Sie sind ... auf dem Lande, bei Bekannten ...«

Tatsache war, daß ihre »kleinen« Kinder, zwei Söhne, bereits im Alter von sechzehn und vierzehn Jahren standen. Die Krizkaja hatte sie weit fort aufs Land geschickt, zu einem Onkel, der sie erzog. Sie wollte nicht, daß durch ihre Anwesenheit in der Stadt ihr Alter bekannt würde.

Raiskij begann sich zu langweilen und machte sich auf den Heimweg. Polina Karpowna hielt ihn nicht nur nicht zurück, sondern war sogar, wie man ihr ansehen konnte, ganz zufrieden, daß er ging. Sie ließ ihren Wagen vorfahren und wollte ihn auf jeden Fall begleiten.

»Sehr liebenswürdig«, sagte Raiskij, »Sie können mich dann gleich nach einer Stelle bringen.« Polina Karpowna willigte mit Freuden ein, und sie fuhren wieder zusammen durch die Straßen.

Am Abend wußte die ganze Stadt, daß Raiskij den Morgen als einziger Gast bei Polina Karpowna zugebracht hatte, daß nicht nur die Vorhänge heruntergelassen, sondern auch die Fensterläden in ihrer Wohnung geschlossen waren, daß er ihr eine Liebeserklärung gemacht, sie um einen Kuß gebeten und vor ihr geweint habe, und daß er jetzt unter allen Qualen einer rasenden Leidenschaft seufze.

Lange fuhren Raiskij und Polina Karpowna in der Stadt umher. Sie bemühte sich, die Fahrt so einzurichten, daß sie bei allen Bekannten vorüberkam, bis Raiskij endlich in ein Gäßchen einzulenken bat und vor Koslows Haus abstieg. Die Krizkaja sah, wie Leontijs Gattin Raiskij schon vom Fenster aus Zeichen machte, und war entsetzt.

»Ist's möglich! Sie fahren zu dieser Frau? Ich bin kompromittiert!« sagte sie. »Was werden die Leute sagen, wenn sie hören, daß ich Sie im Wagen hierher gebracht habe? Allons, de grâce, montez vite et partons! Cette femme: quelle horreur! Gehen wir, um Gottes willen, steigen Sie schnell ein und lassen Sie uns fahren! Diese Frau: wie entsetzlich!«

Doch Raiskij winkte mit der Hand ab und ging ins Haus hinein.

›Sie hat den Splitter im fremden Auge bemerkt‹, dachte er.


 << zurück weiter >>