Iwan Gontscharow
Oblomow
Iwan Gontscharow

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VI

Nach zwei Stunden kam Stolz wieder.

»Was ist mit dir? Wie du dich veränderst hast! Du siehst aufgedunsen und blaß aus! Bist du gesund?« fragte Stolz.

»Mit meiner Gesundheit steht es schlecht, Andrei«, erwiderte Oblomow, während er ihn umarmte. »Das linke Bein wird mir immer ganz taub.«

»Wie garstig es hier bei dir aussieht!« sagte Stolz, um sich schauend. »Warum rangierst du diesen Schlafrock nicht aus? Sieh nur, er ist ganz voll Flicken.«

»Ich habe mich an ihn gewöhnt, Andrei; es würde mir leid tun, mich von ihm zu trennen.«

»Und die Bettdecke, und die Vorhänge . . .« fuhr Stolz fort, »hast du dich an die auch gewöhnt? Würde es dir leid tun, diese Lumpen durch etwas anderes zu ersetzen? Ich bitte dich, kannst du denn wirklich auf diesem Bette schlafen? Was ist denn eigentlich mit dir?«

Stolz sah Oblomow prüfend an und dann wieder die Vorhänge und das Bett.

»Nichts weiter«, antwortete Oblomow verlegen; »du weißt, ich war nie besonders peinlich mit meinem Zimmer . . . Laß uns lieber zu Mittag essen. He, Sachar! Decke schnell den Tisch! Nun, was führt dich her? Bist du auf lange her? Woher kommst du?«

»Was meinst du, was mich herführt, und woher ich komme?« fragte Stolz. »Zu dir dringen ja hier keine Nachrichten aus der lebendigen Welt.«

Oblomow sah ihn neugierig an und wartete, was er sagen werde.

»Was macht Olga?« fragte er.

»Ach, du hast sie nicht vergessen! Ich dachte, du würdest sie vergessen«, sagte Stolz.

»Nein, Andrei, kann man sie denn vergessen? Das wäre ja gerade soviel, als ob ich vergäße, daß ich einmal gelebt habe und im Paradiese gewesen bin . . . Aber jetzt, du siehst ja! . . .« Er seufzte. »Wo ist sie denn aber?«

»Auf ihrem Gute; sie führt dort die Wirtschaft.«

»Mit der Tante?« fragte Oblomow.

»Ja, und mit ihrem Manne.«

»Sie ist verheiratet?« rief Oblomow mit weit aufgerissenen Augen.

»Warum erschrickst du denn? Das ist wohl eine Wirkung der Erinnerungen? . . .« fügte Stolz leise, beinah zärtlich hinzu.

»Ach nein, was redest du da!« verteidigte sich Oblomow, der wieder zu sich kam. »Ich bin nicht erschrocken, sondern nur erstaunt; ich weiß nicht, warum mich das so ergriffen hat. Schon lange? Ist sie glücklich? Sag' es mir um Gotteswillen! Ich fühle, daß du mir eine große Last abgenommen hast! Du hast mir zwar versichert, daß sie mir verziehen habe; aber weißt du . . . ich war trotzdem nicht beruhigt! Es nagte immer etwas an mir . . . Lieber Andrei, wie dankbar bin ich dir!« Er freute sich so herzlich, sprang so auf seinem Sofa in die Höhe und wurde so lebhaft, daß Stolz ihn mit Vergnügen anblickte und sogar gerührt war.

»Wie gut du bist, Ilja!« sagte er. »Dein Herz war ihrer wert! Ich werde ihr alles berichten.«

»Nein, nein, sage ihr nichts!« unterbrach ihn Oblomow. »Sie wird mich für gefühllos halten, weil ich von ihrer Verheiratung mit Freude gehört habe.«

»Aber ist denn die Freude nicht auch ein Gefühl, noch dazu wenn sie so selbstlos ist? Du freust dich doch nur über ihr Glück.«

»Das ist wahr, das ist wahr!« unterbrach ihn Oblomow. »Gott weiß, was ich für Unsinn schwatze . . . Aber wer . . . wer ist denn dieser Glückliche? Danach habe ich noch gar nicht gefragt.«

»Wer es ist?« erwiderte Stolz. »Wie schlecht du zu raten verstehst, Ilja!«

Oblomow heftete plötzlich einen regungslosen Blick auf seinen Freund; seine Gesichtszüge erstarrten für einen Augenblick, und die Röte verschwand von seinem Gesichte.

»Doch nicht du?« fragte er dann.

»Du bist wieder erschrocken! Warum denn?« sagte Stolz lachend.

»Scherze nicht, Andrei! Sage die Wahrheit!« bat Oblomow erregt.

»Bei Gott, ich scherze nicht. Ich bin schon über ein Jahr mit Olga verheiratet.«

Allmählich verschwand der Ausdruck des Schreckens von Oblomows Gesichte und machte einem friedlichen Sinnen Platz; er hob die Augen noch nicht in die Höhe; aber nach einer Minute prägte sich in seiner nachdenklichen Miene schon eine stille, tiefe Freude aus, und als er dann langsam Stolz anblickte, lag in seinem Blicke schon eine innige Rührung, und die Augen standen ihm voll Tränen.

»Lieber Andrei!« sagte Oblomow, ihn umarmend. »Liebe Olga . . . Sergejewna!« fügte er, den Ausdruck seines Entzückens mäßigend hinzu. »Euch hat Gott selbst gesegnet! O Gott, wie glücklich bin ich! Sage ihr doch . . .«

»Ich werde ihr sagen, daß ich keinen zweiten Oblomow kenne!« unterbrach ihn der tief gerührte Stolz.

»Nein, sage ihr, daß das Schicksal mich mit ihr zusammengeführt hat, damit ich sie auf den richtigen Weg führen möchte, und daß ich dieses Zusammentreffen segne und sie selbst segne auf ihrem neuen Wege! Ach, aber wenn ein andrer . . .« fügte er entsetzt hinzu; »aber jetzt«, schloß er fröhlich, »erröte ich nicht über meine Rolle und bereue nichts; es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen; dort ist nun alles hell und klar, und ich bin glücklich. O Gott, ich danke dir!« Er sprang wieder ordentlich auf dem Sofa in die Höhe vor Erregung; bald weinte, bald lachte er.

»Sachar, Champagner zum Mittagessen!« rief er, ohne daran zu denken, daß er keinen Groschen Geld hatte.

»Ich werde Olga alles erzählen, alles!« sagte Stolz. »Es hat seinen guten Grund, daß sie dich nicht vergessen kann. Ja, du warst ihrer wert; dein Herz ist tief wie ein Brunnen!«

Sachars Kopf schob sich aus dem Vorzimmer herein.

»Bitte, kommen Sie hierher!« sagte er, seinem Herrn zuzwinkernd.

»Was ist da?« fragte Oblomow ungeduldig. »Mach, daß du wegkommst!«

»Geben Sie mir, bitte, Geld!« flüsterte Sachar.

Oblomow verstummte auf einmal.

»Na, dann ist es nicht nötig!« flüsterte er ihm durch die Tür zu. »Sage, du hattest es vergessen, oder es wäre keine Zeit mehr gewesen! Geh! . . . Nein, komm hierher!« sagte er laut. »Weißt du eine Neuigkeit, Sachar? Gratuliere: Andrei Iwanowitsch hat sich verheiratet!«

»Ach, Väterchen, daß Gott uns eine solche Freude hat erleben lassen! Ich gratuliere, Väterchen Andrei Iwanowitsch; Gott lasse Sie viele, viele Jahre leben und sich eines reichen Kindersegens erfreuen! Ach Gott, ist das eine Freude!«

Sachar brachte das mit heiserer Stimme lächelnd und unter vielen Verbeugungen heraus. Stolz holte eine Banknote hervor und gab sie ihm.

»Da hast du etwas für dich; kaufe dir einen Rock dafür«, sagte er. »Sieh bloß, du siehst wie ein Bettler aus.«

»Wer ist denn Ihre Frau geworden, Väterchen?« fragte Sachar und haschte nach Stolzens Hand.

»Olga Sergejewna . . . erinnerst du dich?« sagte Oblomow.

»Das Iljinskische Fräulein, o Gott! Was für ein prächtiges Fräulein! Sie haben mich alten Hund damals verdientermaßen gescholten, Ilja Iljitsch! Ich habe mich versündigt und vergangen: ich habe immer solche Gerüchte über Sie in Umlauf gesetzt. Ich habe es damals auch den Iljinskischen Leuten erzählt und nicht Nikita! So kam denn die Verleumdung zustande. Ach du mein Gott, ach du großer Gott! . . .« sagte er immerzu, während er ins Vorzimmer ging.

»Olga ladet dich ein, zu ihr auf das Gut zu kommen und da zu logieren; deine Liebe ist ja erkaltet, so daß keine Gefahr mehr besteht: du wirst nicht eifersüchtig werden. Komm mit!«

Oblomow seufzte.

»Nein, Andrei«, antwortete er; »ich fürchte mich weder vor Liebe noch vor Eifersucht; aber ich werde trotzdem nicht zu euch kommen.«

»Wovor fürchtest du dich denn?«

»Ich fürchte mich vor dem Neide. Euer Glück würde für mich ein Spiegel sein, in dem ich immer mein trauriges, erstorbenes Leben sehen würde; ändern aber werde ich mein Leben nicht mehr, das kann ich nicht.«

»Rede nicht so, lieber Ilja! Du wirst unwillkürlich ebenso leben wie alle um dich herum. Du wirst rechnen, wirtschaften, lesen, Musik hören. Wie sich jetzt Olgas Stimme herausgebildet hat! Denkst du noch an Casta diva?«

Oblomow winkte ihm mit der Hand ab, er möchte ihn nicht daran erinnern.

»Laß uns zusammen hinfahren!« bat Stolz beharrlich. »Das ist ihr Wille; sie wird nicht davon abstehen. Und wenn ich müde werden sollte zu bitten, sie wird es nicht werden. In ihr steckt ein solches Feuer und ein solches Leben, daß sie selbst mich manchmal schilt. Die Vergangenheit wird in deiner Seele wieder lebendig werden; du wirst dich an den Park, an den Fliederzweig erinnern und wirst Beweglichkeit gewinnen . . .«

»Nein, Andrei, nein, erinnere mich nicht daran; rühre das nicht in mir auf!« unterbrach ihn Oblomow in ernstem Tone. »Das ist für mich ein Schmerz und keine Tröstung. Erinnerungen sind entweder höchste Poesie, wenn sie Erinnerungen an ein lebendiges Glück sind, oder brennender Schmerz, wenn sie getrocknete Wunden berühren . . . Laß uns von etwas anderem reden. Ja, ich habe dir noch gar nicht gedankt für die viele Mühe und Arbeit, die du dir mit meinen Angelegenheiten und mit dem Gute gemacht hast. Mein Freund! Ich kann es nicht, ich bin dazu nicht imstande; suche dir den Dank in deinem eigenen Herzen, in deinem Glücke – in Olga Sergejewna; ich aber, ich . . . kann es nicht! Verzeih, daß ich selbst dich bis jetzt nicht von der Mühe und Arbeit befreit habe. Aber nun wird es ja bald Frühling werden, und dann komme ich bestimmt nach Oblomowka . . .«

»Und weißt du auch, was in Oblomowka vorgeht? Du wirst es nicht wiedererkennen!« sagte Stolz. »Ich habe es dir nicht geschrieben, weil du auf meine Briefe ja doch nicht antwortest. Die Brücke ist gebaut, das Haus im vorigen Sommer unter Dach gebracht. Nur die innere Einrichtung besorge du selbst, nach deinem Geschmacke; die übernehme ich nicht. Die Wirtschaft führt ein neuer Verwalter, einer von meinen Leuten. Du hast in den Rechenschaftsberichten die Ausgaben gesehen . . .«

Oblomow schwieg.

»Du hast die Berichte nicht gelesen?« fragte Stolz, ihn ansehend. »Wo sind sie?«

»Warte, nach Tische werde ich sie schon finden; ich muß Sachar fragen . . .«

»Ach, Ilja, Ilja, es ist halb zum Lachen und halb zum Weinen.«

»Nach Tische werden wir sie schon finden. Laß uns jetzt essen!«

Stolz runzelte die Stirn, als er sich an den Tisch setzte. Er erinnerte sich an den Eliastag: an die Austern, die Ananas, die Schnepfen; jetzt aber sah er ein grobes Tischtuch; die Menagefläschchen für Essig und Öl hatten keine Glasstöpsel, sondern waren mit Papier zugestopft; auf jedem Teller lag eine große Scheibe Schwarzbrot; die Griffe an den Gabeln waren zerbrochen. Oblomow bekam eine Fischsuppe; ihm selbst wurde eine Suppe mit Grütze und ein gekochtes junges Hähnchen vorgesetzt; dann folgte harte Zunge und nachher Hammelfleisch. Es wurde Rotwein gebracht. Stolz goß sich ein halbes Glas ein, kostete, stellte das Glas auf den Tisch und trank dann nicht mehr davon. Ilja Iljitsch trank zwei Gläser Johannisbeerschnaps schnell hintereinander und machte sich eifrig an das Hammelfleisch.

»Der Wein taugt nichts!« sagte Stolz.

»Entschuldige, die Leute hatten in der Eile keine Zeit, nach jener Seite hinüberzugehen«, erwiderte Oblomow. »Willst du nicht Johannisbeerschnaps? Er ist vorzüglich, Andrei; koste ihn mal!« Er goß noch ein Glas voll ein und trank es aus. Stolz blickte ihn erstaunt an, schwieg aber.

»Agafja Matwjejewna setzt ihn selbst an: sie ist eine prächtige Frau!« sagte Oblomow, der schon ein bißchen betrunken wurde.

»Offen gestanden, ich weiß nicht, wie ich auf dem Gute ohne sie leben soll; eine solche Wirtschafterin findet man nicht wieder.«

Stolz zog beim Zuhören die Augenbrauen ein wenig zusammen.

»Was meinst du wohl, wer das alles zubereitet? Anisja? Nein!« fuhr Oblomow fort. »Anisja versorgt die Hühner und jätet im Gemüsegarten und scheuert die Fußböden; aber dies alles macht Agafja Matwjejewna.«

Stolz aß weder von dem Hammelfleisch noch von den Quarkpasteten; er hatte die Gabel hingelegt und sah zu, mit welchem Appetit Oblomow das alles speiste.

»Jetzt wirst du an mir nicht mehr ein verkehrt angezogenes Hemd bemerken«, redete Oblomow weiter, während er mit Appetit einen Knochen benagte; »sie beaufsichtigt alles und sieht alles, ich habe keinen einzigen ungestopften Strumpf – und alles macht sie selbst. Und wie kocht sie Kaffee! Ich werde dir nach Tische welchen vorsetzen.«

Stolz hörte mit sorgenvollem Gesichte schweigend zu.

»Jetzt ist ihr Bruder weggezogen; er will sich verheiraten; da ist die Wirtschaft nicht mehr so groß wie früher, weißt du. Aber ehemals hatte sie immer alle Hände voll zu tun! Vom Morgen bis zum Abend flog sie nur so: auf den Markt und nach dem Kaufhause . . . Weißt du, ich werde dir was sagen«, schloß Oblomow, der seine Zunge nicht mehr recht in der Gewalt hatte, »wenn du mir zwei-, dreitausend Rubel gäbest, dann würde ich dich nicht mit Zunge und Hammelfleisch bewirten; dann würde ich dir einen ganzen Stör vorsetzen und Forellen und Filet bester Qualität. Und Agafja Matwjejewna würde ohne Koch alles wundervoll zubereiten – ja!«

Er trank noch ein Glas Schnaps.

»So trink doch, Andrei, wirklich, trinke! Es ist ein vorzüglicher Schnaps! Olga Sergejewna kann dir solchen nicht fabrizieren!« sagte er mit unsicherer Zunge. »Sie singt Casta diva; aber Schnaps zu fabrizieren, das versteht sie nicht so! Auch solche Pasteten mit jungen Hühnern und Pilzen kann sie nicht machen! So wurden sie nur ehemals in Oblomowka gebacken, und nun hier! Und was noch gut ist, das ist, daß es nicht ein Koch macht: der richtet eine Pastete mit Gott weiß was für Händen zu; aber Agafja Matwjejewna ist die Reinlichkeit selbst!«

Stolz hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

»Und sie hatte früher so weiße Hände«, fuhr Oblomow, von dem Branntwein schon stark benommen, fort, »die wohl geküßt zu werden verdienen! Jetzt sind sie rauh geworden, weil sie alles selbst tut! Sie hat mir selbst die Hemden gestärkt!« sagte Oblomow gefühlvoll, beinah mit Tränen. »Bei Gott, es ist so; ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Für manchen verheirateten Mann sorgt seine Frau nicht so eifrig – bei Gott! Ein prächtiges Weib ist sie, diese Agafja Matwjejewna! Ach, Andrei: zieh doch mit Olga Sergejewna hierher, miete hier ein Landhaus für euch; dann könnten wir hier ein schönes Leben führen! Wir würden im Wäldchen Tee trinken; am Elias-Freitage würden wir nach der Pulvermühle gehen; ein Wägelchen mit Lebensmitteln und einem Samowar würde hinter uns herfahren. Dort würden wir uns auf dem Grase, auf einem Teppich lagern! Agafja Matwjejewna würde auch Olga Sergejewna im Wirtschaften unterweisen; wahrhaftig, das würde sie tun. Jetzt haben sich unsere Verhältnisse, wie du siehst, schlecht gestaltet; aber wenn wir drei-, viertausend Rubel Einnahme hätten, dann würde ich dich mit solchen Puten bewirten . . .«

»Du bekommst doch von mir fünftausend!« sagte Stolz plötzlich. »Wo läßt du denn das Geld?«

»Und meine Schulden?« entfuhr es Oblomow unversehens.

Stolz sprang von seinem Platze in die Höhe.

»Deine Schulden?« fragte er. »Was sind das für Schulden?« Und er sah ihn an, wie ein strenger Lehrer ein Kind anblickt, das etwas verheimlichen möchte.

Oblomow verstummte plötzlich. Stolz setzte sich zu ihm auf das Sofa.

»Wem bist du Geld schuldig?« fragte er.

Oblomows Trunkenheit verflog ein wenig, und er kam zur Besinnung.

»Niemandem; ich habe Unsinn geredet«, versetzte er.

»Nein, aber jetzt lügst du, und zwar ungeschickt. Was hast du nur? Was ist mit dir, Ilja? Ah, also das haben das Hammelfleisch und der saure Wein zu bedeuten! Du hast kein Geld! Wo läßt du es denn?«

»Ich bin wirklich Geld schuldig . . . ein wenig, der Wirtin für die Beköstigung . . .« sagte Oblomow.

»Für das Hammelfleisch und die Zunge! Ilja sage, was mit dir vorgeht! Was ist das für eine Geschichte: der Bruder ist weggezogen, die Wirtschaft geht schlecht . . . Da ist etwas nicht geheuer. Wieviel bist du schuldig?«

»Zehntausend Rubel, auf einen Schuldschein . . .« flüsterte Oblomow. Stolz sprang auf und setzte sich wieder hin.

»Zehntausend Rubel? Der Wirtin? Für die Beköstigung?« wiederholte er entsetzt.

»Ja, es ist viel draufgegangen; ich habe auf sehr großem Fuße gelebt . . . Du erinnerst dich wohl an die Ananas und die Pfirsiche . . . da bin ich in Schulden geraten . . .« murmelte Oblomow. »Aber wozu wollen wir davon reden?«

Stolz gab ihm keine Antwort. Er kombinierte: »Der Bruder ist weggezogen, die Wirtschaft geht schlecht – und es ist tatsächlich so: alles sieht kahl ärmlich und schmutzig aus! Was ist die Wirtin denn für eine Frau? Oblomow lobt sie: sie sorgt für ihn; er spricht von ihr mit Wärme . . .«

Plötzlich veränderte sich Stolzens Gesichtsausdruck! er hatte die Wahrheit erfaßt. Es war ihm, als ob ihn ein kalter Hauch anwehte.

»Ilja!« fragte er: »Diese Frau . . . was ist sie dir? . . .«

Aber Oblomow hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und war eingeschlafen.

»Sie plündert ihn aus, nimmt ihm alles weg . . . das ist ein alltäglicher Vorgang; aber ich habe bisher davon keine Ahnung gehabt!« dachte er.

Stolz stand auf und öffnete schnell die Tür zur Wirtin, so daß diese bei seinem Anblick den Löffel, mit dem sie den Kaffee umrührte, erschrocken aus der Hand fallen ließ. »Ich möchte gern ein paar Worte mit Ihnen reden«, sagte er höflich.

»Bitte, treten Sie in die gute Stube ein; ich komme sogleich«, antwortete sie schüchtern.

Nachdem sie sich ein Tuch um den Hals geworfen hatte, folgte sie ihm in die gute Stube und setzte sich ganz auf den Rand des Sofas. Einen Schal, den sie hätte umlegen können, hatte sie nicht mehr, und so bemühte sie sich denn, ihre Arme unter dem Tuche zu verbergen.

»Ilja Iljitsch hat Ihnen einen Schuldschein gegeben?« fragte er.

»Nein«, antwortete sie mit einem stumpfen Blicke des Erstaunens, »er hat mir keinen Schein gegeben.«

»Wie? Er hat Ihnen keinen gegeben?«

»Ich habe keinen Schein gesehen!« wiederholte sie mit demselben stumpfen Erstaunen . . .

»Einen Schuldschein!« sagte Stolz noch einmal.

Sie dachte ein wenig nach.

»Sie sollten lieber mit dem Bruder reden«, erwiderte sie dann. »Aber ich habe keinen Schein gesehen.«

»Was ist sie, dumm oder verschmitzt?« dachte Stolz.

»Aber er ist Ihnen Geld schuldig?« fragte er.

Sie sah ihn stumpfsinnig an; aber dann bekam ihr Gesicht auf einmal Leben und drückte sogar eine gewisse Unruhe aus. Sie erinnerte sich an die versetzten Perlen, das Silberzeug, den Mantel und stellte sich vor, daß Stolz auf diese Schuld hindeute; nur konnte sie schlechterdings nicht begreifen, wie er davon etwas erfahren hatte; denn sie hatte von diesem Geheimnisse weder Oblomow gegenüber ein Wort fallen lassen, noch selbst Anisja gegenüber, der sie über jede Kopeke Rechnung abzulegen pflegte.

»Wieviel ist er Ihnen schuldig?« fragte Stolz beunruhigt.

»Er ist mir nichts schuldig! Nicht eine Kopeke!«

»Sie will es mir verbergen; sie schämt sich, die geldgierige Kreatur, die Wucherin!« dachte er. »Aber ich werde es schon herausbringen.«

»Aber die zehntausend Rubel?« sagte er.

»Was für zehntausend Rubel?« fragte sie verwundert und beunruhigt.

»Ist Ihnen Ilja Iljitsch zehntausend Rubel auf einem Schuldschein schuldig, ja oder nein?« fragte er.

»Er ist mir nichts schuldig. Er war dem Fleischer in der Fastenzeit zwölf und einen halben Rubel schuldig; aber das hat er schon in der vorvorigen Woche beglichen; auch das Geld für die Sahne hat er der Milchfrau bezahlt. Er ist nichts schuldig.«

»Haben Sie nicht ein von ihm ausgestelltes Schriftstück in Händen?«

Sie sah ihn stumpfsinnig an. »Sie sollten lieber mit dem Bruder sprechen«, antwortete sie. »Er wohnt auf der andern Seite der Straße, im Hause des Herrn Samykalow: sehen Sie: dort; es ist ein Weinkeller im Hause.«

»Nein, erlauben Sie. daß ich mit Ihnen rede«, erwiderte er in entschiedenem Tone. »Ilja Iljitsch betrachtet sich als Ihren Schuldner, nicht als den Ihres Bruders . . .«

»Er ist mir nichts schuldig«, antwortete sie; »und wenn ich das Silberzeug, die Perlen und den Pelzmantel versetzt habe, so habe ich das für mich getan. Ich habe für Mascha und mich Schuhzeug gekauft und für Wanja Leinwand zu Hemden und habe in den Gemüseläden bezahlt. Aber für Ilja IIjitsch ist nicht eine Kopeke verausgabt.«

Er sah sie an, hörte zu und drang in den Sinn ihrer Worte ein. Er war, wie es schien, der einzige, der nah daran war, Agafja Matwjejewnas Geheimnis zu erraten, und der geringschätzige, beinah verächtliche Blick, den er während des Gespräches auf sie gerichtet hatte, ging nun unwillkürlich in einen neugierigen, ja teilnahmsvollen über.

Er erkannte, wenn auch nur halb und halb und nur undeutlich, daß sie mit dem Versetzen der Perlen und des Silberzeuges heimlich Opfer gebracht hatte, und konnte nur darüber nicht ins klare kommen, ob sie diese Opfer aus reiner Ergebenheit gebracht hatte oder in der Hoffnung auf irgendwelche künftigen Vorteile.

Er wußte nicht, ob er um Iljas willen darüber betrübt sein oder sich freuen sollte. Es war an den Tag gekommen, daß er ihr nichts schuldete, daß diese Schuld ein Gaunerstückchen ihres Bruders war; aber demgegenüber war auch noch vieles andere an den Tag gekommen . . . Was bedeutete dieses Versetzen des Silbers und der Perlen?

»Sie haben also keine Ansprüche an Ilja Iljitsch?« fragte er.

»Haben Sie doch die Güte, lieber mit dem Bruder zu sprechen«, antwortete sie eintönig; »jetzt muß er zu Hause sein.«

»Ilja Iljitsch ist Ihnen nichts schuldig, sagen Sie?«

»Nicht eine Kopeke, weiß Gott, es ist wahr!« schwor sie, indem sie dabei nach dem Heiligenbilde blickte und sich bekreuzte.

»Sie werden das vor Zeugen bestätigen?«

»Vor allen Menschen, sogar in der Beichte! Und daß ich das Silberzeug und die Perlen versetzt habe, das habe ich zu meinen eigenen Ausgaben . . .«

»Sehr schön!« unterbracht sie Stolz. »Morgen werde ich mit zwei Bekannten von mir wieder zu Ihnen kommen, und Sie werden sich nicht weigern, in ihrer Gegenwart dasselbe auszusagen?«

»Sie sollten lieber mit dem Bruder sprechen«, wiederholte sie. »Ich bin nicht ordentlich angezogen . . . ich bin immer in der Küche; es ist unangenehm, wenn mich Fremde sehen: sie werden sich darüber aufhalten.«

»Nicht doch, nicht doch; mit Ihrem Bruder aber werde ich gleich morgen reden, sowie Sie ein Schriftstück werden unterschrieben haben . . .«

»Ich bin gar nicht mehr gewohnt zu schreiben.«

»Sie brauchen dabei nur ganz wenig zu schreiben, nur zwei Zeilen.«

»Bitte, erlassen Sie mir das; lassen Sie lieber meinen kleinen Wanja das schreiben; er schreibt recht sauber . . .«

»Nein, weigern Sie sich nicht«, erwiderte Stolz, auf seiner Forderung beharrend. »Wenn Sie das Schriftstück nicht unterschreiben, so bedeutet das, daß Ilja Iljitsch Ihnen zehntausend Rubel schuldig ist.«

»Nein, er ist mir nichts schuldig, nicht eine Kopeke«, wiederholte sie; »bei Gott!«

»Dann müssen Sie das Schriftstück unterschreiben. Leben Sie wohl, auf Wiedersehen morgen!«

»Sie sollten morgen lieber zum Bruder gehen . . .« sagte sie, während sie ihm das Geleite gab. »Sehen Sie dort, an der Ecke, auf der andern Seite der Straße.«

»Nein, und ich bitte Sie, Ihrem Bruder bis zu meinem Wiederkommen nichts zu sagen; sonst wird es Ilja Iljitsch sehr unangenehm sein . . .«

»Dann werde ich ihm nichts sagen«, erwiderte sie gehorsam.

 


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