Iwan Gontscharow
Oblomow
Iwan Gontscharow

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III.

Tarantjew und Iwan Matwjejewitsch kamen am Tage nach dem Eliastage wieder abends in dem »Etablissement« zusammen.

»Tee!« bestellte Iwan Matwjejewitsch mürrisch; und als der Kellner Tee und Rum brachte, schob er ihm ärgerlich die Flasche zurück. »Das ist nicht Rum, sondern Gewürzwasser!« sagte er, nahm aus der Tasche seines Überziehers seine eigene Flasche heraus, entkorkte sie und ließ den Kellner daran riechen.

»Bleib mir künftig mit deiner Flasche vom Leibe!« bemerkte er.

»Nun, Gevatter, es steht schlecht!« sagte er, als der Kellner sich entfernt hatte.

»Ja, den hat der Teufel herbeigeführt!« erwiderte Tarantjew ingrimmig. »Was dieser Deutsche für ein Gauner ist! Er hat die Vollmacht annulliert und das Gut gepachtet! So etwas ist uns noch nicht vorgekommen! Er wird dabei schon sein Schäfchen scheren.«

»Wenn er Sachkenntnisse besitzt, so fürchte ich, daß dabei etwas ans Licht kommt, Gevatter. Wenn er erfährt, daß der Pachtzins eingetrieben ist und wir es sind, die ihn erhalten haben, so strengt er am Ende einen Prozeß an . . .«

»Am Ende gar einen Prozeß! Aber was bist du feige geworden, Gevatter! Es ist nicht das erste Mal, daß Saterty seine Pfote nach dem Gelde eines Gutsbesitzers ausstreckt; er versteht es, dergleichen zu verheimlichen. Er gibt den Bauern keine Quittungen und nimmt ihnen das Geld unter vier Augen ab. Der Deutsche wird wütend werden und ein großes Geschrei erheben; weiter wird er aber nichts tun können. Und du fürchtest dich gleich vor einem Prozesse!«

»Ja, meinst du?« erwiderte Muchojarow, wieder heiterer werdend. »Na, dann wollen wir trinken.«

Er goß sich und Tarantjew Rum in den Tee.

»Siehst du, manchmal scheint es einem, als sei das Leben auf der Welt gar nicht zu ertragen; aber wenn man dann trinkt, erträgt man es doch!« tröstete er sich.

»Weißt du, was du inzwischen tun mußt, Gevatter?« fuhr Tarantjew fort. »Stelle irgendwelche Rechnungen auf, ganz nach deinem Belieben, über Brennholz, über Kohl, na, worüber du willst – zum Glück hat ja Oblomow jetzt seine Wirtschaft deiner Schwester übergeben –, und stelle die Summe in Ausgabe. Und wenn Saterty zurückkommt, werden wir sagen, er habe so und soviel Geld vom Pachtzins mitgebracht, und es sei für jene Ausgaben draufgegangen.«

»Aber wenn er die Rechnungen nimmt und sie nachher dem Deutschen zeigt, dann wird der sie nachprüfen und womöglich . . .«

»Pah! Oblomow wird sie irgendwohin stecken, wo sie der Teufel selbst nicht wiederfinden kann. Bis der Deutsche einmal wiederkommt, hat er es längst vergessen . . .«

»Meinst du wirklich? Na, laß uns trinken, Gevatter«, sagte Iwan Matwjejewitsch und goß Rum in besondere Gläser ein. »Es ist schade, den schönen Stoff mit Tee zu verdünnen. Rieche einmal: drei Rubel hat er gekostet. Wollen wir uns nicht SeljankaEin mehr oder weniger dünnes Gericht aus verschiedenartigstem Fleisch mit Kohl, Zwiebeln und Gurken. Anm. d. Übers. bestellen?«

»Das können wir tun.«

»Heda!«

»Nein, so ein Gauner! ›Gib mir das Gut in Pacht!‹ sagt er«, begann Tarantjew wieder ingrimmig. »Uns beiden, dir und mir, die wir Russen sind, würde so etwas nicht in den Sinn kommen! Diese Einrichtung riecht nach Deutschtum. Da in Deutschland haben sie überall solche Pachtungen. Warte nur, er wird ihn noch mit Aktien hereinlegen.«

»Was sind das eigentlich: Aktien? Ich bin daraus immer noch nicht recht klug geworden«, fragte Iwan Matwjejewitsch.

»Das ist eine deutsche Erfindung!« sagte Tarantjew boshaft. »Da kommt zum Beispiel so ein Gauner auf den Einfall, unverbrennbare Häuser herzustellen, und unternimmt es, eine solche Stadt zu bauen; dazu braucht er Geld. Er bietet also Papiere zum Kauf an, sagen wir zu fünfhundert Rubeln das Stück, und viele Dummköpfe kaufen welche und verkaufen sie untereinander weiter. Wenn verlautet, daß das Unternehmen gut geht, so steigen die Papiere; wenn schlecht, so ist alles futsch. Du behältst dann die Papiere, bekommst aber kein Geld. ›Wo ist die Stadt?‹ fragst du. ›Sie ist abgebrannt‹, wird dir geantwortet, oder: ›sie ist nicht fertiggebaut‹; der Erfinder aber ist mit deinem Gelde durchgegangen. So steht es mit den Aktien! Der Deutsche wird ihm schon welche anschmieren! Ich wundere mich nur, daß er es bis jetzt noch nicht getan hat. Ich habe es immer verhindert und meinem Landsmanne Wohltaten erwiesen!«

»Ja, dieses Kapitel ist nun zu Ende; die Sache ist nun zum Abschluß gelangt; jetzt werden wir keinen Pachtzins mehr aus Oblomowka bekommen . . .« sagte Muchojarow, der schon ein bißchen betrunken war.

»Na, hol ihn der Teufel, Gevatter! Du hast ja soviel Geld, daß du es nicht einmal mit einer Schaufel umschippen kannst!« erwiderte Tarantjew, ebenfalls schon etwas benebelt. »Dein Amt ist eine nie versiegende Quelle; schöpfe nur unermüdlich aus ihr! Trinken wir!«

»Mit dieser Quelle ist es nicht weit her, Gevatter! Mein ganzes Leben lang nehme ich immer nur Posten im Betrage von einem, höchstens von drei Rubeln ein . . .«

»Aber diese Einnahmen hast du doch schon zwanzig Jahre lang, Gevatter; versündige dich nicht!«

»Schon zwanzig Jahre lang?« versetzte Iwan Matwjejewitsch mit unsicherer Zunge. »Du vergißt, daß ich erst seit zehn Jahren Sekretär bin. Vorher aber rutschten immer nur Zehn- und Zwanzigkopekenstücke in meine Tasche, und manchmal kam es auch vor, daß ich (man schämt sich, es zu sagen) sogar Kupfergeld annahm. Was ist das für ein Leben! Ach, Gevatter! Was gibt es doch für glückliche Menschen auf der Welt! Für ein einziges Wort, das so einer einem andern ins Ohr flüstert, oder für eine Zeile, die er diktiert, oder dafür, daß er einfach seinen Namen auf ein Aktenstück schreibt, hat er auf einmal in der Tasche ein dick geschwollenes Paket Banknoten, groß wie ein Kissen, so daß man sich gleich darauf schlafen legen könnte. Ja, so müßte man auch arbeiten können«, schwärmte er, immer stärker in die Trunkenheit hineingeratend. »Die Bittsteller bekommen so einen kaum von Angesicht zu sehen und wagen nicht, sich ihm zu nähern. Er steigt in den Wagen und ruft: ›Zum Klub!‹ Und dort, im Klub, drücken ihm Herren mit Ordenssternen die Hand, und wenn er Karten spielt, so spielt er nicht, wie unsereiner, den Point zu fünf Kopeken, und dinieren tut so einer, dinieren, ach! Von Seljanka auch nur sprechen zu hören schämt er sich: er runzelt die Stirn und spuckt aus. Ausgerechnet im Winter läßt er sich junge Hühner braten und im April Erdbeeren servieren! Seine Frau trägt zu Hause die schönsten Spitzen; die kleinen Kinder sind schön frisiert und geputzt, die größeren haben eine Gouvernante. Ach, Gevatter! Es gibt ein Paradies; aber wir werden wegen unserer Sünden nicht hineingelassen. Trinken wir! Da kommt auch unsere Seljanka!«

»Klage nicht, Gevatter, versündige dich nicht: du hast ein Kapital, ein schönes Kapital . . .« sagte der betrunkene Tarantjew, dessen Augen ganz mit Blut unterlaufen waren. »Fünfunddreißigtausend Rubel, das ist keine Kleinigkeit!«

»Sprich leiser, leiser, Gevatter!« unterbrach ihn Iwan Matwjejewitsch. »Was will das sagen, fünfunddreißigtausend! Wann werde ich es auf fünfzigtausend bringen? Und auch mit fünfzigtausend kommt man noch nicht ins Paradies. Wenn man sich verheiratet, muß man sehr sparsam leben, jeden Rubel dreimal umdrehen, und an Jamaikarum ist dann schon gar nicht zu denken – was ist das für ein Leben!«

»Dafür lebt man ruhig, Gevatter; der eine gibt einem einen Rubel und der andre zwei – ehe man sich's versieht, hat man am Tage so an sieben Rubel eingesteckt. Und man zieht sich dadurch keine Anklagen und keine Händel zu, macht sich keine Hecke, wirbelt keinen Staub auf. Aber wenn man manchmal seinen Namen unter eine große Sache schreibt, kann man es nachher sein Leben lang ausbaden. Nein. Bruder, versündige dich nicht, Gevatter!«

Iwan Matwjejewitsch hörte nicht zu und dachte schon lange über etwas nach.

»Hör' mal«, begann er plötzlich; er riß die Augen weit auf und freute sich über etwas so, daß seine Trunkenheit fast verging. »Aber nein, ich bin doch ängstlich, ich werde es dir nicht sagen, werde einen solchen Vogel nicht aus meinem Kopfe hinauslassen. Da ist mir ein Schatz zugeflogen . . . Trinken wir, Gevatter; laß uns schneller trinken!«

»Ich werde nicht trinken, ehe du es mir nicht sagst«, erwiderte Tarantjew und schob das Glas von sich.

»Es ist eine wichtige Sache. Gevatter«, flüsterte Muchojarow und blickte dabei nach der Tür.

»Nun? . . .« fragte Tarantjew ungeduldig.

»Da habe ich einen schönen Fund gemacht. Na, weißt du was, Gevatter, das ist dasselbe, wie wenn einer seinen Namen unter eine große Sache schreibt; wahrhaftig, ganz dasselbe!«

»Aber was ist es denn? Wirst du es nun sagen?«

»Was wir dabei für Profit machen werden! Was für Profit!«

»Nun?« drängte Tarantjew.

»Warte, laß mich noch nachdenken. Ja, da läßt sich nichts anfechten; das ist gesetzlich. Meinetwegen, Gevatter, ich werde es dir sagen, und zwar deshalb, weil ich dich dabei nötig habe; ohne dich ist die Sache mißlich. Sonst würde ich es dir, weiß Gott, nicht sagen; die Sache ist nicht von der Art, daß ein Fremder sie wissen dürfte.«

»Bin ich denn für dich ein Fremder, Gevatter? Ich glaube, ich habe dir noch zu wiederholten Malen Dienste geleistet, habe als Zeuge fungiert und dir Abschriften . . . erinnerst du dich wohl noch? Du Kanaille, du!«

»Gevatter, Gevatter! Halte deine Zunge im Zaum! Du schreist alles so laut heraus!«

»Wer soll es denn hier hören? Bin ich etwa nicht bei Sinnen?« erwiderte Tarantjew ärgerlich. »Warum quälst du mich so lange? Sprich doch!«

»Nun, so höre: Ilja Iljitsch ist feige und besitzt keine Gesetzeskenntnis: damals bei dem Kontrakte hatte er ganz den Kopf verloren; und als ihm die Vollmacht geschickt war, wußte er gar nicht, was er anfangen sollte; er erinnerte sich nicht einmal, wieviel Pachtzins er zu bekommen hatte, und sagte selbst: ›Ich weiß nichts . . .‹«

»Nun?« fragte Tarantjew ungeduldig.

»Da hat er sich nun angewöhnt, sehr oft zur Schwester zu gehen. Neulich hat er bis nach Mitternacht bei ihr gesessen; er stieß dann mit mir im Vorzimmer zusammen und tat, als sähe er mich nicht. Also da wollen wir noch eine Weile aufpassen, was daraus wird, und dann . . . Nimm du ihn beiseite und sage ihm, daß es unehrenhaft sei, Schande über das Haus zu bringen; sie sei eine Witwe; sage ihm, die Sache sei schon ruchbar geworden; es sei ihr jetzt die Möglichkeit genommen, sich wieder zu verheiraten; es habe sich jemand um sie beworben, ein reicher Kaufmann; aber jetzt, wo er gehört habe, daß er, Oblomow, abends immer bei ihr sitze, sei er zurückgetreten.«

»Nun gut, er wird einen Schreck bekommen, sich auf das Bett werfen und sich wie ein Eber herumwälzen und seufzen – weiter aber auch nichts«, versetzte Tarantjew. »Was haben wir davon für Vorteil? Was springt für uns dabei heraus?«

»Was bist du für ein Mensch! Dann mußt du ihm sagen, ich wolle ihn verklagen; er sei heimlich beobachtet worden; es seien Zeugen vorhanden . . .«

»Nun und?«

»Na, wenn er dann sehr erschrickt, so sage ihm, es wäre eine gütliche Einigung möglich; er solle ein kleines Kapital opfern.«

»Wo hat er denn Geld?« fragte Tarantjew. »Versprechen wird er in der Angst vielleicht zehntausend Rubel . . .«

»Gib mir dann nur einen Wink, und ich werde einen Schuldschein anfertigen . . . auf den Namen der Schwester: ›Ich, Oblomow, habe von der Witwe Soundso zehntausend Rubel entliehen und verpflichte mich, sie dann und dann zurückzuzahlen‹ und so weiter . . .«

»Was hat denn das für einen Sinn, Gevatter? Ich verstehe das nicht: das Geld bekommt doch dann deine Schwester und ihre Kinder. Wo bleibt da unser Profit?«

»Aber die Schwester wird mir einen Schuldschein über dieselbe Summe geben; ich werde ihn ihr zum Unterschreiben geben.«

»Wenn sie ihn nun aber nicht unterschreibt, sich widersetzt?«

»Die Schwester?«

Und Iwan Matwjejewitsch brach in ein dünnes Gelächter aus.

»Sie wird unterschreiben, Gevatter, wie sie ihr eigenes Todesurteil unterschreiben würde; sie wird unterschreiben, ohne zu fragen was es ist, und nur lächeln; ›Agafja Pschenizyna‹ wird sie an der Seite krumm und schief hinschreiben, und wird niemals erfahren was sie unterschrieben hat. Siehst du: ich und du, wir bleiben dabei ganz beiseite; die Schwester wird einen Anspruch an den Kollegiensekretär Oblomow haben und ich einen solchen an die Kollegiensekretärin Pschenizyna. Dann mag der Deutsche wütend werden – es ist alles gesetzlich!« sagte er und hob seine zitternden Hände in die Höhe. »Trinken wir, Gevatter!«

»Es ist alles gesetzlich!« rief Tarantjew entzückt. »Trinken wir!«

»Und wenn alles gut vonstatten geht, können wir es nach ein paar Jahren wiederholen; es ist alles gesetzlich!«

»Alles gesetzlich!« rief Tarantjew mit beifälligem Kopfnicken. »Wiederholen wir es!«

»Wiederholen wir es!«

Sie tranken.

»Wenn sich dein Landsmann nur nicht sträubt und die Sache zunächst dem Deutschen schreibt«, bemerkte Muchojarow ängstlich. »Dann wird es schlimm, Bruder! Einen Prozeß können wir gegen ihn nicht anstrengen; sie ist eine Witwe und kein Mädchen!«

»Er wird es ihm schreiben! Das wird er schon tun! Aber erst nach zwei Jahren wird er es ihm schreiben!« sagte Tarantjew. »Wenn er sich aber sträuben sollte, werde ich schimpfen . . .«

»Nein, nein, Gott behüte! Damit würdest du alles verderben, Gevatter: er würde sagen, er sei gezwungen worden, und würde am Ende gar noch etwas von Schlägen erwähnen; dann würde es ein Kriminalprozeß. Nein, das taugt nichts! Aber so geht es: zuerst mußt du mit ihm essen und trinken; er liebt den Johannisbeerschnaps. Sobald er im Kopfe nicht mehr recht klar ist, gibst du mir einen Wink, und ich komme mit dem Schuldschein herein. Er wird die Summe gar nicht ansehen, sondern unterschreiben, wie damals den Kontrakt, und nachher, wenn die Sache erst notariell bezeugt ist, können wir ihn gerichtlich belangen! Ein solcher Herr wird sich schämen zu bekennen, daß er im Zustande der Trunkenheit unterschrieben habe. Es ist alles gesetzlich!«

»Es ist alles gesetzlich!« wiederholte Tarantjew.

»Dann mögen Oblomowka die Erben kriegen!«

»Mögen sie! Trinken wir. Gevatter!«

»Auf die Gesundheit der Dummköpfe!« sagte Iwan Matwjejewitsch.

Sie tranken.

 


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