Iwan Gontscharow
Oblomow
Iwan Gontscharow

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X.

Am Abend desselben Tages saßen in einem zweistöckigen Hause, das mit der einen Seite nach derjenigen Straße herauslag, in welcher Oblomow wohnte, und mit der andern nach dem Kai, in einem Zimmer des oberen Stockwerks Iwan Matwjejewitsch und Tarantjew.

Es war dies ein sogenanntes »Etablissement«; vor der Tür standen immer zwei oder drei leere Droschken, deren Kutscher in dem untern Stockwerk saßen und ihren Tee aus den Untertassen tranken. Das obere Stockwerk war für die »Herren« der Wyborger Seite bestimmt.

Vor Iwan Matwjejewitsch und Tarantjew stand Tee und eine Flasche Rum.

»Echter Jamaika«, sagte Iwan Matwjejewitsch, indem er sich mit zitternder Hand Rum in sein Glas goß. »Unterschätze nicht, womit ich dich traktiere, Gevatter!«

»Gestehe nur, daß du auch allen Grund hast, mich zu traktieren«, erwiderte Tarantjew. »Euer Haus wäre verfault, ehe du ohne mich einen solchen Mieter gefunden hättest.«

»Das ist wahr, das ist wahr«, unterbrach ihn Iwan Matwjejewitsch. »Aber wenn unser Geschäft zustande kommt und Saterty nach dem Gute fährt, dann will ich dem Abschluß zu Ehren auch etwas springen lassen!«

»Du bist geizig, Gevatter; mit dir muß man handeln«, sagte Tarantjew. »Nur fünfzig Rubel für einen solchen Mieter!«

»Ich fürchte, daß er wieder auszieht«, bemerkte Iwan Matwjejewitsch.

»Ach, was redest du! Und bist doch so ein feiner Kopf! Wo soll er denn hinziehen? Den kannst du jetzt nicht einmal mit Gewalt fortjagen.«

»Und die Hochzeit? Es heißt, er wird heiraten.«

Tarantjew lachte laut auf.

»Der und heiraten! Wollen wir wetten, daß er nicht heiratet?« erwiderte er. »Der kann ja nicht einmal einschlafen, ohne daß Sachar ihm hilft; und der sollte heiraten! Bisher habe ich ihm immer Wohltaten erwiesen; ohne mich wäre er entweder Hungers gestorben oder ins Gefängnis gekommen, Brüderchen! Wenn der Polizeiinspektor kam oder der Hauswirt nach etwas fragte, dann wußte er sich gar nicht zu helfen – immer mußte ich hilfreich einspringen! Er versteht ja gar nichts . . .«

»Nein, absolut nichts. ›Ich weiß nicht‹, sagte er, ›was im Kreisgericht getan wird‹; ebensowenig weiß er mit seinem früheren Department Bescheid, von welcher Beschaffenheit seine Bauern sind, das weiß er nicht. Was ist das für ein Kopf. Es kam mir ordentlich das Lachen an . . .«

»Und der Kontrakt, der Kontrakt, den wir abgeschlossen haben?« brüstete sich Tarantjew. »Schriftstücke abzufassen, das verstehst du meisterlich, Bruder Iwan Matwjejewitsch, wahrhaft meisterlich! Du erinnerst mich an meinen seligen Vater! Ich besaß darin früher ebenfalls Geschicklichkeit; aber ich bin aus der Übung gekommen, weiß Gott, aus der Übung gekommen. Wenn ich mich hinsetze, um zu schreiben, fangen mir gleich die Augen an zu tränen. Er hat den Kontrakt gar nicht durchgelesen, sondern ohne weiteres unterschrieben. Und doch standen die Gemüsegärten und die Pferdeställe und die Remisen darin.«

»Ja, Gevatter, solange in Rußland die Dummköpfe nicht aussterben, die ihre Unterschrift unter ein Schriftstück setzen, ohne es gelesen zu haben, wird unsereiner zu leben haben. Sonst könnte man sich noch so sehr abquälen, es würde einem doch schlecht gehen! Wenn man alte Leute reden hört, so muß es früher anders gewesen sein. Ich bin nun fünfundzwanzig Jahre im Amt; aber habe ich etwa ein nennenswertes Kapital zusammengebracht? Ich kann ja in stiller Zurückgezogenheit auf der Wyborger Seite leben, habe mein Auskommen, sogar etwas mehr als ich brauche; ich beklage mich nicht! Aber die schönen Zeiten, wo ein Mann wie ich sich eine Wohnung in der Liteinaja-Straße mieten, sich Teppiche kaufen, ein reiches Mädchen heiraten und seine Kinder in die vornehme Gesellschaft einführen konnte, die schönen Zeiten sind vorüber! Jetzt haben die Leute an meiner Visage etwas auszusetzen, und meine Finger sind ihnen zu rot, und das Schnapstrinken machen sie einem zum Vorwurf . . . Aber wie sollte man keinen Schnaps trinken? Versuch das mal! Sie sagen, ich sähe schlechter aus als ein Bedienter. Heutzutage trägt selbst ein Bedienter bessere Stiefel und wechselt täglich das Hemd. Es ist jetzt eine ganz andre Erziehung – alles fischen einem die Milchbärte weg; sie tun sich wichtig, lesen allerlei Bücher und sprechen französisch . . .«

»Aber von der Arbeit verstehen sie nichts«, fügte Tarantjew hinzu.

»Doch, Bruder; sie verstehen etwas davon: die Arbeit ist heutzutage von andrer Art als früher; ein jeder will sie vereinfachen; alles verderben sie uns, ›so darf man die Schriftstücke nicht abfassen; das ist überflüssige Schreiberei, Zeitvergeudung; das kann man schneller erledigen . . .‹ Sie verderben uns alles!«

»Aber wenigstens ist der Kontrakt unterschrieben; den haben sie nicht verdorben!« sagte Tarantjew.

»Das schon; an dem ist allerdings nicht zu rütteln. Trinken wir, Gevatter! Na, wenn er nun Saterty nach Oblomowka schickt, dann wird der das Gut ein bißchen aussaugen; nachher mögen es dann die Erben kriegen . . .«

»Mögen sie!« bemerkte Tarantjew. »Aber was sind das für Erben: ganz weitläufige Vettern, bei denen von Verwandtschaft kaum noch die Rede sein kann.«

»Ich fürchte mich nur vor der Heirat!« sagte Iwan Matwjejewitsch.

»Fürchte dich nicht, sage ich dir. Denk an mein Wort!«

»Meinst du wirklich?« erwiderte Iwan Matwjejewitsch vergnügt. »Weißt du, er glotzt ja meine Schwester an . . .« fügte er flüsternd hinzu.

»Was du sagst!« rief Tarantjew erstaunt.

»Schweig nur still! Es ist bei Gott so . . .«

»Na, Bruder«, sagte Tarantjew, der nur mit Mühe von seiner Verwunderung wieder zu sich kam, »das hätte ich mir nicht träumen lassen! Na, und wie stellt sie sich dazu?«

»Wie sie sich dazu stellt? Du kennst sie ja – da kannst du es dir denken!«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Versteht sie denn, ihren Vorteil wahrzunehmen? Sie ist eine Kuh, die richtige Kuh: mag man sie schlagen oder umarmen, immer lächelt sie, wie ein Pferd den Hafer anlächelt. Eine andre würde . . . hui! Aber ich werde die Augen offen halten – verstehst du, wonach das riecht?«

 


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